2.0107 Elsass, Elsässer

Im Juli 2016 überarbeitete und ergänzte Fassung - siehe insbesondere unter 2.5

 

1. Einleitung – Lage und Zahlen


Das Elsass ist eine historische Region im Westen Frankreichs, die aus den beiden Departements Ober- und Unterelsass (Haut Rhin, Bas Rhin) besteht. Bis 2016 war es die flächenmäßig kleinste Region Frankreichs mit einer Fläche von 8310 qkm. Im Elsass leben ca. 1,7 Mio. Einwohner, davon ca. 128.000 Ausländer. Historisch ist das Elsass altes deutsches Sprach- und Kulturgebiet (siehe Geschichte). Bis auf wenige Gemeinden westlich von Natzweiler und an der burgundischen Pforte ist die Grenze der Region identisch mit der alten germanisch-romanischen Sprachgrenze.1


Neue Probleme für die besondere Identität der Elsässer ergeben sich aus der 2016 in Kraft getretenen Neuordnung der französischen Regionen und dem Wegfall einer eigenständigen Region Elsass (siehe Punkt 2.5)



Die wechselvolle Geschichte des Elsass – insbesondere aber die französische Sprach- und Schulpolitik nach 1945 haben dazu geführt, dass sowohl die deutsche Sprache, als auch die elsässischen Dialekte, stetig an Boden verloren haben. Hinzu kommt die nicht zu leugnende Tatsache, dass sich die Elsässer heute keineswegs als Minderheit betrachten, schon gar nicht als deutsche Minderheit. Allerdings kann man, im Kontext einer allgemein in Europa festzustellenden Rückbesinnung auf regionale Besonderheiten, bei vielen Elsässern wieder eine Betonung der eigenen elsässischen (alemannischen) Identität feststellen. Auch sieht ein Teil der Elsässer eine Chance in der Zweisprachigkeit (notre avenir bilingue).


2. Geschichte2

2.1 Frühzeit und Mittelalter

Das ursprünglich von Kelten besiedelte Gebiet am Oberrhein gelangte im Jahre 58 v. Chr. unter die Herrschaft Roms. Nach dem Zerbrechen des Römerreichs in der Zeit der Völkerwanderung besiedelten germanische Alemannen ab ca. 260 n. Chr. das Gebiet bis zu den Vogesen. Schon 496 wurden die Alemannen von den Franken unter Chlodwig besiegt, und dem Frankenreich eingegliedert. Im Frankenreich Karls des Großen bildete das Elsass zusammen mit dem benachbarten Schwaben einen wichtigen Kern des Imperiums. Im Jahre 870 schlossen die Söhne Karls des Großen, Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche einen Vertrag, nach dem das gesamte Gebiet am Oberrhein zum Reich Ludwigs des Deutschen kam. König Heinrich I bildete 921 eine Verbindung zwischen den Ländern am Oberrhein mit der Errichtung des Herzogtums Schwaben und Elsass.

Im Mittelalter war das Gebiet am Oberrhein auch kultureller Kernbereich des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Der erste namentlich bekannte deutsche Dichter Otfried von Weißenburg (um 800 – 870) schuf 868 die Evangelienharmonie „Der Krist“, das älteste und bedeutsamste Werk in althochdeutscher Sprache.

Zusammen mit Gebieten in der heutigen Schweiz haben die Habsburger im Oberelsass ihr Stammland. Rudolf I. gelingt es nach dem Zerfall der Stauferherrschaft und dem Interregnum die deutsche Königswürde zu erlangen. Er baut seinen Besitz am Oberrhein aus und sorgt sich sehr um das Wohlergehen seiner Heimat. Widersacher der Habsburger sind vor allem die Bischöfe von Basel und Straßburg. Der Straßburger Bischof - wesentlicher Territorialherr im Elsass -verhindert ein Ausdehnen der Habsburger nach Norden. Er verliert allerdings 1262 die Herrschaft über die Stadt Straßburg, die freie Reichsstadt wird und eine bedeutende politische und kulturelle Rolle am Oberrhein spielt. Später ist Straßburg eine Hochburg des Humanismus. Dank Johann Gutenberg entsteht in Straßburg die erste Druckerpresse und es erscheint 1600 die erste deutsche Zeitung.

Im 14. Jahrhundert schließen 10 elsässische Städte (neben Straßburg: Weißenburg, Hagenau, Mühlhausen, Ehnheim, Rosheim, Schlettstadt, Colmar, Kaysersberg, Münster und Türkheim) einen Bund ( Dekapolis), der erfolgreich die Reichsunmittelbarkeit seiner Mitglieder behauptet. 1515 kommt Landau hinzu, während Mühlhausen ausscheidet und sich der Eidgenossenschaft anschließt. So können die Habsburger ihr Territorium im Oberelsass nur auf der rechten Rheinseite um den Breisgau und Freiburg erweitern. Mit dem Erwerb großer Territorien in Österreich verringert sich bei den Nachfolgern Rudolfs I das Interesse an den oberrheinischen Besitzungen. Wie auf der rechten Rheinseite kann sich also auch im Elsass keine übergreifende Regionalmacht entwickeln, stattdessen entsteht ein Flickenteppich aus vielen geistlichen und weltlichen Territorien, was in der Folge wesentlich ist für das Vordringen Frankreichs.

2.2 1648 – 1871

Der 30jährige Krieg bzw. der Frieden von 1648 bringen die erste große Wende zugunsten Frankreichs, das die habsburgischen Besitzungen im Oberelsass und die Vogtei über die elsässischen Reichsstädte (außer Straßburg) erhält. 1681 wird Straßburg durch die Truppen Ludwigs XIV besetzt – das Reich ist im Kampf gegen die Türken im Osten gebunden und kann keine Hilfe leisten. 1697 wird die Annexion im Frieden von Rijswijk bestätigt. Die Franzosen wurden keineswegs willkommen geheißen, der Widerstand war z. T. erheblich, besonders im Münstertal und den Reichsstädten. Viele Straßburger Bürger verließen die Stadt und bauten sich eine neue Existenz in Reichsstädten auf der rechten Rheinseite auf.3 Demgegenüber ist festzustellen: Bis zur französischen Revolution blieb das Elsass für die Franzosen eine „Province étrangère“ bzw. „Province allemande“. Die Zollgrenze blieb am Vogesenkamm bestehen, es gab weiterhin kleinere deutsche Enklaven (z.. B. das württembergische Reichenweier im Oberelsass und die Grafschaft Lichtenberg im Unterelsass), kirchlich gehörte das Gebiet weiter zu den Bistümern Basel, Straßburg und Speyer. Tradition und deutsche Sprache wurden vom französischen Staat kaum angetastet, Die Universität in Straßburg blieb eine deutsche Hochschule - das Zeitalter des überhöhten Nationalstaats war noch nicht angebrochen. Auch nach 1648 war das Elsass bis auf einige Gegenden in den Vogesentälern (Breuschtal, Weißtal, Westteil des Sundgaues und des Territoire de Belfort, welches bis 1870 zum Elsass gehörte), deutschsprachiges Land. ….Nach und nach floß die französische Sprache und Kultur ein, sodaß im XIX. Jht das elsässische und ost-lothringische Bürgertum zweisprachig wurde. 4
Die entscheidende Wende brachte die französische Revolution bzw. das Regime Napoleon I. Wie das übrige Frankreich wurde auch das Elsass in Departements mit geringen Kompetenzen aufgeteilt. Alle Staatsgewalt ging künftig zentral von Paris aus. Die Ideale der Revolution fanden auch im Elsass – besonders beim Bürgertum – Anklang. Auch wenn es zunächst Widerstand gegen die Französische Herrschaft gab (im Unterelsass flüchteten viele Bürger über den Rhein), so erkannte das Bürgertum die Chancen der „Gleichheit“ mit allen anderen französischen Bürgern. Unter diesem Eindruck schloss sich Mühlhausen 1798 sogar freiwillig Frankreich an und verließ die Eidgenossenschaft. Unter Napoleon nutzten viele die Chance des militärischen Aufstiegs – zahlreiche Elsässer und Lothringer bürgerlicher Herkunft erlangten militärischen Ruhm (z. B. die Marschälle Kléber, Rapp, Kellermann, Coehorn und Schramm). Nach der Entmachtung der radikalen Jakobiner waren Napoleon und seine Nachfolger so klug, die Zwangsromanisierung nicht fortzusetzen und die deutsche Sprache der Elsässer zu dulden. So behielt das „einfache Volk“ seine Sprache, während sich das Bürgertum und die Beamtenschaft immer mehr mit Frankreich und seiner Sprache und Kultur verbunden fühlten.
Nicht zuletzt war aber auch die tolerante Haltung gegenüber der Sprache und Eigenart der Elsässer (nach 1815 sprachen die Könige und später Kaiser Napoleon III bei offiziellen Besuchen im Elsass deutsch), ein Grund, dass auch die Verbundenheit des einfachen Volkes mit einem solchen toleranten Staat wuchs und eine Verschmelzung mit dem übrigen Frankreich förderte. Unter Napoleon III wurde allerdings versucht, den Volksschulunterricht in deutscher Sprache abzuschaffen, was auf erheblichen Widerstand breiter Volksschichten und der Geistlichen beider Konfessionen führte. Ob der Widerstand auf Dauer erfolgreich gewesen wäre, bleibt offen – denn es folgte eine erneute Wende im Leben der Elsässer.


2.3 1870 - 1945

Mit dem Deutsch-Französischen Krieg begann eine Epoche von 80 Jahren, in der die Elsässer vier Mal ihre Staatsangehörigkeit wechseln mussten. Im Friedensvertrag von Frankfurt (10. 5. 1871) musste Frankreich das Elsass und einen Teil Lothringens (siehe 2.01.08) an das neu gegründete Deutsche Reich abtreten. Die Bevölkerung wurde dabei (wie auch später) nicht nach ihrem Willen gefragt. Zweifellos hätte sich damals ein großer Prozentsatz für den Verbleib bei Frankreich ausgesprochen. So protestierten die elsässischen Abgeordneten in der nach Bordeaux verlegten Nationalversammlung gegen die Abtrennung ihrer Heimat an das preußische Deutschland.

Elsass-Lothringen wurde formal als Gemeinbesitz aller Gliedstaaten des neuen Reiches eingegliedert (Reichsland Elsass-Lothringen). Tatsächlich waren es jedoch die Preußen, welche die Staatsgewalt übernahmen. Insbesondere der preußische Militarismus war elsässischer Lebensart fremd. So wundert es nicht, dass ca. 50000 Elsässer von der in § 2 des Friedensvertrages vorgesehenen Option für Frankreich Gebrauch machten und nach Innerfrankreich oder Algerien auswanderten. Das wilhelminische Kaiserreich verstand es nicht, die Herzen der Elsässer für sich zu gewinnen. So wählte das Elsass vor allem Autonomisten in den deutschen Reichstag.
Dennoch entspannte sich die Situation im Laufe der Jahre. Die Wirtschaft erlebte – wie im übrigen Reich – einen gewaltigen Aufschwung. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Staatsführung war die Einführung der allgemeinen Schulpflicht mit Deutsch als Pflichtsprache, im übrigen jedoch mit einer liberalen Haltung zur Zweisprachigkeit im Unterricht. Bereits 1872 wurde die deutsche Universität Straßburg feierlich wieder eröffnet, die zwar zunächst um ihre Anerkennung bei den Elsässern und Deutschlothringern ringen musste, dann aber eine über die Grenzen hinaus anerkannte Einrichtung mit vorbildlichen Gelehrten wurde. Etwa ab 1890 ist auch ein Wiedererwachen deutscher Kultur und vor allem deutscher Dichtung festzustellen. Insbesondere Christian Schmitt, Friedrich Lienhard und später René Schickele und Ernst Stadler sind hier zu nennen, die das deutsche Geistesleben bereichern. Daneben blüht eine umfangreiche Dialektliteratur als unübersehbares Zeichen erwachten Selbstbewusstseins und Elsässer Identität.

Viel zu spät – 1911 – wird vom Reichstag eine Verfassung für Elsass-Lothringen verabschiedet, die das Land als Bundesstaat faktisch anerkennt und ihm einen eigenen Landtag mit Gesetzgebungskompetenz zugesteht. Zu spät, weil durch den Ausgang des 1. Weltkriegs alle Hoffnungen auf eine weitere Normalisierung zunichte gemacht werden.

Mit dem Friedensvertrag von Versailles wird Elsass-Lothringen rückwirkend zum Waffenstillstandstag 11. 11. 1918 wieder in den französischen Staat eingegliedert und die 3 Departements Haut Rhin, Bas Rhin und Moselle wiederhergestellt. Die einmarschierenden französischen Truppen wurden – vor allem in den Städten – von der hungernden Bevölkerung begeistert empfangen. Die Begeisterung wich aber, als in der Folge die zentralistische Pariser Politik wiederauflebte. Über 300000 sogenannte „Altdeutsche“, die ihren Wohnsitz nach 1871 ins Elsass oder nach Lothringen verlegten einschließlich deren Nachkommen, aber auch viele Elsässer wurden ausgewiesen.5 Besonders einschneidend aber war eine rigorose Schulpolitik mit Französisch als alleiniger Unterrichtssprache und schwerwiegenden Strafen bei Benutzung anders klingender Laute. Dies führte zu einem Proteststurm in der Bevölkerung. Die ehemals gegen die preußische Politik angetretenen Protest- und Autonomie-Parteien wandelten sich nun zu antifranzösischen Autonomisten, die bei fast allen Wahlen Mehrheiten für sich gewannen. Unter diesem Druck kam 1927 ein Schulkompromiss zustande, der zumindest Deutschunterricht ab dem 2. Schuljahr vorsah.

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland gerieten die Autonomie fordernden Elsässer in den Verdacht, 5. Kolonne der Nazis zu sein, obwohl dies wohl bei den wenigsten Elsässern zutraf. 1939 wurden viele Heimatrechtler verhaftet und nach Nancy oder Südfrankreich deportiert. Dann folgte 1940 der Einmarsch deutscher Truppen und nunmehr wieder eine rigorose Germanisierungspolitik, gepaart mit der Gewalt- und Schreckensherrschaft der Nazis, der Errichtung von Konzentrationslagern und dem Einzug von Elsässern zum Dienst an der Ostfront. Was vorher den Franzosen nicht geglückt war, bewirkte nun die Nazi-Herrschaft: Die Zugehörigkeit zu Frankreich wurde nach Ende des 2. Weltkriegs im Elsass nicht mehr in Frage gestellt. Die Autonomiebewegung war – wenn auch zu Unrecht – diskreditiert und konnte sich von diesem Schock nicht wieder erholen.

2.4 1945 bis 2014

Dabei ging die französische Regierung nach der „Rückeroberung“ nicht gerade zimperlich mit der elsässischen Bevölkerung um. Zunächst begann eine Jagd auf sogenannte Kollaborateure. Durch Pariser Dekret wurde die deutsche Sprache radikal aus den Schulen und der Öffentlichkeit verbannt. Frankreich nutzte die Situation psychologisch geschickt für sich aus und setzte bis in die 70er Jahre die Untaten Hitlers mit deutscher Sprache und Kultur gleich. Jede Art von Zweisprachigkeit, egal ob hochdeutsch oder Elsässer Dialekt war verpönt. Ich erinnere mich noch gut an eine internationale Jugendbegegnung im Jahre 1956, bei der die anwesenden Elsässer(innen) jedes Gespräch in deutscher Sprache abbrachen, sobald ein Franzose mithörte. Dabei waren die jugendlichen Franzosen durchaus aufgeschlossen für deutsche Kultur, denn die Begegnung schloss die Erkundung der deutschen Kulturlandschaft am Bodensee ein.
Erst ab ca. 1970 setzten Bemühungen ein, den Deutschunterricht wieder in größerem Umfang zu erteilen – allerdings weiterhin auf völlig freiwilliger Basis. Aber die rigorose Politik zeigt nun Wirkung: Auch in einem liberalerem französischen Staat geht die Zahl der Dialektsprecher im Elsass ständig zurück. 


2.5 Neue Entwicklungen ab 2014


Im Dezember 2014 hat das französische Parlament auf Vorschlag der Regierung eine Gebietsreform beschlossen, die in ihrer Tragweite noch gar nicht abzusehen ist und für das Elsass und das deutschsprachige Lothringen einschneidende Wirkungen zeigen kann. Trotz erheblicher Proteste vor allem im Elsass wurde beschlossen, dass aus Kostengründen mehrere Regionen zusammengelegt werden, so dass Frankreich nunmehr seit 2016 nur noch 13 statt bisher 22 Regionen hat. Während die besonderen ethnischen Regionen Bretagne und Korsika erhalten blieben, wurde das Elsass mit den Regionen Lothringen und Champagne-Ardenne zusammengelegt.


                      neue Grossregion Frankreich-Ost / Grand Est


Auch die massiven Proteste im Elsass konnten dies nicht verhindern. Mehr als 60.000 Elsässer unterschrieben eine Petition gegen die Fusion, 20.000 Mitglieder hat die Facebookgruppe „non à la fusion“ und über 10.000 Elsässer kamen zu Protestkundgebungen nach Straßburg und in andere Städte.[6]


Elsässer wehren sich bei einer Großdemonstration in      Straßburg gegen die Fusion

 
Das Bild stammt aus dem Schwarzwälder Boten vom 16. 12. 2014, der dazu unter der Überschrift „Elsässer wehren sich gegen Fusion“ u. a. schrieb:

Zum dritten Mal in Folge haben die Elsässer am Samstag lautstark klargemacht, dass sie dagegen sind, dass das Elsass mit Lothringen und Champagne-Ardenne zu einer Großregion vereint wird. Wie an den vergangenen zwei Sonntagen in Colmar und Mulhouse, kamen sie aus dem ganzen Elsass nun in Straßburg zusammen, um es wieder mit viel Tamtam heraus zu schreien: "Keine Fusion, Widerstand, Elsass frei". In den Reihen trugen wohl mehr als die Hälfte der Frauen die traditionelle Schlupfhaube. Auch das Meer von Fahnen in den Landesfarben rot und weiß im Demonstrationszug ließ keinen Zweifel zu, wofür man hier war.[7]

Inzwischen ist aber leider die Großregion Realität. Die traditionellen Parteien stimmten dieser Lösung letztendlich zu, nachdem man ihnen als kleines Entgegenkommen zugesichert hatte, dass Straßburg Sitz der neuern Großregion wird. Anfang Januar 2016 trat das Parlament der neuen Großregion in Straßburg zur konstituierenden Sitzung zusammen und wählte den ehemaligen Präsidenten der Region Elsass, Philippe Richert, zu ihrem neuen Präsidenten. Er gehört zum bürgerlichen Lager, das auch mit der Linken kooperieren will, eine Zusammenarbeit mit dem rechtsextremen Front National aber ablehnt.[8]  

Inzwischen steht auch der neue Name der Großregion fest. Bei einer Umfrage vorwiegend im Internet hatten sich 75 % von 289.000 Teilnehmern für die Bezeichnung „Grand Est“ entschieden. Der Name ist zwar nicht originell und auch ins Deutsche übersetzt als Großer Osten nicht sehr schön, lag aber nach langer Diskussion auf der Hand, nachdem andere Vorschläge wie „La Nouvelle Austrasie“, „Alcalie“ und „Rhin-Champagne“ in der Bevölkerung überhaupt nicht ankamen und bei der Befragung jeweils nur 10% und weniger Stimmen erhielten. Als Ergänzung wird auf offiziellen Dokumenten die Bezeichnung «Alsace-Champagne-Ardenne Lorraine» benutzt, wie der neue Regionalpräsiden Richert  ankündigte.[9]
Wie es in der neuen Großregion weitergeht bleibt offen und wirft viele Fragen auf. Insbesondere die Förderung der Zweisprachigkeit steht auf dem Spiel. 1994 hatten die Region Elsass und die beiden elsässischen Departements das Elsässische Sprachamt OLCA gegründet, das sich mit einem Jahresbudget von 2,5 Mio. Euro für Deutsch und Elsässisch einsetzt. Außerdem gehen in der Unterrichtsakademie Straßburg 27 000 Primarschüler in zweisprachige Schulklassen. Die Sprachenpolitik ist mit einem Abkommen für die nächsten drei Jahre gesichert. Wie es 2019 in der neuen Großregion damit weitergeht, ist unsicher. Schließlich hatten viele Politiker des Elsass seit etlichen Jahren erkannt, dass sie etwas gegen die schwindenden Dialekt- und Deutschkenntnisse der Einwohner unternehmen müssen. Dies nicht nur zur Bewahrung der besonderen Identität, sondern allein schon, weil weit über 60 000 Grenzgänger in der Schweiz und in Deutschland arbeiten und deshalb Deutsch beherrschen müssen.[10]
Aber die neue Entwicklung zur Großregion hatte auch positive Reaktionen zur Folge. Viele Elsässer sind sich nun wieder ihrer besonderen Identität bewusst geworden und unterstützen die 2009 gegründete Partei „Unser Land“. Bei den Regionalrats-Wahlen der neuen Großregion erhielt „Unser Land“ im Oberelsass 13,1% der Stimmen und im Unterelsass 11,4%. Damit erreichte die Partei, die sich mit anderen Regionalparteien (u.a. der Partei der Mosellothringer  ) zusammengeschlossen hatte, bei der Wahl zum Parlament der neuen Großregion sogar ca. 5 % der Stimmen. Da es in Frankreich aber ein reines Mehrheitswahlrecht auch für die Regionen gibt, sind die Regionalparteien natürlich besonders benachteiligt. Siehe hierzu den  Aufruf der Partei der Mosellothringer, den ich in meinem Blog Lothringen, Deutschlothringer veröffentliche.

Obwohl die Region Elsass damit wieder von der Landkarte verschwindet, wird  das Elsass mit seinem geographischen, kulturgeschichtlichen und linguistischen Doppelcharakter sicher nicht verschwinden. Zur Aufmunterung für alle Freunde des Elsass  möchte ich daher den elsässischen Schriftsteller und Dialektdichter André Weckmann zitieren, der seine Heimat treffend so beschrieben hat: „Das Elsass ist ein deutschsprachiges Land, das französisch sein will. Das Elsass ist eine französische Provinz, die deutschsprachig bleiben will.“[11]




3. Sprache

Seit der Besiedlung des Elsass durch Alemannen und Franken im 4. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind deutsche Dialekte die regionale Sprache des Elsass. Vornehmlich im Norden (im Bereich von Hagenau und Weißenburg werden fränkische Dialekte gesprochen, während im Süden alemannisch in verschiedenen Varianten gesprochen wird. Das Flüsschen Zorn bildet bis heute die Grenze zwischen alemannischen und fränkischen Dialekten. Beim alemannischen werden drei Dialektzonen unterschieden: a) im Raum Zabern - Straßburg – Schlettstadt wird niederelsässisch, b) im Bereich Colmar – Mühlhausen oberelsässisch und c) im Sundgau südlich Mühlhausen wird hochalemannisch gesprochen. Die alle Dialekte überdachende Hoch-, Kultur- und Schriftsprache ist – wie im übrigen deutschen Sprachraum - Hochdeutsch. Zutreffend wird daher auf der Internetseite des Amtes für Sprache und Kultur des Elsass (OLCA) festgestellt: Dialekte sind gesprochene, nicht kodifizierte Umgangssprachen. Die unserem elsässischen Dialekt entsprechende geschriebene und kodifizierte Standardsprache ist das Hochdeutsche. ..Die Hochsprache ist die Sprache der Verständigung und der interregionalen Kommunikation zwischen allen Deutschsprachigen, die sich ab dem 15. Jahrhundert entwickelt hat. Der elsässisch Sprechende wird die Hochsprache leicht lernen, da sie sich aus dem Sprachraum des Mittel- und Oberdeutschen entwickelt hat, dem diese Mundarten angehören. Im Elsass wird zudem eine den regionalen Eigenheiten angepasste Lernmethode eingesetzt.(12)
Da der Rhein nie eine Sprachgrenze war, ist eine Verständigung zwischen Alemannen dies- und jenseits des Rheins problemlos möglich. Ein fränkischer Dialektsprecher aus dem Nordelsass oder Lothringen hat hingegen die gleichen Schwierigkeiten mit einem Südelsässer in der Mundart zu kommunizieren, wie ein Pfälzer mit einem Inner-Schweizer. Im Gegensatz zu den verschiedenen deutschen Dialektsprechern benutzen Elsässer und Lothringer inzwischen - aufgrund der geschichtlichen Entwicklung - untereinander als verbindende Hochsprache französisch und nicht hochdeutsch.

Durch Ausschaltung der verbindenden deutschen Hochsprache ist es den französischen Regierungen der Nachkriegszeit gelungen, französisch als Hochsprache durchzusetzen. Seit den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat der Druck aus Paris jedoch spürbar nachgelassen. Nun sind es allerdings die Eltern des Elsass, die mehrheitlich mit ihren Kindern französisch sprechen und ängstliche Politiker, die dazu beitragen, dass sowohl der Dialekt als auch die Hochsprache ständig zurückgehen.(13) Bei meinem letzten Besuch des Elsass fand ich diese Analyse eindrucksvoll bestätigt. Während die Erwachsenen über 30 noch mühelos oder zumindest einigermaßen gut deutsch sprechen, fällt erschrecken auf, dass Jugendliche häufig nicht mehr in der Lage sind, sich auf Deutsch zu verständigen.

4. Ortsnamen, Straßen- und Hinweisschilder

Laut Egon Kühebacher, dem Südtiroler Toponomastik-Forscher, hat der zentralistische französische Staat in weit größerem Masse die historischen Ortsnamen respektiert, als dies z. B. in Südtirol durch den italienischen Staat geschah.(siehe Zeitschrift „Südtirol“ Nr. 3/2001)  Teilweise wurden die vorhandenen Ortsnamen ohne Änderung übernommen (z.B. Kaysersberg, Fessenheim, Illkirch, Colmar – C statt K), teilweise erfolgte eine Übernahme in der Schreibweise des alemannischen Dialekts (z. B. Ammerschwihr statt Ammerschweiher). Bei anderen Städte- und Ortsnamen wurden vor allem die Endungen französisiert (z. B. Strassbourg statt Straßburg, Huningue statt Hüningen). Es gab aber auch im Elsass (und in Ost-Lothringen) völlige Umbenennungen bzw. derart gravierende Anpassungen an die französische Sprache, dass der ursprüngliche Name ersetzt oder zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde. Die Liste dieser Namen Ist lang: z. B. Selestat statt Schlettstadt, Ribeauville statt Rappoltsweiler, Riquevihr statt Reichenweiler, Obernai statt Oberehnheim. Aber auch dann, wenn die Schreibweise gleich oder ähnlich blieb, wird der Ortname nun französich ausgesprochen, d. h. im französichen wird das Wortende betont und im Deutschen in der Regel der Wortanfang.


Beispiele zweisprachiger Ortschilder (Schlettstadt) und Straßenschilder (Mühlhausen)

5. Maßnahmen zum Schutz von elsässischer/deutscher Sprache und Kultur


Bereits im Jahre 1968 haben sich Elsässer und Ostlothringer zur RenéSchickele-Gesellschaft (Culture et Bilinguisme d’Alsace et de Moselle) zusammengeschlossen., um den fortschreitenden Rückgang des Dialekts zu stoppen und die Eigenart der Kultur zu bewahren. Dabei stand vor allem die Forderung nach Wiedereinführung des Deutschunterrichts in der Grundschule im Vordergrund, wohl wissend, dass ohne Hochsprache auch der Dialekt verloren geht. Zunächst wurden „freie“ Deutschklassen gegründet, die ab 1972 zur zaghaften Wiedereinführung des Deutschunterrichts an Grundschulen führte.
Die Zukunft der Elsässer Dialekte und der elsässischen Identität auf Basis einer guten Zweisprachigkeit sieht zur Zeit zwar nicht gut aus, aber es gibt auch Hoffnungszeichen. So titelt der Globus (Nr. 3/2011) einen Bericht mit "Das Elsass zwischen Sprachlosigkeit und Neubesinnung." Über Aktionen zur Neubesinnung einige Hinweise:
1994 wurde auf Initiative der Region Elsass (Région Alsace) und der beiden Départements Bas-Rhin und Haut-Rhin das Amt für Sprache und Kultur des Elsass
(l’Office pour la Langue et la Culture d’Alsace - OLCA - Elsassisches Sprochàmt)  http://www.olcalsace.org/de
gegründet, das sich um eine Wiederbelebung der elsässischen Identität auf Basis der Zweisprachigkeit bemüht und entsprechende Initiativen durchführt und unterstützt. 
So wurden seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts weitere Initiativen und Organisationen gegründet, die sich um den Erhalt und die Förderung der elsässischen und deutschen Sprache und Kultur bemühen. Als Dachorganisation einer großen Zahl z. T. regionaler Vereine und Initiativen wurde 1990 das COMITE FEDERAL DES ASSOCIATIONS POUR LA LANGUE ET LA CULTURE REGIONALES EN ALSACE ET EN MOSELLE/Fer unsri Zukunft gegründet.  http://www.alsace-lorraine.org/  Dieser Dachverband will die verschiedenen Aktionen bündeln und zentral gegenüber dem Staat vertreten, will Anregungen zur Schaffung einer regionalen Sprachpolitik geben und gegen die Missachtung elementarer Sprachrechte juristisch vorgehen.
Im Eco-Museum in Ungersheim (Elsass) - L'Écomusée d'Alsace -hat der Verband eine Ausstellung eingerichtet zum Thema "Die deutsche Sprache im Elsass ; Geschichte, Eigenschaften und Weitergabe" (https://de.wikipedia.org/wiki/ecomusee)

Die Vereinigung Eltern Alsace (Association de Parents d'Elèves de l'Enseignement Bilingue en Alsace) setzt sich seit 1995 für einen bilingualen Unterricht ihrer Kinder in elsässischen Schulen ein. Ein Team kompetenter Elternvertreter unterstützt und informiert alle Initativen vor Ort, um den zweisprachigen Unterricht im Elsass zu fördern und zu entwickeln, die Eltern  während der ganzen Schulzeit Ihrer Kinder zu informieren und zu begleiten und sie bei verschiedenen Institutionen zu vertreten. „Eltern Alsace“ ist eine vom französischen Kultusministerium (Education Nationale) anerkannte Organisation und wird vom Departement Haut-Rhin und von der Region Alsace unterstützt und finanziert. www.eltern-bilinguisme.org
Weiterhin ist zu berichten, dass durch das bereits erwähnte Amt für Sprache und Kultur des Elsass OLCA gemeinsam mit Gemeinden und Geschäftsleuten des Elsass eine Initiative unter dem Namen „JA fer unseri Sproch“ initiiert wurde. Den teilnehmenden Firmen und Gemeinden werden Hilfsmittel, wie Aufkleber, Hinweisschilder u. a. zur Verfügung gestellt und sie werden ermutigt, elsässerdeutsch im Kontakt mit Besuchern und Kunden offensiv zu benutzen. Das Amt verspricht sich von dieser Aktion eine positive Belebung und Förderung der elsässischen Mundart.

Ähnlich Ziele verfolgt die L'association „Heimetsproch un Tradition“ www.heimetsproch.org.  Sie veröffentlicht sechsmal jährlich die Zeitschrift "d'Heimet - zwische Rhin un Vogese" (entre Vosges et Rhin). 

Erfreulich ist auch die Tatsache, dass seit 1999 ein Verein „Alsace – Junge fer’s Elsassische“ besteht, der vor allem junge Menschen anspricht und versucht, sie wieder für die elsässische Sprache zu begeistern. Man verweist u. a. auch darauf, dass die Mehrsprachigkeit viele wirtschaftliche Vorteile bringt, aber auch einen persönlichen Gewinn, wenn man in 2 Kulturen zu Hause ist. Zitat: Mer Elsässer hàn die riesig Chance, e Bruck zwische zwei von de mächtichschte Länder Europas ze sin… Mer fiehle uns in Berlin wohl…sowie in Bàrris, trinke Bier…un Win, un rede zwei Sprooche ! siehe: http://www.ajfe.fr

Neben diesen erfreulichen Aktionen muss man feststellen, dass Elsässer und Deutsch-Lothringer gegenüber anderen Volksgruppen ohne Staat (z. B. Bretonen) trotz aller Benachteiligungen in einer bevorrechtigten Stellung als Minderheit sind. Sie können ohne Einschränkungen deutsche Medien (Fernsehen, Rundfunk, Filme, Zeitungen, Zeitschriften) und nicht zuletzt das Internet nutzen und auf diesem Wege mit dem deutschen Kulturraum in Kontakt bleiben.

Durch regen Austausch und Tourismus über die staatlichen Grenzen hinweg können insbesondere Deutsche und Deutsch-Schweizer diese Entwicklung unterstützen. Als weiteren Anreiz zum Besuch des Elsass veröffentliche ich in einem besonderen Post einige Fotos von meinem letzten Besuch im Elsass. siehe 2.0107A - Bildergalerie Elsass.


1 Guy Héraud: Die Völker als Träger Europas, S. 118ff
2 Zusammengestellt nach Angaben in: 
a) Geschichte der deutschen Länder, Band 1 (Territorien Plötz),
b) Handbuch der europäischen Volksgruppen (Ethnos Band 8), 
c) Hinderling/Eichinger: „Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten“, S. 413ff, 
d) Ludwig: „Ethnische Minderheiten in Europa“
e) Héraud: „Die Völker als Träger Europas“, S. 118ff 
f) „Wege und Wandlungen“, S. 45ff
3 Forstmann, Haug, Pfaehler, Thiel: Der Fall der Reichstadt Straßburg und seine Folgen – Besprechung in der FAZ v. 28. 4 1982: „Abstimmung mit den Füßen – in Straßburg vor 300 Jahren“
4 http://alsacezwei.voila.net/
5 Kloss: „Grundfragen der Ethnopolitik“ S. 263 stellt zurecht fest, dass es sich in vielen Fällen schon um die Enkel der ersten Zuwanderer handelte, die in Elsass-Lothringen herangewachsen war, ohne dass sie besser als die eigentlichen Zuwanderer behandelt worden wäre. Weiterhin weist er darauf hin, dass die Zuwanderung weder künstlich forciert, noch staatlich begünstigt wurde. (wie z. B. bei eingeschleusten Italienern nach Südtirol nach 1919)
[6] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/frankreich-regionen-reform-protest?print und http://www.liberation.fr/societe/2014/10/11/manifestation-a-strasbourg-pour-une-alsace-sans-la-lorraine_1119691
[7] http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.strassburg-elsaesser-wehren-sich-gegen-fusion.a1399c37-b776-450d-8508-d24f5d166f81.html
[8] http://www.bzbasel.ch/thema/Elsass                                                                 
[9] http://www.bzbasel.ch/thema/Elsass - Bz Basel vom 7. 4. 2016
[11] Elsass – Europäische Region in Geschichte und Gegenwart – Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Heft 32, April 1996

12http://www.olcalsace.org/de/definition-der-regionalsprache
13 In einem Interview mit der Badischen Zeitung v. 23. 6. 2003 gibt der bekannte elsässische Schriftsteller André Weckmann eine düstere Prognose für die Zukunft. Nach seiner Aussage liegt dies an einer „Verangsthasung“ der elsässischen Politiker und Schuldirektoren vor zu viel Deutsch, weil die Sprache immer noch mit Nazideutschland in Verbindung gebracht wird. Weiterhin gäbe es zu viele Dialektfanatiker im Elsass, die vom Hochdeutschen nichts wissen wollen und von einer Einheitssprache Elsässisch träumen. Doch Weckmann dazu: Wenn Hochdeutsch verschwindet, verschwindet Elsässisch. Wer das nicht kapiert, hat ein Brett vor dem Kopf.

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