1. Lage und Zahlen
In
Österreich gibt es 6 anerkannte Sprachminderheiten, nach dem Volksgruppengesetz
von 1976 waren dies zunächst die Kärtner Slowenen, die burgenländischen Ungarn
und Kroaten und die Wiener Tschechen und Slowaken. Erst mit einer Ergänzung des
Volksgruppengesetzes im Jahre 1993 wurden durch einstimmigen Beschluss des
Nationalrats auch die österreichischen Roma und Sinti als Volksgruppe
anerkannt. Zunächst hatte man ihnen diesen Status nicht zugebilligt, weil sie
nicht in einem geschlossenen Siedlungsgebiet leben. Nun erkannte man aber an,
dass sie wie die anderen Volksgruppen die Voraussetzungen: österreichische
Staatsbürgerschaft, eigene Sprache und Kultur und langjährige Beheimatung in
Österreich erfüllen. Man schätzt die Mitglieder dieser anerkannten Volksgruppe in
ihren verschiedenen Ausprägungen (s.u.) heute auf 25000.
Nicht berücksichtigt sind
dabei weder die Roma-Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien, die nach Beginn
der Jugoslawien-Kriege 1990 und dem Kosovo-Krieg 1999 und darnach nach
Österreich kamen, noch die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien nach der
EU-Erweiterung und der Niederlassungsfreiheit dieser neuen EU-Bürger. Nach
Angaben der Medienservicestelle „Neue Österreicher/innen“ lebten 2012 insgesamt
40.000 Roma in Österreich, durch weiteren Zuzug von Roma aus Rumänien und
Bulgarien muss inzwischen von einer noch höheren Zahl ausgegangen werden.[1]
Bei
den Angehörigen der anerkannten Volksgruppe kann man nicht von einer homogenen
Gruppe ausgehen. Vielmehr muss man 5 große Gruppen unterscheiden, die oft sehr
unterschiedliche Merkmale und Eigenschaften aufweisen und die sich auch jeweils von den anderen Roma-Gruppen abgrenzen.
Es handelt sich um:
-
die Burgenland-Roma
-
die Sinti
-
die Lovara
-
die Vlach-Roma vom Balkan (Kalderas, Gurbet u.a.)
-
die muslimischen Roma vom Balkan (Arlije)
Weitere Hinweise zu
diesen Gruppen gebe ich im folgenden Abschnitt. Außerdem verweise ich auf den übergeordneten Post über 3.100 Roma und Sinti in Europa.http://euro-ethnien.blogspot.de/2013/01/3100-roma-und-sinti.html
2. Die verschiedenen Roma-Gruppen und ihre Sprache(n)[2]
Wie
schon bemerkt ist die Volksgruppe der Roma in Österreich sehr heterogen. Die
oben angeführten 5 Gruppen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer
Geschichte (Anwesenheit in Österreich), ihrer Romani-Sprachvarianten, der
Verwendung ihrer Muttersprache, als auch hinsichtlich ihrer sozio-kulturellen
und soziopolitischen Situation. Nachstehend ein Überblick über die
verschiedenen Gruppen:
a) Sinti in Österreich
Bei den Sinti handelt es sich um die Gruppe, die sich
am längsten im deutschen Sprachraum aufhält. Die älteste Urkunde von 1407, die
eine Anwesenheit von Zigeunern (damals noch als Tataren benannt) nachweist
befindet sich im Hildesheimer Stadtarchiv. In Deutschland sind die Sinti die
größte Roma-Gruppe und von dort, sowie vor allem aus Böhmen und Mähren sind sie
vor dem 1. Weltkrieg in das heutige Österreich eingewandert. Wie die deutschen
Sinti grenzen sie sich bewusst von den übrigen Roma ab. Von der Verfolgung und
dem anschließenden Genozid durch die Nazis waren sie dennoch besonders stark
betroffen, so dass sie nach dem 2. Weltkrieg erst langsam wieder Fuss fassen
konnten. Sie leben heute vor allem in Wien und den größeren Städten aller
Bundesländer – außer dem Burgenland. Vor allem in den Sommermonaten üben sie
noch den traditionellen mobilen Beruf des Altwarenhändlers aus.
Die von den Sinti gesprochene Romani-Variante ist
Sintitikes, das sehr stark vom Deutschen mitgeprägt ist. Allerdings sprechen
immer weniger Sinti in Österreich ihre Muttersprache, in der Regel sind nur
noch die Mitglieder der älteren Generation zweisprachig (Romani/Sintitikes –
Deutsch)
b) Burgenland-Roma
Burgenland-Roma sind ab dem Ende des 15. Jahrhunderts aus
Zentral-Ungarn in das heutige Burgenland eingewandert und sind damit die am
längsten im heutigen Österreich lebende Roma-Gruppe. Im 18. Jahrhundert wurde
durch Verordnungen unter Maria Theresia und JosephII angeordnet, dass die Roma
einen festen Wohnsitz haben sollten. Ziel war die völlige Assimilation, was
jedoch damals nur bedingt gelang. Seitdem stellen diese Roma im heutigen
Burgenland stets einen gewissen, wenn auch kleinen Bevölkerungsanteil. Die
Minderheit stand stets am Ende der sozialen Skala und war vor allem in
Nischenberufen tätig. Auch sie haben unter dem Genocid der Nazis sehr gelitten.
Ihre heutige Zahl wird auf 2500 bis 5000 geschätzt, wovon der größte Teil in
Oberwart und Umgebung lebt, einige Großfamilien auch im mittleren und
nördlichen Burgenland. Nach dem 2. Weltkrieg sind viele Burgenland-Roma nach
Wien und in andere ostösterreichische Städte abgewandert. Sie sind dort
inzwischen fast vollständig integriert und assimiliert. Deshalb besteht eine so
große Differenz bei den oben genannten Schätzzahlen. Die im Burgenland
verbliebenen haben oft nur die Wahl zwischen Assimilation und Ausgrenzung, denn
sie leben bis heute in der Regel in separierten Siedlungen an den Ortsrändern
Am 5. Februar 1995 erlangte Oberwart eine überregionale
traurige Beachtung, weil damals vier Roma durch die Rohrbombe eines
österreichischen Rassisten getötet wurden. Die vier Roma hatten versucht, eine
Plakette mit rassistischen Beschimpfungen („Roma zurück nach Indien“), die an
der Bombe angebracht war, zu entfernen.[3]
Auch bei den Burgenland-Roma spricht fast nur noch die
ältere Generation Burgenland-Romani, einem ebenfalls vom Deutschen stark
beeinflussten Romani-Dialekt. Dieser ist akut vom Aussterben bedroht. Erst in
jüngster Zeit gibt es auch einige Hoffnungszeichen. Die Gründung von
Roma-Vereinen, unterstützt auch von der jüngeren Generation, eine
Beratungsstelle in Oberwart und verschiedene soziale und kulturelle Aktivitäten
deuten eine Trendwende an.
c) Lovara
Der Name
Lovara ist vom ungarischen „lov“ für Pferdeführer oder auch Pferdehändler
abgeleitet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten Lovara aus
Zentral-Ungarn und der damals auch ungarischen Slowakei in das heutige Österreich
ein. Sie betätigten sich tatsächlich im Pferdehandel und darüberhinaus anderen
Nischenberufen, wie Teppich-, Altwaren- und Schrotthandel. Vom Nazi-Genozid
sind die Lovara ebenfalls sehr betroffen, wodurch die Gruppe nach 1945 nicht
mehr zum früheren Großfamilienzusammenhalt und zur Ausübung ihrer besonderen
Kultur zurückfand. Hinzu kamen die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen im
Nachkriegseuropa, wodurch die Ausübung ihrer mobilen Nischenberufe nicht mehr
gefragt war. Die Folge war eine Abwanderung aus ländlichen Gebieten – vor allem
des Burgenlands – nach Wien und in andere Großstädte.
Eine weitere
größere Gruppe der Lovara kam nach dem Ungarn-Aufstand 1956 als Flüchtlinge
nach Österreich. Sie wurden sofort nicht mehr in den traditionellen Berufen der
Lovara tätig, sondern vor allem in der Industrie in den Großstädten. Heute sind
sie wie auch die übrigen Lovara fast vollkommen in der Mehrheitsbevölkerung
integriert. Der Zusammenhalt in Großfamilien ging weitestgehend verloren und
traditionelle Werte und eine besondere Kultur werden kaum noch gepflegt.
Lediglich Einzelpersonen engagieren sich noch bei Vereins- und
Volksgruppen-Aktivitäten.
Aus
vorgenannten Gründen ist bei den Lovara ähnlich wie bei den Sinti und den
Burgenland-Roma fast nur noch die ältere Generation zwei- oder dreisprachig
Romani-Deutsch- und evtl. Ungarisch. (Romani in einer Variante der nördlichen
Vlach-Dialekte). Dabei ist das Lovara-Romani der Einwanderer des 19.
Jahrhunderts stärker von der deutschen Sprache beeinflusst als das der 1956
zugewanderten Flüchtlinge.
d) Vlach-Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien (Kalderaš, Gurbet)
Ab den 60er
Jahren des vorigen Jahrhunderts kam eine große Zahl von sogenannten
Gastarbeitern aus dem Süden Europas, so auch aus dem früheren Jugoslawien – vor
allem aus Serbien – nach Westeuropa und somit ebenso in das besonders nahe
gelegene Österreich. Darunter befanden sich auch viele Roma, deren Sprache zur
Gruppe der nördlichen Vlach-Dialekte gehört. Ihre Eigenbezeichnung Kalderaš
leitet sich von „ron căldărar = Kupferschmied“ ab. Sie fanden Arbeit als Bau-
und Metallhandwerker. Ihr Leben in Österreich verlief wie bei vielen anderen
Arbeitsmigranten: zunächst kommen sie als Gastarbeiter, wollen Geld verdienen
und dann in die Heimat zurückkehren. Statt dessen ziehen Frauen und Kinder
nach, z. T. auch weitere Verwandte, und die (Groß-)Familie wird in Österreich –
vor allem in Wien – heimisch. Vor allem die Kinder werden durch den Besuch
österreichischer Schulen schnell integriert und sind heute fast ausnahmslos
österreichische Staatsbürger. Kalderaš machen sich sehr häufig selbstständig
(z. B. im Gastgewerbe, im Altwaren- und Antiquitäten-Handel)
Trotz
scheinbar gelungener Integration und einem relativen Wohlstand ist jedoch ein
Gruppenzusammenhalt vorhanden. Es kommt zu häufigen Treffen in der Gruppe und
dabei werden traditionelle kulturelle Eigenheiten gepflegt. Bei Treffen von
Sippen und Großfamilien (Heiraten, Totenfeiern) werden Verbindungen auch über
Österreich hinaus aufrechterhalten und gefestigt, wobei auch Kinder und
Jugendliche eingebunden werden. Dabei sind die Kalderaš gegenüber der
Mehrheitsgesellschaft offen und aufgeschlossen. Die österreichischen Kalderaš
nehmen aktiv an öffentlichen Roma-Veranstaltungen teil, ihre Repräsentanten
sind primäre Träger des Wiener Vereins Romano Centro (http://www.romano-centro.org/).
Neben den
Kalderaš sind bis zum Ende des vergangene Jahrhunderts weitere Roma als
Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich gekommen und haben
eine ähnlich Entwicklung genommen. Es handelt sich um Roma, die zur Gruppe der
Gurbet gezählt werden. Sie stammen aus Mazedonien, Bosnien, Kroatien, Serbien
und der Vojvodina. Ihre Romani-Dialekte zählen zum Bereich Südvlach. Die
Bezeichnung kommt von „tur gurbet = fremd“.[4]
Kalderaš und
Gurbet sind vor allem (serbisch-)orthodoxen Glaubens, kroatische Roma sind
hingegen römisch-katholisch.
e) Arlije
Im Zusammenhang
mit der Gastarbeiter-Migration im vorigen Jahrhundert kommen auch Roma aus den
südlichen Bereichen des ehemaligen Jugoslawien, vornehmlich Mazedonien und dem
Kosovo, nach Österreich, die als Muslime in einer anderen Kulturtradition
stehen als die Kalderaš und Gurbet.
Die
Einwanderung erfolgt nach dem auch für die Kalderaš beschriebenen Muster und
ihr Lebensmittelpunkt einschließlich der Großfamilien hat sich mit den Jahren
nach Österreich verlagert. Die heute in Österreich lebenden Arlije sind in der
überwiegenden Mehrheit österreichische Staatsbürger. Im Gegensatz zu den
Kalderaš bleiben die Arlije in aller Regel in ihren Berufen und arbeiten
teilweise bis heute als Hilfsarbeiter in Fabriken oder am Bau, die Frauen als
Haushaltshilfen, Küchenhilfen und Reinigungspersonal in diversen Betrieben. Die
in Österreich geborenen bzw. aufgewachsenen Kinder der Einwanderergeneration schaffen
zum Großteil den sozialen Aufstieg durch bessere Ausbildung und sind heute als
Facharbeiter in verschiedensten Berufen tätig.
Der
Großfamilienzusammenhalt ist in der Regel noch gegeben, Kontakte mit Verwandten
im Herkunftsland sowie mit Mitgliedern der Großfamilien bzw. Sippen, die in
andere europäische Staaten - Deutschland, Schweiz etc. – werden gepflegt. Als
Muslime feiern die Arlije islamische Feste, an denen sich auch Angehörige aus
dem Ausland beteiligen, was wiederum der Weitergabe gruppenspezifischer
Konventionen förderlich ist. Ebenso wie die Kalderaš wird bei den Arlije innerhalb der Gruppe
geheiratet, was den Gruppenzusammenhalt über Staatsgrenzen hinweg gewährleistet
und die Tradierung kultureller Werte unterstützt.Die österreichischen Arlije sind heute ebenso "teilintegriert" wie andere vom Balkan eingewanderte "Gastarbeiter" und leben wie viele österreichische Arbeiterfamilien in relativem Wohlstand im Großraum Wien. Sie sind den „gadsche“, d.h. der Mehrheitsgesellschaft gegenüber offen, jedoch nur in geringem Maße an Volksgruppenaktivitäten beteiligt bzw. interessiert.
3. Weitere Entwicklung - Zuwanderung im Rahmen der EU-Erweiterung
Nach
dem Ende der kommunistischen Regime in Osteuropa zieht es weitere Roma-Familien
nach Westen und so auch nach Österreich. Damit wird eine neue Problematik der
„Armuts-Wanderung“ deutlich, die an anderer Stelle ausführlicher von mir
behandelt wird. Hier beschränke ich mich auf zwei Hinweise. Zunächst auf ein lesenswertes Buch des Journalisten
Norbert Mappes-Niediek „Arme Roma, böse Zigeuner“[5]
Weiter
möchte ich auf ein zweijähriges
EU-Kulturprojetk verweisen
(http://www.romanistan.net/Romanistan_de/Konzept.html), an dem die Länder
Deutschland, Österreich und Spanien beteiligt sind. Der in Wien lebende
Philosoph Ljubomir Bratić hat die Aufgabe eines wissenschaftlichen Beobachters
innerhalb dieses Projektes übernommen. Aus einem Interview mit ihm möchte ich
folgendes zitieren: „…. Die Anerkennung als Volksgruppe ist eine Einbeziehung
auf der niedrigste Intensitätsstufe der Gesellschaft. Dazu gehört, dass einige
AktivistInnen minderdotiert ihre Vereine führen dürfen, einige Intellektuelle
als Teil der medialen Welt implementiert werden, einige Familien zu
Vorzeigefamilien der öffentlichen Feierlichkeiten aufsteigen, und einige
dürfen sich in der Musik- und sonstigen Kunstszene als KünstlerInnen mit Roma
Hintergrund etablieren….
Es
bleibt die Frage: Was ist mit den Anderen? Denn neben den autochtonen Roma lebt
in Österreich eine viel größere Anzahl von Roma, die im Zuge der
Arbeitsmigration oder als Flüchtlinge während der Zerstörung Jugoslawiens aus
dem Kosovo gekommen sind und auch diejenigen, die aus Rumänien,
Bulgarien, der Slowakei usw. durch Übersiedlung der Armut zu entkommen versucht
haben. Für diese Gruppe wird - milde gesagt - nichts gemacht.“[6]
Außerdem
möchte ich abschließend nochmals auf das Projekt der Uni Graz hinweisen (Siehe
Anmerkung 4), dem ich wertvolle Hinweise verdanke.
[1] Dieter W.
Halwachs / Romani Projekt - http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/romani,
Salzburger Nachrichten v. 8.4.2012 und Pogrom 230 – 2/2005
[2] Bei der
Zusammenstellung habe ich vor allem folgende Quellen benutzt: Dieter W. Halwachs / Romani Projekt
ROMA UND ROMANI IN ÖSTERREICH
(http://www.pfz.at/documents/pdfs/2010/Halwachs.pdf),
http://de.wikipedia.org/wiki/Burgenland-Roma,
http://www.kv-roma.at (Kulturverein der
österreichischen Roma),
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Oberwart
[5] Ursprüngliches Buch vergriffen, Neuherausgabe durch
die Bundeszentrale für politische
Bildung , Bonn, Band 1385, siehe auch http://salzburg.orf.at/news/stories/2581107/
[6]
http://www.eu-infothek.com/article/roma-europa-ein-blick-aus-romanistan-auf-die-roma-strategie-2020
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