2, 01.10  Deutsche Nordschleswiger

Überarbeitet und aktualisiert im Dezember 2021

1. Einleitung


Die deutsche Minderheit in Nordschleswig (Dänemark) ist ebenso wie die dänische Minderheit in Südschleswig (Deutschland, Bundesland Schleswig-Holstein, siehe 2.3.1)
ein Ergebnis der wechselvollen Geschichte Schleswigs. Daher soll nachfolgend vorab ein Überblick über die wichtigsten geschichtlichen Daten und Wendepunkte gegeben werden.

2. Geschichte Schleswigs im Überblick[1]



811
Wahrscheinlich schon in spätantiker Zeit reichte das sächsische Gebiet bis an die Eider. Nachdem unter Karl dem Großen dieses Gebiet zum Reich kam, wird die Eider  zur Landesgrenze zwischen Dänemark und dem Deutschen Reich (Eidora Romani Terminus Imperii)
ca. 1100 
Das Herzogtum Schleswig, ursprünglich eine Grenzmark des dänischen Reiches, gewann unter seinen Herzögen (meist jüngere dänische Königssöhne) eine immer größere Selbstständigkeit. Der erste Herzog Schleswigs, Knud Lavard (gest. 1131) war am sächsischen Hof erzogen und deutschem Wesen zugetan. Auch unter seinen Nachfolgern setzte sich das Streben der Regionalfürsten nach größerer  Selbständigkeit fort. Die (nieder-)deutsche Sprache breitet sich auch nördlich der Eider aus.
ca. 1350 
Das von der Weser stammende Grafengeschlecht der Schauenburger gewinnt  Herrschaftsrechte zunächst  in Holstein und später auch in Schleswig. Durch diese verwaltungsmäßige Bindung vergrößert sich der Einfluss deutscher  Kultur und Sprache in Schleswig (einschließlich Nord-Friesland, siehe 3.053) .
1460 
Als der letzte Schauenburger 1459 kinderlos stirbt, wählt die Ritterschaft aus Schleswig und Holstein den dänischen König Christian I zum Herzog von  Schleswig und Grafen von Holstein. Voraussetzung zur Wahl war das Versprechen Christians, dass beide Länder „auf ewig ungeteilt“ bleiben („biliven ewich tosammende ungedelt“). Diese Personalunion dauert bis 1864und führt zu einer Festigung der deutschen Kultur. Insbesondere nachdem beide Landesteile mit Dänemark die Reformation übernehmen, wird die Sprache Luthers die Sprache der Kirche und auch der Beamtenschaft. Rein formal gehörte Schleswig jedoch weiterhin zu Dänemark und Holstein einschließlich Lauenburg zum Deutschen Reich.
Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts herrscht ein friedliches nebeneinander der  verschiedenen Sprachen und Dialekte, fast jeder Schleswiger ist mehrsprachig und beherrscht neben der Muttersprache weitere Sprachvarianten (hochdeutsch,  niederdeutsch, südjütisch (sønderjysk), reichsdänisch  und nordfriesisch in verschiedenen Ausprägungen).
1848  
Der aufkommende National-Gedanke des 19. Jahrhunderts führte zu immer größer werdenden Gegensätzen zwischen dänisch- und deutsch-gesinnten Schleswigern. In Dänemark traten die Nationalliberalen, unterstützt von dänisch gesinnten Schleswigern für die Annektierung Schleswigs bis zur Eidergrenze ein. Dies führte zum 1. Deutsch-Dänischen Krieg von 1848 – 1850. Das gerade tagende Frankfurter Parlament beauftragte Preußen, die Rechte der deutschen Schleswiger durchzusetzen. Das Ergebnis war für beide Seiten unbefriedigend. Preußen zog nach einiger Zeit auf Druck der europäischen Großmächte seine Truppen zurück, Dänemark bzw. sein König musste sich 1851 in einem Vertrag gegenüber den deutschen Großmächten Preußen und Österreich verpflichten , Schleswig niemals dem dänischen Staate einzuverleiben und die Stände der Herzogtümer in allen Verfassungsfragen zu konsultieren.[2]
1852
Londoner Protokoll: Die europäischen Großmächte setzen eine neue Thronfolge-Regelung für das Königreich Dänemark und die Herzogtümer Schleswig und Holstein fest. Prinz Christian von Sonderburg-Glücksburg wird zum Erben der gesamten dänischen Monarchie bestimmt.
In den folgenden Jahren erhöhen die Dänen den Druck bei ihrer  Sprachpolitik (in den Schulen Schleswigs wird dänisch  Unterrichtssprache, nur 4 Stunden Deutsch pro Woche)
1863
König Friedrich VII  verkündigt sein „Märzpatent“, eine neue dänische Verfassung, die Schleswig dem dänischen Staat einverleiben soll. Am 15. 11. stirbt unerwartet König Friedrich ohne direkten Erben. Gemäß Londoner Protokoll tritt Christian IX (von Sonderburg-Glücksburg) die Nachfolge an, gleichzeitig lässt sich jedoch Erbprinz Friedrich von Augustenburg als Herzog von Schleswig und Holstein ausrufen.
1864
Bismarck verfolgte seit langem die Strategie[3], Schleswig und Holstein für Preußen zu gewinnen. Für dieses Ziel setzte er sich in Gegensatz zu allen deutschen Mittel- und Kleinstaaten und zur deutschen Bundesversammlung in Frankfurt, die die Entsendung eines Bundesheeres nach Holstein beschließt. Bismarck schließt daraufhin ein Zweckbündnis mit Österreich.
Seine „Diplomatie“ führte schließlich zum Einmarsch der Preußen und Österreicher nach Schleswig und am 30. 10. zum Frieden von Wien, in dem Dänemark die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie Lauenburg an Preußen und Österreich abtritt. Missstimmung in der Bevölkerung, die ein selbständiges deutsches Herzogtum unter dem Augustenburger wünscht.
1865
Gasteiner Vertrag zwischen Preußen und Österreich. Preußen übernimmt „vorläufig“ die Verwaltung von Schleswig, Österreich die von Holstein.
1866
Bismarck ist nun bereit, die Neuordnung Deutschlands ohne Österreich anzugehen. Es kommt zum „Deutschen Krieg“ von 1866 und nach der entscheidenden Schlacht von Königsgrätz zum Frieden von Prag. Schleswig-Holstein fällt an Preußen (§ 5 enthält das Versprechen über eine Volksabstimmung in Schleswig).  Die Minderheitensituation wendet sich, Dänischgesinnte sind nun Minderheit im preußischen, später reichsdeutschen Staat und müssen die deutsche Schulsprache akzeptieren. Eine Volksabstimmung findet nicht statt.
1918 / 1920
Das neutrale Dänemark nutzte nach dem 1. Weltkrieg die Chance einer Grenzkorrektur. Im Versailler Vertrag von 28. 6. 1919 wird eine Abstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder Dänemark im nördlichen Schleswig festgelegt und zwar in zwei Zonen. In der Zone A (nördlich Flensburg) soll en bloc abgestimmt werden, ein für die Deutschen nachteiliges Verfahren. Insgesamt entscheiden sich 75431 Nordschleswiger am 10. 2. 1920 für Dänemark, 25329 für Deutschland. Die deutschen Stimmen konzentrieren sich auf den südlichen Teil dieser Zone, wo in 41 Gemeinden eine deutsche Mehrheit vorlag (z. B. Tondern 76 %, Hoyer 73 %). Dennoch wurden diese Gemeinden nun dänisch und schufen die neue Minderheit der Nordschleswiger. In der zweiten Zone B endete die Wahl am 14. 3. 1920 mit einem überwältigenden Ergebnis für Deutschland (51724 zu 12800 Stimmen, auch in Flensburg fiel das Ergebnis mit 27000 zu 9000 eindeutig  aus). Auf grund dieses Ergebnisses wurde am 15. 6. 1920 von der internationalen Kommission die Grenze entsprechend diesem Wahlergebnis festgeschrieben und hat bis heute Bestand.
1945 - 1954
Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg erblicken Mitglieder der dänischen Minderheit in Südschleswig, die Chance einer neuen Grenzkorrektur. Die Not der Nachkriegszeit und  die Aufnahme von Tausenden von Flüchtlingen aus dem Osten Deutschlands führten vorübergehend zu einem Ansteigen der dänischen Bewegung und der Stimmen für den SSV (Südschleswigscher Verein) und eine Sozialdemokratische Partei Flensburg (SPF).Im August 1948 ließ die Britische Kontrollkommission den SSW (Südschleswigscher Wählerverband) als politische Partei zu.  Man sprach vom Speckdänentum. Die dänische Regierung wiederstand der Versuchung, diese Situation auszunutzen. Im Oktober 1948 fand die Londoner Konferenz zur Südschleswigfrage statt, die im Ergebnis feststellte, dass es kein Grenz-, sondern nur ein Minderheitenproblem in Südschleswig gibt. Verhandlungen der britischen Besatzungsbehörden, der Kieler Landesregierung und des SSV / SSW führten am 26. 9. 1949 zur Kieler Erklärung, die festlegte, dass das Bekenntnis zum dänischen Volkstum frei ist und von Amts weg nicht behindert werden darf. Die Debatte um „echte“ oder „unechte“ Gesinnung (Speckdänen) wurde beendet mit dem subjektiven Prinzip: Däne ist, wer Däne sein will! Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Lübke trat in der Folge, dafür ein, dass dieses Prinzip auch für die Deutschen in Nordschleswig gelten müsse (Schreiben vom 15. 3. 1952 an Kanzler Adenauer, veröffentlicht im Flensburger Tageblatt)[4]
1955
Im Zusammenhang mit dem bundesdeutschen Beitritt zur NATO wurden Verhandlungen zwischen der dänischen und bundesdeutschen Regierung geführt, die zur richtungweisenden Bonn-Kopenhagener Erklärung führten, in der nochmals das Bekenntnisprinzip der Kieler Erklärung für beide Seiten festgelegt wurde.



3. Lage und Zahlen


Nordschleswig entspricht dem früheren dänischen Kreis Südjütland (Sønderjylland) bzw. der Abstimmungszone I des Versailler Vertrags  und entstand nach dem 1. Weltkrieg (s. o.). Insgesamt hat Nordschleswig  ca. 250.000 Einwohner, von denen ca. 15 – 20000 zur deutschen Volksgruppe gerechnet werden können = ca. 6 – 8 %).[5]
Die deutschen Nordschleswiger bewohnen insbesondere den südlichen Bereich  in dem Dreieck  Tondern – Hadersleben – Sonderburg. nördlich davon spricht man vom Gebiet des Streudeutschtums.

4. Sprache


Wie in Südschleswig bei der dänischen Minderheit ist auch in Nordschleswig das Bekenntnis-Prinzip maßgeblich für die Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit. (Deutscher ist, wer Deutscher sein will). Die Haussprache von ca. 2/3 der deutschen  Nordschleswiger ist  Sønderjysk, ein dänischer Dialekt, der auch von der dänischen Bevölkerung vorwiegend benutzt wird. Etwa 25 % der deutschen Nordschleswiger verwenden  in der Familie Hochdeutsch.[6]  In der Öffentlichkeit (Verwaltung, Wirtschaft, Justiz usw.) gilt  offiziell nur die Amtssprache (reichs-)dänisch, auch alle öffentlichen Hinweise und Straßenschilder sind einsprachig dänisch. Aufgrund der Verwandtschaft der Sprachen (Dänisch, Südjütisch, deutsch) und der weitgehend vorhandenen Zweisprachigkeit nimmt hier – ähnlich der dänischen Minderheit in Südschleswig -  keiner ernsthaft Anstoß an dieser Situation. Zweifellos eine Besonderheit, wenn man an die Auseinandersetzungen und Kämpfe in anderen Minderheitsregionen denkt.[7]
Die deutsche Sprache wird von den Nordschleswigern vor allem in den deutschen Schulen und Kindergärten, den deutschen Vereinen, in deutschen Gottesdiensten, bei Vorträgen und Veranstaltungen deutscher  Organisationen (Theater, Feste u. a.) verwendet. Was den passiven Sprachgebrauch angeht, weiß man durch eine Fragebogenaktion bei Kindern in Nordschleswig, dass Kindern, die deutsche Privatschulen besuchen, zu ca. 90 % deutsche Fernsehprogramme sehen. Von den Kindern der öffentlichen dänischen Schulen sehen immerhin auch ca. 25 % vorwiegend deutsche Sender, etwa die Hälfte sieht sowohl deutsche und dänische Programme und nur ca. 25 % sehen ausschließlich dänisches Fernsehen.[8]

5. Kultur


Der Bund deutscher Nordschleswiger (BdN) mit ca. 3200 Mitgliedern  ist die Dachorganisation der vielfältigen Aktivitäten der Volksgruppe. Er ist aufgegliedert in 4 Bezirke und 18 Ortsvereine und ist Träger der Schleswigschen Partei  (SP). Hauptvorsitzender ist seit 2007 Hinrich Jürgensen, Kulturausschussvorsitzende Marion Petersen und Vorsitzender der SP ist Carsten Leth Schmidt. Die deutsche Minderheit vertreten durch den BdN ist im  Kontaktausschuss für die deutsche Minderheit  bei  der Regierung und dem Folketing in Kopenhagen vertreten und betreibt dort auch ein ständiges Sekretariat. In Kiel nimmt das ein Gremium für Fragen der deutschen Minderheit den Kontakt zum Schleswig-Holsteinischen Landtag und den dort vertretenen Parteien wahr.[9]

Im kulturellen Bereich veranstaltet die Volksgruppe Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge und Ausstellungen. Einmal jährlich wird der Deutsche Tag veranstaltet, eine Festveranstaltung und Selbstdarstellung der Volksgruppe mit einer Fülle von Kultur- und Unterhaltungsveranstaltungen.[10] An einem Sonnabend Mitte Juni findet das traditionelle Knivsbergfest statt. Das Fest gibt es seit 1894. Was damals deutsch-nationale Manifestation war, ist heute der Rahmen um ein fröhliches Familienfest der deutschen Nordschleswiger, bei dem immer auch viele Gäste aus Schleswig-Holstein und Dänemark dabei sind.

Nachgeordnete Organisationen des BdN sind u. a.

● der Verband deutscher Büchereien mit Ausleihestellen in Hadersleben, Tondern, Sonderburg und Tingleff, 2 Bücherbussen und 16 Büchereien in den deutschen Privatschulen (s. u.)

● der Sozialdienst Nordschleswig , der die Sozialdienste, Krankenpflege- und Frauenvereine auf Ortsebene betreut. Neben der sozialen Betreuung von Alten, Behinderten und Kindern organisiert er Lehrgänge, Reisen und Erholungskuren. Er ist Träger des Hauses Quickborn, einer Begegnungsstätte mit vielen Angeboten

● die Nordschleswigsche Musikvereinigung, der Chöre in den verschiedenen Gemeinden angehören, veranstaltet regelmäßig Aufführungen großer Werke der Chorliteratur. Das Musikleben der Volksgruppe wird aber auch bereichert durch Kinderchöre, ein Jugendblasorchester, einen Jugendmusikwettbewerb u. v. a.[11]

● die Heimatkundliche Arbeitsgemeinschaft  veröffentlicht regelmäßig Schriften über landeskundliche Themen und führt Exkursionen durch.

● die deutsche Bibliothek und das Deutsche Museum in der alten Sonderburger Brauerei enthalten wichtige Sammlungen und Ausstellungsstücke über die deutsche Geschichte und Kultur in Nordschleswig  seit Anfang des 19. Jahrhunderts.[12]

● der deutsche Jugendverband ist Dachorganisation für 28 Sportvereine, Jugend- und Freizeit-Klubs und –Einrichtungen. Er ist Träger der Bildungsstätte Jugendhof Knivberg. Dort findet jährlich das traditionelle Knivbergfest statt an dem sich in den letzten Jahren stets ca. 5000 Jugendliche aus ganz Schleswig beteiligten.[13]

6. Politische Situation

Die Grenzziehung 1920 wurde von den  deutschen Nordschleswigern als ungerecht empfunden. Der Schleswigsche Wählerverein – später die Schleswigsche Partei, die sofort nach der Trennung gebildete politische Organisation der deutschen Nordschleswiger, setzte sich daher für eine Grenzrevision ein und geriet damit zwangsläufig in ständigen Gegensatz zum dänischen Staat. Dieser versuchte seinerseits durch Abriegelung der Grenze nach Süden und Förderung der Zuwanderung aus dem dänischen Norden die deutsche Minderheit auszutrocknen. Allerdings muss man dem dänischen Staat zugestehen, dass er dennoch die  vielfältigen Betätigungen der deutschen Vereine, der Schulen u. a. nicht behinderte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland verstärkten sich die Gegensätze, die Schleswigsche Partei, die seit 1920 stets mit einem Abgeordneten im dänischen Parlament vertreten war,  geriet nun in völlige Abhängigkeit von der NSDAP. Die Gegensätze verstärkten sich nach der deutschen Besetzung Dänemarks 1940. Gleichzeitig meldeten sich ca. 2300 junge Nordschleswiger freiwillig zur deutschen Wehrmacht.

So gestaltete sich der Neuanfang nach 1945 äußerst schwierig, zumal die Dänen zunächst auch massiv gegen Mitglieder der deutschen Volksgruppe vorgingen. Eigentum der Volksgruppe wurde enteignet, deutsche Einrichtungen und Denkmäler zerstört und mancher Angehörige der Minderheit musste aufgrund rückwirkend erlassener Gesetze ins Gefängnis.. Dennoch gelang bereits im November 1945 ein Neuanfang mit der Gründung des Bundes deutscher Nordschleswiger (BdN). In seiner Gründungserklärung zog man eine Schlussstrich unter die Vergangenheit und erklärte die Loyalität zum dänischen Staat und König und die Anerkennung der Grenze. Gleichzeitig bekräftigte man aber auch die feste Bindung an die deutsche Sprache und Kultur.1945 hatte Dänemark ein neues Wahlgesetz geschaffen, dass es der Schleswigschen Partei nicht ermöglichte, einen Abgeordneten nach Kopenhagen zu entsenden[14]

Dieses Wahlgesetz wurde 1953 modifiziert und so konnte die Volksgruppe den Landwirt Hans Schmidt-Oxbüll mit je ca. 10.000 Stimmen bis 1964 ins dänische Folketing entsenden. Nach 1964 reichte dieser Stimmenanteil wegen der dänischen 2 % - Klausel (und nicht zuletzt aufgrund ständiger Zuwanderung aus anderen Teilen Dänemarks) nicht mehr aus, um einen Abgeordneten zu stellen. Jedoch konnte die Volksgruppe noch einmal in den Jahren 1973 – 1979 aufgrund einer Wahlabsprache mit den dänischen Zentrumsdemokraten einen Abgeordneten entsenden. Seitdem hat die deutsche Volksgruppe keinen Vertreter mehr im dänischen Parlament. Als Ersatz für die parlamentarische Vertretung wurde in Kopenhagen ein Kontaktausschuss (aus Vertretern der dänischen Regierung, des Folketing und der deutschen Volksgruppe) gebildet, der einmal im Jahr zusammentritt und alle anstehenden Fragen der Minderheit berät. Außerdem richtete die dänische Regierung der deutschen Volksgruppe ein Sekretariat in unmittelbarer Nähe des Schlosses Christiansborg ein, das den ständigen Kontakt zu Regierung und Parlament pflegen kann.[15]

Nicht zuletzt durch diese Maßnahmen und die Bonn-Kopenhagener Erklärung von 1955 hat sich die Situation der deutschen Volksgruppe inzwischen beinahe vorbildlich entwickelt.

Nach der Strukturreform von 2006 ist Nordschleswig seit 2007 Teil der Region Syddanmark. Bis zur Gebietsreform 2006 war die Schleswigsche Partei (SP) stets mit einem Mandat im Amtsrat (Kreistag Nordschleswig) vertreten. Nach der Strukturreform von 2006 ist Nordschleswig Teil der Region Syddanmark und die SP kann in diesem Gremium keinen Abgeordneten mehr stellen.

Mit der ab 2007 geltenden neuen Strukturreform wurden auch die Kommunen zu größeren Einheiten zusammengefasst. Die vorherigen 23 Gemeinden Nordschleswigs wurden in vier Kommunen zusammenelegt, die   etwa den vier Kreisen vor 1970 entsprechen,(Tondern, Apenrade, Hadersleben und Sonderburg). In diesen 4 Gemeinden Nordschleswigs ist die SP(Schleswigsche Partei - Slesvigsk Parti) jeweils mit 1 oder mehreren Abgeordneten vertreten. Das dänische Kommunalwahlrecht  sieht seit 2005 zur Wahrung des Minderheitenschutzes vor, dass die SP auch dann ein Sondermandat im Gemeinderat ohne Stimmrecht zugeteilt bekommt, wenn die Partei der deutschen Minderheit ein Viertel der Stimmen eines Mandates erreicht.

Die SP hat in langen Verhandlung viel erreicht und betrachtet sich heute vor allem als Mittler zwischen den Kulturen. Dennoch bleiben eine Reihe von Forderungen, die von der SP gestellt werden, um eine volle Gleichberechtigung zu erreichen. (z. B. im Bereich der Schulen, Kindergärten, Büchereien und beim Sozialdienst)[16) 

7. Schulen und Kindergärten

In Nordschleswig gibt es z. Zt. (2021) 13 deutsche Schulen und ein Gymnasium in Apenrade mit etwa 1400 Schülern. Hinzu kommt die Deutsche Nachschule / Jugendvolkshochschule in Tingleff. Es handelt sich ausschließlich um Privatschulen mit örtlichen Schulvereinen als Träger, die wiederum im Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig zusammengeschlossen sind. (siehe http://www.dssv.dk/) Alle sind vom dänischen Unterrichtsministerium anerkannt. Im Schulgesetz ist festgelegt, dass der dänische Staat ca. 85 % der Kosten trägt, den Rest müssten die Eltern tragen, er wird jedoch vom Land Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik übernommen. Dabei übernimmt das Land Schleswig-Holstein überwiegend die Entsendung von Lehrkräften. Wesentliches Merkmal der Schulen ist die deutsche Sprache, in der unterrichtet wird und die Vermittlung deutscher Kultur. Aber auch dänische Sprache (ab 3. Klasse) und die Erziehung zu verantwortungsbewussten dänischen und europäischen Staatsbürgern gehört zu den Zielen der Deutschen Schulen. Alle Abschlüsse – also auch das Abitur und die Hochschulreife – werden sowohl von Dänemark als auch von Deutschland anerkannt.

 

Jede Schule ist eine weitgehend autonome Einheit, aber eine Reihe von wesentlichen Identifikationsmerkmalen sind für alle gleich. Dazu gehört einerseits die deutsche Sprache. In den deutschen Schulen wird der Unterricht in deutscher Sprache erteilt, wie überhaupt die deutsche Sprache ein wesentlicher Identitätsfaktor für die nordschleswigsche Gemeinschaft ist. Mit der Sprache vermittelt die Schule die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis und zur Geschichte der deutschen Volksgruppe in Dänemark. Andererseits gehören auch die Vermittlung einer ausgeprägten Kompetenz in der dänischen Sprache sowie die Vermittlung dänischer Kultur und Geschichte zum natürlichen Auftrag der deutschen Minderheits-Schulen.

Neben der traditionellen Elternschaft aus der Volksgruppe finden zunehmend auch Eltern ohne unmittelbaren historischen Bezug zur Volksgruppe den Weg in deutsche Schulen, weil sie das Angebot für ihre Kinder fachlich, pädagogisch und gesellschaftspolitisch attraktiv finden.


 

Der deutsche Schulverein ist auch Träger der deutschen Kindergärten, die eine besondere Aufgabe haben, die dialektsprechenden Kinder spielerisch mit deutscher Umgangssprache auf den Besuch der deutschen Schule vorzubereiten. Unterhalten werden  z. Zt.(2021) 19 Kindergärten mit etwa 500 Kindern.[17)

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8. Kirche


Schleswig ist seit der Reformation nahezu ausschließlich evangelisch-lutherisch geprägt. Dies gilt für Nordschleswig auch heute, denn im Gegensatz zu Südschleswig gab es hier  nach dem 2. Weltkrieg keine Zuzüge von Flüchtlingen aus dem deutschen Osten. Bestimmendes Merkmal der lutherischen Kirche in Schleswig war seit der Reformation die deutsche Hochsprache, die in Gottesdiensten und dort vor allem bei der Predigt benutzt wurde.  Aufgrund der besonderen Sprachsituation in Nordschleswig hatte die deutsche Hochsprache in der Kirche eine ganz besondere Bedeutung. Wie schon erwähnt handelt es sich bei der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig nicht um eine Sprachminderheit, sondern eine Bekenntnis-Minderheit, die umgangssprachlich vorwiegend einen dänischen Dialekt spricht (Sønderjysk). Für das Bekenntnis ist aber die Kultursprache von ausschlaggebender Bedeutung, d. h. die Sprache, die man als Schriftsprache benutzt, als Sprache bei öffentlichen Auftritten und nicht zuletzt des Gottesdienstes und der Predigt. Für den Dialektsprecher war es von größter Bedeutung, in welcher Hochsprache er sein Vaterunser betet. Diese Hochsprache ist seine Kultursprache und damit ein wesentliches Identitätsmerkmal.[18]

Nach der Angliederung  Nordschleswigs 1920  an Dänemark wurde dänischerseits eine deutschsprachige kirchliche Versorgung akzeptiert, soweit hierfür „Bedarf“ vorläge. Bei der Feststellung dieses Bedarfes gab es jedoch unterschiedliche Anschauungen zwischen deutscher Minderheit und dänischer Regierung. Bedarf sah man  seitens der dänischen Volkskirche nur in den Städten Apenrade, Hadersleben, Sonderburg und Tondern. Deshalb gibt es in Nordschleswig Gemeinden mit deutschsprachiger kirchlicher Versorgung durch die dänische Volkskirche (Folkekirken) – vornehmlich in den vorgenannten Städten. Die übrigen deutschgesinnten Landgemeinden blieben ohne kirchliche Versorgung. Dies führte 1923 zur Gründung der Nordschleswigschen Gemeinde in Tingleff als Freikirche, genauer gesagt als Verein nach dänischem Recht. Sie hat sich zu diesem Zeitpunkt der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche angeschlossen und wurde von dort finanziell und organisatorisch unterstützt.

Diese Praxis wird – mit einer kurzen Unterbrechung - nach 1945 – bis heute fortgesetzt.  In den 4 Städten gibt es nach wie vor vier deutschsprachige Pastoren, die von der dänischen Volkskirche angestellt werden. Sie kommen häufig auch aus Schleswig-Holstein, so seit März 2020 die Pastorin Dorothea Lindow, die aus Eutin stammt, und nun die Gemeinden in Tondern und Uberg  betreut. Für die deutschen Gemeinden in den 4 nordschleswigschen Städten ist der dänische Bischof in Ripen zuständig

Für die ländlichen Bereiche ist gemäß dänischer Gesetzgebung eine evangelisch-lutherische „Freigemeinde“ verantwortlich, die Nordschleswigsche Gemeinde, die durch einen Anschlussvertrag eng mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (bis 1977 Schleswig-Holsteinische Landeskirche, dann Nordelbischen Kirche bis 2012) verbunden ist. Sie hat sieben Pfarrbezirke, die alle evangelisch-lutherischen Deutschen auf dem Lande betreuen können. Für die deutsche Volksgruppe ist diese Lösung von unschätzbarem  Wert, da so auch solche Christen an die deutsche Sprache gebunden werden, die den politischen und kulturellen Organisationen der Minderheit fern stehen.

Zwischen den deutschen Gemeinden in den Städten und auf dem Lande gibt es zwei verbindende Brücken. Zum einen bilden alle Pastoren und Pastorinnen einen gemeinsamen Konvent, der unter dem Vorsitz der Seniorin/des Seniors tagt. Zum anderen ist der »Verein der Freunde der Breklumer Mission in Nordschleswig e.V.« zu nennen, der sich der Äußeren Mission verpflichtet fühlt und Menschen ungeachtet ihrer Kirchenzugehörigkeit zusammenführt. [19)

9. Medien


Wichtigstes Medium der deutschen Volksgruppe ist die Zeitung „Der Nordschleswiger“. Sie wurde 1946 als Wochenzeitung gegründet und erscheint seit 1951 als Tageszeitung. Sie hat sich als Sprachrohr der Volksgruppe einen Namen gemacht und wird auch in der dänischen und deutschsprachigen Presse häufig zitiert, wenn es um deutsch-dänische oder Minderheitenfragen geht. Dank der Zuschüsse der Deutschen Bundesregierung kann sie auch als auflagenkleine Zeitung wirtschaftlich bestehen. Die Zeitung ist auch digital erhältlich. Der Nordschleswiger ist längst viel mehr als Papier, er ist das Aushängeschild der Volksgruppe! [20] Seit Anfang 2004 ist die Zeitung auch im Radio präsent. In Zusammenarbeit mit einem Privatsender werden zweimal täglich von Apenrade aus kurze Radionachrichten auf der Frequenz von „Skala FM“ in deutscher Sprache gesendet. Der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) würde keine eigenen Radio- und Fernsehsender anstreben, erläutert der Leiter des Sekretariats in Kopenhagen, Harro Hallmann. Dagegen setze man darauf, in höherem Maß in den sozialen Medien mit Videoinformationen präsent zu sein.

Der Europarat forderte im Oktober 2020 die dänische Regierung auf, konkrete Schritte in enger Zusammenarbeit mit den Deutschsprachigen zu unternehmen, um Radio und Fernsehsendungen auf passendem Niveau anzubieten. .[21)



10. Zukunft der Volksgruppe


Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig ist vom dänischen Staat als Minderheit entsprechend der Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und der Charta zum Schutz von Regional und Minderheitensprachen seit dem 1. 1. 2001 anerkannt. Zusätzlich zu der Bonn-Kopenhagener Erklärung ergibt sich dadurch eine zusätzliche Absicherung für die Volksgruppe, nicht zuletzt wegen der Kontrollmechanismen des Europarates.[23]
Auch wenn es in Teilbereichen Schwierigkeiten gibt[24], zeigt sich die Volksgruppe insgesamt in einer lebendigen, zukunftsträchtigen Verfassung.
Wichtigstes Anliegen des BdN ist die aktive Benutzung der deutschen Sprache, keine falsch verstandene Anpassung.[25] Die Situation der Nordschleswiger wurde von Hinrich Jürgensen, dem Vorsitzender des BDN in der Schlussansprache zum Deutschen Tag am 5. November 2011 sehr treffend wie folgt skizziert: "Es gilt aber auch der Tatsache ins Auge zu schauen, dass ein Leben „in der Minderheit eine tägliche Gratwanderung bedeutet zwischen der gewünschten Integration und der bedrohlichen Assimilation – die wir als Minderheitenangehörige zu bewältigen haben. Das ist keine leichte Übung, aber es ist auch das gewisse etwas – oder wie die Schleswigsche Partei es ausdrückt: das Salz in der Suppe. Eben das, was es bei uns so spannend macht. Dabei kann jeder einzelne sehr unterschiedliche Wege gehen. Die Bekenntnisfreiheit der Bonn-Kopenhagener Erklärungen ist heute eben nicht nur Bekenntnisfreiheit zur deutschen Minderheit, sondern auch die Freiheit individuell definieren zu dürfen, wie viel Minderheit man möchte. Auch das ist das Besondere bei uns.“[26]
Da auch die Finanzausstattung der Volksgruppe im wesentlichen für die nächsten Jahre gesichert ist[27], kann man ihrer Entwicklung in der Zukunft sicher positiv entgegensehen.






[1] Falls nicht zusätzlich vermerkt, erstellt auf Basis der Hinweise in: a) Handbuch der europäischen Volksgruppen, S. 267ff u. 318ff,  b) Karen Margarethe Pedersen „Die deutsche Minderheit in Dänemark und die dänische Minderheit in Deutschland“ in Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, S. 39f und
c) www.sydslesvigsk-forening.de
[2] Otto Pflanze: Bismarck der Reichsgründer, S. 241ff
[3] Otto Pflanze: Bismarck der Reichsgründer, S. 245ff
[4] Uwe Danker: Südschleswig 1945 bis 1955: Vom letzten Kampf zum dauerhaften Grenzfrieden.(www.shz.de/shzde/jhdstory)
[5] www.nordschleswig.dk
[6] Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, S. 48f
[7] In jüngster Zeit gibt es allerdings auf deutscher Seite Bestrebungen und die Möglichkeit, zweisprachige Ortstafeln (deutsch/dänisch) und Straßenschilder aufzustellen, nachdem es diese Möglichkeit für friesische Gemeinden bereits seit einiger Zeit gibt. – Minderheitenbericht der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung für 2009-2012
[8] Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten, S. 55
[9] www.bdn.dk
[10] www.bdn.dk und www.nordschleswiger.dk
[11] Globus 1/1996: Manfred Ritter (Vorsitzender des Kulturausschusses im BdN) „Dabei ist für fast jeden etwas“
[12] Globus 5/1993: Günter Weitling (Leiter des deutschen Museums) „Das kollektive Gedächtnis einer Volksgruppe“
[13] Der Nordschleswiger v. 16. 6 2008. In dem Bericht wird der Festredner Peter Iver Johannsen – langjähriger Generalsekretär des BDN - zitiert: …die Volksgruppe hat zur Vertiefung der deutsch-dänischen Beziehungen und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beizutragen. »In diesem Prozess werden wir weiter aktiv mitwirken und unsere Er­fahrungen im täglichen Um­­gang mit zwei Kulturen und zwei Mentalitäten zum Wohle der Region Sønderjylland-Schleswig einbringen.« Dabei gehe es schließlich um die kulturelle und wirtschaftliche Weiterentwicklung der Region und damit um die Zukunfts­chancen der Jugend.
[14] Globus, Heft 6/1988
[15] www.bdn.dk
[18] Globus 5/1990: Günter Weitling „Deutsches Kirchenleben zwischen Nord und Süd – Nordschleswig konfessionell ein lutherisches Kerngebiet“
[20] www.nordschleswiger.dk
[22] http://www.nordschleswiger.dk/uploads/mehr_als_nur_Papier.pdf
[23] Der Nordschleswiger v. 13. 11. 2002 und Minderheitenbericht der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung für 2009-2012
[24] Der Nordschleswiger v. 26. 11. 2002 berichtet über Probleme im Norden der Insel Alsen, wo z. B. der Sozialdienst aufgelöst wurde und es mit dem Vereinsleben rapide bergab gehe.
[25] Der Nordschleswiger v. 16. 6 2008. Festrede von Peter Iver Johannsen – langjähriger Generalsekretär des BDN

[27] http://www.bdn.dk/SEEEMS/46752.aspu. a. BDN Hauptvorsitzender: "Mit Überbrückungsgeldern über die Runden" und „Kontaktausschuss tagte auf dem Berg“



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