1. Einleitung
Übersichtstabelle
1. |
Einleitung |
2. |
Übersicht |
3. |
Griechische Staaten, Volksgruppen und Minderheiten |
3.1 |
Griechenland |
3.2 |
Zypern /Cypern |
3.3 |
Griechische Volksgruppen und Minderheiten |
3,31 |
Griechen in der Türkei |
3.32 |
Griechen in Russland und den GUS-Staaten |
3.33 |
Griechen in Albanien |
3.34 |
Griechen in Bulgarien |
3.35 |
Griechen in Italien |
3.36 |
Griechen im deutschen Sprachraum |
4. |
Griechische Geschichte – ihre Folgen und Traumata |
4.1 |
Traumata „Besatzung und Fremdbestimmung“ |
4.2 |
Traumata Verfolgung und Gegensatz zur Türkei |
4.3 |
Unfähige, korrupte Regierungen – Trauma Fremdkontrolle |
4.4 |
Nationalistische Minderheitenpolitik |
5. |
Die griechische Sprache |
6. |
Volksgruppen und Minderheiten in Griechenland |
6.1 |
Türken in West-Thrakien |
6.2 |
Pomaken |
6.3 |
Slawo-Mazedonier / Bulgaren |
6.4 |
Albaner, Arvaniten |
6.5 |
Aromunen / Vlachen und Meglenorumänen |
6.6 |
Roma |
6.7 |
Karamanli |
6.8 |
Resümee Minderheitenfragen |
2. Übersicht
3. Griechische Staaten, Volksgruppen und Minderheiten
3.1 Griechenland
3.2 Zypern / Cypern
3.3 Griechische Minderheiten
3.31 Griechen in der Türkei
Bis zu den unseligen Vereinbarungen des Lausanner Vertrags von 1923 (siehe nachstehend unter 3.2 Traumata der Verfolgung und des Gegensatzes zur Türkei) lebten an den Küsten der Ägäis, in Istanbul und an der südlichen Küste des Schwarzen Meeres etwa 2 Millionen Griechen. In dem Friedensabkommen von Lausanne 1923 wurde die Zwangsumsiedlung von ca. 1,3 Millionen christlich-orthodoxer Griechen aus Kleinasien und aus der sogenannten Pontos-Region beschlossen. Im Gegenzug wurden über 400.000 muslimische Türken, Pomaken und Roma aus Griechenland ausgewiesen.3.32 Griechen in Russland und anderen Gebieten der ehemaligen Sowjet-Union
3.33 Griechen in Albanien
3.34 Griechen in Bulgarien
3.35 Griechen in Italien
3.36 Griechen im deutschen Sprachraum
4. Griechische Geschichte - ihre Folgen und Traumata
4.1 Traumata „Besatzung und Fremdbestimmung“
4.2 Traumata der Verfolgung und des Gegensatzes zur Türkei
4.3 Unfähige und korrupte Regierungen – Trauma Fremdkontrolle
4.4 Nationalistische Minderheitenpolitik
Unter Berufung auf den Vertrag von Lausanne (s.o.) erkennt Griechenland lediglich die muslimischen Türken, Pomaken und Roma in Westthrakien als Minderheiten an und zwar als eine religiöse (muslimische) Minderheit, nicht als jeweils unterschiedliche ethnische Minderheiten. Ethnischen Minderheiten wird die Anerkennung grundsätzlich verweigert und Griechenland hat daher auch kein Vertragswerk des Europarats zum Schutz von Minderheiten anerkannt. Über die deshalb sehr unbefriedigende Situation der verschiedenen Minderheiten berichte ich unter Pkt. 6.
6. Volksgruppen und Minderheiten in Griechenland
Wie unter 4.4 bereits erwähnt, sind Türken, Pomaken und Roma in Westthrakien als religiöse – nicht als ethnische Minderheit anerkannt. Wie unter 4.2 beschrieben, ist diese Auslegung auf den Vertrag von Lausanne zurückzuführen. Die streng nationalistische Denkweise hinsichtlich ethnischer Minderheiten und die starre Haltung aller griechischen Regierungen - gleich welcher Richtung - bis auf den heutigen Tag, wird in diesem Punkt fast einstimmig durch die Bevölkerungsmehrheit unterstützt. Sie ist nur mit dem Traumata der Vertreibung aller Griechen aus Kleinasien und dem Bevölkerungsaustausch in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg zu erklären. Gut zu heißen ist sie dennoch nicht.
Darin wurzeln auch die über Jahrzehnte mehr oder weniger andauernden politischen Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Griechenland. Je nach dem Stand der Beziehungen zwischen diesen Staaten, gab es zunehmenden oder nachlassenden Druck auf die muslimische Minderheit(en), gab es Überwachung und Übergriffe, wurden diese Rechte immer wieder beschnitten und mussten dann wieder neu erkämpft werden.
Noch problematischer ist die Situation der übrigen
ethnischen Minderheiten, deren Existenz vom griechischen Staat und der griechischen
Bevölkerung schlichtweg als nicht vorhanden geleugnet wird. Auch Verurteilungen
durch den Europäischen Gerichtshof wurden von den griechischen Regierung nicht
umgesetzt. Appelle von Minderheitenorganisationen, wie der FUEV, werden
ignoriert. Allerdings hat es durch den Druck aus der EU in den letzten
Jahrzehnten zumindest in kleinen Schritten Fortschritte gegeben. Dazu unter den
folgenden Punkten mehr.
6.1 Türken – Balkantürken - in West-Thrakien
Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam Thrakien zum Osmanischen Reich, und seitdem siedeln dort ethnische Türken. West-Thrakien fiel nach den Balkankriegen zunächst an Bulgarien, wurde dann aber nach dem 1. Weltkrieg im Friedensvertrag von Sevres zwischen Griechenland und der Türkei geteilt. West-Thrakien ist seitdem eine griechische Region (siehe Karte 1 und 2) und grenzt an den europäischen Teil der Türkei (Ost-Thrakien), im Norden an Bulgarien und im Westen an die griechische Region Makedonien. Genaue Zahlen über die Größe der Minderheit gibt es nicht. Nach Schätzungen leben dort heute noch ca. 60.000 - 70.000 ethnische Türken. Die türkische Botschaft in Deutschland nennt eine Zahl von 120.000, rechnet dabei aber m.E. auch Pomaken und muslimische Roma mit ein. Die Gesellschaft für bedrohte Völker nennt 105.000 Muslime (Stand 1995) mit griechischer Staatsbürgerschaft, davon 48% ethnische Türken. Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) nennt in ihrer Resolution von 2013 sogar eine geschätzte Zahl von 150.000 ethnischer Türken in West-Thrakien.
Dass es die türkische (muslimische) Minderheit in West-Thrakien überhaupt noch gibt, ist das Resultat der Vereinbarung von Lausanne aus dem Jahre 1923 (s.o). Zur Aufrechterhaltung des Ökumenischen orthodoxen Patriarchats in Istanbul, wurden in der Vereinbarung zwischen dem türkischen und griechischen Staat die in Istanbul und auf zwei vorgelagerten Inseln wohnenden Griechen von der Vertreibung ausgenommen. Im Gegenzug durften die Muslime in West-Thrakien bleiben. In der Heimat verbleibende Griechen wie Türken (besser: Christen und Muslime) waren für jede Seite praktisch ein Faustpfand. Beide Seiten haben sich in der Folge allerdings gegenüber ihren Minderheiten nicht vertragskonform verhalten. Hinsichtlich der Türkei siehe dazu oben unter 3.31.
Die türkische Minderheit wurde stets mit Repressionen bestraft, wenn sich das Verhältnis Griechenlands zur Türkei verschlechterte, so z. B. durch die Cypern-Krise.
Im Vertrag von Lausanne wurde der muslimischen Minderheit der freie Gebrauch ihrer Religion, Sprache und Kultur zugesichert, ebenso die Einrichtung von türkisch-sprachigen Schulen und religiösen Einrichtungen. Die wenigen Schulen, an denen heute noch in türkischer Sprache unterrichtet wird, sind überfüllt und befinden sich in schlechtem Zustand. Türken, die ihr Studium in der Türkei absolvierten, wurden jahrelang nicht in den Schuldienst eingestellt, auch das Lehrmaterial ist veraltet, so dass die Qualität des Unterrichts unbefriedigend ist.. Allein seit 2010 wurden 60 türkische Grundschulen geschlossen. Heute müssen 12.000 türkischsprachige Kinder die griechischen Staatsschulen besuchen. Die Gründung zweisprachiger Kindergärten wurde der türkischen Gemeinschaft untersagt. Aufgrund der Nähe zur Türkei sind die Türken im Unterschied zu anderen Minderheiten allerdings in einer bevorzugten Lage, da sie ohne Probleme türkische Fernseh- und Radio-Sendungen empfangen können und Besuche in der Türkei ohne größere Probleme möglich sind.
Aufgrund von Artikel 19 des griechischen Zivilgesetzbuches wurde zwischen 1955 und 1998 ca. 60.000 West-Thrakien-Türken, die dort seit Jahrhunderten heimisch sind, die griechische Staatsbürgerschaft entzogen, wenn sie das Land z.B. wegen Arbeitssuche verließen.
Auf Druck der EU wurde am 11. 6. 1998 dieser diskriminierende Artikel 19 abgeschafft, allerdings nicht rückwirkend, so dass es nach Schätzungen von Human Rights Watch heute noch 1.000 bis 4.000 Staatenlose in Griechenland gibt, die ethnische Türken, Pomaken oder Roma sind und in sozialen Belangen stark benachteiligt werden.
Auch die garantierte religiöse Autonomie wurde in der Vergangenheit durch griechische Regierungen immer wieder eingeschränkt. So werden die von der jeweiligen Gemeinde gewählten Muftis schikaniert und stattdessen setzt der Staat ihm genehme Muftis ein. So gibt es in vielen Gemeinden zwei Muftis, ein Mufti, der vom Staat ernannt wird und ein zweiter Mufti, der von der Gemeinde vor Ort erwählt wurde. Prozesse gegen diese Handhabung wurden verzögert oder abgewiesen.
Aufgrund der Repressalien und der schlechten rückständigen wirtschaftlichen Situation in West-Thrakien sind viele Balkantürken in die Türkei und nach Deutschland ausgewandert. Der Vize-Ministerpräsident der Türkei, Hakan Çavuşoğlu, stammt aus West-Thrakien. In Deutschland leben heute geschätzt 25.000 West-Thrakien-Türken, die hier als Griechen registriert sind. Ihre Interessen vertritt die Föderation der Westthrakien-Türken mit Sitz in Witten. Es ist ein Dachverband von Vereinen der in Deutschland und England lebenden West-Thrakientürken.
Mehrmals hat der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg Athen verurteilt – aber die Kritik perlt an allen Regierungen ab und die aus Urängsten und Feindbildern gespeiste Politik wird fortgesetzt. Alle Minderheitenorganisationen – so auch die West-Thrakien-Türken -fordern eine entschiedenere Haltung der EU zu den Problemen und Benachteiligungen ihrer Volksgruppe und erwarten auch von Deutschland entsprechende Unterstützung.[26]
Vor dem Bevölkerungsaustausch Anfang der 1920er Jahre lebten auf den Inseln Rhodos, Kos und den Dodekanes-Inseln viele ethnische Türken. Soweit sie christlichen Glaubens waren, wurden sie nicht ausgewiesen. Der Kultur- und Solidaritätsverein der Türken auf Rhodos, Kos und den Dodekanes-Inseln verfolgt das Ziel, die kulturelle Identität und Traditionen der türkischen Gemeinschaft zu bewahren, insbesondere durch das Erlernen der Muttersprache, was bis 1972 möglich war. Die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) verabschiedete auf ihrer Delegiertenversammlung am 20. Mai 2017 in Cluj / Klausenburg, Rumänien eine entsprechende Resolution an die griechische Regierung.[27]
6.2 Pomaken
Pomaken sind Südslawen – eng verwandt mit den Bulgaren, die unter der langen osmanischer Herrschaft im Süden des Balkans zum Islam übergetreten sind. Ihre Sprache gehört zum balkanslawischen / bulgarischen Zweig der südslawischen Sprachen. Während der ca. 500 Jahre langen Herrschaft der Osmanen auf dem Balkan lebten sie oft getrennt von den christlich-orthodoxen Slawen, was auch gewisse Auswirkungen auf ihre Sprache hatte.
Als Muslime haben sie ein ähnliches Schicksal wie die Bosniaken und Torbeschen in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Sie leben vorwiegend in den Gebirgen und Tälern im Süden Bulgariens und im Nordosten Griechenlands. Ihre Zahl wird in Bulgarien auf ca. 200.000 bis 250.000 geschätzt, in Griechenland auf ca. 33.000 bis 40.000. Außerdem leben noch Pomaken in der Türkei, über die es keinerlei zuverlässige Informationen gibt. Pomaken waren nach dem Ende des Osmanischen Reichs stets Spielball der verschiedenen nationalen Interessen der Länder Bulgarien, Griechenland und Türkei. In Bulgarien sind sie nicht als Minderheit anerkannt, weil sie wegen ihres bulgarischen Dialekts als Bulgaren gelten. Aufgrund ihres muslimischen Glaubens werden sie in Griechenland offiziell als Minderheit anerkannt, allerdings als religiöse, nicht als ethnische Minderheit.(s.o.)
Die in Griechenland lebenden Pomaken waren aufgrund der griechischen Minderheitenpolitik einem besonderen Druck des Staates ausgesetzt, was sich auch auf ihre Identität ausgewirkt hat. Von der Türkei und den Türken West-Thrakiens werden sie als türkische Minderheit vereinnahmt, zumal sie als Muslime die von türkischen Imanen geleiteten Moscheen besuchen. Auch den Kindern der Pomaken steht nur der Schulbesuch in einer Schule mit griechischer und/oder türkischer Unterrichtssprache offen. Hinzu kommen schlechte Erfahrungen mit der bulgarischen Besatzung in den beiden Weltkriegen.
So verwundert es nicht, dass viele Pomaken ein problematisches Verhältnis zu ihrer Identität haben. Ein großer Teil bezeichnet sich als Türken, manche nur als Muslime und in jüngerer Zeit gibt es auch eine kleine Bewegung, die sich für die Anerkennung der Pomaken als eigenständige Minderheit einsetzt. Bulgaren wollen sie aber keinesfalls sein, obwohl ihre Sprache tatsächlich ein bulgarischer Dialekt ist und jeder Pomake keine Schwierigkeiten hat, sich mit einem Bulgaren zu verständigen. Der Kontakt zur pomakischen Volksgruppe in Bulgarien war während des kalten Kriegs vollständig unterbrochen, ist nach dem Umschwung in Bulgarien aber wieder möglich. Seit dem Beitritt Bulgariens zur EU wurde 2010 auch ein neuer Grenzübergang zwischen Xanthi und Zlatograd auf bulgarischer Seite geschaffen, der von den Pomaken auf der griechischen Seite auch emsig genutzt wird, da viele Waren in Bulgarien preislich günstiger als in Griechenland zu kaufen sind. Sprachprobleme gibt es dabei nicht, allerdings hat dieser Kontakt bisher nicht zu einem engeren Verhältnis der durch eine Grenze getrennten Volksgruppe und einem Zusammengehörigkeitsgefühl geführt.
Um in diesem Umfeld zurecht zu kommen, sind fast alle Pomaken dreisprachig (Pomakisch als Muttersprache und dazu griechisch und türkisch). Cyrill Stieger schildert in seinem Buch „Wir wissen nicht mehr, wer wir sind“ sehr eindrucksvoll diese zwiespältige Haltung der Pomaken zu ihrer eigenen Identität.[28]
Hinzu kommt der politische Druck durch die griechischen Regierungen, der je nach Situation wechselte. Im Zeitalter des kalten Krieges fürchtete man den Einfluss des kommunistischen Bulgarien und behandelte die Pomaken als Türken, trieb sie damit in die offenen Arme der türkischen Minderheit, die sie ihrerseits vereinnahmten. Nach der Wende Anfang der 1990er Jahre förderte Athen zeitweise die Anhänger einer eigenen pomakischen Identität, da die Gegensätze zur Türkei nun im Vordergrund der Politik standen. Man unterstützte sogar die Schaffung einer eigenen pomakischen Schriftsprache und es wurden tausende Lehrbücher auf Pomakisch gedruckt, allerdings mit griechischen Schriftzeichen, die für eine slawische Sprache nicht gut geeignet waren. Nach einer neuen Annäherung an die Türkei wurden die Bücher aber nicht für den Unterricht in den Minderheitsschulen zugelassen, sondern es bleibt bei griechisch und türkisch. Das sahen die Pomaken wiederum als Versuch einer Hellenisierung an, zumal an den höheren Schulen fast ausschließlich christliche Griechen als Lehrer unterrichten. Auch gibt es in Griechenland keine Radio- oder Fernsehsendungen auf Pomakisch, allerdings kann man bulgarische Sender empfangen.
Hinzu kommt die schlechte wirtschaftliche Lage der pomakischen Dörfer in dieser Randregion, die lange Zeit militärische Sperrzone war. Die wirtschaftlichen und sozialen Nachteile treiben die Pomaken dazu, entweder in griechische Städte oder ins Ausland abzuwandern. Viele Männer arbeiten in Deutschland, vor allem auf Werften.
Diese Lage und das politisch/religiöse Umfeld führte bei einer Analyse von "euromosaic" zu dem Urteil, dass die pomakische Sprache in Griechenland nur als "begrenzt" bzw. sogar als "nicht überlebensfähig" eingestuft werden müsse.[29]
6.3 Slawo-Mazedonier
Bis zum Ende des ersten Weltkriegs lebten in der heutigen griechischen Region Mazedonien etwa gleich viele Slawen wie Griechen. Nach dem Abkommen zwischen Bulgarien und Griechenland über einen Bevölkerungsaustausch von 1919 verblieb nur eine kleine Minderheit von Slawo-Mazedoniern in Griechenland. Siehe dazu die ausführliche Beschreibung der historischen Entwicklung in meinen Post Mazedonier, historische Region - und hier insbesondere den Abschnitt 5.2 Ägäisch Mazedonien.
Die verbliebene Minderheit lebt vorwiegend im Norden der griechischen Region Makedonien im Distrikt Florin ( griechisch: Lerin). Sie wurde und wird von allen griechischen Regierungen nicht anerkannt. Diese Ablehnung und das griechische Unbehagen über die Entstehung eines unabhängigen (Nord-)Mazedonien ist auf tief sitzende Ängste und uralte Befürchtungen zurückzuführen, die in der Besatzungszeit im 2. Weltkrieg und den darauf folgenden Bürgerkrieg begründet sind. Im Bürgerkrieg hatten viele Slawo-Mazedonier mit den kommunistischen Rebellen kooperiert, in der Hoffnung auf eine Anerkennung ihrer Volksgruppe. Auf griechischer Seite gab es jedoch Befürchtungen hinsichtlich einer Annexion der Region durch Bulgarien und/oder Jugoslawien. Diese Annexions-Ängste wurden in der griechischen Geschichtsschreibung umfassend untermauert. Mit dem Ende des Bürgerkriegs flohen viele Slawen nach Bulgarien oder Jugoslawien, was die slawische Minderheit erneut schwächte. Umso mehr wurde die verbliebene slawische Minderheit von allen griechischen Parteien als nicht existent angesehen und alle Versuche von Seiten der slawo-mazedonischen Minderheit unterdrückt, ihre Sprache und Identität zu wahren. In der Zwischenkriegszeit wurde ein Gesetz erlassen, welches verlangte, alle Orte, Flüsse und Eigennamen, welche nicht der griechischen Sprache entsprachen, zu ändern. Inoffiziell besteht dieses Gesetz noch heute. 1981 gab es eine interne Anweisung der griechischen Regierung, die slawischen Makedonier in den südlichen Teil Griechenlands umzusiedeln. Wie viele Slawo-Mazedonier davon betroffen waren ist nicht bekannt.
Um überleben zu können, passte man sich der griechischen Umgebung an. Kinder konnten nur in griechische Schulen gehen und konnten daher in der Folge oft nicht mehr in der Sprache ihrer Eltern kommunizieren. Auf Grund der griechischen Repressionen haben die Slawo-Mazedonier in Griechenland – ähnlich wie die Pomaken – Probleme bei ihrer Selbstdefinition. Viele sehen sich inzwischen als reine Griechen; andere sagen, dass sie lediglich besondere kulturelle Eigenschaften haben, und ein kleiner Teil definiert sich ausdrücklich als Slawo-Mazedonier und bekennt sich bei Wahlen zur Regenbogenpartei. (siehe weiter unten)
Trotz dieser negativen Voraussetzungen und der offiziell restriktiven griechischen Minderheiten-Politik zeichnen sich in jüngster Zeit seit 1989 aber auch einige positive Entwicklungen ab. Immer mehr ethnische Makedonier bekennen sich wieder zu ihrem Volk und erlernen die Sprache ihrer Eltern. 1995 wurde die Partei „Vinozito“(deutsch:Regenbogen) gegründet, deren Büro kurz nach der Gründung von griechischen Extremisten in Brand gesteckt wurde. Die Partei organisiert auch Kulturveranstaltungen, die inzwischen genehmigt werden. Vinozito gab auch ein makedonisch-griechisches Wörterbuch heraus und setzt sich dafür ein, dass Kinder aus makedonischen Familien in der Schule Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Bisher sind die Erfolge dieser Partei bei Wahlen allerdings bescheiden. Dabei vermeiden sie nach Möglichkeit Kontakte nach Nord-Makedonien, um keine Angriffsflächen zu bieten. Sie erhält aber Unterstützung von Diaspora-Organisationen z. B. aus den USA und Kanada. Durch das Abkommen mit Griechenland zur Namensänderung hat sich im übrigen Nordmazedonien ausdrücklich verpflichtet, alles zu unterlassen, was als territorialer Anspruch hinsichtlich Griechisch-Mazedonien verstanden werden kann. [30]
Als positiv ist zu beobachten, dass an der Grenze zu Nord-Mazedonien und dem nahen Bitola große Dorffeste mit slawischem Charakter veranstaltet werden und man sich als „Makedonas“ versteht, obwohl man teilweise die Sprache der Eltern nicht mehr sprechen kann. Deshalb sind Zahlenangaben zur slawischen Minderheit in Griechisch-Mazedonien auch sehr schwankend – je nach Quelle zwischen ca. 10.000 und 150.000 bis 200.000
6.4 Albaner, Arvaniten
Die albanische Volksgruppe in Griechenland ist aus geschichtlichen und geographischen Gründen keine Einheit und besitzt aufgrund dessen auch keine verbindende Identität, weder untereinander noch mit dem Mutterland Albanien.
● Die zahlenmäßig größte Gruppe ist zugleich die Gruppe mit der am weitesten fortgeschrittenen Assimilation und Identifikation mit den Griechen. Es handelt sich um die sogenannten Arvaniten, die bereits ab dem 13. Bis 15. Jahrhundert auf Einladung griechischer Herrscher vor allem nach Südgriechenland eingewandert sind. Sie siedelten in etwa 300 Orten in Böotien, Attika, einigen Ägäisinseln und auf dem Pelepones. Ihre Sprache heißt ursprünglich „arbërisht“, wird inzwischen aber auch von ihren Sprechern mit der griechischen Bezeichnung „arvanitika“ benannt. Sie gehört zum toskischen Subdialekt des Albanischen und hat beträchtliche Bestandteile aus dem Griechischen und verschiedenen griechischen Dialekten übernommen. Diese Sprache scheint jedoch kaum überlebensfähig, weil sie nie gefördert wurde und da sich die Arvaniten besonders in den letzten Jahrzehnten immer mehr dem Griechentum angepasst haben und sich als orthodoxe Christen ohnehin dem Griechentum zugehörig fühlen. Die Zahl der Arvaniten wird auf 25.000 bis 200.000 geschätzt ihre Sprecher sind aber alle zweisprachig mit der Tendenz zum einsprachigen Griechisch. Es gibt zwar arvanitische Vereinigungen, die sich aber im wesentlichen auf die Pflege ihrer Bräuche, Sitten und Folklore beschränken und selbst bewusste Arvaniten sehen sich nicht als eine ethnische Minderheit, sondern als Teil des griechischen Volkes. Daher gilt das Arvanitika als eine der bedrohten Sprachen Europas.
● Eine zweite relativ kleine albanische Gruppe lebt im Dreiländereck Griechenland/Bulgarien/Türkei im Bereich der Stadt Florina. Sie sind der Rest einer bis 1923 noch größeren albanischsprachigen Bevölkerung in diesem Bereich. Es gibt zwar noch Albanischsprecher, aber auch hier ist eine ähnliche Entwicklung wie bei den Arvaniten zu beobachten.
● Das geschichtliche Epirus wurde durch die Londoner Konferenz 1913 zwischen Albanien und Griechenland geteilt. In einem Küstenstreifen des seitdem zu Griechenland gehörenden Süd-Epirus, der sogenannten Tschameria, lebt die albanischsprachige Volksgruppe der Çamen (griech. Tsamides). Im Gegensatz zu den beiden vorstehenden Gruppen waren die Çamen stets ein Teil des historisch und sprachlich geschlossenen albanischen Sprachraums und hatten / haben ein ethnisch-albanisches Bewusstsein.
Als die Tschameria 1913 zu Griechenland kam lebten dort ca. 160.000 Albaner, überwiegend muslimischen Glaubens. Obwohl der Vertrag von Lausanne keine Bestimmung hinsichtlich der albanischen Bevölkerung enthielt, erklärte Griechenland 1923 ca. 60.000 muslimische Albaner zu Türken und wies diese nach Anatolien aus. Auch die verbliebene albanische Bevölkerung wurde diskriminiert und drangsaliert, so dass weitere Çamen nach Albanien flohen/auswanderten. Nach einer griechischen Statistik von 1937 lebten in der Tschameria noch 92.400 albanische Einwohner, davon 59.400 orthoxe Christen und 33.000 Muslime. Auf Grund der angeblichen Kollaboration mit den italienischen und deutschen Besatzungstruppen im 2. Weltkrieg wurden nahezu alle verbliebenen muslimischen Albaner 1944/45 von griechischen Truppen kollektiv nach Albanien vertrieben.
Die verbliebenen christlichen Çamen werden entsprechend der griechischen Minderheitenpolitik nicht anerkannt. Sie halten sich politisch zurück und artikulieren sich nicht öffentlich, pflegen aber im privaten Umfeld ihre Sprache und Tradition. Nach dem politischen Umbruch von 1990 gab es sowohl in Griechenland, als auch in Albanien wieder nationalistische Stimmen, die Nord-Epirus für Griechenland und Südepirus für Albanien beanspruchten. Von albanischer Seite gab es auch Forderungen nach Rückkehr bzw. Entschädigung für die aus Süd-Epirus vertriebenen Çamen.
Im Zuge des Wunsches von Albanien, als Beitrittskandidat zur EU anerkannt zu werden, hat Albanien inzwischen auf jeglichen Einfluss hinsichtlich der albanischen Minderheit in Griechenland verzichtet, um kein Veto Griechenlands zu provozieren.
● Schließlich muss noch erwähnt werden, dass Anfang der 2000er Jahre und im Zusammenhang mit einem Bauboom zu den Olympischen Spielen in Athen 2004 eine große Zahl von Albanern als günstige Arbeitskräfte nach Griechenland kamen, und Familienangehörige nachzogen. Nach der Volkszählung von 2011 lebten 471.000 Migranten aus Albanien in Griechenland**, ein Teil davon wiederum sind ethnische Griechen aus der griechischen Minderheit in Nord-Epirus. Nach dem Niedergang der griechischen Wirtschaft im Zuge der internationalen Finanzkrise ist zwar ein großer Teil wieder nach Albanien zurückgekehrt, ein nicht unbeträchtlicher Anteil ist jedoch in Griechenland verblieben.[31]
6.5 Aromunen / Vlachen und Meglenorumänen
Über die Situation der Aromunen / Vlachen und der Meglenorumänen in Griechenland berichtet mein Post 2.23 Rumänen, romanische Volksgruppen auf dem Balkan und dort insbesondere die Abschnitte 3.311 Aromunen in Griechenland und 3.321 Meglenorumärumänen
6.6 Roma
Erste Berichte über Roma in Griechenland gibt es bereits aus dem 11. Jahrhundert, sie lebten vor allem auf dem Peleponnes und auf verschiedenen Inseln. Davon sind ab dem 15. Jahrhundert viele in Richtung Mitteleuropa weitergezogen. Siehe meinen Post https://euro-ethnien.blogspot.com/2013/01/3100-roma-und-sinti.html Im 19. Jahrhundert wanderten Romagruppen aus Moldawien ein und im 20. Jahrhundert wurden christliche Roma zusammen mit den Griechen aus der Türkei nach Griechenland vertrieben bzw. ausgesiedelt.
Heute muss man bei den in Griechenland lebenden Roma zwischen den muslimischen Roma in West-Thrakien und den über ganz Griechenland verteilten meist christlichen Roma unterscheiden. Die muslimischen Roma in West-Thrakien sind gemeinsam mit den Türken und Pomaken als religiöse Minderheit geschützt, sind in dieser Konstellation aber in einer doppelten Minderheitenrolle. Sie werden einerseits von den Türken vereinnahmt, andererseits aber auch von den Türken nicht als eigenständige Volksgruppe anerkannt. Viele dieser muslimischen Roma bezeichnen sich als Türken. Ihre Umgangssprache war ursprünglich Romani, das noch von einigen beherrscht wird. Inzwischen spricht die Mehrheit dieser Gruppe verschiedene türkische Dialekte als Muttersprache. Aufgrund dieser Situation ist die Anzahl der Roma innerhalb der muslimischen Minderheit Westthrakiens schwer zu bestimmen, da sie stets als Türken mitgezählt werden. Schätzungen gehen von ca. 10.000 aus. [32]
Im übrigen Griechenland gibt es verschiedene Roma-Gruppen wie rumelische Roma (rumelijake Roma), walachische Roma (Kalpazarja), Cergari (Ficirja), Arlije, rumänische Roma und Handurja, die aus der Türkei über Bulgarien einwanderten.
Angaben über die Zahl der in Griechenland lebenden Roma schwanken zwischen 160.000 und 300.000. Die Schätzungen schwanken, weil viele griechische Roma mittlerweile als "sozial angepasst" gelten, sich ein bürgerliches, wenn auch bescheidenes, Leben aufgebaut haben und mitunter sogar ihre Herkunft verschweigen würden. Der große Anteil der Roma lebt hingegen in bitterster Armut, sie sind meist Analphabeten und leben in Ghettos oder Slum-Siedlungen am Rande der Städte, oft unter prekären Verhältnissen. Sie finanzieren sich meist mit saisonalen Arbeiten, durch Sozialhilfe oder Bettelei, die Mehrheit der Haushalte muss mit Einkommen unter der Armutsgrenze auskommen.
Bis zum Ende der Militärjunta 1974 wurden viele Roma nicht einmal als griechische Staatsbürger anerkannt, sondern erhielten Ausweispapiere, die sie als „Staatenlose mit Zigeunerherkunft“ bezeichneten. Trotz inzwischen erfolgter Anerkennung als Staatsbürger, hat sich ihre Situation nur wenig verbessert.
In den zurückliegenden Jahrzehnten hat es verschiedene Programme griechischer Regierungen und EU-Subventionen gegeben, um die Situation, insbesondere die Wohn- und Bildungssituation der Roma zu verbessern, doch ein Großteil der Hilfsgelder wurde offenbar fehlgeleitet und verschwand durch Korruption und Misswirtschaft. Vertreter der Roma kämpfen bisher mit geringem Erfolg gegen diese Missstände an und stellen dabei fest, dass sie sich in einem Teufelskreis befinden: Weil sie nicht lesen und schreiben können, kommen sie aus diesem Teufelskreis nicht heraus, werden sie benachteiligt und müssen leiden, bleiben arm. [33]
Auch auf Cypern leben nach Schätzungen ca. 500 – 1000 Roma. Die meisten davon leben im türkischen Norden. Es gibt keine Angaben zum Sprachgebrauch.
6.7 Karamanli
Als Karamanlıs wird eine Volksgruppe bezeichnet, die ursprünglich in Anatolien ansässig war und ein osmanisch geprägtes Türkisch mit griechischen Lehnwörtern spricht. Unklar unter Wissenschaftlern ist, ob es sich um türkisierte Griechen handelt, die ihren christlich-orthodoxen Glauben beibehalten haben, oder um Türken, die zum Christentum übergetreten sind. Aufgrund des Lausanner Vertrags von 1923 und des dabei vereinbarten Bevölkerungsaustauschs mussten auch ca. 60.000 Karamanlıs aufgrund ihres Glaubens ihre Heimat in Anatolien verlassen, obwohl sie die griechische Sprache nicht beherrschten. Nur wenige Karamanlıs verblieben in der Türkei.[34]
Ähnlich erging es vielen Muslimen mit griechischer Muttersprache, die aus Griechenland in die Türkei umgesiedelt wurden. Ein Journalist der Neuen Zürcher Zeitung machte auf zwei Reisen zwei ähnliche Beobachtungen. In dem Dorf Krinides nahe dem antiken Philippi im Norden Griechenlands hörte er, wie der Grossvater mit seinem Enkelkind auf dem Schoss sprach Türkisch sprach. Einige Zeit hörte er in einer Bank an der türkischen Westküste, wie sich eine junge Bankangestellte mit einem Mädchen in griechischer Sprache unterhielt. In beiden Fällen handelte es sich um Menschen, die aus ihrer ursprünglichen Heimat vertrieben worden waren, bzw. deren Nachkommen.[35]
Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks ist bei der jüngeren Generation inzwischen eine weitgehende Assimilation erfolgt, so dass die Karamanlıca-Mundart sowohl in Griechenland als auch in der Türkei vom Aussterben bedroht ist.
6.8 Resümee Minderheitenfragen
Zusammenfassend muss man feststellen, dass die „Kleinasiatische Katastrophe“ (siehe oben) bei den Griechen nach wie vor lebendig ist und dieser Teil der griechischen Geschichte nie aufgearbeitet und bewältigt wurde. Deshalb ist die griechische nationale Identität massgeblich am türkischen Feindbild ausgerichtet. Für den Verlust der „Ionischen Vision“ eines großhellenistischen Reiches betrachtet man das verbliebene griechische Territorium als ethnisch-national geeint und verschließt die Augen vor der Realität der vorhandenen ethnischen Minderheiten, ja man unterdrückt alle Bestrebungen, diese auch nur zu erwähnen. Es bleibt die Vision, dass durch den Druck aus der EU oder eine fortschreitende europäische Einigung - auch in Rechts- und Minderheitenfragen – ein entspanntes Verhältnis der Griechen zu ihrer Geschichte, ihren Minderheiten und ihrem Nachbarn Türkei eintritt.
Anmerkungen/Fußnoten
[15]http://www.nzz.ch/article7L7PP-1.484235 Ein unbewältigtes
Trauma der neueren griechischen Geschichte - Die
«Kleinasiatische Katastrophe» und Prof. Dr. Rudolf Grulich: "Christliche Türken und Gläubige des Ökumenischen Patriarchats Konstantinopel in Deutschland" - Veröffentlichung von Kirche in Not Deutschland
[28] Cyrill Stieger: „Wir wissen nicht mehr, wer wir sind“, Bundeszentrale für politische BildungBand 102929, Bonn 2018, S. 151ff und Auszüge unter https://www.nzz.ch/articleEMOLV-1.80078
[29] http://www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html und eeo.aau.at › wwwg.uni-klu.ac.at Klaus Steinke: Pomakisch
[30] Adamantios Skordos: „Griechenlands
Makedonische Frage“ in Moderne Europäische Geschichte Band 2,, Wallstein
Verlag, Gottingen 2012 -
[32]https://de.wikipedia.org/wiki/Westthrakientürken
[33] http://www.burgenland-roma.at/index.php/roma-in-europa/griechenland und https://www.dw.com/de/griechische-roma-arm-und-ausgegrenzt/a-17203696 und https://cafebabel.com/de/article/griechenland-die-kleine-maria-und-die-bosen-medien-5ae00aabf723b35a145e69cc/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen