Der Post wurde fortlaufend aktualisiert - zuletzt im Mai 2024
1. Vorwort – Einführung
Auf der Halbinsel Krim hat Russland bereits 2014 Fakten geschaffen, so dass man m.E. davon ausgehen muss, dass die Krim für die Ukraine verloren ist. Die besondere Situation auf der Krim sowie der dortigen Minderheit der Krimtataren behandelt mein Post 3.201 Krimtataren.
1.2 Krieg in der Ukraine seit Februar 2022
Nun dauert der Krieg bereits über zwei Jahre an und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Westen reagierte auf den Einmarsch russischer Truppen mit nochmals verschärften Sanktionen gegen Russland. Außerdem unterstützt der Westen die Ukraine mit umfangreichen Waffenlieferungen. Leider haben weder Deutschland und der gesamte Westen bisher etwas unternommen, um eine friedliche Lösung des
Konfliktes anstreben. Allerdings hat man es vermieden, unmittelbar in den Krieg
einzugreifen, weil dass einen 3. Weltkrieg, ja sogar einen Atomkrieg, zur Folge haben könnte. Die
Ausweitung des Krieges und massive Waffenlieferungen des Westens an die
Ukraine erschweren jedoch eine diplomatische Offensive und Vermittlung. Nach meiner
Meinung haben die Sanktionen des Westens beginnend mit der Krim-Annexion bis heute nicht zur Deeskalation beigetragen, sondern
sie blockieren sogar eine Lösung. Die Sanktionen seit 2014 haben Russland sogar autarker gemacht und der westlichen Wirtschaft geschadet! Eine Lösung ist m. E. nur durch eine
realpolitische Einigung mit Russland zu erreichen. Da ist vor allem die USA in der Verantwortung. Aber auch die deutsche Regierung muss eine diplomatische Offensive starten.! Leider reagiert unsere Regierung (und auch die größte Oppositionspartei) bis jetzt
ausschließlich mit noch mehr Sanktionen gegen Russland, man will die Bundeswehr weiter
aufrüsten und liefert auch schwere Waffen an die Ukraine. Bei dieser Mentalität des
kalten Krieges sind nur wenige Stimmen der Vernunft zu hören. Und wie
in jedem Krieg ist zuerst die Wahrheit ein Verlierer. Die sicherlich in Russland bestehenden Sicherheitsbedürfnisse auf Grund der NATO-Osterweiterung hat man im Westen nicht ernst genommen. Bei den jetzigen Berichterstattungen hören wir nur die eine
Seite der Wahrheit - manchmal mit dem hilflosen Zusatz, dass sich die
Meldung neutral und objektiv nicht überprüfen lasse. Dabei hat auch die Ukraine zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. (siehe7. Neuere Entwicklungen und Perspektiven und 3. Sprachen - letzter Absatz-)
Es ist auch beschämend, dass man es ausgerechnet dem türkischen Präsidenten Erdogan überlassen hat, Vermittlungsgespräche zu führen, einem Herrn Erdogan, der wie Putin in ein Nachbarland (Syrien, Nord-Irak) einmarschiert und die dortigen Minderheiten (Kurden, Aleviten, Yeziden u.a.) tötet, vertreibt und schickaniert. Wo bleibt da die Kritik im Westen, der hier eine Doppelmoral vertritt und dadurch völlig unglaubwürdig wird, wenn mit zweierlei Maß reagiert wird und die Türkei keine Sanktionen zu befürchten hat.
Der Einwand, man könne mit Putin nicht verhandeln, muss vom Tisch. Man kann sich leider in der internationalen Politik seine Gesprächspartner nicht auswählen, sondern muss Realpolitik betreiben. Auch hier ist die deutsche Regierung unglaubwürdig, wenn sie Verhandlungen mit Putin ausschließt und gleichzeitig mit den Scheichs am Golf verhandelt, die weiß Gott keine Demokraten sind und die Menschenrechte mit Füßen treten. Ziel von Verhandlungen muss ein baldiger Waffenstillstand sein. Ein Waffenstillstand ist keine Kapitulation und keine Anerkennung von Grenzen! Wir Deutschen haben 40 Jahre lang die Oder-Neisse-Grenze und die Grenze zur DDR nicht anerkannt und sind dann mit der Wiedervereinigung belohnt worden. So lange muss es in der Ukraine nicht dauern, aber ab sofort hört das sinnlose Sterben von Soldaten und Zivilisten auf, ab sofort werden keine Wohnungen, Fabriken und Infrastrukturen mehr zerstört. Warum nimmt der Westen das alles billigend in kauf???
Inzwischen gibt es vielfältige Initiativen in Deutschland und offene Briefe an Bundeskanzler Scholz, endlich diplomatische Initiativen zu ergreifen, um das sinnlose Sterben und die Vernichtung materieller und kultureller Güter zu stoppen. Im ersten Schritt muss ein Waffenstillstand erreicht werden. Diese Initiativen unterstütze ich ausdrücklich. Um diesen Post nicht zu überfrachten habe ich die verschiedenen Aktionen in einem Sonderpost "Aufforderungen zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg" zusammen gefasst. Ich empfehle ihn der Aufmerksamkeit und bitte um Unterstützung der verschiedenen Aktionen.
Die weitere Entwicklung der Ukraine ist für den Frieden in Europa und zur Vermeidung eines 3. Weltkriegs von größter Bedeutung und ich hoffe weiterhin, dass EU, NATO, USA, Ukraine und Russland zu einer Übereinkunft der Vernunft gelangen.
Nun aber möchte ich die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe der Situation in der Ukraine aufzeigen. Bei den augenblicklichen Diskussionen im Westen wird leider übersehen, dass nicht erst seit dem Zusammenbruch der Sowjet-Union und der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 ein Riss durch dieses Land geht. Es ist gespalten zwischen westlich orientierten und russisch geprägten Ukrainern - auch wenn der augenblickliche Krieg diese Spaltung in den Hintergrund zu verschieben scheint. Aber die jetzige Regierung der Ukraine ist keineswegs so demokratisch, wie ihre Propaganda es darstellt - siehe dazu https://www.telepolis.de/features/Ukrainische-Regierung-buergert-Oppositionspolitiker-aus-7459557.html Ukrainische Regierung bürgert Oppositionspolitiker aus -.
2. Lage und Zahlen
3. Sprache(n)
Eine Sondergruppe bilden die Russinen oder Ruthenen. In der Ukraine wird diese Gruppe als zum ukrainischen Volk gehörig betrachtet, ihre Sprache gilt als ein Dialekt des Ukrainischen. Auch die meisten Linguisten ordnen die Ruthenen als Untergruppe der Ukrainisch-Sprecher ein, Demgegenüber verweist die Gesellschaft der Karpatho-Ruthenen auf ihren geschichtlich gewachsenen Abstand zum ukrainischen Volk. Besonders deutlich wird dieser Abstand bei der Sprache der Russinen in der Vojvodina. Siehe dazu meinen Post Vojvodina - Volksgruppen in Serbien. In Polen, der Slowakei, in Ungarn und Serbien werden Russinen/Ruthenen als eigenständige Minderheit neben den Ukrainern anerkannt.
Eine eigenständige ukrainische Sprachpolitik begann schon zum Ende der Sowjet-Union mit dem Sprachengesetz der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, das bereits im Oktober 1989 verabschiedet wurde. Durch das Gesetz wurde das Ukrainische zur Staatssprache erhoben, die russische Sprache behielt aber gleichzeitig eine Reihe von Privilegien. Die freie Wahl der Ausbildungssprache wurde garantiert und Russisch wurde zum Pflichtfach an allen staatlichen Schulen erklärt. Daher kann man besonders in der Mitte der Ukraine – im Großraum Kiew – davon ausgehen, dass eine bikulturelle ukrainisch-russischen Identität entstanden ist und etwa zwei Fünftel der Bevölkerung zu Hause beide Sprachen sprechen.[7]
4. Geschichte
Unter Iwan dem Großen wurde die russische Gesetzgebung reformiert und der Großteil des heutigen Moskauer Kremls erbaut. Sein Enkel Iwan IV(der Schreckliche, 1547-1584) ließ sich als "Zar und Selbstherrscher des ganzen großen Russland" krönen und begründete damit das Zarentum Russland. Unter seiner Herrschaft begann nach der Einnahme der Tataremhauptstadt Kasan auch die Eroberung Sibiriens durch russische Kosaken - im 17. Jahrhundert bis an den Pazifik.
Einer Phase der inneren Zerrüttung, der sogenannten Smuta, kam
Zar Peter I 1721 als Zar an die Macht und modernisierte mit den nach ihm benannten Reformen das Russische Reich und führte es an Westeuropa heran
Katharina II, die Große (Bildquelle http://www.geschichte-lernen.net)
Nach dem schwachen Zaren Peter III wurde seine Gemahlin Katharina II., am 9. Juli 1762 Zarin von Russland. Sie ist die einzige Herrscherin, der in der Geschichtsschreibung der Beiname die Große verliehen wurde. Sie war eine schillernde und umstrittene Persönlichkeit – vor allem auch wegen ihrer vielen Liebschaften. Katharina die Große wurde am 2.Mai 1729 als Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren. Auf Empfehlung Friedrichs des Großen kam sie mit 14 Jahren als vorgesehene Frau von Zar Peter III nach Russland. Sie war hoch intelligent. lernt schnell russisch konvertierte zum orthodoxen Glauben – durch die Taufe erfolgte der Namenswechsel - und durch einen Staatsstreich gegen ihren Mann ungeliebten Gatten kam sie mithilfe verbündeter Fürsten und Militärs als Zarin an die Macht. Katharina II. baute den Machtbereich Russlands in einem Maße aus wie kein russischer Herrscher vor ihr. In zwei russisch-türkischen Kriegen 1768–1774 sowie 1787–1792 eroberte sie den Zugang zum Schwarzen Meer, weite Küstengebiete – und was im Hinblick auf die heutige Ukraine wichtig ist die Halbinsel Krim -, die seitdem zu Russland gehört. Viele türkischstämmige Bewohner flohen in das osmanische Reich und Katharina siedelte in den weitgehend menschenleeren Gebieten Russen aber auch Deutsche an.
Die eingangs bereits angesprochene Krise der Ukraine dauert an und erreichte mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. 2. 2022 ihren vorläufigen Höhepunkt.
5. Religion
Auf Drängen des ukrainischen Präsidenten Poroschenko wurde im Jahre 2018 eine neue Orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet (ein Zusammenschluss der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats und der Ukrainisch Autonomen Orthodoxen Kirche) , die in einem feierlichen Gottesdienst am 6. 1. 2019 in der Sankt Georgs-Kirche in Istanbul vom ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I als selbständige Kirche anerkannt wurde.
Am Vortag hatte Bartholomäus, der Ehrenvorsitzende aller orthodoxen Kirchen,
mit dem neuen Kiewer Metropoliten Epiphanius im Patriarchat das Dekret über die Anerkennung der Kirche unterzeichnet. Poroschenko dankte dem weißbärtigen Patriarchen anschließend »im Namen der ukrainischen Nation« und sprach von einem »großen Tag« für sein Land. Prompt kam natürlich Protest vom Moskauer Patriarchen Kyrill und vom russischen Präsidenten Putin, die das Recht von Bartholomäus bestreiten, über die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche zu entscheiden, die seit drei Jahrhunderten dem Moskauer Patriarchat unterstellt sei. Schließlich gelten die Kiewer Kirchen und Klöster als nationale russische Heiligtümer, denn in Kiew begann ja 988 mit der Taufe von Großfürst Wladimir I die Christianisierung Russlands. Allerdings stößt das massive Engagement Poroschenkos in der Ukraine auch auf Kritik. Poroschenko setzte sich auch mit Nachdruck beim Gründungskonzil der Ukrainischen Nationalkirche für die Wahl des 39-jährigen Serhi Dumenko zum Oberhaupt ein, der nach der Wahl den Namen Epiphanius annahm.
Wie die Entwicklung weitergeht ist völlig offen, denn nun muss sich erst zeigen, welche Bischöfe der übrigen orthodoxen Kirchen in der Ukraine den neuen ukrainischen Patriarchen überhaupt anerkennen. Zunächst bleibt die Spaltung der Orthodoxie in der Ukraine - wie oben beschrieben - unverändert bestehen und von Einzelfällen abgesehen, wird sich daran auch durch den Schritt der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats nichts ändern. Auch ist noch völlig offen, welche anderen orthodoxen Kirchen die neue nationale orthodoxe Kirche der Ukraine anerkennen werden.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wachsen die Spannungen und Widersprüche ins Unermessliche: Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats orientierte sich bisher weitergehend, am Moskauer Patriarchen und sie galt als Russland-nah. Doch der Krieg hat auch das verändert. der Metropolit des Moskauer Patriarchats, Onufrij hat sich bei Kriegsbeginn auf die proukrainische Seite gestellt, gleich am ersten Tag des Krieges hat er sich proukrainisch zu Wort gemeldet.
Onufrij forderte: Putin solle mit der Gewalt aufhören; Putin solle die Integrität der Ukraine respektieren. – Das war ein großer Moment. Der höhergestellte Patriarch Kyrill in Moskau jedoch steht eindeutig auf Putins Seite. Beide sind riesigem Druck ausgesetzt.
Am 27. Mai 2022 fand ein Landeskonzil der Ukrainisch Othodoxen Kirche Moskauer Patriarchat statt. Dabei hat diese Kirche ihre „völlige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ von Moskau erklärt. Man sei uneins mit der Position des Moskauer Patriarchen Kyrill. Man verurteile den russischen Überfall auf die Ukraine und appellierte an die Ukraine und Russland, in Verhandlungen über ein Ende des Krieges einzutreten. Wie die Entwicklung weitergeht ist völlig offen. Erst wenn der politische Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einmal gelöst ist, kann es auch eine Übereinkunft über den Status der orthodoxen Kirchen in der Ukraine geben. Danach sieht es im Moment ohne Frieden in der Ukraine nicht aus.[16b]
6. Minderheiten in der Ukraine
Nur wenige Länder Europas haben bei der Ausarbeitung einer angemessenen Minderheiten-Politik in den über 25 Jahren seit der Unabhängigkeit so versagt, wie die Ukraine. Durch den jetzigen Krieg tritt dieses Problem zwar in den Hintergrund, bedarf aber einer vernünftigen Lösung, wenn man dauerhafte Konflikte vermeiden will. Hätte man der großen russischen Minderheit bereits durch die früheren Regierungen angemessene Autonomierechte und den dauerhaften Schutz ihrer Sprache eingeräumt, wäre es m. E. nicht zu den jetzigen extremen Konfrontationen und zum Krieg gekommen. Auch ist zu bedenken, dass neben der großen Minderheit der Russen (s.o.) in der Ukraine eine Vielzahl weiterer Minderheiten leben, deren Probleme von den Medien kaum beachtet und von allen ukrainischen Regierungen auch nicht angegangen wurden.6.1 Polen
6.2 Rumänen
Aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes besetzte die Sowjet-Union 1939 nicht nur die östlichen Gebiete Polens, sondern auch die Nordbukowina und Bessarabien. Von diesen Gebieten wurden nach dem 2. Weltkrieg die Nordbukowina an die Ukraine angegliedert. Trotz Umsiedlungen lebt in der Nord-Bukowina noch eine größere rumänische Minderheit, während die Deutschen und Juden in der Nord-Bukowina und der vormals von ihnen dominierten Stadt Czernowitz praktisch nicht mehr vertreten sind. In einigen Orten der Nord-Bukowina haben die Rumänen sogar die Bevölkerungsmehrheit, so dass Rumänisch als Regionalsprache in der Ukraine anerkannt ist. Die rumänische Minderheit in der Nord-Bukowina lebt meist in bitterer Armut. Eine Schilderung der kritischen Situation gibt ein Artikel in der Zeitschrift Publik-Forum, den ich Interessenten auf E-Mail-Anfrage gern zusende. Eine Frau schildert dort ihren Kampf ums Überleben und wie sie aufgrund ihrer rumänischen Mutterdsprache die Familie nur durchbringen kann, weil sie auf einem Markt in der nahen rumänischen Grenzstadt ukrainische Waren verkauft, die in Rumänien teurer sind.
Während der größte Teil Bessarabiens heute zu Moldawien gehört, wurde ein Bereich im Norden und Süden der Ukraine zugeschlagen, sodass auch hier eine Minderheit von Rumänen bzw. Moldawiern lebt. Insgesamt wird die Zahl der Rumänen und Moldawier in der Ukraine mit ca. 500.000 angegeben. Weitere Hinweise zu derSituation der Rumänen und Moldawier vor allem im ehemaligen Bessarabien gibt mein Post 2.23 Rumänen, romanische Volksgruppen.
6.3 Deutsche Volksgruppen
Die Zahl der heute in der Ukraine einschließlich der Krim lebenden Deutschen wird mit ca. 33.000 angegeben.[18] Von den vor dem 2. Weltkrieg zahlreichen Juden - die häufig auch zur deutschen Sprache und Kultur tendierten - zählt man noch ca. 100.000. Weitere Hinweise zur deutschen Minderheit in der Ukraine gibt mein Post Russland-Deutsche und zu den ehemals deutschen Volksgruppen in der Bukowina und Bessarabien siehe meinen Post Deutsche Volksgruppe(n) in Rumänien.6.4 Roma
Neben den schon erwähnten Polen und Rumänen sind als größere Minderheit besonders die Roma zu nennen, von denen es nach offiziellen Angaben in der Ukraine nur 47.000 gibt, nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker aber ca. 400.000, die in der Regel aus Angst vor Diskriminierung ihre Ethnie verheimlichen, zum Teil auch keine Identitätsnachweise besitzen und daher rechtlich gar nicht existieren. Ihre Arbeitslosigkeit beträgt 91%, die Analphabeten-Rate 50%.[17] Ein Artikel in pogrom 301 Nr. 4/2017 schildert die ausweglose Lage der Roma in der Ukraine. Darnach haben offensichtlich vom Staat autorisierte Schlägergruppen die Roma einer Siedlung am Telbinsee in Kiew mit grober Einschüchterung zum Verlassen der Siedlung aufgefordert und verteilten dabei kostenlose Bus- und Bahnfahrkarten ohne Rückfahrt. Viele Roma flohen nach Transkarpatien, andere versteckten sich in benachbarten Bezirken. Die Siedlung wurde anschließend von den Schlägern angezündet und sie wurde ein Raub der Flammen. Die Nachbarn der Siedlung bejubelten den Einsatz der "Befreier", denn in der Ukraine ist das Vorurteil weit verbreitet, dass alle Roma stehlen, Kinder entführen und mit Drogen handeln. Ein bekannter Musiker bittet den Reporter inständig: Erzähle bloß niemandem, dass ich Rom bin". Roma, die aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine nach Westen geflohen waren, sind wieder in das Donbass-Gebiet zurückgekehrt, weil sie sich dort im Kriegsgebiet sicherer fühlen, als im von Hass und Ablehnung geprägten Bereich der westlichen Ukraine. Das European Roma Rights Centre berichtet von Diskriminierungen der Roma-Kinder in den Schulen. Die meisten Kinder verlassen vorzeitig die Schule, oft ohne ausreichend lesen und schreiben zu können. Daraus erwächst ein Teufelskreis, denn nun werden sie noch mehr geächtet und finden keine Arbeitsstelle. Viele Roma besitzen auch keine Ausweispapiere und erhalten deshalb auch keine Sozialhilfe. (pogrom 298_1/2017). Nach Angaben des European Roma Rights Center Budapest haben sich auch im Jahr 2018 in Kiew und vielen weiteren ukrainischen Städten Pogrome gegen die Roma ereignet, bei denen Unterkünfte von Roma-Familien zerstört und niedergebrannt, diese vertrieben, mit Baseball-Schlägern und Messern angegriffen, verletzt und auch ein Mensch getötet wurde. Verantwortlich sind rechtsradikale Organisationen, die sich anschließend im Internet mit gefilmten Videos ihrer Taten rühmen. Die ukrainische Justiz agiert in der Regel mangelhaft. (pogrom Nr. 4/2018)6.5 Krimtataren
Den Krimtataren und ihrer besonderen Situation habe ich gemäß dem angebrachten Link einen besonderen Post gewidmet.6.6 Ungarn
Die ungarische Minderheit lebt vor allem in Transkarpatien an der Grenze zu Ungarn und zählt ca. 150.000 Angehörige. Über sie habe ich einen Post Ungarn in der Ukraine veröffentlicht.
6.7 Bulgaren
Seit den russisch-türkischen Kriegen von 1806 - 1812 leben bulgarische Flüchtlinge in der Region Budschak im Oblast Odessa. Nach dem Pariser Frieden von 1856 wurde Bessarabien geteilt und ein Teil fiel an Rumänien, der Rest blieb bei Russland. In der Folge blieb Bessarabien ein Zankapfel zwischen Russland und Rumänien, worunter die Minderheit der Bulgaren lange Zeit zu leiden hatte. Über die geschichtliche Entwicklung Bessarabiens siehe meinen Post 2.23 Rumänen, romanische Volksgruppen. Dort ist auch eine Karte des aufgeteilten Bessarabiens zu sehen. Unter russischer bzw. sowjetischer Herrschaft setzte ein Prozess der Russifizierung ein, der erst in den1980er Jahren endete. Nun fomierte sich die bulgarische Minderheit in kulturellen Vereinen, es gab bulgarische Zeitungen und auch bulgarischen Schulunterricht. Mit dem Zerfall der Sowjet-Union wurden die Bulgaren ukrainische Staatsangehörige. 1993 wurde eine Vereinigung der Bulgaren in der Ukraine gegründet, die ca. 200.000 Bulgaren vertritt, die nach wie vor im Bereich des Budschak und im Oblast Odessa leben. Etwa 2/3 von ihnen sprechen noch ihre Muttersprache. Auch zum bulgarischen Mutterland werden inzwischen intensive Kontakte gepflegt. (pogrom 298_1/2017)6.8 Weissrussen
6.9 Ruthenen - Russinen (Rusynen) - Karpatho-Ruthenen
Auf die besondere Situation dieser Volksgruppe habe ich bereits unter Sprachen hingewiesen. Laut Wikipedia ist die Bezeichnung Ruthenen die latinisierte Form von Rusyn/Rusin, so dass man heute richtigerweise von Russinen spricht. Im deutschen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung Ruthenen allerdings immer noch aktuell.
Das Siedlungsgebiet der gemischtsprachigen Bevölkerungsgruppe liegt hauptsächlich in den Karpaten, vor allem im ukrainischen Teil von Transkarpatien. Darüber hinaus gibt es ruthenische Minderheiten in Polen, der Slowakei, Rumänien, Serbien und der Vojvodina u.a. Zu den Ruthenen zählen auch die Untergruppen der Lemken (vor allem in Polen), Bojken und Huzulen (Im Grenzgebiet Ukraine, Polen, Rumänien)
Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie kam die Karpaten-Ukraine zur neu gegründeten Tschechoslowakei. Nach 1945 wurde sie der Sowjet-Union und damit der Ukraine angegliedert.(siehe auch obige Karte der Sprachen und Minderheiten in der Ukraine)
In der Sowjet-Union und in der ab 1991 unabhängigen Ukraine wird diese Volksgruppe als zum ukrainischen
Volk gehörig betrachtet, während sie in Polen, der Slowakei und vielen anderen Staaten als eine von
den Ukrainern getrennte Minderheit anerkannt wird. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine haben die Russinen/Ruthenen in einer Volksabstimmung 1991 die Anerkennung als nationale Minderheit und die Errichtung einer autonomen Region Transkarpathien gefordert. Dies wird bis heute von allen ukrainischen Regierungen abgelehnt. Nach vielen voraufgegangenen Resolutionen hat die Föderalistische Union
Europäischer Volksgruppen (FUEV – FUEN)) zuletzt in einer Resolution 2014 nochmals die Anerkennung der Volksgruppe der Podkarpatischen Ruthenen und
das Ende ihrer Zwangsassimilation in der Ukraine gefordert und auf den nicht erfüllten Wunsch der Ruthenen nach Autonomie verwiesen.
Vertreter der Russinen, die sich als eigene Ethnie verstehen, gehen von bis zu 1,5 Millionen Russinen in Europa aus, davon ca. 1,2 Millionen in der Ukraine. Bei der letzten Volkszählung gaben in der Ukraine allerdings nur 10.000 Bewohner als Ethnie Russinen/Ruthenen an. Die zeigt das Problem der Identität eines Volkes auf, das in der Geschichte durch russische, polnische und slowakischen Einflüsse geprägt und lange kulturell und religiös unterdrückt wurde. (siehe auch
6.10 Griechen (nordasowsche Griechen)
Ihre Zahl wird auf 100 bis 150.000 geschätzt. Ihre Ursprünge gehen auf Besiedlungen der Schwarzmeerküste durch griechische Vorfahren zurück. Im Russischen Reich wurde die Minderheit bereits unterdrückt und u.a. von der Krim vertrieben. Heute leben asowsche Griechen vor allem im Donezk und dort in der Hafenstadt Mariupol und 75 umliegenden Dörfern. Viele von ihnen sind durch den jetzigen Krieg geflohen und fürchten im Exil und der Zerstreuung um den Erhalt ihrer ethnischen Identität.
Vertreter der Russinen, die sich als eigene Ethnie verstehen, gehen von bis zu 1,5 Millionen Russinen in Europa aus, davon ca. 1,2 Millionen in der Ukraine. Bei der letzten Volkszählung gaben in der Ukraine allerdings nur 10.000 Bewohner als Ethnie Russinen/Ruthenen an. Die zeigt das Problem der Identität eines Volkes auf, das in der Geschichte durch russische, polnische und slowakischen Einflüsse geprägt und lange kulturell und religiös unterdrückt wurde. (siehe auch
6.10 Griechen (nordasowsche Griechen)
6.11 Weitere Volkgruppen und Minderheiten in der Ukraine
7. Neuere Entwicklungen und Perspektiven:
Entwicklung zwischen 2013 und heute
Di Die Proteste auf dem Maidanplatz in Kiew und in der Folge im ganzen Land zwischen November 2013 und Februar 2014 wurden ausgelöst, als die russisch-freundliche Regierung unter Ministerpräsident Asarow erklärte, ein Assoziierungsabkommen mit der europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Die Demonstranten forderten hingegen die sofortige Unterzeichnung, Neuwahlen und eine Amtsenthebung des gewählten Präsidenten Janukowytsch. Die Folgen sind bekannt: Die Flucht und Amtsenthebung Janukowytschs, ein Regierungswechsel hin zu einer westlich orientierten Regierung und die Annexion der Krim durch Russland.
Andererseits muss sich der Westen auch selbstkritisch fragen, ob er bei den Ukrainern nicht hohe Erwartungen an eine baldige Mitgliedschaft in der NATO und der EU geweckt hat, die auf der anderen Seite bei den Russen erst ein Umdenken bewirkt haben. Ohne massive Unterstützung aus dem Westen und vor allem der USA wäre die Maidan-Revolution wohl gar nicht gelungen.(20) Eine Aufnahme der Ukraine im derzeitigen Zustand in NATO und EU ist z. Zt. keinesfalls möglich. Der Protest auf dem Maidan hat zwar einen Umschwung eingeleitet. aber es bestehen nach wie vor große Demokratie-Defizite . Der Demokratisierungsprozess ist noch im Anfangsstadium. Denken wir nur an den Einfluss der verschiedenen Oligarchen auf die Politik, den Einfluss rechtsradikaler Gruppen im Militär - wie das ASOW-Regiment - oder andere demokratische Standards, wie die Behandlung von Minderheiten (s.o.) Nicht zu Unrecht fragte "Die Zeit" nach der Wahl Poroschenkos in einem Beitrag: "Oligarchie statt Anarchie?" und verweist auf den wichtigsten Oligarchen der Ostukraine, den Stahlbaron Rinat Achmetow, ohne dessen Einbindung kein Ausgleich West-Ost möglich wird.[21] So kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung auch zu dem Ergebnis, dass die Verhältnisse zwar besser sind als in Russland, aber noch ein großer Abstand zu anderen Staaten besteht.
Nur eine friedliche Lösung des Konfliktes liegt im Interesse ganz Europas, denn eine militärische Lösung wäre für alle Seiten verhängnisvoll. Eine Neutralisierung der Ukraine, die von Russland und der NATO garantiert wird, hätte m. E. die jetzige Kriegssituation verhindert und bleibt eine Option für eine Lösung des Konfliktes.
Süddeutsche.de vom 19. März 2014 „Berichterstattung über die Krim-Krise - Blick aus der Blase“ und zu den unterschiedlichen Kulturen
Samuel P. Huntington “Der Kampf der Kulturen – The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert” – München, Wien 1996 und Interview mit der TAZ v. 18.5.1994
[16b) Publik-Forum Nr. 01/2019 und Nr. 11/2022 und https://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainisch-Orthodoxe_Kirche_(2022)
[17] http://derstandard.at/1338558631402/Fussball-EM-Alte-und-neue-Feindbilder-in-der-Ukraine
[18] http://www.agdm.fuen.org/ - über die Deutschen in der Ukraine, auf der Krim und in anderen Staaten der ehemaligenSowjet-Union (GUS-Staaten) siehe meinen Post unter 2.0120 (Russland-Deutsche)
(19a) Berner Zeitung vom 27. 9.2017 und Deutschlandfunk, Sendung "Europa heute" vom 19.9. 2017
(20) Reinhard Lauterbach: "Bürgerkrieg in der Ukraine" - Geschichte, Hintergründe, Beteiligte - Edition Berolina, Berlin 2014
[21] "Die Zeit" vom 28. 5. 2014 und vom 9. 7. 2015 unter dem Titel "Zerschossene Illusion - Minsk 2 sollte den Krieg in der Ukraine beenden. Das Friedensabkommen ist gescheitert - doch das will niemand zugeben."
Da waren Sie ja regelrecht ein Prophet. Kompliment! Danke auch für die vielen guten Infos auf dieser Seite.
AntwortenLöschenJedoch ist Herr Merz wohl definitiv der falsche Ansprechpartner für das Umsetzen von föderalen Projekten, da ich ihn eher auf der der Seite des Grosskapitals verorte. Dem grossen Geld (Black Rock) ist Föderalismus ein Greuel.