3.092 Dolomitenladiner


Die Dolomiten-Ladiner gehören zur Gruppe der rätoromanischen Völker, zu der auch die Rätoromanen/ Bündnerromanen in der Schweiz (s. 3.091) und die Friauler oder Furlaner im Nordwesten Italiens gehören.  Über die geschichtliche Entwicklung der rätoromanischen Völker bis hin zu ihrer Aufspaltung in die heutigen drei Restgruppen informiert mein  übergeordneter Post 3.09 Rätoromanen.
Dolomiten-Ladiner bewohnen heute den Bereich um das Sella-Massiv, dem heute zu Italien gehörenden südlichen Bereich von Tirol.

1.Siedlungsgebiet

Ihre Hauptsiedlungsgebiete sind:
Das Grödnertal (ladinisch Gherdėina) mit den Ortschaften St. Ulrich/ Urtijei, St. Christina in Gröden/ S. Crestina-Gherdeina,  Wolkenstein/ Selva  und drei Fraktionen der Gemeinde Kastelruth
Das Gadertal (lad.Val Badia) mit seinen Seitentälern und den Gemeinden Enneberg/ Mareo,  Badia / Abtei, Corvara, S. Martin in Thurn /  St. Martin de Tor und Wengen / La Val- . Manche Sprachforscher führen Enneberg als eigenständige Dialektgruppe. 
das Fassatal (lad. Fascia) mit den Gemeinden Canazei, Campitello, Mazzin, Moéna, Pozza, Soraga und Vigo. Das an das Fassatal anschließende Fleimstal ist hingegen inzwischen weitgehend  italianisiert
das Buchensteintal – ladinisch: Fodom mit der Gemeinde Livinallongo del Col di Lana, die die Orte Rèba / Arabba und La Pliè de Fodom / Pieve di Livinallongo umfaßt sowie der Gemeinde Colle Santa Lucia. In den Gemeinden Rocca Pietore, Selva di Cadore und Laste ist das ladinische jedoch kaum noch vorhanden .
das Talbecken von Ampezzo (lad. Anpezo) mit dem Hauptort Cortina d’Ampezzo

Diese 5 Siedlungsgebiete gehörten vor 1918 über Jahrhunderte zu Österreich bzw. Tirol. Das folgende Bild gibt einen Überblick über die ladinischen Gemeinden in den verschiedenen Tälern:


(Quelle: freiessuedtirol.wordpress.com - bearbeitet)

Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurde auch im oberen Vinschgau wie im benachbarten Graubünden noch rätoromanisch gesprochen. Siehe dazu meinen Post Rätoromanen/ Bündnerromanen in der Schweiz (s. 3.091) Abschnitt 4.1.

Außerhalb der Grenzen des alten Österreich bzw. Tirol, jenseits des Kreuzbergpasses, liegt das ladinische Gebiet des  Comelico mit den Hauptorten Padola, Dosoledo, Candide und  S. Stefano. Hier hat sich in jüngster Zeit wieder ein ladinisches Bewusstsein herausgebildet.

Man schätzt die Zahl aller Ladiner in den oben genannten Siedlungsgebieten auf ca. 30.000, wovon ca. 12.000 in der Provinz Bozen-Südtirol leben.
   


2. Sprache


Kommt man in ein ladinisches Dorf und hört den Gesprächen der Einheimischen zu, so glaubt man zunächst, alles verstehen zu können. Aber man versteht gar nichts. Trotzdem hat die Sprache ... einen märchenhaften Klang, der uns fasziniert. Er entspricht ganz der von Sagen und Geheimnissen umwobenen Herkunft und Sagenwelt der Ladiner[1]
Noch Anfang des 19. Jahrhunderts ordnete man die ladinischen Sprachen eher als einen Dialekt des Italienischen ein. So schreibt Staffler in seinem bekannten Werk im Jahre 1839:  Die Bewohner des Thales Ampezzo beobachten eine Mundart, welche mit jener des Friaul einige Aehnlichkeit hat…..Der Bezirk Buchenstein zeichnet sich ebenfalls durch eigenthümliche Redeformen aus…..Die Bewohner des Thales Gröden und des Thales Enneberg sprechen ihre eigenthümlichen Sprachen, die jedoch mit einander eine so nahe Verwandschaft haben, dass sich Enneberger und Grödner wechselweise wohl verstehen. Eben so sehr nähern sich beide der romanischen Mundart in Engadin an…Einige nennen sie die ladinischen Sprachen. Sie haben mit dem Deutschen nichts gemein, außer dass sie einzelne, wenige deutsche Wörter aufgenommen und eingebürgert haben. Am meisten scheinen sie sich dem italienischen zu nähern; doch haben sie manches auch von der französischen, spanischen und portugiesischen Sprache….[2]   Demgegenüber hat bereits 1833 der Gadertaler Micurà de Rü (Namensgeber für das Kulturinstitut in St. Martin im Gadertal) in einem Manuskript „Versuch einer deutsch-ladinischen Sprachlehre“ festgehalten, dass Ladinisch als eigene Sprache angesehen werden muss.[3] In dieser Einschätzung sind sich inzwischen alle maßgeblichen Sprachwissenschaftler einig. Allerdings stößt der Versuch, eine einheitliche Schriftsprache für alle ladinischen Varianten verbindlich einzuführen nach wie vor auf Vorbehalte in den verschiedenen ladinischen Tälern.[4]

In den ladinischen Tälern Südtirols treffen mit Italienisch, Deutsch und Ladinisch zwei große Standard- und eine Minderheitensprache aufeinander. In der Provinz Bozen-Südtirol  ist das Ladinische seit dem 9. 11. 1989 dritte Amtssprache. Ähnlich gut ist inzwischen die Situation für die Ladiner der Provinz Trient (Fassa), während in der Provinz Belluno (Ampezzo und Buchenstein) keinerlei Minderheitenrechte für die dortigen Ladiner bestehen. Es gibt lediglich geringe finanzielle Mittel für kulturelle, vor allem folkloristische Aktivitäten.[5] Deshalb gibt es im Ampezzo und in Buchenstein immer wieder Versuche, einen Anschluss an die Provinz Bozen-Südtirol zu erreichen. Bisher allerdings ohne Erfolg. Da insbesondere im Ampezzo die italienische Sprache dominierend ist, befürchten deutsche Südtiroler bei einem Anschluss eine Schwächung des deutschen Elements gegenüber  der Staatssprache italienisch.
Als Ergebnis der Autonomiestatute und ihrer Durchführungsbestimmungen in der Provinz Bozen-Südtirol, mit umfangreichen gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der deutschen und der ladinischen Sprachminderheit, erhalten hier ladinische Kinder/Jugendliche eine Schulausbildung, die die Ladiner der mittleren und der jüngeren Generation nach Abschluß der Pflichtschulzeit „in vollem Umfang“ dreisprachig agieren lässt. In der Politik wie auch in der Sprachwissenschaft wird Südtirol deshalb immer wieder als Modellfall für eine multilinguale Gesellschaft betrachtet und wird immer wieder als beispielhaft für die Befriedung von Sprachkonflikten in anderen mehrsprachigen Gesellschaften hervorgehoben.[6]
Diese Vorteile genießen allerdings im vollen Umfang nur die Ladiner in Südtirol, mit gewissen Einschränkung die des Fassatales aber nicht in Ampezzo und Buchenstein.


3. Geschichte


3.1 Die Zeit von 1918 bis 1945

Die Geschichte der Ladiner nach 1918 ist eng verknüpft mit den deutschenSüdtirolern (siehe 2.0109). Nachfolgend gehe ich daher insbesondere auf ladinische Besonderheiten in der Provinz Bozen aber auch auf gesamtladinische Fragen ein.

Bereits im Oktober 1918, kurz nach dem Zusammenbruch Österreichs, verfassten Gemeindevertreter von Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa einen historisch zu nennenden  Aufruf, in dem sie ihr Schicksal mit dem der Deutschtiroler verbanden. hier heißt es u. a.: „Der gut tirolische Geist der Dolomitenladiner, ihre Anhänglichkeit an das Heimatland Tirol und ihre streng deutschfreundliche Gesinnung sind bekannt.....Wir sind keine Italiener, wollten seit jeher nicht zu ihnen gezählt werden und wollen auch in Zukunft keine Italiener sein....Mit ihnen (den Deutschtirolern) haben unsere Väter von jeher in engstem Zusammenschluss und in bestem Einvernehmen gelebt. So soll es auch fürderhin bleiben. Tiroler sind wir und Tiroler wollen wir bleiben“[7] In diesem Sinne unterstützten ladinische Gemeindevertreter auch einen Aufruf aller Südtiroler Gemeinden an den amerikanischen Präsidenten Wilson, der in seinen bekannten 17 Punkten ein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht und unter Punkt 9 eine Grenze Italiens nach klar erkennbaren Linien der Nationalität gefordert hatte.

Dennoch wurden – wie bekannt - die Gebiete bis zum  Brenner von Italien bereits im November 1918 besetzt und im Friedensvertrag von Saint-Germain wurde die Brennergrenze legitimiert. In der kurzen demokratischen Phase bis zur Machtübernahme durch die Faschisten 1923  entschieden sich 95 % der Ladiner bei Wahlen  für den Südtiroler Deutschen Verband und bekundeten damit eindrucksvoll ihre enge Bindung zum deutschen Kulturkreis.[8]

Zunächst wurden alle ladinischen Gebiete rund um das Sella-Joch der neu gegründeten italienischen Region "Venezia Tridentina" zugeordnet. Als jedoch die Faschisten an die Macht kamen, wurden die drei Gemeinden Anpezzo, Fodom und Col der Region Veneto angegliedert. Als dann 1927 die Provinzen Bozen und Trient geschaffen wurden, wurde das Fassatal der Provinz Trient zugeordnet. Nur Gröden und das Gadertal verblieben bei der Provinz Bozen. Damit hatten die Faschisten eindeutig die Absicht, durch die Aufteilung der Ladiner auf drei Provinzen und zwei Regionen deren organisatorische Einheit zu zerschlagen, um die Ladiner besonders schnell als Italiener  zu assimilieren.

Was folgte sind die Jahre faschistischer Unterdrückung und Italienisierung sowohl der deutschen wie der ladinischen Südtiroler.  Das Unrecht der willkürlichen Aufteilung der Ladiner auf drei Verwaltungsgebiete wurde bis heute nicht beseitigt. Aber  dazu später weitere Einzelheiten.
 
Besonders perfide war die zwischen Hitler und Mussolini ausgehandelte sogenannte „Option“von 1939, die sowohl deutschen wie ladinischen Südtirolern die „Wahl“ einräumte sich für Italien oder Deutschland zu entscheiden, jedoch mit der Konsequenz, dass die Optanten für Deutschland ihre Heimat Südtirol verlassen mussten, während die „Dableiber“ sich mit der Italianisierung einverstanden erklärten. Selbst unter diesem grausamen Druck entschieden sich 80,2 % der Grödner und 36,1 % der Gadertaler für Deutschland.[9] Es war ein Glück im Unglück, dass nach dem Sturz Mussolinis und dem Einmarsch deutscher Truppen in die „Operationszone Alpenvorland“ zumindest die unselige Aussiedlung der Südtiroler und somit auch der Ladiner ihr Ende fand. (siehe auch unter 2.0109 Südtirol, deutsche Südtiroler - Option)

3.2 Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg

Unmittelbar nach Kriegsende 1945 wurde von Vertrauensleuten aus allen Teilen der Provinz Bozen / Südtirol, also auch aus dem Grödner-  und Gadertal, die Südtiroler Volkspartei (SVP) gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, bei den Alliierten die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes zu vertreten, was nichts anderes bedeutete, als den Wiederanschluss an Österreich. Wie bekannt (siehe Südtirol  2.0109), war diese Forderung nicht durchzusetzen und was vom damals schwachen Österreich im sog. Gruber-de Gasperi-Abkommen erreicht wurde, war eine schlecht ausgehandelte Autonomiezusage für Südtirol, in der die Ladiner nicht einmal vorkamen.

Dennoch herrschte in den Jahren kurz nach Kriegsende bei den Ladinern eine hoffnungsfrohe Aufbruchstimmung. Davon zeugt besonders eine Großkundgebung im Jahre 1946 auf dem Sellajoch, an der über 3000 Dolomitenladiner aus allen ladinischen Tälern teilnahmen. Aufgerufen dazu hatte die Bewegung „Zent Ladina Dolomites“, die mit der SVP eng verbunden war. Man forderte vor allem die Wiedervereinigung aller Ladiner in der Provinz Bozen, eine Gleichstellung der Ladiner bei der Sprache und eine Verbesserung der Situation in Kindergärten und Schulen, in den Medien und eine eigene autonome Verwaltungseinheit.[10]

Politisch setzten die Ladiner ihre Hoffung auf die SVP, deren Tätigkeit allerdings auf den Bereich der Provinz Bozen beschränkt war. Seit 1945 nimmt die SVP-Südtiroler Volkspartei in Südtirol eine Ausnahmestellung in der Parteien-Landschaft ein. Man kann sie sicher zu Recht als große Volks- und Sammelpartei aller deutschen und ladinischen Südtiroler bezeichnen, die bis 2003 immer eine Zustimmung von ca. 60 % und mehr aller Wahlberechtigten bei Landtagswahlen wie auch bei Wahlen zum römischen Parlament und zum Europa-Parlament erhielt. Seit 2008 und vor allem seit den  Wahlen 2013 und 2918 ging der Stimmenanteil der SVP vor allem zugunsten weiterer deutscher Parteien und der Grünen zurück.

Diese Tendenz zeigte  sich bei den deutschen Südtirolern bereits seit Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Demgegenüber war die SVP in den ladinischen Tälern Südtirols bis 1993 unbestritten die von den Ladinern bevorzugte politische Vertretung, die stets mit einem Anteil von  über 70 % gewählt wurde. Nur zeitweise konnte die Democrazia Cristiana (DC) in nennenswertem Umfang Stimmen der Ladiner für sich gewinnen.

Basis für diese Sonderstellung der SVP bei den Ladinern der Provinz Bozen ist der
§ 21 ihres Partei-Statuts, in dem u. a. festgelegt ist
- dass die Partei-Obmänner des Gader- und des Grödner-Tales Sitz und Stimme im Partei-Ausschuss haben
- dass ein Partei-Obmann-Stellvertreter Ladiner sein muss
- dass die Ladiner das Recht haben, bei Landtagswahlen Kandidaten aus ihrer Mitte aufzustellen.

So wurde über die Liste der SVP bei allen Landtagswahlen seit 1948 bis 1993 stets ein (teilweise zwei) Ladiner in den Südtiroler Landtag gewählt. In der Wahlperiode von 1956 – 1960 war der Ladiner Dr. Alois Pupp Landeshauptmann. 

Aufgrund des Pariser Vertrags und der im Südtirolpaket für die deutschen Südtiroler festgelegten Minderheitsrechte,  (siehe Südtirol  2.0109) wurden nach und nach auch den Ladinern eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, so u. a. :
die Präsenz in Rundfunk (1946) und Fernsehen (1988), Unterricht des Ladinischen in den Pflichtschulen (1948), Anerkennung als dritte Sprachgruppe (1951), Zusicherung eines Abgeordneten im Landtag (1972), eine eigene ladinische Schulbehörde (1975), Zuweisung der öffentlichen Stellen gemäß des ethnischen Proporzsystems (1976) und Gebrauch des Ladinischen in der öffentlichen Verwaltung (1989).

Es gab zwar immer wieder ladinische Stimmen, die sich von der SVP nicht ausreichend vertreten sahen. So hatte man bei der Abtrennung der beiden ladinischen Dekanate Fodom/Buchenstein und Ampezzo von der Diözese Brixen 1964 einen nachdrücklichen Protest der Bozener Landesregierung und vor allem der SVP vermisst.[11] 
Schließlich wurde mit dieser kirchlichen Abtrennung die letzte offiziell bestehende Verbindung von Ampezzo und Buchenstein mit Südtirol zerstört, die über Jahrhunderte Bestand hatte.
 
Im Jahre 1972 bemühten sich die 7 Gemeinden des Fassatals mit Unterstützung der Union di Ladins de Fascia, den Anschluss an Südtirol zu erreichen. Nachdem alle sieben Gemeinderäte des Fassatales einen entsprechenden Beschluss gefasst hatten, blieb die aktive Unterstützung durch Bozen aber aus. Darauf bildete sich 1973 die erste ladinische Partei, die für alle ladinischen Täler offen war und die im Fassatal gewisse Erfolge erreichte,  sich in Südtirol und in Belluno jedoch nicht durchsetzen konnte.

3.3 Die Situation seit 1993 in Südtirol


1993 bildete sich auch in Südtirol eine autonome ladinische Partei unter dem Namen „Ladins“, der es auf Anhieb gelang einen Sitz im Südtiroler Landtag zu gewinnen.

Diese ladinische Partei vertrat die Auffassung, dass die SVP u. a. die ladinischen Forderungen nach Anschluss von Fassa und Ampezzo / Buchenstein an die Provinz Bozen verhindert habe.  Man hielt der SVP vor, sie entwickle keine Aktivitäten hinsichtlich der Vereinigung aller Ladiner  und zwar aus Angst vor einem Rückgang des deutschen Elements in einer so vergrößerten Provinz Südtirol,  aber auch aus Rücksichtnahme auf italienische Koalitionspartner im Bozner Landtag und im Trentiner Regionalrat. Zudem waren viele Ladiner mit der Situation im Schulbereich sowie beim Rundfunk und Fernsehen unzufrieden.[12]

Bei den Landtagswahlen 1993 erhielt die Liste „Ladins“ 6058 Stimmen, das sind 1,97 % der abgegebenen gültigen Stimmen. Auch 1998 wurde der Vertreter der Liste Ladins, Carlo Willeit, wieder in den Südtiroler Landtag gewählt. Die Liste erhielt dieses mal sogar 11.028 Stimmen, das sind 3, 6 %, allerdings auch aufgrund eines Wahlbündnisses mit einer deutschen Splitterpartei (DPS). Dieses Wahlbündnis kam vor dem Hintergrund eines neuen Landtags-Wahlgesetzes zustande, das eine Mindest-Prozentzahl von Stimmen als Hürde einführen sollte. Dieses Wahlgesetz wurde allerdings vom italienischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt.[13]

Die so entstandenen beiden Wähler-Fraktionen der Ladiner kann man wohl am treffendsten mit Idealisten (Ladins) einerseits und Realisten (SVP) andererseits bezeichnen. Die Realisten dachten, dass die SVP für sie in der Vergangenheit viel erreicht hat und dass eine kleine romanische Minderheit wohl schon lange vom großen romanischen Volk der Italiener aufgesaugt worden wäre, hätte man sich in den letzten Jahrhunderten nicht an das sprachlich „entfernte“ deutsche Volk angelehnt, zumal viele kulturelle Gemeinsamkeiten aufgrund der gleichen Tiroler Geschichte und der Abwehrstellung gegen den Nationalstaat Italien bestehen. Christof Pan spricht sicher zu recht von einem Adoptionsverhältnis der Ladiner zur deutschen Volksgruppe.[14]  Die „Idealisten“ der Gruppierung „Ladins“ hielten dem entgegen, dass ein Überleben der Ladiner auf  Dauer nur möglich ist, wenn man zu Deutschen und Italienern einen gleich großen Abstand hält. Wenn schon keine gesamtladinischen Provinz erreichbar ist, sollte zumindest eine bürgernähere Verwaltung in den ladinischen Tälern erreicht werden. Der Proporz sollte zugunsten der Ladiner modifiziert werden, weil eine kleine Volksgruppe von nur 4 % sonst immer von wichtigen Ämtern ausgeschlossen bleibt.

Für die Südtiroler Volkspartei (SVP) war die Entwicklung unbefriedigend, da  durch den Auftritt von „Ladins“ und aufgrund des Südtiroler Wahlgesetzes nun  in der SVP-Fraktion des Südtiroler Landtags kein Ladiner mehr vertreten war. So machte die SVP einen aus ihrer Sicht geschickten Schachzug, indem sie einen Ladiner „von außerhalb“ in die Südtiroler Landesregierung berief. Florian Mussner hat sich seitdem als Landesrat für Ladinerfragen große Sympathien bei seinen Landsleuten erworben.

3.4 Nach der Südtiroler Landtagswahl vom 26. 10. 2003 - 
Überlegungen - Konsequenzen

Das Wahlergebnis vom 26. 10. 2003 war ein überzeugender Vertrauensbeweis für die Südtiroler Volkspartei (SVP) und für den „von außen“ berufenen Landesrat Florian Mussner.
Das für die SVP so hervorragende Ergebnis in den ladinischen Tälern ist noch höher einzuschätzen, wenn man berücksichtigt, dass die SVP auf Landesebene 2003 sogar 1 % der Stimmen einbüßte und nur knapp ihre 21 Sitze  im 35 Sitze umfassenden Landtag behaupten konnte. Der ladinische Landesrat Florian Mussner hat ganz sicher entscheidend zu dem sehr guten Abschneiden der SVP bei den Ladinern  beigetragen und kann seitdem selbstbewusst auf eine überragende demokratische Bestätigung durch die Wähler verweisen. Er ist seitdem in der Südtiroler Landesregierung als Landesrat für öffentliche Bauten und ladinische Schule und Kultur vertreten. Bei der folgenden Landtagswahl 2008 erhielt er von allen Kandidaten die fünfthöchste Stimmenzahl (eine Besonderheit des Südtiroler Wahlgesetzes ist die Vorzugsstimme für bestimmte Kandidaten einer Liste). Demgegenüber hat Ladins seit 2003 in allen Gemeinden der ladinischen Täler zum Teil erhebliche Stimmenverluste hinnehmen müssen und ist seitdem nicht mehr im Landtag vertreten. 
Bei der Landtagswahl am 27. 10. 2013 trat die Partei Ladins zusammen mit zwei deutschen Kleinparteien auf einer Liste an, gemeinsam reichte das aber nur für ein Restmandat des Vertreters der Bürger-Union, so dass auch dieser Versuch einen Ladiner unabhängig von der SVP in den Landtag zu bringen kläglich danebenging. Allerdings musste auch Florian Mussner  sich bei dieser Wahl mit weniger Vorzugsstimmen zufrieden geben, zog aber als einziger Ladiner wieder sicher mit der SVP in den Landtag ein. Die SVP schnitt bei den letzten Wahlen 2013 und 2018 übrigens in den ladinischen Tälern immer  besser ab, als im übrigen Südtirol.   [15]. 
Zur Landtagswahl 2018 bewarb sich  keine eigene oder Verbindungsliste einer ladinischen Partei oder Gruppierung mehr um Sitze im Südtiroler Landtag. Über die Liste der SVP zog Daniel Alfreider (als Nachfolger des inzwischen mit einem anderen Aufgabenbereich betrauten Florian Mussner) als einziger ladinischer Vertreter in den Landtag ein. Er lag bei den Vorzugsstimmen für die SVP an fünfter Stelle. In der Südtiroler Landesregierung ist er nun seit Januar 2019 dritter Landeshauptmann-Stellvertreter und Landesrat für ladinische Bildung und Kultur, Verkehr und Mobilität.
Damit war und ist die SVP seit 2003 wieder  alleinige parlamentarische Vertreterin der Ladiner in Südtirol. Mit diesem Vertrauensbeweis im Rücken hat die SVP   den deutlichen Auftrag, ihre Arbeit zum Wohle der ladinischen Minderheit fortzusetzen. Die von mir als „Idealisten“ bezeichneten Anhänger einer eigenen ladinischen Liste  hingegen werden sich kritisch fragen müssen, ob es bei einem Bevölkerungsanteil von 4 % sinnvoll ist, auf eine eigene Partei zu setzen, die selbst bei einem reinen Verhältniswahlrecht immer Probleme hat, in den Landtag einzuziehen.[16] 

Nachdem die SVP sich aufgrund ihres Parteistatus ausdrücklich als Vertreterin der Ladiner empfiehlt, ist es nach meiner Meinung sinnvoll, kritisch aber kooperativ mit und in der SVP weiterhin zusammen zu arbeiten, um dadurch mehr für die Ladiner zu erreichen. Um die ladinischen Wähler nicht  zu enttäuschen, ist die SVP andererseits gut beraten, wenn sie sich auch künftig aktiv dafür einzusetzt, dass den Ladinern stets der gleiche Schutz gewährt wird, wie man ihn zu recht für die deutsche Volksgruppe fordert. Dies kann bei einem so kleinen Volk aber nur bedeuten, dass es unabhängig vom Proporz angemessen in allen Gremien vertreten ist und alles getan wird, um den Fortbestand der Sprache und Kultur zu fördern und zu sichern.



3.5 Besonderheiten in der autonomen Provinz Trentino

Das Trentino bildet mit der Provinz Bozen / Südtirol die gemeinsame autonome Region Trentino-Südtirol, wobei jede der beiden Provinzen den Status einer autonomen Provinz besitzen. Der besondere Minderheitenschutz, den die Ladiner Südtirols gemeinsam mit den Deutsch-Südtirolern erkämpft haben, hat sich positiv auf den Schutz der Ladiner des Trentino ausgewirkt. Bereits 1975 wurde von der Provinz Trentino das Ladinische Kulturinstitut von Fassa gegründet.
Schließlich gelang es den Fassanern, dass mit dem Trienter Landesgesetz Nr. 19 aus dem Jahre 1976 ab 1977 eine eigene ladinische Talgemeinschaft (Comun General de Fascia) innerhalb der Provinz Trentino geschaffen wurde. Mit dieser Gebietskörperschaft der ladinischen Gemeinden im Fassatal  wurde die ladinische Sprachgruppe anerkannt und bekam autonome Zuständigkeiten im Bereich Sprache und Kultur. Mit einem Landesgesetz von 1985 wurden diese Zuständigkeiten noch ausgeweitet, insbesondere auf den Gebieten Kultur, Presse und Freizeit.  1987 wurde weiterhin die ladinische Toponomastik verankert, so dass man bei öffentlichen Aufschriften im Fassatal seitdem zunehmend auch Angaben in ladinischer Sprache vorfindet. Damit wurde ein vergleichbarer - aber anders konzipierter - Minderheitenschutz wie in der autonomen Provinz Bozen/Südtirol erreicht. [16a]



3.6 Besonderheiten in der  Provinz Belluno

Von allen Dolomitenladinern haben die Bewohner in den Gemeinden  der Provinz Belluno, (Fodom und Col = Buchenstein, sowie Anpezzo mit dem bekannten Wintersportort Cortina d'Ampezzo)  den geringsten Schutz.

Fodom ist die ladinische Bezeichnung für das Gebiet, das den beiden  Gemeinden Livinallongo del Col di Lana (deutsch Buchenstein, ladinisch Fodom) und Colle Santa Lucia (ladinisch Col, deutsch auch Verseil) entspricht. Wirtschaftlich wichtigster Teilort ist Arabba (ladinisch Rèba).
Dabei gehörten diese Gemeinden bis zum Ende des 1. Weltkriegs über 4 Jahrhunderte zur Grafschaft Tirol. Die Faschisten haben sie - aus nationalistischen Gründen - aus dieser historischen Verbindung 1923 herausgerissen und der Provinz Belluno (Region Venetien) zugeschlagen. Man hoffte mit der Aufspaltung der Ladiner diese besser italienisieren zu können, was ihnen in Ampezzo auch zu einem gewissen Grad gelungen ist.
Schon 1945 protestierten die Ampezzaner und Buchensteiner gegen die Abtrennung ihres Siedlungsgebietes von den historisch gewachsenen Verbindungen nach Südtirol und ins Trentino.
Versuche einer Angliederung an die Provinz Bozen / Südtirol in den Jahren 1947, 1964, 1973, 1974, und 1991 sind bisher gescheitert. Zuletzt haben sich bei einer Volksabstimmung im Jahre 2007 fast 80 % aller Bewohner dieser 3 ladinischen Gemeinden für einen Anschluss an die Provinz Südtirol ausgesprochen. Der damalige Landeshauptmann von Südtirol, Luis Durnwalder, unterstützte die Forderung und nannte das Ergebnis der Abstimmung ein deutliches Bekenntnis zur ladinischen Identität und zu historischen Wurzeln. Aber bis heute blieben alle Bemühungen ohne Erfolg. Durnwalder wies aber auch auf die Hürden hin, die einer Angliederung im Wege stehen: Die international abgesicherte Autonomie Südtirols kann nicht einfach auf die anzugliedernden Gebiete übertragen werden. Notwendig wäre eine Ergänzung der italienischen Verfassung, durch die ihnen in etwa gleiche Rechte wie Südtirol zugestanden werden.

Gegen die Abtrennung von der Region Venetien hatte sich der Regionalpräsident Giancarlo Galan, ein intimer Freund Berlusconis, vehement eingesetzt. Leider hatte die Volksabstimmung keinen rechtlich bindenden Charakter, denn bei einem Regionen-Wechsel muss zunächst das römische Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschieden und das ist von den Gegnern der Abtrennung bisher verhindert und hintertrieben worden. Inzwischen sind weitere 10 Jahre vergangen, in denen die ladinische Sprache in der Schule nicht gelehrt wird und die Assimilierung mit dem Italienischen weiter fortgeschritten ist.

Bereits 1983 erreichten die Vertreter der Union die Ladins von Ampezzo und Buchenstein, dass ihnen mit Landesgesetz der Region Venetien finanzielle Unterstützung für kulturelle Veranstaltungen gewährt wird.
Mit dem italienischen Staatsgesetz Nr. 482/99 aus dem Jahre 1999 zum Schutz von sprachlichen Minderheiten konnten  auch im Ampezzo und Buchenstein einige Fortschritte für die Ladiner erreicht werden. So sind nun zweisprachige Ortsschilder möglich und 2004 wurde in Colle S. Lucia das ladinische Kulturinstitut "Cesa de Jan" gegründet.

Um die Ladiner von Ampezzo und Buchenstein besser mit der historischen Region Tirol zu vernetzen, wurde 2005 eine Bürgermeisterkonferenz beschlossen, der alle 19 Bürgermeister der ladinischen Gemeinden rund um den Sella-Stock angehören. Dieses Gremium  soll sich mit allen Fragen und Problemen befassen, die der Förderung der Sprachminderheit  der Ladiner - über die Regionalgrenzen hinaus - dienen. Dazu sollen in den verschiedenen Sachbereichen jeweils Organisationen und Institutionen mit eingebunden werden, die bereits seit langem in diesem Bereich arbeiten – im Kulturbereich etwa die Union Generela di Ladins, die Pädagogischen Institute, die Kulturinstitute usw.“. Darüberhinaus beschloss der Dreierlandtag der Europaregion "Tirol-Südtirol-Trentino" im Oktober 2014 in Schwaz, den drei ladinischen Gemeinden der Provinz Belluno eine Beobachterrolle bei ihren turnusmäßigen Sitzungen anzubieten. [16b]

Mit dem Faschismus wurde auch das traditionelle Tiroler Schützenwesen verboten, das in der Region Trentino-Südtirol bereits nach dem 2. Weltkrieg neue gegründet wurde. Die Wiedergründung der Schützenkompagnie Buchenstein erfolgte im Jahre 2006. Ihr ist es zu verdanken, dass nun mit Unterstützung des ladinischen Kulturinstituts Cesa de Jan und der Gemeinderäte von Fodom und Col an den Eingängen des Buchensteintals  Besucher wieder mit einem Willkommensschild  mit der historischen Bezeichnung Buchenstein begrüßt werden. [16c]






4. Kultur und Tourismus


Die Täler Ladiniens, insbesondere das Grödner- und Gadertal, aber auch Buchenstein und Fassa,  sind heute weltweit bekannt durch ihre einzigartige Landschaft, die besonders bei Wintersportlern  aber auch bei Bergwanderern und Klettersportlern sehr beliebt ist. Ihren besonderen Reiz beziehen sie auch von der ladinischen Sprache und der Mehrsprachigkeit der Ladiner aber auch durch viele kulturelle Leistungen und Denkmale im Siedlungsgebiet der Ladiner. Es würde zu weit führen alle Sehenswürdigkeiten hier aufzuzählen. Dafür sei auf das inzwischen reichhaltige Angebot verwiesen[17]

Zwei Besonderheiten möchte ich aber noch hervorheben:
a)    Die Viles des Gadertals prägen dessen Kulturlandschaft. Viles = Weiler finden wir in einer Vielzahl auf der Sonnenseite der oft extrem steilen Hänge. Die Siedlungen umfassen bis max. 10 Doppelgebäude (Wohnhäuser+Stall/Stadel), die sich eng aneinander schmiegen und fast den Eindruck einer Festung vermitteln. Dies war sicher auch eine ursprüngliche Notwendigkeit, hinzu kam aber die gegenseitige Hilfe und z.B. die gemeinsame Arbeit im Forst. Gemeinsam ist den Wohnhäusern die Ausrichtung nach Süden und die „stea“, dem Wohnraum in dem sich das Leben der Bauernfamilie abspielt, geheizt von mogun, einem gemauerten Ofen.[18]
b)  Die Holzschnitzer des Grödentals haben dieses Tal weltberühmt gemacht. Staffler schildert bereits 1846 in seiner bekannten Tirolbeschreibung, dass sich „der regste Gewerbsfleiss in der Schnitzarbeit kundtut; hier findet man auch  den größten Verlag von Holzfiguren, welche von da in die fernsten Länder versendet werden.“[19] Tatsächlich gehen die Anfänge der Schnitzkunst im Grödental bis ins 16. Jahrhundert zurück und Mitte des 18. Jahrhunderts gab es bereits 300 Holzschnitzer. Künstler des Tales haben hervorragende Kunstwerke erstellt, vor allem Madonnen, Kruzifixe, Kreuzwegstationen, Altarfiguren und auch Spielzeug. Inzwischen stammen die meisten Schnitzarbeiten aus  industrieller Fertigung, sonst wäre die große Nachfrage gar nicht zu erfüllen. So muss der interessierte Kunde selbst entscheiden, ob er ein individuell gestaltetes Unikat zu einem entsprechenden Preis besitzen möchte, oder aber ein in großer Auflage industriell gefertigtes Exemplar. Auch gibt es Übergänge zwischen diesen Extremen und es bleibt immer auch ein Einfluss der Künstler auf die Schnitzindustrie.[20] Die Bedeutung des künstlerischen Schaffens und des Kunsthandwerks im Grödnertal kann man auch daran erkennen, dass in St. Ulrich ein Kunstgymnasium und eine Landesberufsschule für das Kunsthandwerk - "Cademia" - mit den Fachrichtungen: Darstellende Kunst, Grafik, Design eingerichtet wurde.


5. Die ladinische Schule in Südtirol

Eine weitere Besonderheit der ladinischen Täler in Südtirol ist die ladinische Schule. Zunächst mussten die Ladiner nach dem 2. Weltkrieg erbittert um diese Schulform kämpfen. Die italienische Regierung versuchte in den ladinischen Tälern eine rein italienische Schule durchzusetzen, z. T. mit den alten falschen Grundsätzen, dass ladinisch nur ein Dialekt des Italienischen sei. Dabei wurde der Elternwille völlig missachtet, denn bei einer Volksabstimmung 1945 und 1947 sprachen sich Grödner und Gadertaler Eltern fast einstimmig gegen eine italienische Schule und für eine besondere ladinische Schule mit gleichen Unterrichtsanteilen in deutscher und italienischer Sprache und ladinisch als zusätzliche Hilfssprache aus. Sie argumentierten, dass ihre Kinder für die praktischen Erfordernisse des täglichen Lebens in Südtirol unbedingt die deutsche Sprache beherrschen müssten. Im übrigen wollten sie Ladiner bleiben, weder verdeutscht noch italienisiert werden. Erst 1951 wurde der Schulkampf beendet und das Elternrecht weitgehend berücksichtigt.[21]
Heute kann man feststellen, dass in Südtirol Schulfrieden herrscht. Ladinische Kinder werden im Kindergarten ausschließlich in ihrer Muttersprache betreut. Die Kindergärtner(innen) müssen ladinischer Muttersprache sein und die Kenntnis des ladinischen in einer eigenen Zulassungsprüfung nachweisen. Spielerisch sollen sie aber auch schon an die beiden anderen Hauptsprachen Südtirols heranführen.
Ab der Grundschule gilt dann das besondere „paritätische ladinische Modell“. Das bedeutet, dass zunächst in der 1. Klasse nach Wahl der Eltern die Alphabetisierung in ladinischer + italienischer Sprache (vornehmlich im Gadertal) oder in ladinischer und deutscher Sprache (hauptsächlich in Gröden) erfolgt. Die dritte, weniger bekannte Sprache wird für mindestens eine Stunde pro Tag verwendet. Ab der zweiten Klasse werden dann die Unterrichtssprachen (Deutsch und Italienisch) jede Woche oder halbe Woche gewechselt. Ladinisch wird als eigenes Fach mit zwei Wochenstunden unterrichtet und kann jederzeit als Verständigungssprache in allen Fächern verwendet werden. Das setzt wiederum voraus, dass die Lehrkräfte ladinische Muttersprachler sind und die Kenntnis der drei Schulsprachen nachgewiesen haben.
In der Mittelschule wird die Hälfte der Fächer in deutscher und die andere Hälfte in italienischer Sprache unterrichtet, z.B. : Geschichte, Mathematik und Naturkunde immer auf Deutsch - Erdkunde, Kunsterziehung und Leibeserziehung immer auf Italienisch. Ladinisch wird als eigenes Fach für zwei Wochenstunden unterrichtet und kann in allen Fächern als Verständigungssprache verwendet werden. Deshalb haben Lehrkräfte ladinischer Muttersprache den absoluten Vorrang bei der Einstellung. Die Staatsprüfung für den Abschluss der Mittelschule sieht vier schriftliche Prüfungen (Ladinisch, Deutsch, Italienisch und Mathematik) sowie ein fächerübergreifendes mehrsprachiges Kolloquium vor.
In den ladinischen Tälern Südtirols gibt es 6 Oberschulen mit zum Teil sehr fachbezogener Ausbildung. Der Grundsatz der Sprachenparität ist ähnlich wie in der Mittelschule. Die Staatsprüfung für den Abschluss der Oberschule sieht vor, zwischen der deutschen und der italienischen Sprache beim Verfassen der ersten schriftlichen Prüfungsarbeit zu wählen. Die dritte schriftliche Prüfung erfolgt dann in der bei der ersten Prüfung nicht gewählten Sprache. Das fächerübergreifende Kolloquium soll in allen Sprachen des Kurrikulums stattfinden.[22]
In einer umfassenden Langzeit-Untersuchung über Mehrsprachigkeit in Europa hat ein linguistischer Arbeitskreis der Uni Mannheim auch das Sprachverhalten von ladinischen Schülern der 8. Klasse in Südtirol untersucht.[23] Das Ergebnis dieser Studie ist für den Fortbestand der kleinen ladinischen Sprache durchaus ermutigend. Darnach sprechen in allen untersuchten Orten neun von zehn Schülern gern ladinisch. Und abschließend wird festgestellt, dass möglicherweise gerade die Dreisprachigkeit – die Position von Ladinisch zwischen Deutsch und Italienisch – dem Ladinischen in Südtirol Überlebensperspektiven gibt.. Verglichen mit anderen Minderheiten in Europa böten die besonderen ladinischen Verhältnisse  gute Voraussetzungen dafür, dass Ladinisch die Sprachlandschaft in Europa weiterhin bereichert.


6. Ladinische Presse, Radio und Fernsehen


Als Volksgruppe, die nicht zu einem größeren Volk in einem oder mehreren anderen Staaten gehört (wie z. B. die Deutsch-Südtiroler zu Deutschland, Österreich und der deutschen Schweiz), haben es die Ladiner als kleine Sprachminderheit besonders schwer, eine eigene Presse aufzubauen und zu unterhalten. Im  Gegensatz z. B. zu den Deutsch-Südtirolern können sie keine Presseerzeugnisse aus anderen Staaten importieren. Zudem ist ihr mögliches Verbreitungsgebiet und die Zahl der möglichen Abonnenten sehr klein, um ein wirtschaftlich vertretbares Presseobjekt herausgeben zu können.

Dennoch haben sich nach der faschistischen Verbotszeit mutige Ladiner für die Herausgabe von  Veröffentlichungen in ladinischer Sprache eingesetzt. So z.B. Salvester Erlacher, der ab März 1949 die Zeitung “Nos Ladins” (Wir Ladiner) herausgab, die zunächst einmal, später sogar zweimal im Monat erschien. Zudem wurden und werden in der Südtiroler Zeitung „Dolomiten“ nach deren Wiederbegründung 1945 regelmäßig Artikel in ladinischer Sprache veröffentlicht. Seit 1972 übernahm dann die Union Generela di Ladins die Aktivitäten von „Nos Ladins“ mit der Veröffentlichung der Informationszeitschrift “La Usc di Ladins” (Die Stimme der Ladiner). Diese erschien bis 1985 monatlich, bis 1990 vierzehntägig und erscheint seit dem 1. Februar 1990 wöchentlich. [24]


Neben der Presse sind Rundfunk und Fernsehen wichtige Träger kultureller Identität. Nach dem Zweiten Weltkrieg sendet Radioitalia ab 1945  neben den italienischen Programmen auch deutsche Beiträge und wenig später, 1946, ist die erste Sendung in ladinischer Sprache zu hören. Nach der Errichtung des neuen Funkhaus der RAI am Bozner Mazziniplatz im Jahre 1960 können mit einem vierten Netz bedeutend mehr Programm in deutscher und ladinischer Sprache gesendet werden.

Seit dem Aufstieg des Fernsehens als wichtigster Nachrichtenquelle,  bemühten sich sowohl Politiker als auch Privatleute aus Südtirol darum, Voraussetzungen zu schaffen, um Radio- und Fernsehprogramme aus dem benachbarten Ausland in deutscher und rätoromanischer Sprache zu übertragen. Dazu wurde 1975 die Radio (und Fernseh-) Anstalt Südtirol = RAS gegründet. Diese ist keine Rundfunkanstalt im herkömmlichen Sinne des Wortes. Zum Unterschied zu Rundfunkanstalten wie ORF, ZDF, ARD oder SRG produziert und sendet sie keine eigenen Hörfunk- und Fernsehprogramme, sondern sorgt für ihren Transport und Ausstrahlung mit den über das ganze Land Südtirol verteilten Richtfunkstationen und Umsetzern. Dieses Ziel hat die RAS inzwischen erreicht: Südtirol ist mit deutsch- und romanisch-sprachigen Fernseh- und Rundfunkprogrammen aus dem deutsch- und romanisch-sprachigen Ausland (Deutschland, Österreich, Schweiz) gut versorgt.

Der Ausbau der Autonomie brachte auch neue Möglichkeiten und Spielräume für den Sender Bozen der Rai, der sich schon bald zu einem der bedeutendsten Kulturträger Südtirols entwickelte - was er bis heute geblieben ist.
Das Radio TV Ladina ist 1988 als Programm in ladinischer Sprache der Rai Bozen entstanden, nachdem eine entsprechende Konvention zwischen der Regierung und der Rai abgeschlossen wurde. Diese Konvention wurde ausschließlich für die ladinische Bevölkerung der Region Trentino-Südtirol abgeschlossen. Die Ladiner in der Provinz Belluno waren gezwungen, in ihrem Gebiet Sendemasten auf eigene Faust aufzustellen. Die Sendungen werden bewusst in den Idiomen der ladinischen Täler übertragen und nicht im Ladin Dolomitan.
Ab 1998 bedient die Rai Bozen mit Radio TV Ladina die ladinischen Zuschauer täglich mit Nachrichten im Fernsehen. Das sind die täglich ausgestrahlte Nachrichtensendung TRAIL (Television Rai Ladina, 19:55–19:59 Uhr) und die Sendung Paladina, die entweder aus einem Dokumentarfilm oder aus mehreren Magazinen (wie z. B.: Vital) besteht.  
Das Radioprogramm der Rai Ladinia beinhaltet zwei tägliche Nachrichtensendungen (13:30–13:50 und 19:00–19:05 Uhr, am Sonntag 12:30–12:45 Uhr) und die Copa del cafè („Kaffeetasse“) von 13:50 bis 14:05 (am Sonntag von 12:45 bis 13:00) und Dai crepes dl Sela („Von den Wänden der Sella) von 19:05 bis 19:30 (täglich).
2013 wurde zwischen der italienischen Zentralregierung und der Südtiroler Landesregierung ein neues Statut für den Sender RAI Südtirol – dem ehemaligen Sender Bozen – vereinbart, wonach das Land zur Entlastung des Staatshaushalts die Finanzierung dieser Sendeanstalt übernimmt, und zwar innerhalb der vom Autonomiestatut (Artikel 79, Absatz 1, Buchstabe c) vorgesehenen Grenzen. Dadurch wurde es möglich den Umfang der deutsch- und ladinisch-sprachigen Rundfunk- und Fernsehsendungen nochmals auszuweiten. So konnte das ladinische TV-Angebot von 39 auf 100 Stunden jährlich ausgeweitet werden. Eine paritätisch besetzte Kommission zwischen Land und RAI wird künftig über die Umsetzung der Konvention wachen.
[25]






[1] Prinz zu Sayn-Wittgenstein: Südtirol und das Trentino, S. 121
[2] Johann Jakob Staffler „Tirol und Vorarlberg – statistisch und topographisch, mit geschichtlichen Bemerkungen, I. Theil“ Innsbruck 1839 -  weiteres zur Geschichte der Rätoromanischen / Ladinischen Sprachen → 3.09.
[3] Lois Trebo „Die Dolomitenladiner im Laufe der Geschichte“ in Südtirol i. W. u. B. Nr.4 /1986
[4] Lois Trebo „Eine Einheitssprache für die Dolomitenladiner“ in Südtirol i. W. u. B. Nr. 4/2004 und Rut Bernardi: „Vereinheitlichung einer Sprache: Das Ladin Dolomitan als Beispiel“ in „Die deutsche Sprache in Südtirol – Einheitssprache und regionale Vielfalt.“ (Kurt Egger / Franz Lanthaler (Hrsg.)
[5] Dieter Kattenbusch: „Ladinien“ in Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten
[6] Ralf Holzmann: „Mehrsprachigkeit und Sprachkompetenz in den ladinischen Tälern Südtirols“ – Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Universität Mannheim. Eine hervorragende umfangreiche Abhandlung des Themas sowohl hinsichtlich der geschichtlichen als auch der aktuellen Situation der Ladiner in der autonomen Provinz Südtirol
[7] zit. nach A. Piccolruaz: „Ladinien bei Österreich und unter Italien“ in Südtirol i. W. u. B. Nr. 2/1985
[8] z. B. bei den Wahlen zum römischen Parlament am 15. 5 1921. Der Deutsche Verband war ein Parteienbündnis aus Tiroler Volkspartei und Deutschfreiheitlicher Partei.
[9] F. Ermacora: „Südtirol und das Vaterland Österreich“, S. 400ff (Quellen)
[10] Guiseppe Richebuono unter „Ladins Dles Dolomites – Inant Adum“ (www.altabadia.it/ladins)
[11] Buchenstein gehörte seit 1000 Jahren zur Diözese Brixen, Mit der Angliederung an die Diözese Belluno wurde die letzte noch bestehende Verwaltungseinheit mit den Ladinern der Provinz Bozen aufgehoben.
[12] Ilda Pizzinini (Präsidentin der Uniun Generale di Ladins dla Dolomites, der Dachorganisation aller ladinischen Kulturvereine): „Die Ladiner – Politische Lage und Zukunftsaussichten“ in „Südtirol i.W.u.B.“ Nr. 1 /2000
[13] Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts wollte man vom Wahlbündnis nicht mehr zurücktreten
[14] Christof Pan „Südtirol als volkliches Problem“ S. 133
[15] Broschüre „Südtiroler Landtag - Wahlen 2013“ herausgegeben von der Südtiroler Landesregierung. Zum Ergebnis der Landtagswahl 2013 siehe http://euro-ethnien.blogspot.de/2012/09/20109-sudtirol-deutsche-sudtiroler.html Punkt 5 und 6
[16] Sie sollten  bedenken, dass im Schweizer Kanton Graubünden von 120 Abgeordneten 47 Rätoromanen sind, die es aber ablehnen eine eigene Partei oder Fraktion zu bilden, sondern betonen, dass ihre Schlagkraft aufgrund der Präsenz in allen wichtigen Parteien wesentlich größer sei.
[16a] http://www.uniongenerela.it/de/geschichte

[16b] https://www.news.at/a/grosse-mehrheit-belluno-gemeinden-suedtirol-rueckkehr-ladiner-ja-si-187570 -  Der Standard vom 16. 11. 2007: "Rückkehr nach Südtirol - drei ladinische  Gemeinden des Veneto wünschen eine Angliederung an die Provinz Bozen" -  siehe auch:
Pressemitteilung des Landespresseamtes der Südtiroler Landesregierung vom   19.09.2005  
[16c] https://de.wikipedia.org/wiki/Fodom  -
http://www.buchenstein.org/cms/de/geschichte
[17] Eine ausführliche Beschreibung gibt Gunther Langes „Ladinien – Kernland der Dolomiten“Athesia-Verlag Bozen.- Gleich drei Naturparke Südtirols liegen im Bereich Ladiniens: Schlern – Puez-Geisler – Fanes, Sennes, Prags →Martin Schweiggl „Naturparke in Südtirol“ Athesia, Bozen
[18]Die Viles des Gadertales“ – herausgegeben vom Assessorat für Umweltschutz , Amt für Landschaftsplanung der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol
[19] Johann Jakob Staffler „Tirol und Vorarlberg – statistisch und topographisch, mit geschichtlichen Bemerkungen, II. Theil, 2. Band“ Innsbruck 1846, S. 1047
[20] Gunther Langes „Ladinien – Kernland der Dolomiten“ S.30ff Athesia-Bozen
[21] A. Piccolruaz: „Ladinien bei Österreich und unter Italien“ in Südtirol i. W. u. B. Nr. 4/1988 und 1/1989
[23] Ralf D. Holzmann: „Ladinisch in Südtirol – Ergebnisse einer Untersuchung unter Schülern der 8. Klasse in Gröden, im Gadertal und in Enneberg“ – veröffentlicht in Ruth Wodak, Rudolf de Cillia (Hg) „Sprachenpolitik in Mittel- und Osteuropa“
[24] http://www.uniongenerela.it/de/

[25]  https://www.micura.it/de/begegnung/ladinische-kultur/die-ladinische-sprache/radio-und-fernsehen und https://de.wikipedia.org/wiki/Rai_Ladinia und  http://www.raisudtirol.rai.it/de/geschichte.php 

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