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Ungarn in der Ukraine (Karpaten-Ukraine)
1. Vorwort
– Einführung
Seit dem Jahr 2014 sind alle Blicke
der Weltöffentlichkeit auf den Osten der Ukraine gerichtet und man verfolgt mit
Spannung, ob es gelingt einen Kompromiss zwischen der Kiewer Regierung und den
von Russland unterstützen Rebellen in der Don bass-Region zu finden. Eine Lösung des Problems kann m. E.
nur in einer Föderalisierung der Ukraine liegen. (siehe dazu meinen Post 2.320 Ukrainer – ukrainisch - Ukraine).
Dabei wird im Westen oft übersehen,
dass die Ukraine ein in vielerlei
Hinsicht gespaltenes Land ist. Im Westen des Landes leben z. B. in der Region
Transkarpatien (Oblast Transkarpatien, auch Karpato-Ukraine, Karpaten-Ukraine)
ca. 160.000 Ungarn in einem schmalen Streifen Land, den Ungarn nach dem 1.
Weltkrieg an die neu gegründete Tschechoslowakei und nach dem 2. Weltkrieg an
die Sowjet-Union bzw. die Teilrepublik Ukraine abtreten musste.
Bei einem
Besuch des ungarischen Außenministers János Martonyi Anfang August 2014 in
Transkarpatien sicherte der Außenminister den dort lebenden Magyaren die volle
Unterstützung der ungarischen Regierung
zu und legte dar, dass es der beste Weg zur Konfliktlösung wäre, die ukrainischen Verfassung zu ändern und
eine Dezentralisierung des Landes festzulegen. Nur so könne die Ukraine auf
eine stabile Basis gestellt werden, sagte auch László Brenzovics, ein
Wortführer der ungarischen Minderheit, denn die Ukraine habe „keine Zukunft als
Zentralstaat“.[1]2. Lage und Zahlen
Die Lage des Gebietes Transkapatien in
der Ukraine ist aus der nachstehenden Karte zu ersehen:
Die Karpaten-Ukraine grenzt an
Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen. Es handelt sich traditionell um ein
multiethnisches Gebiet mit heute etwa 1,3 Millionen Einwohnern, davon ca.
600.000 Ukrainern, ca. 400.000 Russinen (auch als Ruthenen bezeichnet, die aber
von der ukrainischen Regierung nicht als eigene Nationalität anerkannt und den
Ukrainern zugerechnet werden) und ca.
160.000 Ungarn (offiziell lt. Volkszählung von 2001 151.500 = 12,1 % der
Bevölkerung). Hinzu kommen ca. 40.000
Rumänen, 30.000 Russen, 14.000 Roma, 5.600 Slowaken und ca. 3.000 Karpaten-Deutsche.
Vor dem 2. Weltkrieg lebten hier fast 100.000 Juden, von denen nur ein kleiner
Teil den Holocaust überlebte.[2] Zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen
Doppelmonarchie errechneten Landvermesser hier den geografischen Mittelpunkt
Europas. Heute ist Transkarpatien eher eine Randregion, nur einen Steinwurf vom
Europa der EU getrennt und dennoch hinter einer Grenze, die trennt aber auch
für manche letzte Möglichkeit zum Gelderwerb ist.[3]
Ethische Ungarn wohnen in
Transkarpatien in ca. 130 Gemeinden und stellen in 80 davon die
Bevölkerungsmehrheit.[4]
3. Geschichte
Die wechselvolle Geschichte von
Transkarpatien bringt ein Mitglied der dortigen ungarischen Minderheit auf
folgenden kurzen Nenner: „Mein Großvater hat sein Leben lang in demselben Dorf
gewohnt und dabei in 5 verschiedenen Staaten gelebt.“[5]
Bis zum ersten Weltkrieg gehörte
dieses Gebiet zum ungarischen Teil der österreichisch-ungarischen
Doppelmonarchie. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Transkarpatien im Friedensvertrag
von Trianon der neu gebildeten Tschechoslowakei zugesprochen.[6] Tatsächlich lebten hier laut Volkszählung
1930 nur 34.500 Tschechen und Slowaken, das waren 4,76% der Gesamtbevölkerung,
gegenüber 115.805 (=15,6%) Ungarn. Auf den als ungerecht empfundenen Frieden
von Trianon reagierten die Ungarn mit
einer Politik des Revisionismus, die sie an die Seite des
nationalsozialistischen Deutschland führte, das gleichgelagerte Ziele
verfolgte. Nachdem Hitler im Münchener Abkommen vom 29. 9. 1938 das Sudetenland
zugesprochen erhielt, verlangte Ungarn in einem Zusatzprotokoll, dass innerhalb
von drei Monaten in bilateralen Verhandlungen
auch die Frage der ungarischen Minderheit in der Slowakei und in
Transkarpatien gelöst werden müsse. Nachdem diese Verhandlungen für Ungarn
keine befriedigende Lösung erbrachten, erklärten sich sowohl Tschechoslowaken
als auch Ungarn damit einverstanden, dass sie sich einem Schiedsspruch der
Großmächte Deutschland und Italien beugen, nachdem Großbritannien und
Frankreich ihr Desinteresse bekundet hatten. Im Wiener Schiedsspruch vom 2. November
1938 wurden durch den deutschen Außenminister von Ribbentrop und den
italienischen Außenminister Ciano den Ungarn sowohl Gebiete in der Südslowakei
wie in der Karpato-Ukraine zugesprochen, die von Ungarn umgehend besetzt
wurden.(siehe folgende Karte)[7]
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Wiener_Schiedsspruch
Anschließend zogen ab
1941 Ungarn auch aus Transkarpatien in den Krieg gegen die Sowjet-Union.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Wiener_Schiedsspruch
Am Ende des 2. Weltkrieges stand
Ungarn wieder auf der Seite der Verlierer. Die Alliierten Siegermächte hatten
bereits während des Krieges die Wiener Schiedssprüche für null und nichtig
erklärt und demzufolge musste Ungarn
alle slowakischen Gebiete und Transkarpatien wieder räumen. In einem Vertrag
zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjet-Union wurde am 29. 6. 1945 vereinbart,
dass Transkarpatien an die Sowjet-Union bzw. die sowjetische Teilrepublik
Ukraine angegliedert wird. Damit gehörte auch die dortige ungarische Minderheit
nun zur Sowjet-Union, deren Machthaber viele Ungarn nach Sibirien deportierten.
Wer dort überlebte kehrte erst nach Stalins Tod zurück. Schließlich gehört die
ungarische Minderheit in Transkarpatien seit der Auflösung der Sowjet-Union
1991 nun zum unabhängigen Staat Ukraine.
4. Die Situation der Ungarn in der Ukraine – Perspektiven
Während
der Sowjetzeit wurden russische Beamte und Soldaten in Transkarpatien
angesiedelt, was eine massive Russifizierung zur Folge hatte. Die ungarische
Minderheit hat jedoch nach wie vor eigene Schulen, Vereine und Parteien und
seit 1996 können Ungarn an einer eigenen Hochschule wieder ein Studium in ihrer
Muttersprache abschließen. Dies ermöglicht der ungarische Staat, indem er
jährlich ca. 1 Million Dollar zur Aufrechterhaltung und Unterstützung
ungarischer Kindergärten, Schulen, Kulturvereine und der ungarischen
Universität überweist. Dennoch gehen viele ungarische Kinder auf ukrainische
Schulen und stehen in der Gefahr sich zu assimilieren.
Da
man in der Sowjetzeit schlechte Erfahrungen mit den Russen gemacht hat
unterstützten die ukrainischen Ungarn 2004 die Orangene Revolution von Wiktor
Juschtschenko und Julia Timoschenko, aber die neue Regierung hatte nicht das
geringste Interesse daran, den Regionalismus in Transkarpatien zu fördern, weil
sie fürchtete, dass dies wiederum den Osten autonomer machen würde. Deshalb
wurde überall, wo es ging, das Ukrainische zur Pflichtsprache erhoben - zum
Leidwesen der Minderheiten. Vertreter
der ungarischen Minderheit sind bisher von allen ukrainischen Regierungen
enttäuscht worden und erwarten nichts von diesem Staat. Als Wiktor
Janukowitsch, gegen den sich 2004 die "Orangene Revolution" gerichtet
hatte, nach Timoschenkos Wahlniederlage 2010 wieder als Präsident an die Macht
kam unterzeichnete er wenige Wochen vor den Parlamentswahlen vom 28. Oktober
2012 ein Gesetz, das Minderheitensprachen, die von mehr als 10 Prozent der
Bevölkerung eines Oblasts gesprochen werden, einen offiziellen Status einräumt.
Das war keine ungeschickte Strategie, um sich die Stimmen der Minderheiten zu
sichern und gleichzeitig die russischsprachigen Wähler zu mobilisieren. Am 24.
Dezember 2012 wurde das Gesetz vom transkarpatischen Regionalparlament
ratifiziert.[8]
Nach den Ereignissen auf dem Maydan in Kiew und den darauf folgenden
Umwälzungen und Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine kommen auch aus dem
Westen immer häufiger Forderungen nach einer Regionalisierung bzw.
Föderalisierung der Ukraine. Auch gibt es Widerstand gegen die Einberufung zum Krieg in der Ostukraine sowohl in den
ungarischen wie auch den rumänischen Minderheitsgebieten.[9] Der neuen Regierung
steht man reserviert gegenüber, weil das Revolutionsparlament das 2012 verabschiedete
Gesetz über die Minderheitensprachen wieder abgeschafft hat. Auf Drängen des
Westens wurde dieser Beschluss allerdings zunächst wieder ausgesetzt, die Unsicherheit
bei den Minderheiten aber bleibt.[10]
Viele
Angehörige der ungarischen Minderheit haben jedoch die Hoffnung auf eine
aussichtsreiche Zukunft in ihrer Region aufgegeben und wandern nach Ungarn aus.
Besonders Intellektuelle und Hochschulabsolventen der ungarischen Universität
verlassen das Land, da sie in der Ukraine mit ihrer Muttersprache wenig Chancen
haben. Der Wechsel nach Ungarn wird erleichtert, weil das ungarische Konsulat großzügig
ungarische Pässe an Angehörige der Minderheit ausgibt (siehe 2.330 Ungarn, Magyaren Pkt. 5
und 6 ), obwohl in der Ukraine
offiziell eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlaubt ist. Eine Positive
Entwicklung für die ungarische und andere Minderheiten in der Ukraine ist m. E.
nur dann möglich, wenn durch einen historischen Kompromiss das Land tatsächlich
in eine Föderation umgestaltet wird und dabei auch Transkarpatien für die verschiedenen Volksgruppen, also vor allem Ungarn, Russinen (Ruthenen) und Rumänen eine echte Selbstverwaltung erhält.
[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article125391995/Separatisten-warten-auch-im-Suedwesten-der-Ukraine.html
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Karpatenukraine
darin auch Angaben zur Verteilung der ethnischen Gruppen in den Jahren 1880,
1930 und 1989
[3]
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText.artikel,a0045.idx,11
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Magyaren
[5]
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText.artikel,a0045.idx,11
[6]
http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Trianon
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Wiener_Schiedsspruch
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krim-krise-ukraine-verzichtet-auf-umstrittenes-sprachengesetz-12826788.html
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