2.022 Kosovo, Kosovo-Albaner

 

 

1. Einleitung

Der seit 2008 selbständige Staat Kosovo ist seit Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Serben und Albanern. Albaner bilden im Kosovo die weitaus größte Volksgruppe, Serbien betrachtet das Gebiet jedoch als Wiege seines Volkes und verbindet damit viele geschichtliche Emotionen.

 

Übersicht

1.

Einleitung

2.

Lage und Zahlen

3

Sprache und Religion

4

Geschichte

5

Ethnien und Minderheiten im Kosovo 

5.1

Die Flagge des Kosovo als Symbol der ethnischen Vielfalt?

5.2

Bevölkerungsstruktur

5.3

Bosniaken

5.4

Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter

5.5

Die Volksgruppe der Gorani (Goranen, Goranci)

5.6

Türken im Kosovo

6.

Neueste Geschichte und politische Entwicklungen

7.

Wie geht es weiter? - Welche Perspektiven gibt es?

 

Das Gebiet heißt auf albanisch Kosova oder Kosove, auf deutsch in der Regel das Kosovo (manchmal auch der Kosovo), auf serbisch: Autonome Provinz Kosovo und Metochien (Autonomna pokrajina Kosovo i Metohija), denn der serbische Staat erkennt einen unabhängigen Staat Kosovo nach wie vor nicht an. Die Serben benennen dabei den östlichen Teil als Kosovo und den westlichen mit Metochien. Die Bezeichnung leitet sich vom griechischen metochi (mittelgriechisch: μετοχή ‚Gemeinschaft‘) ab und erinnert an die mittelalterlichen klösterlichen Gemeinschaften, die einen Großteil des Landes in dieser Gegend Kosovos besaßen. Entstanden ist die Bezeichnung im 19. Jahrhundert, als das Gebiet noch zum Osmanischen Reich gehörte Die Bezeichnung wird von den Albanern abgelehnt, weil sie an den umfangreichen serbischen Kirchenbesitz in Metochien erinnert. Metochien oder Rrafsh i Dukagjinit (zu deutsch "Ebene des Traubenmosts") besteht aus den früheren serbischen Bezirken Peḉ und Prizren.[1] Über das albanische und serbische Volk berichte ich in gesonderten Posts und zwar 2.260 Serben, serbisches Volk) und 2.021 (Albaner, albanisches Volk).

 2. Lage und Zahlen

Das Kosovo ist seit Jahrhunderten von Serben und Albanern bewohnt und deshalb stets ein Zankapfel zwischen diesen Völkern. In der Bundesrepublik Jugoslawien, die nach dem 2. Weltkrieg unter Tito neu entstand,  wurde den nicht slawischen Albanern keine eigene Teilrepublik zugestanden, vielmehr war das Kosovo in Titos Jugoslawien und nach dessen Auflösung in Rest-Jugoslawien bzw. Serbien eine autonome Provinz innerhalb des Bundesstaates Serbien. (Siehe Geschichte…) In der Nachkriegszeit bis zur Auflösung Jugoslawiens in den 1990er Jahren, gab es friedliche Phasen, in denen Jugoslawien den Albanern mehr Rechte und Freiheiten zugestand – aber auch lange Zeiten des aktiven und passiven Widerstands der mehrheitlich albanischen Bevölkerung des Kosovo gegen die serbische Bevormundung. Die verschärfte Unterdrückung der Albaner durch die Serben unter deren Staats- und Parteiführer Milošević führte schließlich Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre zu kriegerischen Auseinandersetzung (s.u. 4. Geschichte).  Daraus entwickelte sich 2008 der unabhängige Staat Kosovo, der nach wie vor von Serbien und vielen weiteren Staaten nicht anerkannt wird und nach wie vor ein Krisenherd im westlichen Balkan ist. Kosovo grenzt im Norden an Serbien und Montenegro, im Westen an Albanien und im Süden an Nord-Mazedonien.

                             Karte 1: Lage des Kosovo Übersicht

Ein außenstehender Beobachter hat einmal festgestellt: Serben würden für das Kosovo sterben, aber leben wollen sie dort nicht. Laut serbischer Angaben lebten 1953 „nur“ 756.000 Albaner im Kosovo = ca. 70 % der Bevölkerung. Seit 1945 seien insgesamt ca. 600.000 Serben und Montenegriner aus dem Kosovo weggezogen. Demgegenüber seien ca. 400.000 Albaner aus Albanien zugewandert. Hinzu komme eine höhere Geburtenrate bei den Albanern.[2]

Nach der kriegerischen Auseinandersetzungen sind viele Serben und Roma geflüchtet  oder wurden vertrieben. Nach Angaben der serbischen Regierung sind im Kosovo-Krieg über 240.000 Angehörige von Minderheiten – hauptsächlich Serben und Roma – aus dem Kosovo geflohen, davon ca. 220.000 nach Serbien und Montenegro, die übrigen vor allem nach Westeuropa, besonders nach Deutschland. Bis 2007 kehrten von allen Flüchtlingen lediglich etwas mehr als 16.000 freiwillig in das Kosovo zurück. Viele Serben fanden eine neue Heimat in Serbien, Montenegro oder im serbisch dominierten Norden des Kosovo (Karte 2). Aufgrund der dort herrschenden wirtschaftlichen Lage mit hoher Arbeitslosigkeit,  haben es die Flüchtlinge allerdings auch dort schwer gute Lebensbedingungen zu finden, sie ziehen diesen Zustand aber einer Rückkehr vor.

In Deutschland wurden ca. 38.000 Kosovo-Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Davon kehrten nach Kriegsende eine unbestimmte Anzahl in die Heimat oder nach Serbien zurück, ein großer Anteil wollte  aber nicht zurück, vor allem Roma, die im Kosovo erneut Diskriminierungen befürchteten. Im April 2010 wurde zwischen der deutschen und der kosovarischen Regierung ein Rückführungsabkommen getroffen, das nach und nach die schrittweise Rückführung und Wieder-Eingliederung der Flüchtlinge in die kosovarische Gesellschaft vorsah. Dabei kam es oft zu menschlichen Tragödien, denn manche Kinder waren inzwischen in Deutschland groß geworden, hatten die deutsche Schule besucht und beherrschten besser die deutsche Sprache als die Sprache ihrer Eltern. Daher gab es oft erheblichen Widerstand gegen die Abschiebungen und langwierige Prozesse. Im Dezember 2011 gab die Bundesregierung die Zahl der „geduldeten“ Migranten aus dem Kosovo mit 5574 an. Daran hat sich bis heute m.W. nicht viel geändert

Tatsächlich hat die im Kosovo ansässige albanische Bevölkerung im Laufe der Geschichte der letzten Jahrhunderte  und Jahrzehnte ständig zugenommen, was in jüngster Zeit aufgrund einer höheren Geburtenrate dazu geführt hat, dass auf dem Boden des Kosovo vor den kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1999 nur noch 10 % Serben und 85 % Albaner lebten.

Heute ist der serbische Anteil noch geringer und beschränkt sich vor allem auf den Norden (siehe Karte 2). Die letzte Volkszählung hat 2011 stattgefunden – also nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und wurde von den Serben weitgehend boykottiert. In den Folgejahren wurden offizielle Zählungen entweder von den Serben oder Albanern boykottiert. Zweifellos haben sich danach durch Flucht- und  Migrationsbewegungen erhebliche Änderungen ergeben, so dass man für 2019 auf Schätzungen zurückgreifen muss, die z.T. sehr variieren, insbesondere auch im Hinblick auf den Wohnsitz von Wanderarbeitern bzw. Migranten.

Unter Berücksichtigung all dieser Unwägbarkeiten lebten Ende 2019 ca. 1,9 Millionen Einwohner im Kosovo. Unter Mitberücksichtigung der Volkszählung von 2011 entfallen davon ca. 90% auf die albanische Bevölkerung , ca. 5% auf die größte Minderheit der Serben und die restlichen 5% verteilen sich auf die übrigen Volksgruppen/Minderheiten (siehe dazu folgenden Pkt. 5)[3]

3. Sprache und Religion

Zur albanischen Sprache gebe ich ausführliche Informationen unter 2.021 (Albaner, albanisches Volk). Zur serbischen Sprache siehe den Post 2.260 Serben, serbisches Volk), Punkt…. Zu übrigen Minderheits-Sprachen siehe unter nachstehendem Punkt 5

Bei einer Umfrage im Jahre 2011 (ohne Nord-Kosovo) bezeichneten sich 95%  der Albaner als Muslime, der Großteil davon als Sunniten, aber eine bedeutende Minderheit bezeichnet sich als Anhänger der Sufi-Orden Rüfai und Bektaschi. Rund 3% sind Katholiken und die serbische Minderheit ist christlich-orthodox.

Entgegen den Serben und den übrigen slawischen Muslimen  ist für die überwiegende Zahl der Albaner allerdings die Religionsmitgliedschaft nicht die entscheidende Komponente ihrer Identität. Vielmehr spielen die gemeinsamen Elemente, wie dieselbe Sprache, dieselbe Kultur, dieselbe Volksmusik und – kunst, dieselben Gebräuche, dieselbe historische Vergangenheit eine entscheidende Rolle bei ihrer Identitätsfindung. Die vorgenannten Kollektivinteressen vereinigen das albanische Volk und unter diesem Aspekt ist das Element der unterschiedlichen  Religionsbekenntnisse  für sie unwichtig und bei  vielen Facetten des gesellschaftlichen Lebens auch nicht erkennbar.  Die Albaner verstehen die Religionen mehr als zeitliche und historische Kategorien.[4]

4. Geschichte

Da die Geschichte des Kosovo so eng mit Serbien, Montenegro  und Albanien verknüpft ist, habe ich, um Doppelungen zu vermeiden, die gemeinsame Geschichte des südlichen Balkan in einer  Tabelle zusammengefasst, die unter 2.901 Balkan_Geschichte_Tabelle erscheint.

Im Zusammenhang mit der gemeinsamen Geschichte des albanischen und serbischen Volkes im Kosovo ist die Abhandlung über "Die Schicksalsschlacht auf dem Amselfeld und die serbischen Mythen" unter 2.260 Serben, serbisches Volk besonders beachtenswert!

Nachstehend beschränke ich mich daher auf wichtige Details zur jüngeren Geschichte des Kosovo.

Bereits nach dem Tod von Staats- und Parteichef Tito 1980 begannen in ganz Jugoslawien Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Teilstaaten um die zukünftige Rolle des Sozialismus und die Zuständigkeit der einzelnen Teilrepubliken. So kam es auch im Kosovo bereits 1981 zu ersten Unruhen und Studentenprotesten, die zunächst soziale Ungerechtigkeiten anprangerten, dann aber auch eine Gleichstellung des Kosovo im föderalen Jugoslawien mit den anderen Teilstaaten forderten. In den Folgejahren wurde Slobodan Milošević Parteivorsitzender der Kommunisten und gleichzeitig Republikpräsident von Serbien. Sein Aufstieg war begleitet von seiner Politik  des jugoslawischen Kommunismus hin zu einem serbisch-geprägten Nationalismus. Dies führte letztlich zum Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien, was Milošević dann umso mehr antrieb, seine serbisch-nationalistische Machtkontrolle über Serbien, Montenegro, die Vojvodina und das Kosovo zu festigen. Nachdem er letztlich im Bosnienkrieg gescheitert war (siehe….), versuchte er um so mehr im Kosovo den serbischen Einfluss auszuweiten, in dem er den Provinzstatus und die Autonomie des Kosovo aufhob. Gleichzeitig wurden über 100.000 Albaner aus der öffentlichen Verwaltung nd Staatsbetieben entlassen und das Bildungssystem serbisiert. DDer von den Albanern gewählte Präsident Rugova versuchte durch friedlichen Widerstand und Apelle an das Ausland eine Wende herbeizuführen, allerdings ohne wesentlichen Erfolg. Deshab gründete sich schließlich die Kosovo Befreiungsarmee (UCK), die im Untergrund agierte und Anschläge auf serbische Polizeistationen und auch zivile serbische Siedlungen verübte.[5]

Der jahrelange Konflikt um das Kosovo schaukelte sich so beiderseits weiter hoch und gipfelte 1998/99  in einem Feldzug Serbiens gegen die Kosovo-Albaner, der das eindeutige Ziel der ethnischen Säuberung hatte. Der Spiegel schrieb damals: "Jugoslawiens Präsident Slobodan Milosevic lässt keinen Zweifel daran, welche Lösung er sich für das Kosovo vorstellt, …die möglichst vollständige Vertreibung der Albaner“[6]  Die serbische Politik der verbrannten Erde führte nun zum Niederbrennen albanischer Siedlungen und die Militäreinheiten begannen mit der Vertreibung der Albaner. Hunderttausende von Albanern waren damals auf der Flucht begleitet von zunehmenden internationalen Berichten über Massaker serbisch-jugoslawischer Sicherheitskräfte an  der albanischen Zivilbevölkerung. Gleichzeitig führte die serbische Offensive zu einer Mobilisierung der albanischen Untergrundarmee UCK.[7] Die Kosovo-Albaner flüchteten vor allem in die Nachbarländer Albanien und Mazedonien, die mit diesem Andrang völlig überfordert waren. Andere fanden Aufnahme und vorläufiges Asyl in anderen europäischen Staaten, u. a. auch einige 10.000 in Deutschland.  Nach mehreren vergeblichen Appellen der UN, fanden im Februar/März 1999 in Rambouillet bei Paris langwierige Verhandlungen zwischen einer bereits 1994 gegründeten Balkan-Kontaktgruppe und Delegationen von (Rest-)Jugoslawien und Kosovo-Albanern statt.  Ein ausgearbeiteter Friedensvertrag wurde am 18.3.1999 von den Albanern schließlich unterschrieben, von Serbien (Rest-Jugoslawien) jedoch abgelehnt. Nach dem Scheitern dieser Verhandlungen und einem letzten Vermittlungsversuch des US-Botschafters Holbrook bei Serbenführer Milošević begannen die Serben eine neue Offensive gegen die albanische Bevölkerung, die von Schikanen, Morden, Vergewaltigungen und Vertreibungen begleitet war. Daraufhin drohte die NATO mit Luftangriffen. Als es zu keinem Einlenken der Serben kam, flogen zwischen dem 24. März 1999 und dem 10. Juni 1999 bis zu 1000 Kampfflugzeuge der NATO-Operation „Allied Forces“ Angriffe auf militärische und zivile Ziele im Kosovo und in Serbien[8] (Montenegro, dessen politische Führung seit 1997 zunehmend auf politische Distanz zu Belgrad gegangen war, hielt sich weitgehend aus dem Kosovokrieg heraus) . Der NATO-Luftkrieg, der als humanitäre Intervention betrachtet wurde, verfolgte das Ziel, die Vertreibung der albanischen Bevölkerung durch serbisch-jugoslawische Einheiten zu beenden und Milošević zurück an den Verhandlungstisch zu bewegen. Die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an den Aktivitäten des Militärbündnisses stellte den ersten deutschen Kriegseinsatz seit dem Ende des 2. Weltkriegs dar, und führte in Deutschland zu heftigen Diskussionen.

Zunächst zeigte sich Serbien unter Milosevic von den Luftangriffen der NATO nicht beeindruckt und setzte mit Einheiten der serbischen Armee, paramilitärischen Verbänden und Polizeieinheiten die systematische ethnische Säuberungs- und Vertreibungspolitik fort. Bis Ende März wurden begleitet von Mord und Vergewaltigungen ca. eine halbe Million Albaner vertrieben. Die Lage begann sich erst im Mai zu wenden, als es schrittweise zu einer Einigung der G8-Staaten auf eine politische Lösung inklusive einer Internationalen Schutztruppe für das Kosovo unter UN-Mandat kam. Zwar verweigerte sich Präsident Milošević zunächst noch dieser Lösung. Die Intensivierung der Luftangriffe und deren Ausweitung auch auf die zivile serbische Infrastruktur u.a. die Stromversorgung, führte schließlich zum Einlenken Serbiens. Anfang Juni einigten sich die NATO-Staaten und Russland auf einen Friedensplan, dem Milošević schließlich zustimmte.  Der Plan umfasste den vollständige Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo, die Entwaffnung der UÇK, die Rückkehr aller Flüchtlinge sowie den Einsatz einer internationalen Schutztruppe unter UN-Mandat im Kosovo. Der endgültige Status des  Kosovo wurde dabei ausgeklammert und  formalrechtlich sollte er Teil der Bundesrepublik Jugoslawien bleiben. Nach weiteren Verhandlungen zwischen NATO und der jugoslawischen Armee über die militärischen Details wurde am 10. Juni 1999 das sog. Kumanovo-Abkommen – nach dem Verhandlungsort in Mazedonien – vereinbart. Es regelte den Abzug der serbisch-jugoslawischen Einheiten innerhalb von 11 Tagen und beendete die Nato-Luftangriffe.[9]

Kosovo wurde nun unter internationale Verwaltung gestellt. Im Rahmen der UN-Resolution 1244 wurde für den Übergang eine Verwaltungskommission der Vereinten Nationen (UNMIK) gebildet, die den Wiederaufbau des Landes überwachen und begleiten sollte.

Parallel sollte die internationale militärische Mission KFOR das erneute Ausbrechen von Feindseligkeiten verhindern, ethnisch motivierte Diskriminierungen unterbinden und Minderheitenrechte für alle Volksgruppen im Kosovo garantieren.  Nun konnten die vertriebenen Albaner in ihre Wohngebiete zurückkehren und das Kosovo wurde somit zunächst ein Protektorat der Vereinten Nationen.[10]  Selbst die Währung wurde abgeschafft und durch die Deutsche Mark ersetzt. In allen praktischen Fragen hatte nun die UNO-Verwaltung unter dem Franzosen Bernard Kouchner das letzte Wort. Aber die Verfügungen der internationalen Verwaltung wurden von den Kosovo-Albanern nur begrenzt angenommen. Lange bevor die UNO-Verwaltung ihre Büros in den Gemeinden eingerichtet hatte, waren  die Mitglieder der UCK (Kosovo-Befreiungsarmee) schon in die Verwaltungen eingezogen und hatten dort ihre eigenen Leute installiert.[11]

Über das Ausmaß der serbischen Vertreibungsaktion gibt es keine allgemein anerkannten Daten, sondern nur Schätzungen. Nach einem Bericht  der „Independent International Commission on Kosovo“ wurden ca. 863.000 Albaner ins Ausland vertrieben, hinzu kamen ca. 590.000 Binnenflüchtlinge, d. h. praktisch die gesamte albanische Bevölkerung des Kosovo war betroffen, ca. 10.000 Albaner kamen ums Leben und laut Internationalem Roten Kreuz galten im Jahr 2000 noch ca. 3000 Personen als vermisst.[12]

Nach dem Ende der Kampfhandlungen und der Rückkehr der Albaner wendete sich die Situation: Tausende von Serben flüchteten nun - aus Furcht vor der Rache der Albaner - aus dem südlichen Teil des Kosovo nach Altserbien oder in den überwiegend serbischen Nordteil. Diese Furcht war sicher nicht unbegründet. In der Ausgabe vom 4. 8. 1999 berichtet "Die Welt" von Menschenrechts-Verletzungen der kosovarischen Befreiungsarmee UCK. Die von den Serben gewollte ethnische Säuberung passierte nun in umgekehrter Richtung. Die Zahlenangaben hinsichtlich der Vertreibung und der

Ermordung von Nicht-Albanern schwanken. Laut UNHCR-Bericht wurden zwischen Juni 1999 und Januar 2000 sind etwa 237 000 Menschen aus dem Kosovo geflüchtet oder wurden vertrieben, darunter 198 000 Serben, des weiteren slawische Muslime und Angehörige der Roma, Ashkali und Balkan-Ägypter. Human Rights Watch (HRW) zählte allein in den ersten sechs Wochen (ab 10. Juni 1999) ca. 164 000 serbische Flüchtlinge und circa 25 000 Flüchtlinge der verschiedenen Roma-Gruppen. Neuere Erhebungen zeigen indessen, dass eine Zahl von etwa 120 000 geflohenen Serben und Montenegrinern realistischer ist. Serbische Zahlen sprechen von 1022 toten Serben in der Zeit vom 12. Juni 1999 bis 18. November 2000. Human Rights Watch (HRW) geht ebenso von ca. 1000 toten und vermissten Serben im gleichen Zeitraum bis zum Juli 2001 aus.

Im Gegensatz zur Vertreibung der Albaner durch die Serben hatten allerdings die meisten Serben Zeit zum Packen ihrer Habe, konnten ihre Häuser verkaufen und unter KFOR-Geleitschutz in Trecks nach Norden abwanderten. Ziel waren in der Regel Verwandte in Serbien selbst oder im serbisch dominierten Nordteil des Kosovo.[13] Zwischen den serbisch dominierten Gemeinden im Norden des Kosovo und dem albanischen Süden entstand eine Demarkationslinie, die von KFOR-Truppen bis heut bewacht wird. Die Grenze geht mitten durch die Stadt Mitrovica. Die etwa 13.000 Serben im nördlichen Teil der Stadt stemmen sich gegen jede Form von Einmischung in ihre Angelegenheiten. Sie werden von Serbien dabei unterstützt und es fließen laufend erhebliche  Summen aus Serbien, um serbische Beamte zu bezahlen und eine serbischen Parallelwelt aufrecht zu erhalten. [14]   siehe Karte 4

Im November 2005 beschloss der UN-Sicherheitsrat die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Kosovo, um den völkerrechtlichen Status zu klären, jedoch brachten mehrere Verhandlungsrunden keine Ergebnisse.

Nach weiteren ergebnislosen Verhandlungen erklärte schließlich das Parlament des Kosovo am 17. Februar 2008  seine staatlich Unabhängigkeit und am 15.6. 2008 trat die erste Verfassung in Kraft. Das alles geschah gegen den Widerstand Serbiens und der serbischen Bewohner der nördlichen Gemeinden, jedoch unter Duldung der USA und der meisten westlichen Staaten, u. a. auch Deutschlands.

Im April 2013 vermittelte die EU zwischen Serbien und dem Kosovo und erreichte ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen der beiden Kontrahenten. Dabei wurde den Serben eine baldige Mitgliedschaft  in der EU in Aussicht gestellt. Der serbischen Minderheit wurde weitgehende Selbstverwaltung / Autonomie in einer eigenen „Gemeinschaft“ zugesichert. Im Gegenzug sollten sie die Autorität der kosovarischen Regierung in Pristina nominell anerkennen. Die Parlamente des Kosovo und Serbiens stimmten dem Abkommen zu. Hingegen kündigten die Serben im Nordkosovo erheblichen Widerstand gegen das Abkommen an. Eine Nagelprobe für die Durchführung des Abkommens sollten Kommunalwahlen im Kosovo und auch im serbisch dominierten Norden sein. Diese wurden aber von den dortigen Serben weitestgehend boykottiert. Beim 1. Wahlgang kam es zu Ausschreitungen und bei der Nachwahl blieb es zwar friedlich, aber es nahmen nur 22% aller Wahlberechtigten an der Wahl teil.[15]

Laut Auswärtigem Amt der BR Deutschland haben (Stand 19.4.2020) 110 Staaten die Republik Kosovo anerkannt, nicht darunter ist jedoch Serbien. Außerdem Russland, China und auch 5 EU-Staaten, darunter Spanien, Griechenland und die Slowakei. Laut AA besteht nach wie vor ein ungeklärtes Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo.[16] 

5. Ethnien und Minderheiten im Kosovo 

5.1 Die Flagge des Kosovo als Symbol der ethnischen Vielfalt?

 

                                          Bild 2: Kosovo-Flagge:

Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat das kosovarische Parlament die abgebildete Flagge und das in gleicher Weise gestaltete Wappen festgelegt und beschlossen. Die Flagge zeigt die Umrisse des Kosovo in goldener Farbe auf blauem Grund. Das blau soll die Verbindung zu Europa symbolisieren und gleichzeitig die Hoffnung auf baldige Mitgliedschaft in der EU. Über der Fläche des Kosovo sind sechs weiße Sterne angebracht, die für die im Kosovo lebenden ethnischen Gruppen stehen: Albaner, Serben, Türken, Bosniaken, Goranen und Roma, wobei die Aschkali und Kosovo-Ägypter zu den Roma gezählt werden. Sowohl die Mehrheitsbevölkerung der Albaner als auch die Minderheit der Serben betrachtet diese Flagge allerdings nicht als ihr Symbol. Stattdessen wird von den Albanern meist  die rotschwarze Flagge Albaniens mit dem doppelköpfigen Adler gezeigt, von der serbischen Minderheit dagegen die Flagge Serbiens. Die Albanienkennerin  Christiane Jaenicke lebte 5 Jahre im Kosovo u.a. auch als Wahlbeobachterin. Eine Zeit lang lebte sie in Mitrovica unmittelbar an der Demarkationslinie zwischen dem serbischen und albanischen Teil der Stadt. Sie beobachtete, dass bei Hochzeiten die Autokorsos der Albaner stets die albanische Adlerfahne und die Serben die Fahne Serbiens schwenkten. Als sie ein paar Jahre später für die EU in Pristina arbeitete, hatte sich an dieser Situation nichts geändert. Auch heute wird bei vielen öffentlichen Veranstaltungen die albanische Flagge geschwenkt.[17]

5.2 Bevölkerungsstruktur

Wie unter Pkt. 2 erläutert leben heute  ca. 1,9 Millionen Einwohner im Kosovo. Davon entfallen ca. 90% auf die albanische Bevölkerung und 5% auf die nunmehr größte Minderheit der Serben. Über das albanische und serbische Volk habe ich eigene Posts verfasst, siehe 2.021 (Albaner, albanisches Volk).  und   2.260 Serben, serbisches Volk 

Die verbleibenden ca. 5% verteilen sich in etwa wie folgt auf die übrigen Volksgruppen:

Roma 2% (einschl. Aschkali und Ägypter), Bosniaken: 1,5%, Türken 1%, Goranen 0,5%.

Wie nachstehend zu lesen, besteht bei der Zuordnung zu den Minderheiten aber eine erhebliche Unsicherheit, weil die Angehörigen der Roma, Türken, Bosniaken und Goranen häufig aus verschiedenen Gründen ihre Identität gewechselt oder aus politischen Gründen  bewusst falsch angegeben haben. Aus Angst vor Diskriminierungen haben sich manche Angehörige einer Minderheit (vor allem Roma) zur jeweils am Ort lebenden Mehrheit von Serben oder Albanern bekannt, zumal ihre Muttersprache bei den verschiedenen Roma-Gruppen oft damit identisch ist. Man spricht dann von „Switching Identities“, eine Erscheinung die wir in vielen Südosteuropäischen Ländern beobachten   (z. B. auch in Mazedonien, Bulgarien und Griechenland) Daher geben Minderheitsorganisationen oft und wahrscheinlich zu Recht höhere Bevölkerungsanteile für die einzelnen Minderheiten an.

Während der Zeit des sozialistischen Jugoslawien wurde Religion bis 1971 nicht als Merkmal der Identität anerkannt, so dass viele muslimische Bevölkerungsteile sich als Türken deklarierten, obwohl sie kein Wort türkisch sprachen. Vor der Volkszählung von 1971 hatte dann die kommunistische Partei die neue Nationalität der „Muslime“ geschaffen, zu der sich die Muslime nunmehr überwiegend bekannten, vor allem natürlich in Bosnien-Herzegowina, aber auch im Kosovo. Auch konnte man sich in EX-Jugoslawien als „jugoslawisch“ bekennen, ohne dass es dafür deutliche Kriterien gab. Viele Männer, Frauen und Kinder aus Mischehen haben diese Identität gewählt.

Erst nach der Wende in den 1990er Jahren ergab sich für viele Angehörige von Minderheiten  die Notwendigkeit, eine eigene nationale Identität zu finden. Dies gilt vor allem für Aschkali und Ägypter, aber auch für serbisch sprechenden Muslime und die Goranen. (siehe folgende Punkte 5.3 und 5.5.)

Nach der Verfassung des Kosovo ist die Vertretung der Minderheiten im Parlament festgelegt und abgesichert. Von den 120 Parlamentssitzen sind 10 Sitze für die serbische Minderheit reserviert, 4 Sitze für Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter, 3 Sitze für Bosniaken, 2 Sitze für Türken und 1 Sitz für Goraner.

Im folgenden gehe ich auf die heutige Situation der kleineren Minderheiten des Kosovo ein.

 

                                      Karte 3: Kosovo Ethnien

5.3 Bosniaken

Nachdem im Bosnienkrieg am 27. September 1993 die politische Elite Bosniens beschlossen hatte, die Nationalität „Muslim“ in Anlehnung an den Landesnamen durch „Bosniak“ zu ersetzen, stellte sich auch für die Muslime mit serbischer Muttersprache im Kosovo die Frage nach ihrer Identität bzw. der Bezeichnung ihrer Nationalität. Denn wie die Muslime slawischer Herkunft in den anderen Teilrepubliken Jugoslawiens standen nun vor der Frage, ob sie sich weiter zu einer nicht mehr existierenden Nationalität „Muslim“ bekennen sollten. Wie in Bosnien wurde die Umbenennung der Nationalität „Muslim“ in die neue Nationalitätsbezeichnung „Bosniaken“ von der überwiegenden Mehrheit der serbisch-sprachigen Muslime im Kosovo schnell akzeptiert. Für viele Muslime war Bosnien noch immer – wie zu Titos Zeiten – das Mutterland aller slawischen  Muslime des ganzen südlichen Balkans. Deshalb bekannten sich  in der Folge nun auch viele Muslime im Kosovo und anderen Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens als Bosniaken.[18]  

Bei der Volkszählung 2011 bekannten sich 27.553 Einwohner des Kosovo als Bosniaken, was einem Anteil von 1,6% der Gesamtbevölkerung entspricht. Der überwiegende Teil des Bosniaken wohnt im Süden Kosovos in den Gemeinden Prizren, Peja und Istog, außerdem gibt es bosniakische Gemeinschaften in der Hauptstadt Pristina und im Südteil von Mitrovica, aber auch im serbisch dominierten Nordteil dieser Stadt, wo jedoch 2011 keine Volkszählung stattfand. Darüberhinaus haben sich in der Gemeinde Ddragash 4.100 Goraner als Bosniaken deklariert (siehe dazu mehr unter 5.4 Goraner).

Bosniaken sind im Kovovo generell sicher und in der Gesellschaft integriert. In den Gemeinden Prizren, Peja und Dragash hat Bosniakisch den Status einer Amtssprache. Es gibt eigene Schulen oder Schulklassen mit bosniakisch als Unterrichtssprache und auch bosniakische Fakutäten an den Hochschulen. Dennoch studieren viele Bosniaken in Bosnien-Herzegowina und es gibt auch eine Anzahl von Bosniaken, die ihre Häuser an Albaner verkaufen und nach Bosnien oder sogar weiter nach Westeuropa ziehen.[19]

Wie allen Minderheiten stehen den Bosniaken im Parlament des Kosovo entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil 3 Sitze zu, die von 2 bosniakischen Parteien eingenommen werden.

5.4 Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter

Im Kosovo leben drei Romagruppen: Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter. Die Lage dieser Roma-Gruppen ist besonders prekär. Sie werden von der Mehrheit im Kosovo  als eine Volksgruppe betrachtet, die man Gypsies, Cigani oder Maxhupi (auch Magjup) nennt. Sie wurden und werden sowohl von Serben als auch Albanern unterdrückt und diskriminiert. Der Unterschied zwischen den 3 Gruppen liegt vor allem im Sprachgebrauch und in ihrem Selbstverständnis, was ihre Herkunft und Abstammung angeht. Roma sprechen ihren Romanes-Dialekt als Muttersprache und albanisch oder serbisch als Zweitsprache,  je nach dem in welcher Mehrheitsgesellschaft sie leben. Über die Herkunft der Roma siehe meinen Post Roma und Sinti in Europa   und    Sinti und Roma in Deutschland

Rechnet man die drei Roma-Gruppen zusammen, so bilden sie die größte Minderheit nach den Serben. Da die 3 Gruppen von den Albaner ohnehin als eine Ethnie betrachtet werden wird auch in Dokumenten internationaler Organisationen oft die Abkürzung „RAE“ (für Roma, Aschkali und Egyptians) verwendet, was bei den betroffenen Gruppen allerdings auf erhebliche Ablehnung stößt, denn diese wollen sich besonders seit dem Zerfall Jugoslawiens bewusst voneinander abgrenzen. Auch viele Roma-Kenner sind der Ansicht, dass Ägypter und Ashkali eine Verwandtschaft zu den Roma aufweisen und deshalb alle drei Gruppen unter „Zigeuner“ oder Roma subsumieren. Sie argumentieren, dass Ägypter und Ashkali länger sesshaft seien als Roma und daher kein Romani mehr sprechen, letztlich jedoch gleichen Ursprungs seien.  Es sei in der langen Zeit des Zusammenlebens zu  einem Sprachwechsel von Romani zu Albanisch gekommen.[20]  

Aschkali und Kosovo-Ägypter betonen dagegen ihre Eigenständigkeit zu den Romani sprechenden Roma, sie sprechen albanisch als Muttersprache und serbisch als Fremdsprache und sind in der Regel Muslime, sie beherrschen keinen Roma-Dialekt. Eliten der Roma hingegen betrachten die beiden anderen Gruppen als assimilierte Albaner.

Aschkali selbst vertreten die These, dass sie während der osmanischen Herrschaft aus der Türkei eingewandert sind, Kosovo Ägypter führen ihre Herkunft nicht auf das Ursprungsland Indien, sondern auf Ägypten zurück. Aschkali sehen sich durchaus mit den Balkan-Ägyptern verbunden, lehnen aber die Bezeichnung Ägypter und den Herkunftsmythos ab. Die besondere Identitätsbildung bei diesen assimilierten Roma-Gruppen weist eine Ähnlichkeit zu den Sinti in Deutschland auf, die sich auch nicht als Roma bezeichnen lassen wollen, im Gegensatz zu den Aschkali und Balkan-Ägyptern akzeptieren die deutschen Sinti allerdings die Doppelbezeichnung „Sinti und Roma“.            

Die Romani sprechenden Roma werden in der ethnologischen Literatur noch in drei Untergruppen aufgeteilt und zwar 1. die Arlije, die einen mit türkisch und albanisch durchsetzten Romani-Dialekt sprechen. Sie sind in der Regel Muslime. 2. Die Gurbeti, die im 17. und 18. Jahrhundert aus der Sklaverei in der Walachei entflohen sind und einen wlachischen Roma-Dialekt sprechen. Sie können christlich-orthodoxen oder muslimischen Glaubens sein. 3. Manche Roma-Kenner nennen als dritte Gruppe noch die Gabele oder Dzambasi, die aus Bosnien oder Montenegro eingewandert sind, von anderen jedoch als Untergruppe der Gurbeti betrachtet werden.[21]

Während des Kosovo-Krieges wurden alle Roma von beiden Seiten bezichtigt, mit der Gegenseite zusammengearbeitet zu haben. Deshalb wurden sie von den Serben drangsaliert und vertrieben. Nach Rückkehr der Albaner ging es ihnen nicht viel besser. Das alles geschah unter den Augen der KFOR und weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Die Mehrheitsgesellschaft betrachtet alle drei Gruppen als Zigeuner und diskriminiert sie durch Ausgrenzung und den Vorwürfen der Kollaboration und des Diebstahls. Viele leben heute in den zu Ghettos gewordenen Restdörfern des Kosovo, meist ohne Beschäftigung und häufig ohne medizinische und humanitäre Versorgung, teilweise auch in Flüchtlingslagern im eigenen Land oder den Nachbarländern. Daher rührt u. a. auch der Wille der Aschkali und Ägypter, sich positiv von den Roma und deren sozial niedrigerem Status abzuheben, um bei der Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu werden. Tatsächlich ist der Bildungsstand bei den Ägyptern höher als bei den Roma und sogar den Aschkali. Ägypter weisen einen hohen Anteil akademischer Abschlüsse auf und sind als Juristen, Ärzte, Lehrer und Wissenschaftler tätig. Daher sind sie oft besser in der Öffentlichkeit vertreten und vernetzt, auch international.

Demgegenüber haben Roma als sprachliche Minderheit im staatlich selbständigen Kosovo das Recht auf ein eigenes Radio- oder Fernseh-Programm, nicht jedoch die albanisch sprechenden Aschkali und Ägypter.

Wie andere ethnische Gemeinschaften im Kosovo haben Roma, Aschkali und Ägypter seit 2001 Anrecht auf eine bestimmte Anzahl von Sitzen im Parlament. In der ersten, provisorischen Verfassung des Kosovo wurde festgelegt, dass die „Roma, Ashkali, Egyptian Communities“ gemeinsam vier Sitze erhalten und dass diejenigen Parteien der Roma, Ashkali und Ägypter diese in Anspruch

nehmen, welche die meisten Stimmen bekommen. In der seit 2008 gültigen Verfassung wurde durchgesetzt, dass Roma, Ashkali und Ägypter je einen Sitz erhalten. Der vierte Platz ist ein zusätzlicher Sitz, der von der Roma-, Aschkali oder Ägypter-Partei mit der höchsten Stimmenzahl bei einer Wahl in Anspruch genommen werden kann[22]

5.5 Die Volksgruppe der Gorani (Goranen, Goranci)

In der Grenzregion zwischen Albanien, dem Kosovo und Mazedonien lebt diese kleine Volksgruppe slawischer Muslime. Der größere Teil von ihnen lebt in den Bergregionen des südlichen Kosovo. Außerdem liegen zwei goranische Dörfer auf dem Territorium Mazedoniens und 9 oder 10 Dörfer in Albanien. Da es von der goranischen – meist bäuerlichen – Bevölkerung praktisch keine schriftlichen historischen Quellen gibt, herrscht sowohl bei Wissenschaftlern, als auch bei den Gorani selbst große Uneinigkeit über ihre Herkunft und Ethnogenese. Während proserbische Quellen von Serben ausgehen, die unter osmanischer Herrschaft islamisiert wurden, sehen albanische Autoren in ihnen slawisierte Albaner. Darüber hinaus gibt es z. T. abenteuerliche Theorien über die Herkunft der Gorani und den Zeitpunkt ihres Übertritts zum Islam.

Die Gorani sprechen einen südslawischen Dialekt, den sie selbst als Našinski (das bedeutet: unsere Sprache) bezeichnen.  An anderer Stelle habe ich schon auf das südslawische Dialektkontinuum hingewiesen, das in besonderer Weise auch für das Našinski gilt. Linguisten rechnen dieses zur Dialektgruppe des Torlakischen, einen Übergangsdialekt vom Serbischen zum Mazedonischen und Bulgarischen. Wie andere Balkansprachen hat auch das Našinski  viele Lehnworte aus anderen Sprachen aufgenommen, vor allem aus dem Türkischen, Albanischen und Bulgarischen/Mazedonischen. Durch die lange Herrschaft Serbiens im Kosovo wurde dort als Schriftsprache das Serbische benutzt, in Albanien hingegen Albanisch und das heutige Mazedonien erkennt die Gorani überhaupt nicht als eigenständige Volksgruppe an, sondern betrachtet sie als Mazedonier. Tatsächlich ist Našinski strukturell mit dem Mazedonischen verwandt, so dass sowohl Serben wie auch Mazedonier (und darüberhinaus Bulgaren) aus politischen Gründen das Našinski als Teil ihres Sprachgebietes beanspruchen. Diese umstrittene Zuordnung war seit dem Frieden von San Stefano 1878 stets ein Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Serben und Bulgaren, angefangen mit den Balkankriegen 1912-13 bis zum Ende der beiden Weltkriege.

Bis zur Unabhängigkeit Mazedoniens  spielte die Grenze des goranischen Territoriums zwischen Serbien (Kosovo) und Mazedonien keine große Rolle, nun aber ist dies eine Staatsgrenze, die z. T. umstritten war. (siehe http://euro-ethnien.blogspot.com/2013/11/2181-mazedonien.html  und dort den Punkt 6)

Die Gorani waren schon in osmanischer Zeit Wanderarbeiter, die sich in der Fremde ihr Einkommen verdienen mussten, weil die kargen Bergdörfer den Lebensunterhalt nicht sichern konnten. Das setzte sich fort nach dem 2. Weltkrieg im jugoslawischen Staat. Darüberhinaus suchten viele Arbeit in den westlichen Industriestaaten, u. a. in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere nachdem 1968 ein Anwerbeabkommen mit dem damaligen jugoslawischen Staat geschlossen wurde.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens verließen viele Goraner aus dem Kosovo nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus politischen Gründen ihre Heimat. Sie siedelten sich in Serbien und der Vojvodina an. Denn nun entflammte der Streit zwischen Serbien und den Albanern des Kosovo. Die serbische Regierung bildete nach 1991 aus dem goranischsprachigen Gebiet eine selbstständige Gemeinde mit dem Namen Gora, womit sie versuchte, die nichtalbanische Minderheit zu begünstigen, um ihren Anspruch auf das Kosovo zu legitimieren, was mit dazu beitrug, dass die albanische Bevölkerung die Gemeinde Gora als serbisches Herrschaftsinstrument wahrnahm.

Nach Ende der Kämpfe im Kosovo hat die UN-Interims-Administration erneut die Zusammenlegung der Gemeinde Gora mit der mehrheitlich albanischen Gemeinde Opolje zur Gemeinde Dragaš vorgenommen, was bis heute umstritten bleibt. Für viele Gorani stellt eine selbstständige Gemeinde Gora einen positiven Bezugspunkt für sie dar und deren Wiederherstellung ist daher  eine zentrale Forderung der Gorani. Denn die Zusammenlegung der Gemeinden Opoja und Gora zur Gemeinde Dragaš führte zu einer mehrheitlich albanischen Großgemeinde deren Zentrum, die Stadt Dragaš, eine deutliche albanische Bevölkerungsmehrheit aufweist.

Alle umliegenden Dörfer zur Gemeinde Dragaš sind ausschließlich von Gorani bewohnt. Allerdings vollständig nur in wenigen Monaten des Jahres, wenn die vielen Migranten zu einem Heimat-Urlaub zurückkehren, um die Familien- und Nachbarschaftskontakte zu pflegen. Nach wie vor heiraten Goraner und Goranerinnen nur untereinander, so dass Migranten in dieser Zeit Gelegenheit haben einen Partner, eine Partnerin zu finden. Nach der Erklärung des Kosovo als sicheres Herkunftsland, müssen allerdings viele Gorani Deutschland und Österreich wieder verlassen und kommen zurück in schwierige wirtschaftliche Verhältnisse. Die Gemeinde Dragaš hat einen eigenen Mitarbeiter beschäftigt, der für die Integration der (unfreiwilligen) Rückkehrer zuständig ist und ihnen bei ihrem Neustart helfen soll. Dafür stehen ihm aber kaum finanzielle Mittel zur Verfügung.

Nachdem Serbien sich aus dem Kosovo zurückziehen musste, entfiel die serbische Schutzmacht und die Gorani waren nun unfreiwillig als Bevölkerungsgruppe  zwischen alle Stühle des Nationalismus der Region gefallen. Als Muslime sind sie keine Serben, als Slawen keine Albaner, zu Mazedonien fehlte eine wirtschaftliche und kulturelle Bindung.  
Da es wie oben unter 5.2 erläutert nun die anerkannte Volksgruppe der (muslimischen) Bosniaken gibt, haben sich viele Gorani in jüngerer Zeit zu einer bosniakischen Identität entschieden, die Mehrheit bleibt jedoch dabei, sich als Gorani zu bezeichnen. Zwischen beiden goranischen Gruppen gibt es im übrigen keinerlei kulturelle Unterschiede. Allerdings werden durch den Schulbesuch der Kinder neue Barrieren aufgebaut. Denn die Eltern müssen zwischen einem Unterricht nach dem Curriculum der Republik Kosovo (als erklärte Bosniaken) oder dem serbischen Lehrplan (als Gorani) wählen. Obwohl alle Kinder den gleichen slawischen Übergangdialekt sprechen, werden sie nun entweder in bosniakischer oder serbischer Sprache in der gleichen Schule aber in getrennten Klassen unterrichtet. Zwar sind auch die slawischen Sprachen serbisch und bosniakisch sehr ähnlich und  verwandt, aber groß sind die Unterschiede, die in in den sogenannten nationalen Fächern vermittelt werden. Dazu zählen Geschichte, Geografie, Sprache, Literatur und Religion. Was die einen über die Vergangenheit Serbiens, Kosovos, Jugoslawiens oder des Osmanischen Reichs zu hören bekommen, hat nur wenig mit dem zu tun, was den anderen vermittelt wird.
[23]

Nachdem Einwohner des Kosovo (und auch Mazedoniens und Albaniens) nicht mehr in die EU einreisen konnten,  hat auch Bulgarien versucht, sich in den nationalen Identitätsstreit einzubringen, indem es den Gorani bulgarische Reisepässe anbot. Etwa 100 Personen haben davon Gebrauch gemacht, weil sie sich so in Westeuropa frei bewegen können.

Während der Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern im Kosovo gab es auch albanische Gewaltakte gegen die von den Serben vereinnahmten Gorani. Auch wenn diese inzwischen abgeklungen sind, herrscht zwischen Goranern und Albanern immer noch ein gespanntes Verhältnis des Misstrauens. Dies zeigt in sehr ausführlicher Weise ein Urteil des österreichischen Bundesasylsenats aus dem Jahre 2007, in dem – gestützt auf ein Gutachten des Human Rights Officer der OSCE-Mission im Kosovo, Regional-Zentrum Prizren – festgestellt wird: Die Angehörigen der Bosniaken und Goraner in der Gemeinde Dragaš sind keinerlei Verfolgung oder Übergriffen aufgrund ihrer ethischen Zugehörigkeit ausgesetzt. Daher wurde der Asylantrag der Antragstellerin abgelehnt und ihre Rückführung in den Kosovo angewiesen. Das Gericht erkannte allerdings ausdrücklich an, dass im Kosovo im allgemeinen und in der Region Gora speziell eine schlechte wirtschaftliche Situation und eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht.

Als anerkannte Minderheit ist für die Goraner im Parlament des Kosovo laut Verfassung ein Sitz reserviert.[24]

5.6 Türken im Kosovo

Während der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft auf dem südlichen Balkan haben sich dort seit dem 14 Jahrhundert auch viele Türken angesiedelt - vor allem Beamte und Militärangehörige - so auch im Kosovo. Später folgten Kaufleute und Handwerker und auch muslimische Geistliche, die mit einigem Erfolg eine Verbreitung des Islam unter der eingesessenen christlichen Bevölkerung sorgten.  Nach dem Ende der osmanischen Herrschaft in den Balkankriegen 1912/13 sind zwar viele Türken mit ihren Familien in die Türkei ausgewandert. Verblieben sind laut Volkszählung von 2011 18.738 ethnische Türken. Andere Schätzungen gehen jedoch von bis zu ca. 25.000 Einwohnern  türkischer Nationalität aus.[25]

Die überwiegende Zahl der Balkantürken des Kosovo leben heute in der Stadt Prizren und der Umgebung. In Prizren leben etwa 10.000 Türken und das nahegelegene Dorf  Mamush ist mehrheitlich von Türken bewohnt. Daher ist in Prizren Türkisch neben Albanisch und Serbisch auch offizielle Amtssprache. Es gibt in Prizren eine türkisches Radio- und Fernsehprogramm. Die türkische Partei  stellt in Prizren den stellvertretenden Bürgermeister und es gibt dort ca. 25 türkische Vereine und Gruppen, die Kulturelle Veranstaltungen organisieren. In den Schulen wird von der 1. bis zur 9. Klasse für die ca. 1400 türkischsprachigen Kinder in türkischer Sprache  unterrichtet und auch an der Hochschule von Prizren wird z.T. Lehrstoff in türkischer Sprache angeboten.

Auch viele Albaner beherrschen die türkische Sprache, denn nach der Unabhängigkeit des Kosovo ist dieser für die Türkei das Eingangstor nach Europa. Über 300 türkische Investoren haben sich hier niedergelassen und die türkische Minderheit dient ihnen als Brücke in den Markt des Kosovo und darüberhinaus.[26]

6. Neueste Geschichte und politische Entwicklungen

Serbien und Kosovo stehen sich zur  Zeit immer noch mit ihren Maximal-Forderungen gegenüber, d. h. Serbien erkennt das Kosovo als unabhängigen Staat nicht an und will allenfalls eine weitgehende Autonomie gewähren. Demgegenüber will das Kosovo die erreichte Unabhängigkeit nicht aufgeben und beharrt dabei auf den historischen Grenzen, obwohl der Norden faktisch zu Serbien gehört (s. o.). Leider sind die meisten Staaten Europas handlungsunfähig, da auch sie gebetsmühlenartig immer wieder die Unverletzlichkeit der nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Grenzen für die allein mögliche Friedensordnung halten. Sicherlich ist nicht zu verkennen, dass beim Abweichen von diesem Prinzip sehr schnell andere und weiterreichende Forderungen nach Grenzkorrekturen erfolgen können, nicht zuletzt von den Serben in Bosnien, die nach einem Anschluss an Serbien rufen würden. Dennoch sollte man m. E. die Macht des Faktischen anerkennen und beide Seiten zu einem Kompromiss aufrufen, der die vorhandene Teilung sanktioniert.

Auf Druck westlicher Staaten und der EU – beide Staaten wollen schließlich Mitglied der EU werden – begannen bereits  im März 2011 von der EU vermittelte Verhandlungen zwischen dem Kosovo und Serbien. Die Verhandlungen wurden immer wieder durch Störfeuer von beiden Seiten unterbrochen – u.a. gab es im Norden des Kosovo gewaltsame Auseinandersetzungen, weil Kosovoserben Barrikaden errichteten. Im Februar 2012 wurden im Rahmen dieses „technischen Dialogs“ sieben Abkommen geschlossen (u.a. über Grenzmanagement, Zoll, Standesamtsregister, Kataster und Universitätsabschlüsse) Auch einigten sich Serbien und Kosovo auf eine Regelung, die dem Staat Kosovo eine Bewegungsfreiheit in internationalen und regionalen Foren und Vereinigungen gewährte, ohne dass Serbien damit den Staat Kosovo anerkannte. Am 19. 4. 2013 wurde schließlich im Beisein der EU-Vertreterin Lady Ashton zwischen serbischen und kosovarischen Regierungsvertretern ein Abkommen getroffen, dass für die serbisch bewohnten vier Gemeinden des nördlichen Kosovo zusätzliche Rechte und eigene Strukturen im Rahmen des Staates Kosovo einräumte. Die EU wollte den Erfolg des Abkommens mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlung mit Serbien und eines Assoziierungsabkommens

mit dem Kosovo belohnen. Das Abkommen sah vor, dass sich die 4 Gemeinden des Nordkosovo zu einem Gemeindeverband zusammenschließen, der weitgehende Autonomie erhält, sie sich aber in den kosovarischen Staat eingliedern müsse und serbische Parallelstrukturen aufzugeben habe. Auch die serbischen Exklaven im Süden des Kosovo sollen Autonomierechte erhalten. Dieser Vereinbarung stimmte das Parlament des Kosovo am 22. 4. 2013 zu und am 26. 4. 2013 ratifizierte auch das serbische Parlament nach hitziger Debatte das Abkommen. Dabei betonte die serbische Regierung in der Debatte ausdrücklich, man habe einer Abspaltung des Kosovo von Serbien nicht zugestimmt. Erstmals empfahl jedoch die serbische Regierung den Serben im Kosovo, an der Kommunalwahl teilzunehmen. Während sich die im Süden des Kosovo verbliebenen Serben offenbar mit ihrer Situation abgefunden haben, wollten sich viele Serben in den serbischen Gemeinden Nord-Kosovos dem Abkommen widersetzen, denn sie fürchten um ihre Arbeitsstellen und ihre Freiheit. Das war wiederum für Serbien fatal, weil es die Basis für Beitrittsverhandlungen mit der EU in Frage stellt.

Eine Nagelprobe dazu boten die für den 3. November 2013 angesetzten Kommunalwahlen im gesamten Kosovo. Das Ergebnis gab keinen Anlass zu einer friedvollen Lösung, denn serbische radikale Nationalisten  haben die Bevölkerung des Nordkosovo zunächst zum Wahlboykott aufgerufen und dann am Wahltag mit Terror und Gewalt gegen Abstimmungswillige die Kommunalwahlen nachhaltig so gestört, dass sie von der Wahlkommission in drei Wahlbezirken für ungültig erklärt wurden.

Zunächst war man bei der EU in Brüssel ratlos, dann aber einigte man sich auf die Formel, dass die teilweise für ungültig erklärten Wahlen wiederholt werden müssten. Zeit online kommentiert dieses Verhalten zu Recht mit „EU redet sich die Wahlen im Nordkosovo schön“ und „Augen zu und durch in Brüssel“. Die Nachwahl fand nun unter einem massiven Aufgebot von einheimischer und internationaler Polizei und NATO-KFOR-Truppen am 17. 11. 2013 statt. Die Wahlen konnten nun zwar ohne größere Störungen stattfinden, die Wahlbeteiligung lag aber nur bei gut 22 Prozent der Wahlberechtigten. Rund 1000 Wähler gaben ihre Stimme "unter Vorbehalt" ab, weil viele Serben keine kosovarischen Papiere haben oder ihre Namen nicht in den Wahllisten standen. Einige Wähler behaupteten im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, sie hätten Geschenke wie Öl und Zucker bekommen, damit sie versprechen, zur Wahl zu gehen. Deshalb führte auch diese Wahl nicht zu einer Normalisierung zwischen Kosovo-Albanern und Serben.

Wegen anstehender Parlaments-Wahlen in beiden Staaten wurde die Realisierung  des Abkommens immer wieder verschoben. Im Februar 2015 wurde der Dialog unter der Leitung der neuen EU-Außenbeauftragten Frederica Mogherini erneut aufgenommen. Aber die Verhandlungen wurden immer wieder durch das Beharren beider Seiten auf Grundprinzipien unterbrochen und der Dialog geriet in eine Krise die beinahe zu einer gewaltsamen Eskalation geführt hätte. Am 14. Januar 2017 hatte die serbische Regierung einseitig die Wiederöffnung der Zugstrecke zwischen der Hauptstadt Belgrad und der im Nordkosovo gelegenen Stadt Nord-Mitrovica geplant. Der Zug war von außen mit den serbischen Landesfarben bemalt und der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ in 21 Sprachen versehen worden. Nachdem die kosovarischen Regierung eine Einheit der Sonderpolizei an die Nordgrenze des Landes geschickt hatte, stoppte die serbische Regierung die Fahrt an der letzten Station vor der Grenze, mit der Begründung, die Sonderpolizei des Kosovo habe die Schienen vermint, was die kosovarische Regierung entschieden zurückwies. Der serbische Staatspräsident Nikolic drohte gar mit dem Einsatz der Armee zum Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo. 

Im August 2018 gab es nach Gesprächen zwischen Serbien und dem Kosovo unter Federführung der EU-Außenbeauftragten Mogherini sogar beinahe eine Vereinbarung über einen Gebietstausch. Danach sollte der kosovarische Norden an Serbien fallen und im Gegenzug sollte ein von Albanern bewohntes Gebiet im Presevo-Tal in Südserbien an das Kosovo angegliedert werden.

 

                      Karte 4 Möglicher Gebietstausch Serbien/Kosovo

 

Dieser Kompromiss wurde von den Präsidenten Serbiens und des Kosovo, Vucic und Thaci, ausgehandelt und von der EU-Außenbeauftragten Mogherini unterstützt. Leider ist dieser Kompromiss nicht zum Tragen gekommen, weil es sowohl in der EU (allen voran von Deutschland) aber auch in Serbien und vor allem im Kosovo erheblichen Widerstand gab.

Zusätzlicher Zündstoff entstand, nachdem am 16. Oktober 2018 der kosovo-serbische Oppositionspolitiker Oliver Ivanovic am hellichten Tag in Nord-Mitrovica vor dem Büro seiner Partei erschossen wurde. Der angesehene Politiker hatte seit Jahren versucht zwischen Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern zu vermitteln. Statt einer Einigung eskalierte im Herbst 2018 der Streit zwischen Serbien und dem Kosovo. Weil die serbische Regierung die Mitgliedschaft des Kosovo bei Interpol blockierte, beschloss die kosovarische Regierung die Einführung von Strafzöllen auf serbische Waren.[27]

Seit vielen Jahren ist der serbische Präsident Vučić an der Macht. Er ist ein gewiefter Taktiker, der gegenüber dem Westen immer wieder verspricht, sich für eine Kosovo-Lösung einzusetzen, vor allem um die Beitrittsverhandlungen zur EU günstig zu beeinflussen. Andererseits setzt er aber auch auf die Unterstützung Russlands. Es scheint, dass er seine Machtbasis in Serbien mit seinem autokratischen System weiter ausbaut und ein Ende des Kosovo-Konflikts mit notwendigen Zugeständnissen ihm politisch eher schadet. Deshalb beharrt er seit November 2018 darauf, dass es keine Fortsetzung der Brüsseler Verhandlungen gebe bis die Kosovo-Regierung die Strafzölle zurück nimmt.

Seit November 2018 bleibt so der Verhandlungsprozess ausgesetzt und die Zölle weiter in Kraft. Ein am 29. April 2019 von der deutschen Kanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Macron in Berlin organisiertes Westbalkan-Treffen blieb auch ohne Erfolg.

Im Kosovo selbst ist die Situation ebenso ungünstig für eine Konfliktlösung. Die politischen Parteien sind tief zerstritten und blockieren mit Maximalforderungen ebenfalls eine Lösung. Hinzu kommt, dass der Kosovo als einer der korruptesten Staaten Europas gilt. Medien und Justiz hängen am Gängelband der Politik. Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel sind wichtige "Wirtschaftszweige". Die Arbeitslosigkeit ist gewaltig. [28]

Die zerstrittenen Parteien des Kosovo stimmten schließlich für vorgezogene Neuwahlen. Im Vorfeld deutete sich bereits ein Stimmungswechsel bei den Wählern an. Vor allem ein neuer Politstar erregte große Aufmerksamkeit: Albin Kurti, Gründer, Vorsitzender und Spitzenkandidat der Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung). Der ehemalige Studentenführer ist ein linker Populist, er verspricht Reformen, einen wirtschaftlichen Aufschwung, Einsatz gegen Korruption und ist darüber hinaus ein groß-albanischer Nartionalist , der seinen Wählern die Vereinigung mit Albanien als langfristiges Ziel verspricht.[29]

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Kosovo im Oktober 2019 wurde dann auch die bisherige Regierung unter Führung der Partei der einstigen Rebellen PDK abgewählt. Sie verlor ihre Mehrheit und die bisherigen Oppositions-Parteien Vetëvendosje und LDK gewannen die Parlamentswahl mit 26 und 25 Prozent der Stimmen.  [30]

7. Wie geht es weiter? - Welche Perspektiven gibt es? 

Serbien verweigerte weiterhin dem jungen Staat Kosovo die Anerkennung. Kosovo wurde faktisch ethnisch geteilt, der mehrheitlich serbisch bewohnte Nordkosovo, das Gebiet nördlich des Ibarflusses mit der geteilten Stadt Mitrovica bleibt faktisch unter Kontrolle Belgrads, dass die dortigen Strukturen mit massiver Finanzhilfe unterstützt. Dort entstand ein rechtsfreier, von der serbischen Regierung und den nationalistischen Oppositionsparteien kontrollierter und beeinflusster Raum, indem weder die Behörden des unabhängigen Kosovo noch die EU-Rechtsstaatsmission EULEX Zugang haben und die Kosovoserben dort nur die Militärs der UNMIK als internationalen Akteur akzeptierten. In den mehrheitlich serbischen Gemeinden im Süden begann ein Prozess der Integration in den kosovarischen Staat, obgleich auch dort wesentliche Institutionen Serbiens (Gesundheits- und Bildungswesen, parallele Gemeindeverwaltungen) erhalten blieben. 

Seit November 2018 bleibt so der Verhandlungsprozess ausgesetzt und die Zölle weiter in Kraft.

Der Verhandlungsprozess wurde weiter durch die für den 6. Oktober 2019 angesetzten Neuwahlen des kosovarischen Parlaments unterbrochen. Die verzögerte Verkündung des offiziellen amtlichen Endergebnisses der Wahlen, die sich hinziehenden Verhandlungen zur Regierungsbildung im Kosovo und auch der späte Amtsantritt der neuen EU-Kommission erst zum 1. Dezember, sorgten zusätzlich dafür, dass die Bemühungen zur Wiederaufnahme der Brüsseler Verhandlungen ausgesetzt blieben.

Im neuen Jahr kam es dann zu einer Regierungsbildung unter dem Ministerpräsidenten Albin Kurti mit den Regierungsparteien Vetëvendosje und LDK. Am 3.2.2020 wurde Albin Kurti mit 66 von 120 Stimmen vom Kosovo-Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Jedoch schon am 25. März 2020 zerbrach Kurtis Regierung an einem Streit mit dem Koalitionspartner LDK über die richtige Strategie gegen die Covid-19-Pandemie.[31]

Somit sind bis auf weiteres auch EU-geführte Gespräche auf Eis gelegt. Es verstärkt sich der Eindruck, dass wir noch lange von einem Kosovo-Problem sprechen werden und sich die dortige Lage zu einem auf nicht absehbare Zeit „eingefrorenen Konflikt“ hin entwickelt., zumal z. Zt. auf allen Seiten kein Nachgeben zu erkennen ist.

Da aber sowohl Serbien als auch Kosovo an einer Integration in in die Europäische Gemeinschaft interessiert sind, bleibt auch in Zukunft die EU der einzige anerkannte Vermittler. Ob der neue Vertreter der EU für Auswärtige Angelegenheiten Josep Borrell neue Impulse in den Prozess einbringen kann, bleibt abzuwarten. Mit dem nötigen Druck aus der EU kann ich mir dann langfristig eine Aussöhnung zwischen Serben und Kosovo-Albanern vorstellen. Bei allen berechtigten Bedenken, die mit einem Gebietstausch entgegenstehen, ist dieser Vorschlag  m.E. der einzig  pragmatische Weg, die gegenseitigen Blockaden zu überwinden. Dazu müsste allerdings auch von Deutschland und anderen EU-Staaten das Nein gegen eine solche Friedenslösung aufgegeben werden. Aber auch in Serbien und im Kosovo müssten die politischen Kräfte dazu ohne wenn und aber ja sagen. Einem gemeinsamen Übereinkommen der beiden Staaten, das auch eine Anerkennung des Kosovo durch Serbien beinhalten müsste, könnte sich auch die internationale Staatengemeinschaft nicht verschließen. Ob die Vernunft siegt?

In Verbindung mit einer Integration sowohl Serbiens als auch des Kosovo in die EU kann ich mir dann langfristig eine Aussöhnung zwischen Serben und Kosovo-Albanern vorstellen. Auch wäre mit der zusätzlichen Aufnahme Albaniens und Nord-Mazedoniens in die EU die Frage eines Groß-Albaniens entschärft. Dazu muss sicher noch mancher Stolperstein aus dem Weg geräumt werden.

 

Anmerkungen und Quellen

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Metochien

[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Kosovo
 
[3] https://www.lexas.de/europa/kosovo/index.aspx

[4] Prof. Dr.  Kolë KRASNIQI „DIE ROLLE DER RELIGION  BEI DER ERHALTUNG DER NATIONALEN IDENTITÄT UND HARMONIE BEI DEN ALBANERN“ und https://de.wikipedia.org/wiki/Kosovo-Albaner#Religion

[6] Der Spiegel Nr. 24/1998

[8] Zum Siegen verdammt in Der Spiegel Nr. 15/1999 S. 166f

[10] Johannes Rüger und David Schmidt:  Der Kosovo-Konflikt  - Analyse und zivilgesellschaftliche Lösungsperspektiven -  Justus-Liebig-Universität Gießen - Lehrforschungsprojekt: „Internationales Konfliktmonitoring“ 20102011

[11] Deutschlandfunk v. 4.10.1999

[13] Wegweiser zur Geschichte – Kosovo, 3. Auflage Schöningh-Verlag 2008, S.92

[15] Taz.de 22. 4. 2013, 27.4.2013, 27.5.2013, Süddeutsche.de - 4. November 2013

[16] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kosovo-node/politisches-portraet/207468

[17] Christiane Jaenike: „Albanien – ein Länderportät“bpb-Shriftenreihe Band 10480, S. 65ff

[18] https://www.nzz.ch/international/die-flexibilitaet-der-slawischen-muslime-ld.1320149 und Cyrill Stieger „Wir wissen nicht mehr, wer wir sind – Vergessene Minderheiten auf dem Balkan“bpb-Schriftenreihe Band 10292, Seite 31ff

[20] Claudia Lichnofsky: „Roma, Ashkali, Agypter im Kosovo – ein Forschungsbericht“

[21] Claudia Lichnofsky: Ethnienbildung von Muslimen als Abwehr von Antiziganismus: Das Beispiel der Roma, Aschkali und Ägypter im Kosovo – hinsichtlich der Sinti in Deutschland siehe meinen Post ….

[22] Claudia Lichnofsky wie vor und „Aschkali – nur ein anderer Name für Ägypter?“ in Tsiganologische Mitteilungen, 12. Ausgabe vom 15.2.2011

[23] siehe Anmerkung [18]

[24]  Meine Ausführungen über die  Volksgruppe der Gorani basieren besonders auf dem sehr lesenswerten Buch von Thomas Schmidinger: „Gora: Slawischsprachige Muslime zwischen Kosovo, Albanien, Mazedonien und Diaspora“ sowie dem später angeführten  Urteil des österreichischen Bundesasylsenats einschließlich eines Gutachten des des Human Rights Officer der OSCE-Mission im Kosovo, Regional-Zentrum Prizren siehe: http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Ubas&Dokumentnummer=UBAST_20070308_303_045_C1_4E_V_13_06_00siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Goranen

[28] https://www.dw.com/de/Lösung-noch-weit-entfernt-die-kosovo-krise/a-47429897

 









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