2.0103 Deutsch-Schweizer
2.093 Suisse Romande / Welschschweizer
2.122 Svizzera italiana / Italiener in der
Schweiz
1. Einführung
Die Schweiz ist nach Kloss[1] ein klassischer
Teil-Nationalitäten-Staat, in dem sich Teile größerer Sprachgemeinschaften
(deren Kerngruppen in einem anderen Ganznationalstaat leben) auf der Grundlage
voller nationaler Gleichberechtigung zusammengeschlossen haben. Im Falle der
Schweiz sind dies die Deutsch-Schweizer, die Welsch-Schweizer (Suisses
Romands), die italienischsprachigen Schweizer im Tessin und einigen Gemeinden
in Graubünden sowie die inzwischen relativ kleine Volksgruppe der Rätoromanen
in Graubünden.
Der Zusammenhalt der verschiedenen
Volksgruppen wird durch den Grundsatz einer sehr komplexen Aufspaltung in kleine
Territorien (Kantone) – mit Sonderregelungen für mehrsprachige Kantone - und besonders durch die gemeinsame – im
ganzen positive - geschichtliche Vergangenheit gewährleistet. Besonders die gemeinsame
Geschichte hält die Schweizer zusammen und sie können stolz darauf sein, trotz
der erheblichen Unterschiede ihrer Volksgruppen eine funktionierende und
friedliche staatliche Einheit zu sein.
Nur zusammen sei man wichtig, stellt Claude Longchamp, der Wahlanalytiker der Schweizer Fernsehsender, fest. Aus diesem Grunde findet im Vindonissa-Museum in Brugg
Nur zusammen sei man wichtig, stellt Claude Longchamp, der Wahlanalytiker der Schweizer Fernsehsender, fest. Aus diesem Grunde findet im Vindonissa-Museum in Brugg
z. Zt. (bis 27. 9. 2015) eine
Sonderausstellung zum sogenannten Röstigraben statt und man strebt an, dass
dieser mit den kulturellen Inner-Schweizer-Grenzen als immaterielles Kulturerbe
der Unesco anerkannt wird.[2]
Trotz vieler positiver Aspekte hat
auch das „Modell Schweiz“ seine Probleme, von denen im folgenden auch berichtet
wird. Es lässt sich kaum auf andere mehrsprachige Staaten oder Regionen
übertragen, wie aus jüngster Vergangenheit das Beispiel Bosnien-Herzegowina
zeigt.
2. Lage,
Gliederung, Sprachen, Zahlen
Die Schweiz (offiziell Schweizerische
Eidgenossenschaft) ist ein mitteleuropäischer Binnenstaat mit historisch
gewachsenen Außen- wie Binnen-Grenzen. Auf einer Fläche von 41.288 qkm wohnen
lt. Schweizer Bundesamt für Statistik zum 1. Januar 2015 insgesamt 8,2 Mill.
Einwohner, davon 2 Mill. Ausländer. Das Land gliedert sich in 26 Kantone und hat
vier offizielle Amtssprachen, was im Artikel 116 der Bundesverfassung in der
revidierten Fassung von 1996 wie folgt festgelegt ist:
1. Deutsch, Französisch, Italienisch
und Rätoromanisch sind die Landessprachen der Schweiz. …4. Amtssprachen des
Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch. Im Verkehr mit Personen
rätoromanischer Sprache ist auch das Rätoromanische Amtsrache. Eine Übersicht
über die Verteilung der Amtssprachen gibt die folgende Karte
Grafik Sprachen der
Schweiz 2000
Die Karte vermittelt bereits den
Eindruck, dass die Deutsch-Schweizer den größten Bevölkerungsanteil stellen und
zwar lt. Volkszählung von 2000 sprechen 63,7% als Hauptsprache Deutsch, 20,4 %
französisch, 6,5% italienisch, 0,5 % Rätoromanisch und 9 % eine Nicht-Landessprache.[3] Ein etwas verändertes
Verhältnis der Sprachgruppen ergibt sich nach einer Erhebung des Bundesamtes
für Statistik von 2010. Danach sprechen 65,6% der Bevölkerung und 73,3% der
Schweizer Staatsangehörigen Deutsch, 22,8% französisch (23,4% der Schweizer),
8,4% italienisch (6,1% der Schweizer) und 0,6% Rätoromanisch (0,7% der
Schweizer)[4]
Dies bedeutet, das die Stellung der
deutschen Sprache in der jüngsten Vergangenheit noch zugenommen hat. Die
Besonderheiten der deutschen Sprache in der Schweiz habe ich in meinem Post 1.232 „Die deutscheSprache“ unter Punkt 4.3 „Deutsch in der Schweiz“
ausführlich beschrieben.
Das reibungslose Zusammenleben der Schweizer
unterschiedlicher Sprache und Kultur soll durch das sogenannte sprachliche
Territorial-Prinzip (ähnlich der Situation in Belgien) gewährleistet werden.
Die Schweizer Bundesverfassung hat zwar (s.o.) die Landes und Amtssprachen
festgelegt, aber sie legte keine Sprachgebiete fest.[5] Das bedeutet, dass
jeder Kanton seine Amtssprache in eigener Kompetenz festlegt. Zuwanderer aus
anderen Kantonen und dem Ausland müssen diese Festlegung beachten und müssen in
der jeweils festgelegten Kantonssprache mit Kantons- und Gemeindebehörden verkehren.
Von den 26 Kantonen ist in 17 Deutsch die alleinige Amtssprache, in 4 Kantonen
ist es das Französische und in 1 Italienisch. Dazu gibt es 3 Kantone mit den
Amtssprachen Deutsch + Französisch
(Bern, Freiburg und Wallis) und einen offiziell dreisprachigen Kanton
(Graubünden = Deutsch + Italienisch + Rätoromanisch). Die besondere Situation
in Graubünden und insbesondere der dortigen Rätoromanen habe ich mit meinem Post 3.0901 Rätoromanen in der Schweiz behandelt.
Von den mehrsprachigen Kantonen haben Bern
und Wallis innerhalb ihres Kantons das jeweilige Sprachgebiet (deutsch oder
französisch) genau festgelegt. Im Kanton Bern sprechen ca. 86% der Bevölkerung
Deutsch und ca. 11% Französisch. Eine Ausnahme vom Territorialprinzip gilt für
die Stadt und den Amtsbezirk Biel / Bienne im Kanton Bern. Hier besteht
gesetzlich die Pflicht zur Zweisprachigkeit
bei den Behörden. Es gibt zwei getrennte Schulsysteme und nur
zweisprachige Beamte. Auch alle Straßenschilder sind zweisprachig und
Durchsagen bei Bussen und Bahnen erfolgen in beiden Sprachen, wobei immer
zuerst deutsch geschrieben oder gesprochen wird. Das gleiche gilt auch für
Leubringen / Evilard im Verwaltungsbezirk Biel.
Im Kanton Wallis (franz. Valais) bildet
der Pfynwald, ein großes aus Föhrenwäldern bestehendes Naturschutzgebiet, eine
ziemlich deutliche Sprachgrenze. Im östlichen Oberwallis wird Deutsch bzw. der
hochalemannische Dialekt Walliserdeutsch gesprochen und im westlich gelegenen Unterwallis
Französisch und dazu gelegentlich noch eine frankoprovenzalische Mundart. Bei
der Volkszählung 2000 verteilten sich die Sprachen im Wallis auf 62,8%
Französisch und 28,4% Deutsch.
Der offiziell zweisprachige Kanton
Freiburg (Fribourg) hat ca. 63%
französischsprachige und ca. 29% deutschsprachige Bewohner. Deutsch wird vor
allem im Norden des Kantons gesprochen. Von den 7 Bezirken sind 5
französischsprachig, einer deutschsprachig und einer zweisprachig. Die Regelung
der Amtssprache hat dieser Kanton den Gemeinden des Kantons überlassen. Freiburg ist der einzige Kanton in der
Schweiz, in dessen Verfassung (Art. 64)
verankert ist, dass die erste unterrichtete Fremdsprache die jeweils andere
Amtssprache ist. Damit wird bereits im Unterricht der 3. Klasse begonnen.
Für den Hauptort des Kantons, die zweisprachige
Stadt Freiburg / Fribourg, gibt es jedoch keine Regelung wie für Biel. Die
Stadt gilt – anders als der gleichnamige Kanton - offiziell als
französischsprachig mit einer größeren deutschen Minderheit (ca. 21%). In
gewissen Umfang ist die Zweisprachigkeit allerdings vorhanden. Der Besucher
wird sowohl an der Stadtgrenze wie auch am Bahnhof mit einem zweisprachigen
Ortsschild empfangen, es gibt Schulen in beiden Sprachen und eine bekannte
zweisprachige Universität. Die deutschen Bewohner bemühen sich seit langem um
einen offiziell zweisprachigen Status der Stadt.
Ortsschild Fribourg / Freiburg
Ortsschild Fribourg / Freiburg
Die heutige deutsch-französische
Sprachgrenze ist in der Schweiz praktisch seit Jahrhunderten sehr stabil, mit
kleinen Verschiebungen in beide Richtungen. So war z. B. zu Beginn des 20.
Jahrhunderts die Stadt Sitten / Sion , Hauptstadt des Kantons Wallis, noch
zweisprachig, von 1880 bis 1990 ist hier die Zahl der Deutschsprechenden von
38% auf 7% zurückgegangen. Umgekehrt gibt es im Kanton Freiburg durch
Industrieansiedlung eine Zuwanderung von Deutschschweizern in die
französischsprachigen Gemeinden Marly und Meyriez, wodurch in letzterer eine
deutschsprachige Minderheit von 78%(!) entstand.[6]
Die festgeschriebenen sprachlichen
Territorialgrenzen können aber nur mit erheblichem Aufwand und nur mit
Zustimmung aller Schweizer geändert werden. Dies war in den 1970er Jahren im
Zusammenhang mit der Abspaltung des Jura vom Kanton Bern von großer Bedeutung. Dazu
siehe weiter unten unter 3.Geschichte. Ein Urteil des Bundesgerichts von
1931 hat den für die Schweiz wichtigen
Grundsatz des Territorialprinzips auch für alle Zukunft wie folgt begründet:
„Die Gewissheit jeden Stammes über die Unantastbarkeit des Gebietes, in dem
seine Sprache gesprochen wird und dem seine eigene Kultur das Gepräge gibt, ist
ein Mittel zur Wahrung des guten Einverständnisses zwischen den verschiedenen
Teilen des Landes, von denen jedem einzelnen das Recht zuzusprechen ist, jedem
Übergriff entgegenzutreten.[7] Noch deutlicher wird
das sprachliche Territorialprinzip in einem Urteil des Verwaltungsgerichts
Zürich vom 23. 10. 1964. Ausgangspunkt des Urteils war eine 1956 vom Kanton
Zürich genehmigte Privatschule für ausländische Kinder französischer
Muttersprache. Inländischen Schweizer Kindern wurde der Besuch dieser Schule
für höchstens 3 Jahre gestattet, bis sie sich sprachlich angepasst haben. Das
Verwaltungsgericht entschied, dass die Schule auch für Ausländerkinder zu
sperren sei, deren Eltern sich für immer in Zürich aufhielten. Es können jedoch
Kinder von Inlandsfamilien (z. B. aus französischsprachigen Kantonen)
aufgenommen werden, die sich nur auf Zeit in Zürich aufhalten. Entsprechend
entschied auch das Bundesgericht in Lausanne mit Hinweis auf das
Territorialprinzip.[8]
3. Kurzer
Geschichtlicher Überblick
Die Schweizer Geschichte im engeren
Sinne beginnt mit einem losen Zusammenschluss der drei sogenannten Ur-Kantone
Uri, Schwyz und Unterwalden (heute die beiden Teilkantone Obwalden und
Nidwalden) als Abwehr gegen die aufstrebenden Habsburger und vor allem die
rigide Herrschaft der von den Habsburgern eingesetzten Vögte. Der Bundesbrief
dieser Kantone von 1291 ist noch erhalten, die übrige Gründungsgeschichte liegt
aber eher im legendären Bereich, denn es ist fraglich ob es den Rütlischwur und
Wilhelm Tell überhaupt gegeben hat. Erst Friedrich Schiller hat diese Saga zur
Basis der Schweizer Identifikation gemacht. Der Bund der Urkantone wurde nach
1315 um Luzern (1332), Zürich (1351), Zug (1352), Glarus (1352) und Bern (1353)
zum Bund der „Acht alten Orte / Kantone“ erweitert und mit dem Sieg über die
Habsburger bei Sempach 1386 gefestigt. Im Laufe des 15. Jahrhunderts bildete
sich das feste System der Eidgenossenschaft heraus, das Ende des 15. bzw.
Anfang des 16. Jahrhunderts noch um Freiburg und Solothurn ((1481) sowie Basel und Schaffhausen (1501) und
Appenzell (1513) erweitert wurde. Dem Bund gehörten nun neben den nach
damaligem Verständnis „demokratischen“ Kantonen Uri, Schwyz, Unterwalden,
Glarus und Appenzell die von Aristokraten und Zünften beherrschten
Stadtrepubliken Zürich, Bern, Luzern, Basel, Freiburg, Solothurn und
Schaffhausen an. Im Rahmen von Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst
eroberte der Bund weitere Gebiete im Aargau (1415) und Thurgau (1460). Hinzu
kamen noch Verbündete als sogenannte „zugewandte Orte“ (u.a. die Städte Biel,
St.Gallen, Mülhausen (heute Elsass), Rottweil (heute Württemberg) und Genf,
sowie im 16. Jahrhundert die Abtei St. Gallen, das Fürstentum Neuenburg und das
Fürstbistum Basel (1579). Auch das Tessin einschließlich des Veltliner Gebietes
gehört seit dem 15. Jahrhundert zum eidgenössischen Territorium. Im Vertrag von Basel 1499 hatte Kaiser Maximilian
dem Bund der Eidgenossen die Unabhängigkeit eingeräumt, der damit nur noch
formal im Verbund des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation verblieb.
Eine schwere Belastung für die Einheit
und den Bestand der Eidgenossenschaft stellte die Reformation mit ihren Folgen
dar. Dabei spielten die Reformatoren Zwingli (in Zürich) und Calvin (in Genf)
eine entscheidende Rolle. In der Confessio Helvetica (1566) schlossen sich
Calvinisten und Zwinglianer zur gemeinsamen reformierten Glaubensgemeinschaft zusammen. Es kam zu zahlreichen auch kriegerischen
Auseinandersetzungen zwischen protestantisch-reformierten und katholisch
gebliebenen Kantonen. Dennoch hielt die politische Einheit der
Eidgenossenschaft, die im Westfälischen Frieden von 1648 auch offiziell als
unabhängiger Staat anerkannt wurde.
Einschneidende Veränderungen brachte
die Napoleonische Epoche. Nach der Kapitulation vor den napoleonischen Truppen
wurde die Westschweiz (Genf, Wallis und Jura) nach Frankreich eingegliedert und
die übrigen Kantone gerieten als Helvetische Republik unter den Einfluss
Frankreichs. Erst durch den Wiener Kongress wurde die Schweiz in ihren heutigen
Grenzen als neutraler und föderal in Kantone gegliederter Staat anerkannt.
Dabei wurden die früher abhängigen „Untertanengebiete“ (St. Gallen, Aargau,
Thurgau, Tessin und Waadt) zu neuen eigenständigen Kantonen. Ein großer Teil
des italienischsprachigen Gebiets (besonders das Veltlin) schieden jedoch für
dauernd aus der Eidgenossenschaft aus. Das säkularisierte Bistum Basel wurde
größtenteils in den Kanton Bern eingegliedert. Eine Sonderrolle spielte
Neuenburg / Neuchâtel, das seit 1707 zu Preußen gehörte und auch laut Wiener
Schlussakte weiter dem Preußenkönig unterstand, sich gleichzeitig aber als
Kanton der Eidgenossenschaft anschloss.[9] Genf und Wallis kamen
als neue gleichberechtigte Kantone zur Schweiz hinzu. Eine Übersicht über die
Gliederung der Schweiz und den Eintritt der Kantone in die Eidgenossenschaft
gibt nachstehende Karte:
Die Schweiz – ihre
heutigen Kantone mit Angabe des Beitritt-Jahres
Im bewegten 19. Jahrhundert kam es
nach Auseinandersetzungen zwischen konservativen katholischen und liberalen
Kantonen zur Bildung der heutigen Schweizer Konföderation. Das dauerhafte
Gelingen dieses Bundesstaates basiert auf der gemeinsamen Geschichte
(einschließlich der Einflüsse Napoleons und des Wiener Kongresses) und dem
Vorbild der Vereinigte Staaten. Dieser aus
gleichberechtigten Gliedstaaten bestehende Bundesstaat hat als Basis des
Zusammenlebens verschiedener Volksgruppen, Religionen und geschichtlich
geprägter Kantone 1848 eine Schweizerischen
Bundesverfassung verabschiedet, die mit Revisionen von 1874 und 1999 nach wie
vor gültig ist. Seit 1874 gibt es das Gesetzes-Referendum und seit 1891 die
Volksinitiative, zwei für die Schweiz typische Elemente der direkten
Demokratie.
Eine Besonderheit der Schweiz ist auch
die Bundesrat genannte Regierung. Im Gegensatz zu anderen Demokratien ist sie nach Art.
177 der Bundesverfassung eine Kollegialbehörde, die die wichtigsten Parteien
des Parlaments proportional berücksichtigen soll (Konkordanz). Als
ungeschriebenes Gesetz kommt noch ein möglichst proportionaler Anteil
der verschiedenen Schweizer Volksgruppen hinzu. Das Schweizer Parlament kann zwar bestimmte, zur Wahl vorgeschlagene, Bundesräte ablehnen, ist aber an das Konkordanz-Prinzip gebunden. Sinn dieser Regelung ist es,
möglichst viele Parteien und gesellschaftliche Gruppen in Entscheidungen einzubeziehen, die möglichst
im Konsens zu treffen sind. Das Parlament der Schweiz, die Bundesversammlung
wählt jeweils für vier Jahre die 7 Mitglieder des Bundesrates, die jeweils
einem Ressort vorstehen. Aus den Reihen der Bundesräte wird dann jeweils für
ein Jahr ein Erster (eine Erste) unter Gleichen als Vorsitzende(r) gewählt, der
(die) dann die Funktion eines Staatsoberhauptes ausübt. Im Jahr 2015 hat Frau
Simonetta Sommaruga dieses Amt inne.
Von
1959 bis 2008 setzte sich der Bundesrat nach der sogenannten „Zauberformel“
zusammen, das bedeutete zunächst ein Verhältnis von 2 FDP (Liberale) : 2 SP
(Sozialdemokraten) : 2 CVP (Christdemokraten) : 1 SVP (Volkspartei,
rechtskonservativ). Nachdem die SVP nach 1999 zur wählerstärksten Partei wurde,
erhielt sie 2 Sitze im Bundesrat und die CVP behielt nur 1. Nach den
Bundesratswahlen 2007 und einer Spaltung der SVP wurde die Zauberformel jedoch wieder aufgegeben, weil gegen
den Protest der SVP die ausgetretenen SVP-Mitglieder (ebenso nach
ungeschriebenem Gesetz) wieder gewählt wurden. Inzwischen ist die SVP wieder
mit einem Bundesrat vertreten, was nicht ihrer prozentualen Stärke entspricht,
so dass die Zauberformel praktisch nicht mehr gilt. Begründet wird dies von
vielen Politikern damit, dass letztendlich die Qualifikation der zu wählenden
Person eine wichtige Rolle spielen sollte und nicht nur die Partei- oder
Gruppen-/Milieu-Zugehörigkeit. Weiterhin unbestritten in der Schweiz ist, dass
die Konkordanz bei der Zusammensetzung des Bundesrates, - sei es in Form der
Zauberformel oder in anderer Gestalt – notwendig ist, um
eine Blockierung der politischen Entscheide durch die stark ausgebauten
direktdemokratischen Rechte zu vermeiden, was für die Stabilität und
kontinuierliche Entwicklung der Schweiz in den letzten Jahrzehnten entscheidend
wichtig war.[10]
Aber das Modell Schweiz ist nicht ohne
Widersprüche und Probleme durch die Geschichte gegangen. Die zwei Gesichter der
Schweiz zeigen sich einerseits in sehr fortschrittlichen frühen Entwicklungen,
andererseits im Beharren auf Althergebrachtem. So wurde z. B. das
Frauenstimmrecht auf Bundesebene erst 1971 verbindliche eingeführt, in manchen
Kantonen noch viel später.
In den beiden Weltkriegen war die
Schweiz neutral und hat daraus viele Vorteile bezogen; durch die lang
anhaltende Friedenszeit entstand – im Vergleich zum übrigen Europa - ein außergewöhnlicher
Wohlstand.
Die praktizierte Neutralität im 2.
Weltkrieg blieb aber auch nicht ohne Kritik, worauf ich später noch eingehe. In
Auswirkung der Neutralität ist im Laufe des 20. Jahrhunderts auch eine
Abgrenzung gegen viele neuere Entwicklungen im angrenzenden Europa entstanden.
Insbesondere in der Deutschschweiz ist dieser Hang zum Bewahren und Abgrenzen
festzustellen. Die Abgrenzung gegen neue Entwicklungen zeigte sich auffallend
bei der Ablehnung eines Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im
Jahre 1992, der langjährigen Verweigerung einer Aufarbeitung der Schweizer Rolle
im 2. Weltkrieg und des späten UNO-Beitritts (erst im Jahre 2002). Auch die
langjährige politische Duldung von Steuerhinterziehungen in anderen Staaten
zugunsten von Schweizer Banken ist erst in jüngster Zeit revidiert aber noch
nicht endgültig bereinigt worden. Sie bleibt die später noch beschriebene
offene Frage: Quo vadis Helvetia?
4. Die drei großen Sprachgemeinschaften
4.1 Die Deutsch-Schweizer
Siehe dazu meinen Post 1.232 „Die deutscheSprache“ - Punkt 4.3 „Deutsch in der Schweiz“
4.2 Suisse romande / Welschschweizer / Romandie / Westschweiz
Zur französischsprachigen Westschweiz
gehören die vier „rein“-französischsprachigen Kantone Genf (Genève), Waadt
(Vaud), Neuenburg (Neuchâtel) und Jura sowie die französischsprachigen Bereiche
der Kantone Wallis (Valais), Bern (Berne) und Freiburg (Fribourg) – siehe auch
oben unter 2. – Der französischsprachige Kanton Jura ist erst 1979 durch
Abspaltung vom Kanton Bern entstanden. In der damaligen Volksabstimmung hatte
sich allerdings nur der katholische Norden für die Unabhängigkeit
ausgesprochen, während der reformierte französische Süden des Jura für einen
Verbleib im Kanton Bern votierte, ein Zustand der bis heute von vielen
Schweizern als unbefriedigend angesehen wird.[11]
In der Westschweiz wird heute fast
ausschließlich Standardfranzösisch gesprochen und geschrieben. Einen
entscheidenden Einschnitt brachte die französische Revolution. Bis dahin
gehörte die heutige Westschweiz vornehmlich zum frankoprovenzalischen
Sprach-/Mundartgebiet. Im Süden wurde teilweise eine okzitanische Mundart gesprochen
und im Norden ein Dialekt des Standardfranzösischen (der Langues d’oil). Heute
sind die Mundarten in der Westschweiz nahezu ausgestorben und werden vor allem
von der Jugend nicht mehr beherrscht. Auch ist in der Westschweiz gegenüber der
Deutschschweiz eine völlig andere Einstellung zur Mundart zu beobachten.
Während in der deutschen Schweiz die Mundart hoch geschätzt wird (persönlicher,
vertrauter, natürlicher) und für den
mündlichen Gebrauch ständig an Boden gewinnt, ist der Dialekt (bezeichnet als
Patois) in der Westschweiz eher eine minderwertige, bäurische, unkultivierte
Sprache. Dies überträgt man dort auch auf das Schweizerdeutsche gegenüber dem „bon
allemand“ der deutschen Standardsprache.[12]
Abweichungen zum
Standardfranzösischen gibt es in der
Westschweiz durch viele übernommene Germanismen insbesondere entlang der
Sprachgrenze (z. B. vattre et mouttre statt père et mère, witz statt blague
u.a.). Wie in Belgien und Québec
verwendet man statt der Zahlwörter soixante-dix (70) und quatre-vingt-dix
(80) die angepassten Zahlwörter septante bzw. nonante.[13]
In
der Suisse romande besteht eine starke Bindung an die französische Kultur und
Sprache. Charles-Ferdinand
Ramuz, der Klassiker der modernen welschen Literatur, hat behauptet, dass der
gelbe Briefkasten das Einzige ist, was französischsprachige Schweizer mit ihren
deutschsprachigen Landsleuten gemeinsam haben.[14]
Die Kontakte zur Deutschschweiz sind gering und werden durch die
deutsch-schweizerische Sprachsituation erschwert. Das Standarddeutsche, das Westschweizer
in der Schule als Fremdsprache lernen, ist für sie beim Kontakt mit
Deutschschweizern nur von begrenztem Wert. Sie verstehen das Schweizerdeutsch
ihrer Landsleute nicht und der von diesen rücksichtslos gebrauchte Dialekt wird
von den Romands weithin als Kontaktverweigerung empfunden. Daher stellen viele
Kenner der Situation fest, dass die Sprachgruppen nicht
miteinander, sondern nebeneinander in Koexistenz leben. Sie tolerieren sich
zwar, aber ignorieren sich weitgehend . Daher trifft man häufig auf das Bonmot:
„Sie verstehen sich gut miteinander, weil sie einander nicht verstehen.“[15] Der
viel zitierte Röstigraben ist also nach wie vor lebendiger Alltag, nur ist die
Bezeichnung irreführend, weil beiderseits der Sprachgrenze Rösti gegessen
werden.
In
der französischen Literatur der Westschweiz zählt ein Autor erst, wenn man
ihn
auch in Paris kennt. Paris dominiert nach wie vor ganz klar die französische
Kultursituation. Dies erklärt auch, dass viele französischsprachige Autoren der
Schweiz in Frankreich leben. Es handelt sich da um eine alte Tradition, die es
eigentlich bereits seit Jean-Jacques Rousseau gibt. Um sich diesem Einfluss
etwas zu entziehen, versucht z.B. das französischsprachige Fernsehen der
Schweiz oft mit Belgien oder Kanada zusammenzuarbeiten.[16]
Dabei haben die Massenmedien Radio und Fernsehen besonders in den Bereichen
Sprache und Kultur eine entscheidend wichtige Rolle übernommen. Wie in den
anderen Landesteilen gibt es auch für die französischsprachige Schweiz eine
unabhängige Regionalgesellschaft, wobei gewährleistet ist, dass alle deutschen,
französischen und italienischen Sendungen in allen Landesteilen empfangen
werden können.
4.3 Die
italienische Schweiz / Svizzera italiana
Neben Deutsch und Französisch ist
Italienisch die dritte große europäische Kultursprache, die in der Schweiz
gesprochen wird. Das italienische Sprachgebiet ist allerdings im Vergleich zur
Deutschschweiz und zur Suisse Romande relativ klein. Nur 6,1% der Schweizer
Bürger – ca. 500.000 - sprechen italienisch. Durch viele Gastarbeiter aus
Italien wächst der Anteil an der in der Schweiz lebenden Bevölkerung
italienischer Muttersprache immerhin auf 8,4%.[17]
Das italienische Sprachgebiet umfasst
den gesamten Kanton Tessin und die Graubündner Regionen Bergell, Calancatal,
Misox, Puschlav und die Ortschaft Bivio. In diesem Bereich ist Italienisch die
offizielle Amtssprache. Innerhalb des Tessin liegt die italienische Exklave
Campione d’Italia sowie die walserdeutsche Sprachinsel-Ortschaft Bosco Gurin.
Ähnlich
der Abhängigkeit der Westschweiz von Frankreich ist die Svizzera italiana kulturell
stark von Italien abhängig. Es ist für einen Tessiner Verlag schwierig, dass
seine Publikationen in Italien zur Kenntnis genommen werden. Daher sind
italienisch-schreibende Autoren praktisch auf Verlage in Italien angewiesen. Im
Tessin gibt es auch bei der Sprache eine deutliche Tendenz zum Standarditalienischen.
Die meisten Jugendlichen studieren an norditalienischen Universitäten, seit
Jahren gibt es zwar eine eigene Hochschule, deren Fakultäten aber beschränkt
sind, die wichtigste ist Architektur. Wie sehr das Tessin im Verhältnis zu
Italien vernachlässigt werden kann, zeigte einmal die Frankfurter Buchmesse:
als Italien Gastland war, wurden die Autoren aus dem Tessin, als
nicht-Italiener, einfach ‘vergessen’.[18]
Trotz
der beschriebenen Tendenz zur Standardsprache gibt es hierzu im italienischen
Sprachgebiet der Schweiz eine Anzahl von Abweichungen. So wurden z. B. viele Lehnwörter
sowohl aus dem Deutschen wie auch aus dem Französischen übernommen, die es in
Italien nicht gibt (z. B. rolladen statt tapparelle oder azione statt offerta speciale). Der Einfluss
des Bundes-Staates auf bestimmte Wortbildungen ist nicht zu übersehen. Auch der
Tessiner Dialekt hat viele Begriffe aus den anderen Schweizer Landessprachen
übernommen.[19] Insbesondere beklagt
man eine Überfremdung durch Zuzug aus dem deutschsprachigen Raum, andererseits
freut man sich natürlich über Touristen, die nicht unerheblich zum Wohlstand
und zur Wirtschaftskraft beitragen.
Da
sich Italienisch neben Rätoromanisch in der Schweiz zwar nicht offiziell, aber praktisch
in einer Minderheitensituation befindet, fördert und subventioniert der
Schweizer Bund aktiv Maßnahmen zur Erhaltung von italienischer Sprache und
Kultur, obwohl dies eigentlich Aufgabe der Kantone ist.[20]
Trotz des relativ kleinen italienischen Sprachgebiets gibt es hier viele gute Schriftsteller, wobei diese - wie auch andere Kulturschaffende - in der gleichen Lage sind, wie
ihre deutsch und französisch schreibenden Kollegen: Sie erreichen mit ihren
Werken einen wesentlich größeren Sprach- und Kulturraum, nämlich den Italiens und
aller Italienischsprachigen. Darüberhinaus gibt es von ihnen viele Übersetzungen in die deutsche und französische Sprache. So hat diese relativ kleine Sprachregion
viele Autoren hervorgebracht, die auch in Italien große Anerkennung fanden, z.
B. Francesco Chiesa, der das Tessiner Kulturleben in der 1. Hälfte des 20.
Jahrhunderts beherrschte.[21]
Bei
einem Urlaub an den oberitalienischen Seen, die bis in den Schweizer Kanton
Tessin hineinreichen, habe ich die Schönheiten des Tessin kennen- und schätzen
gelernt. Man ist hier im Mittelmeerbereich Italiens und gleichzeitig in gut geordneter
Deutsch-Schweizer Atmosphäre. Auch kommt man mit Deutsch in den
Tourismuszentren überall zurecht. Eine Untermalung meiner Eindrücke geben die
folgenden Bilder von Locarno und Lugano.
Dennoch ist nicht zu verkennen, dass der Tessiner sich voll in den italienischen Kulturraum eingebunden fühlt. Bei meinem Besuch las ich in einer deutschsprachigen Kulturzeitschrift einen Auszug aus dem Buch eines Tessiner Schriftstellers (Plinio Martini) über seinen Amerika-Aufenthalt, in dem er sehr eindrucksvoll schildert, wie ihm bei einem Zusammentreffen mit einem Italiener im fernen Kalifornien die große Nähe und Verwandtschaft zur Italiana bewusst wurde. Zitat: "Denen, die immer hier sitzen, scheint Italien ein fremdes Land zu sein, aber wenn man in der Welt herumkommt, merkt man leicht, dass die Italiener und wir aus dem gleichen Topf stammen."(21a) Die gleichen Erfahrungen der Verbundenheit in der gleichen Kultur machen ja im übrigen auch Deutsche, Österreicher und Deutschschweizer außerhalb Mitteleuropas.
5. Quo vadis Helvetia? - Heutige Situation und Perspektiven
In
meinem Post1.232 „Die deutsche Sprache“ - Punkt 4.3„Deutsch in der Schweiz“ habe ich bereits angemerkt, dass die
größten Kritiken am Schweizer Systems – bzw. seiner beharrenden, abgrenzenden
Seiten – von berühmten Schweizern selbst stammen. Insbesondere Schweizer
Schriftsteller haben die Finger in diese Wunde gelegt und sind dafür in ihrer
Heimat oft übel beschimpft und verunglimpft worden. Der heute in der Schweiz –
und weit darüber hinaus - über Parteigrenzen hinweg anerkannte Schriftsteller
Max Frisch konnte sich mit einer „Schweiz von Geld ohne Geist“ nicht abfinden
und schrieb und redete dagegen an. Eine besondere Art scharfsinniger Kritik hat
er in Form von Fragebögen gefunden, die er in sein „Tagebuch 1966-1971“
eingefügt hat. (z. B. „Hat Heimat für Sie eine Flagge?). Seine Fragen waren
berühmt und berüchtigt – Antworten gab Max Frisch keine, sie interessierten ihn
nicht. In der Frage steckte die Provokation. So hat er die Schweizer
Öffentlichkeit praktisch einem Verhör unterzogen, seine Leser und Leserinnen zu
Bekenntnissen – aber nicht zu voreiligen Gewissheiten – herausgefordert. Für
viele Schweizer galt er in der Zeit des kalten Krieges als Landesverräter, für
den Ernstfall hat der Staat über ihn sogar (ähnlich der Stasi)
sogenannte
„Fichen“ angelegt, was heute wie ein Witz klingt.[22]
Max
Frischs ebenso berühmter Schriftsteller-Kollege Friedrich Dürrenmatt sagte zwar
von sich, er sei gern Schweizer, aber er war alles andere als ein
Hurra-Patriot; er kritisierte die Schweiz – machte sich auch über sie lustig –
und hat an der Schweiz gelitten. Er schrieb aus der Erfahrung eines von zwei
Weltkriegen verschonten Landes, das aus seinem Glück Profit schlug und im
Nachhinein die eigene Rolle ins Heldenhafte umdeutete. Er warf der Schweiz vor,
dass sie ihre Unehrlichkeit nach dem
Krieg nicht mehr wahrhaben wollte und sich zum „moralischen Institut“ erklären
wollte. Seine Schweiz-Kritik und sein vielschichtiges Verhältnis zu seinem
Vaterland zeigte sich am deutlichsten, als er in einer Rede zur Ehrung des
tschechischen Staatspräsident Václav Havel
1990 sein berühmtes Gleichnis von der „Schweiz
als Gefängnis“ vortrug. In seiner Darstellung waren in diesem Gefängnis die
Schweizer gleichzeitig Wärter und Gefangene.[23]
Auch
viele andere Schweizer Schriftsteller hatten ein kritisches Verhältnis zu ihrem
Staat. Für Adolf Muschg war die Schweiz „keine Nation, aber ein Bündnis mit
historischer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft“. 1997 nannte der rechtspopulistische
Christoph Blocher Muschg einen Volksfeind.[24] Klara Obermüller hat
in einer Anthologie kritische Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr
Land“ zusammengetragen.[25]
Die
Schweiz spielte auf internationaler Ebene lange Zeit nicht nur wegen ihrer
Neutralität sowie wirtschaftlichen und politischen Stabilität eine wichtige
Rolle, sondern auch wegen ihrer besonderen Stellung zwischen germanischer und
lateinischer Kultur, zwischen Norden und Süden. Die multikulturell geprägte
Unternehmenskultur vieler Schweizer Firmen und vor allem auch der Banken erleichtert es ihnen, weltweit Fuß
zu fassen. Den Banken kam dabei das berühmt-berüchtigte Schweizer Bankgeheimnis zu gute, das allerdings in jüngster Zeit aufgrund massiven Drucks von außen (USA und EU) aufgegeben werden musste.[26]
Die führende Position der Schweiz auf den Weltmärkten und ihr internationales Ansehen ist allerdings durch den schon erwähnten Rechtspopulisten Christoph Blocher
und die von ihm beherrschte rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP)
zunehmend gefährdet. Besonders auf sein Wirken und seinen
demogogisch-populistischen Einfluss ist es zurückzuführen, dass die Schweizer
Bevölkerung am 6. 12. 1992 mit einer knappen Mehrheit von 50,3% einen Beitritt
zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) als Vorstufe zu einem EU-Beitritt ablehnte.
Die von Blocher angeführten Neinsager wurden vor allem auf der Emotions- und
Identitätsebene angesprochen, Das kam besonders bei den Deutschschweizern in
den ländlicheren Kantonen gut an, während die Westschweiz und die größeren
Städte eindeutig für den Beitritt stimmten. Seitdem liegt die Frage eines
Schweizer EU-Beitritts auf Eis. Auch eine weitere Volksabstimmung zur Aufnahme
von Beitrittsverhandlungen mit der EU am 4. 3. 2001 scheiterte, so dass sich das
Verhältnis EU-Schweiz seitdem auf mühsam ausgehandelte bilaterale Abkommen
beschränkt.[27]
Ein anderes Problem ist die schon angesprochene immer größer werdende ethnische Kluft besonders zwischen der Deutschschweiz und der Westschweiz. Bereits
1967 warnte der bekannte französische Minderheitenforscher Guy Héraud vor dieser Entwicklung. Die schneller zu
überbrückenden Entfernungen zu den Nachbarn und zur weiten Welt, die
Entwicklung der Kultur und die modernen Methoden ihrer Verbreitung werten nach
seiner Einschätzung die Bedeutung der mittelalterlichen Gemeinschaften ab und würden unaufhaltsam zu einer Annäherung von Menschen, die die gleiche Sprache
sprechen, führen.[28]
Beobachter
der politischen Entwicklung in der Schweiz diagnostizieren seitdem ein
zunehmendes Auseinanderdriften der beiden großen Volksgruppen. Die deutlichen
Differenzen in der Mentalität (Lebenseinstellungen, Wertvorstellungen u.a.)
lassen sich immer wieder an einem ganz unterschiedlichem Abstimmungsverhalten
bei Volksabstimmungen der gesamten Eidgenossenschaft feststellen. Dadurch
müssen oft in der Westschweiz Vorhaben durchgeführt werden, die von der
Deutschschweizer Mehrheit befürwortet, in der Romandie aber abgelehnt wurden,
was dort viele Westschweizer natürlich gegenüber dem „großen Bruder“ verstimmt.
So tauchen in der französisch-sprachigen Presse häufig Schlagzeilen auf, die
den „Röstigraben“ abwandeln in „Sprachgraben“, „Benzingraben“, „Ozongraben“, „Europagraben“
und sogar „Drogengraben“ (weil in der Westschweiz offene Drogenszenen nicht
geduldet werden).[29]
Allen
Schweizern ist daher nur zu wünschen, dass diese Probleme überwunden werden,
was m. E. allein durch eine feste Einbindung in die Europäische Gemeinschaft
möglich ist. Die Schweiz muss ein untrennbarer Bestandteil dieser
Gemeinschaft werden und wäre zudem ein hervorragendes Bindeglied zwischen den
drei wichtigen europäischen Kulturen Deutsch-Französisch-Italienisch. Mit der
Schweiz als Vollmitglied der EU könnte diese neue Ideen und neuen Schwung
gewinnen: eine Bereicherung für Europa aber auch für die Schweiz selber.
[1]
Heinz Kloss „Grundfragen der Ethnopolitik im 20. Jahrhundert“ (Ethnos 7) Verlag
Wilhelm Braumüller Wien 1969
[2] http://www.aargauerzeitung.ch/aargau/brugg/der-roestigraben-soll-als-kulturerbe-der-schweiz-geschuetzt-werden-128513440
[3]
Eidgenössische Volkszählung 2000 – Sprachenlandschaft in der Schweiz von
Georges Lüdi(Uni Basel) und Iwar Werlen (Uni Bern) – herausgegen vom Bundesamt
für Statistik, Neuchâtel, April 2005
[4]
http://de.wikipedia.org/wiki/Schweiz#cite_note-Bev.C3.B6lkerung_2014-6
[5]
Schweizer Bundesverfassung Art. 4 und 70
[6]
Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten,
Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die
Westschweiz“, u.. a. S. 389
[7]
Le Bilinguisme en Suisse, en Belgique et au Canada, Brüssel, Fondation Charles
Plisnier, 1963 Zitiert nach Guy Héraud „Die Völker als Träger Europas“ (Ethnos
4), Verlag Braumüller Wien/Stuttgart
1967
[8] [8]
Heinz Kloss „Grundfragen der Ethnopolitik im 20. Jahrhundert“ (Ethnos 7) Verlag
Wilhelm Braumüller Wien 1969, S. 235f
[9]
DIE ZEIT Nº 18/2011 - 29. April 2011 „Preußens Perle“
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrat_(Schweiz),
http://www.admin.ch/br/org/bp/index.html?lang=de
http://de.wikipedia.org/wiki/Zauberformel#Bundesratswahlen_2011
[11] Eine ausführliche
Beschreibung der Geschichte und Probleme rund um den Jurakonflikt siehe unter
http://socio.ch/movpar/t_vinder1.htm - Vera
Indermaur-Hänggi „Der Jura-Konflikt“ (1997)
[12]
Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten,
Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die
Westschweiz“, u.. a.
S. 395
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_Französisch#Arten
[14] https://escholarship.org/uc/item/6rh4x83t - Helvetia
Mediatrix? Ein Interview mit Hugo
Loetscher zur Sprachsituation in der Schweiz 2005
[15] Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die Westschweiz“, u.. a. S. 393 siehe dazu auch das Buch von José Ribeaud „Vier Sprachen, ein Zerfall“ - http://buecherrezension.com/2013/12/06/rezension-jose-ribeaud-vier-sprachen-ein-zerfall-nagel-kimche-2013/
[15] Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die Westschweiz“, u.. a. S. 393 siehe dazu auch das Buch von José Ribeaud „Vier Sprachen, ein Zerfall“ - http://buecherrezension.com/2013/12/06/rezension-jose-ribeaud-vier-sprachen-ein-zerfall-nagel-kimche-2013/
[16] https://escholarship.org/uc/item/6rh4x83t - Helvetia
Mediatrix? Ein Interview mit Hugo Loetscher
zur Sprachsituation in der Schweiz 2005
[17] http://de.wikipedia.org/wiki/Italienische_Schweiz
[18]
Siehe Anmerkung 12
[19] http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_Italienisch
[20]
Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten,
Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die
Westschweiz“, S. 400
[21] Ausführliche Informationen zur italienischen Literatur der Schweiz findet man z. B. unter http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11203.php
(21a) Plinio Martini: "Heimweh, diese schmerzhafte Krankheit" in Tessiner Zeitung, Extra-Ausgabe, Herbst 2013
[21] Ausführliche Informationen zur italienischen Literatur der Schweiz findet man z. B. unter http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11203.php
(21a) Plinio Martini: "Heimweh, diese schmerzhafte Krankheit" in Tessiner Zeitung, Extra-Ausgabe, Herbst 2013
[22]
Frank A. Meyer in „Sonntags-Blick“ vom 22.5.2011 - Max Frisch: „Tagebuch 1966 – 1971“ Suhrkamp
Verlag Frankfurt/M. 1972 Fragebögen u.a.
S. 9, 58, 145, 179,
[23] Dürrenmatt und die Schweiz |
Die Weltwoche, Ausgabe 38/2011 - Rede
von Friedrich Dürrenmatt auf Vaclav Havel zur Verleihung des Gottlieb-Duttweilers-Preises
am 22. November 1990 - http://www.srf.ch/play/tv/srf-wissen/video/friedrich-duerrenmatt-rede-auf-vaclav-havel
[24]
Der Spiegel 23/1997
[25]
Klara Obermüller (Hrsg.): "Wir sind eigenartig, ohne Zweifel". Die
kritischen Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr Land. Verlag Nagel
& Kimche, Zürich 2003
[26]
Neue Zürcher Zeitung v. 31. 7. 2012
[27]
Europa-Handbuch der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2002, darin
Heinrich Christen: „Schweiz“ S. 268ff
[28]
Guy Héraud: „Die Völker als Träger Europas“ (Ethnos 4), Verlag Wilhelm
Braumüller, Wien-Stuttgart, S. 78f
[29]
Hinderling/Eichinger (Hrg) Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten,
Gunter Narr Verlag Tübingen1996, darin: Gottfried Kolde u. Anton Näf: „Die
Westschweiz“, S. 409f
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