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2.32 Ukrainer, ukrainisch, Ukraine


Der Post wurde fortlaufend aktualisiert - zuletzt im Mai 2024

1. Vorwort – Einführung

Die Ukraine ist seit den Protesten auf dem Maidan in Kiew beginnend im November 2013 ein nicht endendes Thema in den Medien. Aus den Protesten  gegen die russlandfreundliche Politik des Präsidenten Janukowitsch entwickelte sich ein Grundsatzkonflikt zwischen einer westlichen und östlichen Ukraine, einer Ukraine im Westen,  die für  eine engere Bindung an die Europäische Union kämpft und  einer gegenläufigen – von Russland unterstützten - Entwicklung im Osten der Ukraine. Die Aufteilung in West- und Ost-Ukraine ist hier nicht nur geografisch zu verstehen, sondern vor allem im Hinblick auf unterschiedliche Kulturen, Mentalitäten und geschichtliche Erfahrungen. Denn dieser Konflikt hat eine lange Geschichte. Nur wer  sich mit den historisch gewachsenen Hintergründen näher beschäftigt, versteht auch warum eine Einigung so schwierig ist. Es ist das Anliegen dieses  Beitrags die vielfältigen historischen und kulturellen Hintergründe aufzuzeigen.
Auf der  Halbinsel Krim hat Russland bereits 2014 Fakten geschaffen, so dass  man m.E. davon ausgehen muss, dass die Krim für die Ukraine  verloren ist. Die besondere Situation auf der Krim sowie der dortigen Minderheit der Krimtataren behandelt mein Post 3.201 Krimtataren.

1.2 Krieg in der Ukraine seit Februar 2022

Aus aktuellem Anlass habe ich diesen Absatz eingeschoben, denn seit Anfang 2022 verschärfte sich die Lage in der Ukraine, nachdem Russland am 24.2.2022  mit seinen Truppen in die Ukraine einmarschierte. Der Einmarsch russischer Truppen  veränderte die Situation von Grund auf. Der Westen war darauf nicht vorbereitet. Niemand hatte dem russischen Präsidenten Putin zugetraut, dass er in Europa einen Krieg mit weitreichenden Folgen vom Zaune bricht. Allerdings hat es die westliche Diplomatie in den voraufgegangenen Jahrzehnten nach dem Ende der Sowjet-Union auch versäumt, eine neue Friedensordnung in Europa zu schaffen, die auch die Interessen Russlands berücksichtigt. Die Ausweitung der NATO nach Osten wurde nicht hinreichend mit Russland abgesprochen. Statt dessen hat man der Ukraine eine Mitgliedschaft in der EU und NATO in Aussicht gestellt, was für Russland eine rote Linie war. Russlands Machthaber Putin hatte aber wohl auch nicht mit dem Widerstand in der Ukraine gerechnet und wohl auf große Unterstützung durch die russischsprachige Bevölkerung gehofft. Dieses Ziel hat er nicht erreicht, sondern es zeigt sich im Gegenteil eine Entwicklung, dass aufgrund des gemeinsamen Schicksals ein Zusammenwachsen der Bevölkerung in der Ukraine gleich welcher Muttersprache stattfindet. Auch die geschlossene Verurteilung des Krieges im Westen und die massive Unterstützung der Ukraine durch den Westen hat Putin sicher unterschätzt.

Nun dauert der Krieg bereits über zwei  Jahre an und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Westen reagierte auf den Einmarsch russischer Truppen mit nochmals verschärften Sanktionen gegen Russland. Außerdem unterstützt der Westen die Ukraine mit umfangreichen Waffenlieferungen. Leider haben weder Deutschland und der gesamte Westen bisher etwas unternommen, um eine friedliche Lösung des Konfliktes anstreben. Allerdings hat man es vermieden,  unmittelbar in den Krieg einzugreifen, weil dass einen 3. Weltkrieg, ja sogar einen Atomkrieg, zur Folge haben könnte. Die Ausweitung des Krieges und massive Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine erschweren jedoch eine diplomatische Offensive und Vermittlung.  Nach meiner Meinung  haben die Sanktionen  des Westens beginnend mit der Krim-Annexion bis heute nicht zur Deeskalation beigetragen, sondern sie blockieren sogar eine Lösung. Die Sanktionen seit 2014 haben Russland sogar autarker gemacht und der westlichen Wirtschaft geschadet! Eine Lösung ist m. E. nur durch eine realpolitische Einigung mit Russland zu erreichen. Da ist vor allem  die USA in der Verantwortung.  Aber auch die deutsche Regierung muss eine diplomatische Offensive starten.! Leider  reagiert unsere Regierung (und auch die größte Oppositionspartei) bis jetzt ausschließlich mit noch mehr Sanktionen gegen Russland, man will die Bundeswehr weiter aufrüsten und liefert auch schwere Waffen an die Ukraine. Bei dieser Mentalität des kalten Krieges sind nur wenige Stimmen der Vernunft zu hören. Und wie in jedem Krieg ist zuerst die Wahrheit ein Verlierer. Die sicherlich in Russland bestehenden Sicherheitsbedürfnisse auf Grund der NATO-Osterweiterung hat man im Westen nicht ernst genommen. Bei den jetzigen Berichterstattungen hören wir nur die eine Seite der Wahrheit - manchmal mit dem hilflosen Zusatz, dass sich die Meldung neutral und objektiv nicht überprüfen lasse. Dabei hat auch die Ukraine zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. (siehe7. Neuere Entwicklungen und Perspektiven und 3. Sprachen - letzter Absatz-)

Es ist auch beschämend, dass man es ausgerechnet dem türkischen Präsidenten  Erdogan überlassen hat, Vermittlungsgespräche zu führen, einem Herrn Erdogan, der wie Putin in ein Nachbarland (Syrien, Nord-Irak) einmarschiert und die dortigen Minderheiten (Kurden, Aleviten, Yeziden u.a.) tötet, vertreibt und schickaniert.  Wo bleibt da die Kritik im Westen, der hier eine Doppelmoral vertritt und dadurch völlig unglaubwürdig wird, wenn mit zweierlei Maß reagiert wird und die Türkei keine Sanktionen zu befürchten hat.

Der Einwand, man  könne mit Putin nicht verhandeln, muss vom Tisch.  Man kann sich leider in der internationalen Politik seine Gesprächspartner nicht auswählen, sondern muss Realpolitik betreiben. Auch hier ist die deutsche Regierung unglaubwürdig, wenn sie Verhandlungen mit Putin ausschließt und gleichzeitig mit den Scheichs am Golf verhandelt, die weiß Gott keine Demokraten sind und die Menschenrechte mit Füßen treten. Ziel von Verhandlungen muss ein baldiger Waffenstillstand sein. Ein Waffenstillstand ist keine Kapitulation und keine Anerkennung von Grenzen! Wir Deutschen haben 40 Jahre lang die Oder-Neisse-Grenze und die Grenze zur DDR nicht anerkannt und sind dann mit der Wiedervereinigung belohnt worden. So lange muss es in der Ukraine nicht dauern, aber ab sofort hört das sinnlose Sterben von Soldaten und Zivilisten auf, ab sofort werden keine Wohnungen, Fabriken und Infrastrukturen mehr zerstört. Warum nimmt der Westen das alles billigend in kauf???

Inzwischen gibt es vielfältige Initiativen in Deutschland und offene Briefe an Bundeskanzler Scholz, endlich diplomatische Initiativen zu ergreifen, um das sinnlose Sterben und die Vernichtung materieller und kultureller Güter zu stoppen. Im ersten Schritt muss ein Waffenstillstand erreicht werden. Diese Initiativen unterstütze ich ausdrücklich.  Um diesen Post nicht zu überfrachten habe ich die verschiedenen Aktionen in einem Sonderpost "Aufforderungen zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg" zusammen gefasst. Ich empfehle ihn der Aufmerksamkeit und bitte um Unterstützung der verschiedenen Aktionen. 

Die weitere Entwicklung der Ukraine ist für den Frieden in Europa und zur Vermeidung eines 3. Weltkriegs von größter Bedeutung und ich hoffe weiterhin, dass EU, NATO,  USA, Ukraine und Russland zu einer Übereinkunft der Vernunft gelangen. 



Nun aber möchte ich  die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe der Situation in der Ukraine aufzeigen. Bei den augenblicklichen Diskussionen im Westen wird leider übersehen, dass nicht erst seit dem Zusammenbruch der Sowjet-Union und der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 ein Riss durch dieses Land geht. Es ist gespalten zwischen westlich orientierten und russisch geprägten Ukrainern - auch wenn der augenblickliche Krieg diese Spaltung in den Hintergrund zu verschieben scheint. Aber die jetzige Regierung der Ukraine ist keineswegs so demokratisch, wie ihre Propaganda es darstellt - siehe dazu https://www.telepolis.de/features/Ukrainische-Regierung-buergert-Oppositionspolitiker-aus-7459557.html Ukrainische Regierung bürgert Oppositionspolitiker aus -.
 Die Gründe der Unterschiede liegen vor allem in  der unterschiedlichen Geschichte, Kultur, Sprache und Religion) der verschiedenen Landesteile (siehe 3. Sprache, 4.Geschichte, 5. Religion). Daher waren die ukrainischen Politiker nach der Unabhängigkeit schlecht beraten, einen  zentralistisch geordneten Staat zu installieren, und das war für ein Land mit einer großen russischen und vielen weiteren ethnischen Minderheiten (siehe Abschnitt 6. Minderheiten) eine konfliktträchtige Lösung. So gab es in der jungen Geschichte der selbständigen Ukraine immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den westlich und östlich geprägten Kulturkreisen. Bereits in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat der bekannte amerikanische Forscher Samuel Phillips Huntington vorausgesagt, dass sich Spannungen und Konflikte  an der Bruchstelle dieser Kulturen ereignen werden. Er schrieb: Die Ukraine ist ...ein gespaltenes Land mit zwei unterschiedlichen Kulturen. Die kulturelle Bruchlinie zwischen dem Westen und der Orthodoxie verläuft seit Jahrhunderten durch das Herz des Landes“. Und wie eine Mahnung an heutige Politiker im Westen klingt seine Aussage: „…wenn man die Unterschiede anerkennt, verhindert man Fehlwahrnehmung“ [1] - Leider haben  verantwortliche Politiker der Ukraine auch wenig weitsichtig gehandelt, als sie statt eine Neutralität des Landes international absichern zu lassen,  eine Mitgliedschaft in der NATO und der EU angestrebt haben. Leider hat auch der Westen hier nicht weise reagiert und die Interessen Russlands nicht ernst genommen.

2. Lage und Zahlen 


Die Lage der Ukraine ist aus der nachstehenden Übersichtskarte zu ersehen. Die hier noch als Autonome Republik Krim bezeichnete Gebiet einschließlich der Stadt Sewastopol hat sich inzwischen der Russischen Föderation angeschlossen, was von den westlichen Staaten allerdings nicht anerkannt wird.



Eine weitere Karte ist bei allen Diskussionen über die Ukraine ebenso wichtig, denn sie beleuchtet die oben von mir bereits angesprochene ethnisch-kulturelle Spaltung des Landes


Karte der Sprachen und Minderheiten in der Ukraine - Quelle: Karte des Bayerischer Rundfunk

Die Ukraine hatte laut amtlicher Statistik Anfang 2014 rund 45 Millionen Einwohner. Bei der Volkszählung im Jahre 2001 erklärten sich 77,8 % als ethnische Ukrainer (37,5 Mio.) und 17,3 % (8,3 Mio.) als ethnische Russen. Daneben gibt es noch eine Anzahl weiterer Minderheiten (s. Punkt 6.). Interessant ist nun, dass bei der Volkszählung 2001 auch nach der Muttersprache gefragt wurde und dabei ergab sich, dass 14,8% der Ukrainer Russisch als Muttersprache angaben, aber nur 3,9% der Russen ukrainisch. Anderen Angaben zu Folge ist der Anteil der Russisch-Sprecher noch höher. Eine Statistik aus dem Jahre 2011 ergab, dass 42,8 % der ukrainischen Bevölkerung zu Hause ukrainisch sprechen, 38,6 % russisch und 17,1% beide Sprachen verwenden.[2] Auch diese Zahlen geben einen deutlichen Hinweis auf die kulturelle Spaltung des Landes.

Durch Umsiedlungen im zaristischen Russland und in der Sowjet-Union, die Wirren im und nach dem 2. Weltkrieg sowie Auswanderungen leben heute viele Ukrainer außerhalb der Ukraine. Große Gruppen gibt es  in der Russischen Föderation (ca. 2,9 Mio.), in Weißrussland, Kasachstan und den anderen Staaten der ehemaligen Sowjet-Union.  Weitere Auslands-Gruppen gibt es  in Polen, der Slowakei, in Rumänien, Kanada, den USA, in Brasilien, Argentinien und vielen weiteren Staaten. Auch in Deutschland leben ca. 30 – 40.000 Ukrainer.

3. Sprache(n)


Ukrainisch gehört neben Russisch und Weißrussisch zur Gruppe der Ostslawischen Sprachen. Sie ist die Staatssprache in der Ukraine und wird – wie oben beschrieben - dort von mehr als 30 Millionen Einwohnern gesprochen. Ukrainisch wird wie Russisch mit dem Kyrillischen Alphabet geschrieben, wobei die ukrainische Version in einigen Buchstaben vom Russischen abweicht und  im Gegensatz zur russischen Schreibweise wird das ukrainische auch so geschrieben, wie es gesprochen wird.[3]

Die Zahl der Ukrainisch-Sprecher weltweit wird auf 42 bis 50 Millionen geschätzt.[4] Die Zahlen schwanken deshalb sehr stark, weil in der Ukraine -  wie bei den statistischen Angaben geschildert – je nach Fragestellung sehr unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Auch in den Auswanderungsländern muss man berücksichtigen, dass ein hoher Prozentsatz der ethnischen Ukrainer inzwischen die Muttersprache nicht oder nur unzulänglich beherrscht (z. B. in Kanada über   1 Mio. ethnische Ukrainer nach der Volkszählung 2001). Hinzu kommt, dass es in der Umgangssprache der Ukrainer auch eine Sprachmischung aus russisch und ukrainisch, das so genannte Surschyk, gibt. 

Eine Sondergruppe bilden  die Russinen oder Ruthenen. In der Ukraine wird diese Gruppe als zum ukrainischen Volk gehörig betrachtet, ihre Sprache gilt als ein Dialekt des Ukrainischen. Auch die meisten Linguisten ordnen die Ruthenen als Untergruppe der Ukrainisch-Sprecher ein,  Demgegenüber verweist die Gesellschaft der Karpatho-Ruthenen auf ihren geschichtlich gewachsenen Abstand zum ukrainischen Volk. Besonders deutlich wird dieser Abstand bei der Sprache der Russinen in der Vojvodina. Siehe dazu meinen Post Vojvodina - Volksgruppen in Serbien. In Polen, der Slowakei, in Ungarn und Serbien werden Russinen/Ruthenen als eigenständige Minderheit neben den Ukrainern anerkannt.

Zur Sprachgeschichte des Ukrainischen muss man wissen, dass bis ins 14. Jahrhundert im  Gebiet  des Reiches von Kiew (Kiewer Rus - siehe Geschichte)  eine gemeinsame ostslawische Sprache verwendet wurde, aus der sich die heutigen ostslawischen Sprachen, also sowohl das Russische (Großrussische), das Ukrainische und das Weißrussische (Belorussische) entwickelten. Der Westen der Ukraine (und auch Weißrusslands) fielen im 14. Jahrhundert an das Großfürstentum Litauen und damit in der Folge bis zu den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert  an das Polnisch-Litauische Reich. Dadurch wurde auch die ukrainische Sprache über mehrere Jahrhunderte vom Polnischen beeinflusst. Im Osten der Ukraine kam es jedoch zu einer engen Anlehnung an das immer stärker werdende russische Reich von Moskau. Die Spaltung der Ukraine in einen Westteil (zu Polen-Litauen gehörig) und einen Ostteil, der sich an Russland anlehnte, hat bis heute Folgen - auch für die Sprache. Manche Linguisten , wie z. B. der Gründer der Slawistik Dobrowski, halten das Ukrainische (wie auch das Weißrussische) sogar für einen russischen Dialekt. Lange wurde das Ukrainische auch als kleinrussisch bezeichnet. Bis ins 19. Jahrhundert gab es kein bedeutsames literarisches Werk in ukrainischer Sprache. 1863 wurde Ukrainisch durch Zarenerlass aus dem Unterrichtswesen verbannt. Daraufhin wanderten viele ukrainische Intellektuelle nach Galizien aus, das damals zu Österreich gehörte. Hier wurde die Entwicklung der westlichen Variante des Ukrainischen gepflegt. In der Sowjet-Zeit war Ukrainisch in der Ukrainischen Sowjetrepublik zwar offizielle gleichberechtigte Sprache, aber das Russische dominierte doch als übergeordnete Verkehrs-Sprache, der Machtzentrale, der Ämter und der Medien.[5]   Es gab  zahlreiche Einschränkungen der ukrainischen Sprache. Eine Ausnahme bildeten lediglich die 1920er Jahre.  Besonders nachteilig für die ukrainische Sprache wirkten sich dann die Säuberungen der Stalin-Zeit in den Jahren 1932/33 aus. Diesen Säuberungen fielen vor allem Intellektuelle und Schriftsteller zum Opfer. Von den 246 Schriftstellern, die 1930 in der Ukraine wirkten wurden 173 eingekerkert oder deportiert, 16 wurden erschossen, 11 verschwanden spurlos, 4 begingen Selbstmord und nur einer entkam ins Ausland. Zahlenmäßig  mag der Anteil der Schriftsteller – im Verhältnis zu den gesamten Opfern des Stalin-Terrors – gering sein, aber der Verlust für die ukrainische Sprache war bedeutsam.[6] Während der Sowjetzeit wurden darüber hinaus in den Kohlerevieren der Ost-Ukraine viele ethnische Russen angesiedelt oder ganz einfach durch besseren Lebensstandard angelockt, was zu einer weiteren Beeinträchtigung der ukrainischen Sprache auch im Bereich der SSR Ukraine beitrug, der bis heute fortwirkt.  
Eine eigenständige ukrainische Sprachpolitik begann schon zum Ende der Sowjet-Union mit dem Sprachengesetz der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, das bereits im Oktober 1989 verabschiedet wurde. Durch das Gesetz wurde das Ukrainische zur Staatssprache erhoben, die russische Sprache behielt aber gleichzeitig eine Reihe von Privilegien. Die freie Wahl der Ausbildungssprache wurde garantiert und Russisch wurde zum Pflichtfach an allen staatlichen Schulen erklärt. Daher kann man besonders in der Mitte der Ukraine – im Großraum Kiew – davon ausgehen,  dass eine bikulturelle  ukrainisch-russischen Identität entstanden ist und etwa zwei Fünftel der Bevölkerung zu Hause beide Sprachen sprechen.[7]
Diese Einschätzung beschreibt ein Schweizer Ökonom und Finanzanalyst sehr plastisch in seinem Blog wie folgt: „…Doch wie stark ist nun das Russische in Kiew verbreitet? Gemäß meinen Erfahrungen wird vorwiegend Russisch gesprochen, sogar von den Kindern! Im Geschäftsleben, d.h. z.B. auf meiner Bank, wird ausschließlich Russisch gesprochen und meine wöchentlichen Börsenkommentare werden nur ins Russische, nicht aber ins Ukrainische, übersetzt. Alle Online- Börsen-News und Wirtschaftszeitungen sind ausschließlich auf Russisch. Auch fast alle Tageszeitungen und fast alle Bücher sind Russisch. Spreche ich irgendjemanden auf der Straße auf Russisch an, erhalte ich immer auch auf Russisch eine Antwort!...“[8] Das änderte sich allerdings nach der Maidan-Revolution.

Man kann sicher feststellen, dass die Sprachenfrage eine entscheidende Rolle zur Entstehung der jetzigen Ukraine-Krise beigetragen hat. Unter dem russisch orientierten Präsidenten Janukowitsch wurde 2012 ein Gesetz verabschiedet, dass es erlaubte, Russisch bei offiziellen Anlässen zu nutzen.[9] Demgegenüber hat die ukrainische Übergangsregierung unter Ministerpräsident Jazenjuk versucht, die Ukrainische Sprache zu Lasten des Russischen zu fördern. Erst nach Einschreiten des EU-Kommissionspräsidenten Barroso hatte man diese Pläne vorläufig auf Eis gelegt.[10] Davon unbeeindruckt hat das ukrainische Parlament im Jahre 2019 ein neues Sprachengesetz verabschiedet, das nach einer Übergangsfrist Anfang 2022 in Kraft getreten ist. Das Gesetz verpflichtet sämtliche Staatsangestellten, Verkehrspolizisten, Ge­richtsdiener, Klinikärzte, die Bürger, sofern diese nicht um eine andere Sprache bitten, auf Ukrainisch anzureden. Das gleiche gilt für Dienstleistungsbetriebe, also Mitarbeiter von Supermärkten, Apotheken, Ban­ken. Ver­stöße gegen das Gesetz können beim Sonderbevollmächtigten zum Schutz der Staatssprache ge­meldet und im Wiederholungsfall mit Geldstrafen geahndet werden. Darüber hinaus dürfen überregionale Zeitungen nur noch in ukrainischer Sprache erscheinen und ausländische Filme müssen jetzt ukrainisch synchronisiert werden. [10a] Bereits 2017 wurde ein neues Bildungsgesetz verabschiedet,  das zur Stärkung der ukrainischen Sprache beitragen sollte und auch in Schulen von Minderheiten eine wesentlich stärkere Berücksichtigung der ukrainischen Sprache vorschreibt. Das führte zu Verstimmungen in Ungarn, das seine Minderheit im Westen dadurch gefährdet sah. Diese Gesetze richteten  sich aber vor allem gegen die russische Sprache und haben damit auch zur Eskalation der Ukrainekrise beigetragen.

4. Geschichte

Die Geschichte der Ukraine wird geprägt durch verschiedene Faktoren. Wie schon unter Sprache erwähnt   bildete sich im 9. Jahrhundert ein slawisches Reich (Rus) im Kiewer Raum aus. Unter dem Kiewer Großfürsten Wladimir I., dem Heiligen (978-1015), setzte sich von Byzanz aus das orthodoxe Christentum in der Rus durch, was eine besondere orthodoxen Prägung auf lange Sicht bedeutete.

Diese  Kiewer Rus wurde zunächst durch ein Erbrecht, das die Zersplitterung förderte, geschwächt und zerbrach unter den Mongolenstürmen der Jahre 1223, 1237/38 und 1239/40. Die slawischen Teilfürstentümer kamen für anderthalb Jahrhunderte unter die Oberhoheit des westlichen Mongolenkhanats, der "Goldenen Horde" mit ihrem Sitz in Sarai an der unteren Wolga.
 
       Die Kiewer Rus mit den verschiedenen Teilfürstentümern  ca,1220 .1240

                                Gebiet der mongolischen "Goldenen Horde" 1389
                                                                                   (Bildquelle: beide Wikipedia)
 
 In der Phase der mongolischen Herrschaft wurde Moskau zum neuen Machtzentrum der Rus. Dmitri Donskoi,, der verschiedene russische Fürstentümer einen konnte, besiegte im Jahre 1380 die Goldene Horde in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld. In der Folge dehnte Moskau sein Territorium aus.[11] 
Der Moskauer Großfürst Iwan der Große beendete die Mongolenherrschaft und wurde de facto zum Begründer eines zentralisierten russischen Staates, indem er Schritt für Schritt die umliegenden russischen Länder „einsammelte darunter die Republik Nowgorod. Sein Titel „Herrscher der ganzen “Rus" drückte auch den Anspruch auf den vom  Großfürstentum Litauen im 14. Jahrhundert beherrschten westlichen Teil der Rus aus. 

Unter Iwan dem Großen wurde die russische Gesetzgebung reformiert und der Großteil des heutigen Moskauer Kremls erbaut. Sein Enkel Iwan IV(der Schreckliche, 1547-1584) ließ sich  als "Zar und Selbstherrscher des ganzen großen Russland" krönen und begründete damit das Zarentum Russland. Unter seiner Herrschaft begann nach der Einnahme der Tataremhauptstadt Kasan auch die Eroberung Sibiriens durch russische Kosaken -  im 17. Jahrhundert bis an den Pazifik. 

Parallel dazu entstand nach dem Einfall der Mongolen im Westen der heutigen Ukraine und im heutigen Weißrussland ein Machtvakuum, das von den Großfürsten Litauens ausgefüllt wurde. Zeitweise drang das Litauische Reich weit hinein in die östlichen Teile der Kiewer Rus bis vor die Tore Moskaus und ans Schwarze Meer.
 
 
  Das Großfürstentum Litauen mit seinen Eroberungen im 13. bis 15. Jahrhundert
                                                                                                       Bildquelle: www.wikiwand.com

Ab 1385 ging die damalige Großmacht Litauen eine Personalunion unter Führung der litauischen Jagiellonen mit dem Königreich Polen ein. Die Verbindung Polen-Litauen wurde 1569 in der Realunion von Lublin bestätigt, wodurch Litauen künftig in die polnisch dominierte Aristokratische Republik / Wahlmonarchie Polen aufging.[12]

Die Polen hatten den Ukrainern in ihrem Reich zunächst gewisse Rechte der Selbstverwaltung eingeräumt. Auch in religiösen Fragen waren sie zunächst tolerant, verlangte lediglich, dass sich die Orthodoxen dem Papst unterstellten, was von einem Teil des Klerus und des Volkes auch vollzogen wurde (Siehe unter Religion).  Das einfache Volk war mit dieser Entwicklung jedoch nicht einverstanden und richtete sehnsüchtig seine Blicke nach dem rechtgläubigen Herrscher in Moskau. In der polnischen Oberschicht dagegen wuchs der Wunsch, nur Untertanen eines Glaubens zu haben und die Neigung, regionale Sonderrechte nicht mehr zu dulden. Das führte zu wachsendem Unmut bei den Kosaken, die als mutige Krieger gegen Türken und Tataren gekämpft hatten, und dafür Besitz und Sonderrechte erhalten hatten. Die empörten  Kosaken unter ihrem Hetmann Bogdan Chmelnitzkij wandten sich 1654 an Russland und seinen Zaren mit der Bitte,  alle ukrainischen Gebiete östlich des Dnepr in das russische Reich aufzunehmen. Er erkannte Russland ausdrücklich als Schutzmacht gegenüber Polen  an.  Der russische Zar sandte daraufhin Truppen gegen Polen und nach langen Auseinandersetzungen mussten die Polen 1667 das Gebiet von Smolensk, die östliche Hälfte der Ukraine und die Stadt Kiew abtreten. Die alte Hauptstadt der Rus kehrte zurück nach Russland und verblieb dort einschließlich der Zeit in der Sowjet-Union über 300 Jahre.[13]  
 
Russlands Expansion geht weiter

Einer Phase der inneren Zerrüttung, der sogenannten Smuta, kam

Zar Peter I 1721 als Zar an die Macht und modernisierte mit den nach ihm benannten Reformen das Russische Reich und führte es an Westeuropa heran

 


                    Katharina II, die Große  (Bildquelle http://www.geschichte-lernen.net)

 

Nach dem schwachen Zaren Peter III wurde seine Gemahlin Katharina II., am 9. Juli 1762 Zarin von Russland. Sie ist die einzige Herrscherin, der in der Geschichtsschreibung der Beiname die Große verliehen wurde. Sie war eine schillernde und umstrittene Persönlichkeit – vor allem auch wegen ihrer vielen Liebschaften. Katharina die Große wurde  am 2.Mai 1729 als Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren. Auf Empfehlung Friedrichs des Großen kam sie mit 14 Jahren als vorgesehene Frau von Zar Peter III nach Russland. Sie war hoch intelligent. lernt schnell russisch konvertierte zum orthodoxen Glauben – durch die Taufe erfolgte der Namenswechsel - und durch einen Staatsstreich gegen ihren Mann ungeliebten Gatten kam sie mithilfe verbündeter Fürsten und Militärs als Zarin an die Macht. Katharina II. baute den Machtbereich Russlands in einem Maße aus wie kein russischer Herrscher vor ihr. In zwei russisch-türkischen Kriegen 1768–1774 sowie 1787–1792 eroberte sie den Zugang zum Schwarzen Meer, weite Küstengebiete – und was im Hinblick auf die heutige Ukraine wichtig ist die Halbinsel Krim -, die seitdem zu Russland gehört. Viele türkischstämmige Bewohner flohen in das osmanische Reich und Katharina siedelte in den weitgehend menschenleeren Gebieten Russen aber auch Deutsche an.

Schließlich wurde der immer schwächer werdende polnische Staat gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den 3 polnischen Teilungen (1772, 1793 und 1795) unter Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt. Zur polnischen Geschichte und den Ursachen der Teilungen Polens siehe meinen Post https://euro-ethnien.blogspot.com/2021/06/221-polen-polnisches-volk-geschichte.html

 

 Die Aufteilung Polen unter Russland, Preußen und Österreich 1772, 1793 u.1795
                                                               (Quelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polen)
 
Außerdem hatte Österreich in dieser Periode zwischen den kriegführenden Türken und Russen vermittelt und erhielt dadurch 1775 die Bukowina, wodurch die Verbindung Siebenbürgens mit Galizien hergestellt war. Der Norden der Bukowina wurde überwiegend  von Ukrainern bewohnt.. Den größten Gebiets- und Bevölkerungszuwachs durch die polnischen Teilungen erhielt Russland, darunter auch den größten Teil der heutigen Ukraine. Lediglich der westlichste Teil der Ukraine (um Lemberg / Lwiw) kam als Galizien zu Österreich, wobei in diesem Bereich eine starke polnische Bevölkerung sesshaft war. Nach einer Zwischenperiode unter Napoleon wurde im Wiener Kongress die Aufteilung Polens endgültig zugunsten Russlands besiegelt, was die heutige Ukraine insofern beeinflusst, dass der weitaus größere Teil der heutigen Ukraine (ca. 80%) nun zu Russland gehörte, während ca. 20% der Ukrainer in Galizien und der Bukowina zum Habsburger Reich / Österreich kamen.

Im 19. Jahrhundert entstehen in der Ostukraine, besonders dem Donez-Becken die damals größten Industriereviere des Zarenreiches mit einem schnell wachsenden Proletariat. Dies führte dazu, dass im Jahre 1900 national- und marxistisch gesinnte Studenten von Charkow eine Revolutionäre Ukrainische Partei gründeten, aus der 1905 die Ukrainische Sozialdemokratische Arbeiterpartei hervorging. Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 begann für die Ukraine eine fasst 10jährige verworrene Kriegs- und Bürgerkriegszeit. Im Ergebnis fällt Im Versailler Vertrag die West-Ukraine mit dem Zentrum Lemberg an Polen, während die übrige Ukraine als Sozialistische Sowjetrepublik (SSR) 1922 Gründungsmitglied der Sowjet-Union ist. Mit harter Hand festigt Stalin dort seine Macht. In verschiedenen Säuberungswellen werden unliebsame Gegner beseitigt (siehe oben unter Sprache). Die Landwirtschaft wurde zwangsweise kollektiviert, was in den Jahren 1932-33 zu einer Hungersnot führte, der 3 – 7 Millionen Menschen zum Opfer fallen.[14] 1936-38 erfolgt eine weitere Säuberungswelle unter Parteikadern und der ukrainischen Intelligenz bis schließlich 1938 der Moskau und Stalin ergebene Nikita Chrustschow die Parteiführung der Ukraine übernimmt.

Nach Beginn des 2. Weltkriegs und aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 besetzt die Sowjet-Union ganz Ostpolen und vereinigt die West-Ukraine mit der Ukrainischen SSR. 1941 marschieren deutsche und rumänische Truppen in die Ukraine ein und halten sie bis 1944 besetzt. Von vielen Ukrainern wurden die Deutschen als Befreier begrüßt. Es gab sogar ukrainische Truppen, die auf Seiten Deutschlands gegen die Sowjet-Russen kämpften. Nach dem Krieg hielt Stalin fürchterliche Rache. Bis 1950 wurden 300.000 Ukrainer erschossen oder nach Sibirien verbannt. Die über 10 Millionen Bewohner der Westukraine entgingen der Total-Deportation wohl nur deshalb, weil die Kapazität der sowjetischen Eisenbahn damit überfordert war.[15] Nach Kriegsende 1945 wurde außerdem die Karpato-Ukraine von der Tschechoslowakei sowie die Nordbukowina von Rumänien an die Ukrainische SSR angegliedert. Nach Stalins Tod kam 1954 unter Chrustschow die Krim zur Ukraine, obwohl dort eine russischen Bevölkerungsmehrheit lebte.(siehe 3.201 Krimtataren)
 

                                  Ukraine - Gebietserweiterungen 1922 bis 1954

Im Rahmen der Perestroika wird 1989 eine ukrainische Volksfront „Ruch“ gegründet und nach dem Zerfall der Sowjet-Union wird die Ukraine am 24. 8. 1991 unabhängig, was am 1. 12. 1991 durch einen Volksentscheid mit übergroßer Mehrheit bestätigt wird. Dies war aber eher ein Votum gegen das vergangene kommunistische System.

In der Folge wechseln sich Regierungen und Staatspräsidenten der mehr national-ukrainischen Richtung mit links- und russisch-orientierten Vertretern ab. Dabei gibt es ein deutliches Gefälle von West nach Ost – was die Problematik der „gespaltenen Nation“ bestätigt. Leider wurde die selbständige Ukraine - wie schon von mir angemerkt - zentralistisch organisiert, was vor allem bedeutet, dass regionale Provinz-Gouverneure von Kiew eingesetzt und damit von der Kiewer Zentrale abhängig sind. Als Nebeneffekt wurden damit Vetternwirtschaft und Korruption gefördert.

Die eingangs bereits angesprochene Krise der Ukraine dauert an und erreichte mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. 2. 2022 ihren vorläufigen Höhepunkt. 

5. Religion

Auch bei der Religionszugehörigkeit seiner Einwohner ist die Ukraine ein gespaltenes Land, was ebenfalls  geschichtliche Hintergründe hat. Man  muss zwischen unterschiedlichen Entwicklungen und Mentalitäten in der West- und Ostukraine unterscheiden.

Wie schon erwähnt setzt sich unter dem Kiewer Großfürsten Wladimir I., dem Heiligen (978-1015), das orthodoxe Christentum bei den Ostslawen durch. Lange Zeit unterstand die slawische Kirche den Patriarchen von Byzanz / Konstantinopel. Ivan III. (1462-1505) bezeichnete sich erstmals als "russischer Großfürst und Zar" und betonte mit diesem von der Bezeichnung "Caesar" abgeleiteten Titel seinen Anspruch auf Gleichrangigkeit mit dem Kaisertum im "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation". 1510 entwickelte in Pskow der Mönch Filofej die Idee von Moskau als "Drittem Rom" - als dem dritten Zentrum der Christenheit nach Rom und Byzanz. Mit Hilfe der Staatsmacht setzte sich das von Konstantinopel unabhängige Moskauer Patriarchat in der Folge durch. Spätestens seit der Eroberung der Ostukraine durch das russische Zarenreich gehörten die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine der Russisch-Orthodoxen Kirche unter dem Moskauer Patriarchen an.

Im Westen  bildete sich unter polnischer Herrschaft die katholisch-unierte  orthodoxe Kirche, die den Papst in Rom als Oberhaupt anerkennt, aber den griechisch-byzantinischen Ritus weiter praktiziert.
In den 1920er Jahren kam es zu einer Abspaltung der Ukrainisch Autonomen Orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat. Ihre Anhänger hat sie vor allem in der Mitte und im Westen der Ukraine und bei vielen Auslands-Ukrainern. Unter der Sowjetherrschaft wurden alle Kirchen des griechisch-orthodoxen Ritus auf dem Staatsgebiet der Ukrainischen SSR – also auch die katholisch-unierte ukrainische Kirche dem Moskauer Patriarchen bzw. ihrem ukrainischen Exarchat unterstellt. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 spaltete sich ein Teil des ukrainischen Klerus von Moskau ab und gründete die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats

Seitdem bestanden bis 2019 in der Ukraine faktisch vier verschiedene orthodoxe Kirchen, die auch um den Status als Nationalkirche konkurrierten:

*Die Ukrainisch-orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchats, 
*die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats(besonders in der Ostukraine!), 
*die Ukrainisch Autonome Orthodoxe Kirche  und 
*die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (auch Ukrainische Katholische Kirche nach byzantinischem Ritus.)[16a] 
Zwischen den Kirchen gibt es nicht nur Auseinandersetzungen, wer nun kanonisch ist und wer nicht, sondern es geht auch häufig um die Rechte an Immobilien. 
 
Auf Drängen des ukrainischen Präsidenten Poroschenko wurde im Jahre 2018 eine neue Orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet (ein Zusammenschluss der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats und der
Ukrainisch Autonomen Orthodoxen Kirche) , die in einem feierlichen Gottesdienst am 6. 1. 2019 in der  Sankt Georgs-Kirche in Istanbul vom ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I als selbständige Kirche anerkannt wurde. 
Präsident Poroschenko, Bartolomäus I (Primus der Orthodoxie in Istanbul) und Epiphanius (neuer Patriarch und Metropolit der Orthoxen Kirche der Ukraine
 

Am Vortag hatte Bartholomäus, der Ehrenvorsitzende aller orthodoxen Kirchen,
mit dem neuen Kiewer Metropoliten Epiphanius im Patriarchat das Dekret über die Anerkennung der Kirche unterzeichnet. Poroschenko dankte dem weißbärtigen Patriarchen anschließend »im Namen der ukrainischen Nation« und sprach von einem »großen Tag« für sein Land. Prompt kam natürlich Protest vom Moskauer Patriarchen Kyrill und vom russischen Präsidenten Putin, die das Recht von Bartholomäus bestreiten, über die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche zu entscheiden, die seit drei Jahrhunderten dem Moskauer Patriarchat unterstellt sei. Schließlich gelten die Kiewer Kirchen und Klöster  als nationale russische Heiligtümer, denn in Kiew begann ja 988 mit der Taufe von Großfürst Wladimir I die Christianisierung Russlands. Allerdings stößt das massive Engagement Poroschenkos in der Ukraine auch auf Kritik. Poroschenko setzte sich auch mit Nachdruck beim Gründungskonzil der Ukrainischen Nationalkirche für die Wahl des 39-jährigen Serhi Dumenko zum Oberhaupt ein, der nach der Wahl den Namen Epiphanius annahm.

Wie die Entwicklung weitergeht ist völlig offen, denn nun muss sich erst zeigen, welche Bischöfe der übrigen orthodoxen Kirchen in der Ukraine den neuen ukrainischen Patriarchen überhaupt anerkennen. Zunächst bleibt die Spaltung der Orthodoxie in der Ukraine - wie oben beschrieben - unverändert bestehen und von Einzelfällen abgesehen, wird sich daran auch durch den Schritt der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats nichts ändern. Auch ist noch völlig offen, welche anderen orthodoxen Kirchen die neue nationale orthodoxe Kirche der Ukraine anerkennen werden.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wachsen die Spannungen und Widersprüche ins Unermessliche: Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats orientierte sich bisher  weitergehend, am Moskauer Patriarchen und  sie galt als Russland-nah. Doch der Krieg hat auch das verändert. der Metropolit des Moskauer Patriarchats, Onufrij hat sich bei Kriegsbeginn auf die proukrainische Seite gestellt, gleich am ersten Tag des Krieges hat er sich proukrainisch zu Wort gemeldet. 

 

Onufrij forderte: Putin solle mit der Gewalt aufhören; Putin solle die Integrität der Ukraine respektieren. – Das war ein großer Moment.   Der höhergestellte Patriarch Kyrill in Moskau jedoch steht eindeutig auf Putins Seite. Beide sind riesigem Druck ausgesetzt.

Am 27. Mai 2022 fand ein Landeskonzil der Ukrainisch Othodoxen Kirche Moskauer Patriarchat statt. Dabei hat diese Kirche ihre „völlige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ von Moskau erklärt. Man sei uneins mit der Position des Moskauer Patriarchen Kyrill. Man verurteile den russischen Überfall auf die Ukraine und appellierte an die Ukraine und Russland, in Verhandlungen über ein Ende des Krieges einzutreten. Wie die Entwicklung weitergeht ist völlig offen. Erst wenn der politische Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einmal gelöst ist, kann es auch  eine Übereinkunft über den Status der orthodoxen Kirchen in der Ukraine geben. Danach sieht es im Moment ohne Frieden in der Ukraine nicht aus.[16b]

Neben den orthodoxen Kirchen gibt es in der Ukraine zudelm noch eine Anzahl kleinerer Religionsgemeinschaften.

6. Minderheiten in der Ukraine

Nur wenige Länder Europas haben bei der Ausarbeitung einer angemessenen Minderheiten-Politik in den über 25 Jahren seit der Unabhängigkeit so versagt, wie die Ukraine. Durch den jetzigen Krieg tritt dieses Problem zwar in den Hintergrund, bedarf aber einer vernünftigen Lösung, wenn man  dauerhafte Konflikte vermeiden will. Hätte man der großen russischen Minderheit bereits durch die früheren Regierungen angemessene Autonomierechte und den dauerhaften Schutz ihrer Sprache eingeräumt, wäre es m. E. nicht zu den jetzigen extremen Konfrontationen und zum Krieg gekommen. Auch ist zu bedenken, dass neben der großen Minderheit der Russen (s.o.) in der Ukraine eine Vielzahl weiterer Minderheiten leben, deren Probleme von den Medien kaum beachtet und von allen ukrainischen Regierungen auch nicht angegangen wurden.

6.1 Polen

Bis 1944 lebten mehrere Millionen Polen in den heute zum Westen der Ukraine gehörenden Gebieten von Galizien, der Bukowina und Wolhyniens. 1944 kam es vor allem in Wolhynien (Nord-West-Ukraine) zu Massakern an der polnischen Bevölkerung, denen über 40.000 Polen zum Opfer fielen, andere wurden zur Zwangsarbeit nach Sibirien oder Kasachstan interniert. Nach dem Krieg und der Annexion der polnischen Gebiete östlich des Bugs wurde die polnische Bevölkerung vertrieben. Sie wurde vor allem in den ehemaligen deutschen Ostgebieten angesiedelt. Nach der Volkszählung von 2001 leben heute noch 144.000 Polen in der Ukraine. Die Zahl der polnischen Muttersprachler ist allerdings rückläufig.

6.2 Rumänen

Aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes besetzte die Sowjet-Union 1939 nicht nur die östlichen Gebiete Polens, sondern auch die Nordbukowina und Bessarabien. Von  diesen Gebieten wurden nach dem 2. Weltkrieg  die Nordbukowina  an die Ukraine angegliedert. Trotz Umsiedlungen lebt in der Nord-Bukowina noch eine größere rumänische Minderheit, während die Deutschen und Juden in der Nord-Bukowina und der vormals von ihnen dominierten Stadt Czernowitz praktisch nicht mehr vertreten sind. In einigen Orten der Nord-Bukowina haben die Rumänen sogar die Bevölkerungsmehrheit, so dass Rumänisch als Regionalsprache in der Ukraine anerkannt ist. Die rumänische Minderheit in der Nord-Bukowina lebt meist in bitterer Armut. Eine Schilderung der kritischen Situation gibt ein Artikel in der Zeitschrift Publik-Forum, den ich Interessenten auf E-Mail-Anfrage gern zusende. Eine Frau schildert dort ihren Kampf ums Überleben und wie sie aufgrund ihrer rumänischen Mutterdsprache die Familie nur durchbringen kann, weil sie auf einem Markt in der nahen rumänischen Grenzstadt ukrainische Waren verkauft, die in Rumänien teurer sind.  

Während der größte Teil Bessarabiens heute zu Moldawien gehört, wurde ein Bereich im Norden und Süden  der Ukraine zugeschlagen, sodass auch hier eine Minderheit von Rumänen bzw. Moldawiern lebt. Insgesamt wird die Zahl der Rumänen und Moldawier in der Ukraine mit ca. 500.000 angegeben. Weitere Hinweise zu derSituation der Rumänen und Moldawier vor allem im ehemaligen Bessarabien gibt mein Post 2.23 Rumänen, romanische Volksgruppen.

6.3 Deutsche Volksgruppen 

Die Zahl der heute in der Ukraine einschließlich der Krim lebenden Deutschen wird mit ca. 33.000 angegeben.[18] Von den vor dem 2. Weltkrieg zahlreichen Juden - die häufig auch zur deutschen Sprache und Kultur tendierten -  zählt man noch ca. 100.000. Weitere Hinweise zur deutschen Minderheit in der Ukraine gibt mein Post Russland-Deutsche und zu den ehemals deutschen Volksgruppen in der Bukowina und Bessarabien siehe meinen Post Deutsche Volksgruppe(n) in Rumänien.

6.4 Roma

Neben den schon erwähnten Polen und Rumänen  sind als größere Minderheit besonders die Roma zu nennen, von denen es nach offiziellen Angaben in der Ukraine nur 47.000 gibt, nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker aber ca. 400.000, die in der Regel aus Angst vor Diskriminierung ihre Ethnie verheimlichen, zum Teil auch keine Identitätsnachweise besitzen und daher rechtlich gar nicht existieren. Ihre Arbeitslosigkeit beträgt 91%, die Analphabeten-Rate 50%.[17] Ein Artikel in pogrom 301 Nr. 4/2017 schildert die ausweglose Lage der Roma in der Ukraine. Darnach haben offensichtlich vom Staat autorisierte Schlägergruppen die Roma einer Siedlung am Telbinsee in Kiew mit grober Einschüchterung zum Verlassen der Siedlung aufgefordert und verteilten dabei kostenlose Bus- und Bahnfahrkarten ohne Rückfahrt. Viele Roma flohen nach Transkarpatien, andere versteckten sich in benachbarten Bezirken. Die Siedlung wurde anschließend von den Schlägern angezündet und sie wurde ein Raub der Flammen. Die Nachbarn der Siedlung bejubelten den Einsatz der "Befreier", denn in der Ukraine ist das Vorurteil weit verbreitet, dass alle Roma stehlen, Kinder entführen und mit Drogen handeln. Ein bekannter Musiker bittet den Reporter inständig: Erzähle bloß niemandem, dass ich Rom bin". Roma, die aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine nach Westen geflohen waren, sind wieder in das Donbass-Gebiet zurückgekehrt, weil sie sich dort im Kriegsgebiet sicherer fühlen, als im von Hass und Ablehnung geprägten Bereich der westlichen Ukraine. Das European Roma Rights Centre berichtet von Diskriminierungen der Roma-Kinder in den Schulen. Die meisten Kinder verlassen vorzeitig die Schule, oft ohne ausreichend lesen und schreiben zu können. Daraus erwächst ein Teufelskreis, denn nun werden sie noch mehr geächtet und finden keine Arbeitsstelle. Viele  Roma besitzen auch keine Ausweispapiere und erhalten deshalb auch keine Sozialhilfe. (pogrom 298_1/2017). Nach Angaben des European Roma Rights Center Budapest haben sich auch im Jahr 2018 in Kiew und vielen weiteren ukrainischen Städten Pogrome gegen die Roma ereignet, bei denen Unterkünfte von Roma-Familien zerstört und niedergebrannt, diese vertrieben, mit Baseball-Schlägern und Messern angegriffen, verletzt und auch ein Mensch getötet wurde. Verantwortlich sind rechtsradikale Organisationen, die sich anschließend im Internet mit gefilmten Videos ihrer Taten rühmen. Die ukrainische Justiz agiert in der Regel mangelhaft. (pogrom Nr. 4/2018)

6.5 Krimtataren  

Den  Krimtataren und ihrer besonderen Situation habe ich gemäß dem angebrachten Link einen besonderen Post gewidmet.

6.6 Ungarn

Die ungarische Minderheit lebt vor allem in Transkarpatien an der Grenze zu Ungarn und zählt ca. 150.000  Angehörige. Über sie habe ich einen Post Ungarn in der Ukraine  veröffentlicht.

6.7 Bulgaren

Seit den russisch-türkischen Kriegen von 1806 - 1812 leben bulgarische Flüchtlinge in der Region Budschak im Oblast Odessa. Nach dem Pariser Frieden von 1856 wurde Bessarabien geteilt und ein Teil fiel an Rumänien, der Rest  blieb bei Russland. In der Folge blieb Bessarabien ein Zankapfel zwischen Russland und Rumänien, worunter die Minderheit der Bulgaren lange Zeit zu leiden hatte. Über die geschichtliche Entwicklung Bessarabiens siehe meinen Post 2.23 Rumänen, romanische Volksgruppen. Dort ist auch eine Karte des aufgeteilten Bessarabiens zu sehen.  Unter russischer bzw. sowjetischer Herrschaft setzte ein Prozess der Russifizierung ein, der erst in den1980er Jahren endete. Nun fomierte sich die bulgarische Minderheit in kulturellen Vereinen, es gab bulgarische Zeitungen und auch bulgarischen Schulunterricht. Mit dem Zerfall der Sowjet-Union wurden die Bulgaren ukrainische Staatsangehörige. 1993 wurde eine Vereinigung der Bulgaren in der Ukraine gegründet, die ca. 200.000 Bulgaren vertritt, die nach wie vor im Bereich des Budschak und im Oblast Odessa leben. Etwa 2/3 von ihnen sprechen noch ihre Muttersprache. Auch zum bulgarischen Mutterland werden inzwischen intensive Kontakte gepflegt. (pogrom 298_1/2017)

6.8 Weissrussen

Eine weitere bedeutende Minderheit mit ca. 275.000 Angehörigen sind Weiss-Russen (Belarussen)

6.9 Ruthenen - Russinen (Rusynen) - Karpatho-Ruthenen

Auf die besondere Situation dieser Volksgruppe habe ich bereits unter Sprachen hingewiesen. Laut Wikipedia ist die Bezeichnung Ruthenen die latinisierte Form von Rusyn/Rusin, so dass man heute richtigerweise von Russinen spricht. Im deutschen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung Ruthenen allerdings immer noch aktuell.

Das Siedlungsgebiet der gemischtsprachigen Bevölkerungsgruppe  liegt hauptsächlich in den Karpaten, vor allem im ukrainischen Teil von Transkarpatien. Darüber hinaus gibt es  ruthenische Minderheiten in Polen, der Slowakei, Rumänien, Serbien und der Vojvodina u.a. Zu den Ruthenen zählen auch die Untergruppen der  Lemken (vor allem in Polen), Bojken und Huzulen (Im Grenzgebiet Ukraine, Polen, Rumänien)

Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie kam die Karpaten-Ukraine zur neu gegründeten Tschechoslowakei. Nach 1945 wurde sie der Sowjet-Union und damit der Ukraine angegliedert.(siehe auch obige Karte der Sprachen und Minderheiten in der Ukraine)

In der Sowjet-Union und in der ab 1991 unabhängigen Ukraine wird diese Volksgruppe als zum ukrainischen Volk gehörig betrachtet, während sie in Polen, der Slowakei und vielen anderen  Staaten als eine von den Ukrainern getrennte Minderheit anerkannt wird. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine haben die Russinen/Ruthenen in einer Volksabstimmung 1991 die Anerkennung als nationale Minderheit und die Errichtung einer autonomen Region Transkarpathien gefordert. Dies wird bis heute von allen ukrainischen Regierungen abgelehnt. Nach vielen voraufgegangenen Resolutionen hat die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV – FUEN)) zuletzt in einer Resolution 2014 nochmals die Anerkennung der Volksgruppe der Podkarpatischen Ruthenen und das Ende ihrer Zwangsassimilation in der Ukraine gefordert und auf den nicht erfüllten Wunsch der Ruthenen nach Autonomie verwiesen. 

Vertreter der Russinen, die sich als eigene Ethnie verstehen, gehen von bis zu 1,5 Millionen Russinen in Europa aus, davon ca. 1,2 Millionen in der Ukraine. Bei der letzten Volkszählung  gaben in der Ukraine allerdings nur 10.000 Bewohner als Ethnie Russinen/Ruthenen an. Die zeigt das Problem der Identität eines Volkes auf, das in der Geschichte durch russische, polnische und slowakischen Einflüsse geprägt und lange kulturell und religiös unterdrückt wurde. (siehe auch


6.10 Griechen (nordasowsche Griechen)

Ihre Zahl wird auf 100 bis 150.000 geschätzt. Ihre Ursprünge gehen auf Besiedlungen der Schwarzmeerküste durch griechische Vorfahren zurück. Im Russischen Reich wurde die Minderheit bereits unterdrückt und u.a. von der Krim vertrieben. Heute leben asowsche Griechen vor allem im Donezk und dort in der Hafenstadt Mariupol und 75 umliegenden Dörfern. Viele von ihnen sind durch den jetzigen Krieg geflohen und fürchten im Exil und der Zerstreuung um den Erhalt ihrer ethnischen Identität.

6.11 Weitere Volkgruppen und Minderheiten in der Ukraine

Außerdem gibt es noch ca. 100 kleinere Ethnien / Minderheiten mit weniger als 100.000 Mitgliedern, u. a.  Armenier, Aserbaidschaner und Georgier. Eine besondere Minderheit ohne Mutterstaat sind die turksprachigen, christlichen Gagausen im Süden der Ukraine (siehe dazu meinen Post über Gagausen in Moldawien - unter Punkt 4.51 in  2.23 Rumänen - Rumänien Moldawien).            Eine weitere Besonderheit ist es, dass  in der Ukraine auch bis zu 20.000 Kurden leben. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen in der Ukraine gestrandet. Der Großteil von ihnen stammt ursprünglich aus dem Kaukasus, wurde dann unter Stalin in die zentralasiatischen Sowjetrepubliken verbannt und hat sich dann nach dem Zerfall der Sowjet-Union in der Ukraine niedergelassen. Bis auf wenige Orte wie Iwanowka im Oblast Cherson haben sie jedoch Probleme ihre Sprache an die Kinder weiterzugeben. (siehe pogrom 298_1/2017)

7. Neuere Entwicklungen und Perspektiven:

     Entwicklung zwischen 2013 und heute

Di  Die  Proteste auf dem Maidanplatz in Kiew und in der Folge im ganzen Land zwischen November 2013 und Februar 2014 wurden ausgelöst, als die russisch-freundliche Regierung unter Ministerpräsident Asarow erklärte, ein Assoziierungsabkommen mit der europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Die Demonstranten forderten hingegen die sofortige Unterzeichnung, Neuwahlen und eine Amtsenthebung des gewählten Präsidenten Janukowytsch. Die Folgen sind bekannt: Die Flucht und Amtsenthebung Janukowytschs, ein Regierungswechsel hin zu einer westlich orientierten Regierung und die Annexion der Krim durch Russland.

Eine weitere Folge war, dass russisch orientierte Separatisten in Donezk und Luhansk, der sogenannten Region Donbass, sich von der Ukraine abgespalteten und zwei unabhängige Republiken Donezk und Luhansk gründeten. Das führte zu einem offenen kriegerischen  Konflikt mit der Zentralregierung in Kiew und wurde durch das sogenannte 1. und 2. Minsker Abkommen mit einem Waffenstillstand zumindest vorübergehend entschärft.  Laut  OSZE-Beobachtern registrierten diese in der Folge aber fast  täglich Verletzungen des Abkommens. Beide Seiten hielten sich nicht an die Waffenruhe, beide Seiten hätten ihr schweres Kriegsgerät nicht vollständig abgezogen, bei den Verletzungen hielten sich beide Seiten etwa die Waage. Auch seien beide Seiten nur begrenzt zu einer Zusammenarbeit mit der OSZE bereit gewesen.  Bereits 1915  stellte die "Zeit"( vom 9. 7. 2015 )  eine Verfestigung dieses Zustandes fest. Sowohl die OSZE als auch das JCCC, ein Kontroll- und Koordinierungszentrum bestehend aus ukrainischen und russischen Militärs, stellten täglich Verletzungen des Abkommens durch beide Seiten fest. Obwohl russische und ukrainische Kontrolleure täglich gemeinsam zur Inspektion fahren, kamen sie zu unterschiedlichen Wahrnehmungen, so als ob es 2 Wirklichkeiten gab. An diesem  geschilderten Zustand nach zwei Minsker Abkommen  hatte sich bis Februar 2022 wenig verändert, boten aber auch Vorwände für Russland hier einzugreifen.

Andererseits muss sich der Westen auch selbstkritisch fragen, ob er bei den Ukrainern nicht hohe Erwartungen an eine baldige Mitgliedschaft in der NATO und der EU geweckt hat, die auf der anderen Seite  bei den Russen erst ein Umdenken bewirkt haben. Ohne massive Unterstützung aus dem Westen und vor allem der USA wäre die Maidan-Revolution wohl gar nicht gelungen.(20) Eine Aufnahme der Ukraine im derzeitigen Zustand in NATO und EU ist z. Zt. keinesfalls möglich. Der Protest auf dem Maidan hat zwar einen Umschwung eingeleitet. aber  es bestehen nach wie vor große Demokratie-Defizite . Der Demokratisierungsprozess ist noch im Anfangsstadium. Denken wir nur an den Einfluss der verschiedenen Oligarchen auf die Politik, den Einfluss rechtsradikaler Gruppen im Militär - wie das ASOW-Regiment - oder andere demokratische Standards, wie die Behandlung von Minderheiten (s.o.) Nicht zu Unrecht fragte "Die Zeit" nach der Wahl Poroschenkos in einem Beitrag: "Oligarchie statt Anarchie?" und verweist auf den wichtigsten Oligarchen der Ostukraine, den Stahlbaron Rinat Achmetow, ohne dessen Einbindung kein Ausgleich West-Ost möglich wird.[21] So kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung auch zu dem Ergebnis, dass die Verhältnisse zwar besser sind als in Russland, aber noch ein großer Abstand zu anderen Staaten besteht.



 
Nur eine friedliche Lösung  des Konfliktes liegt im Interesse ganz Europas, denn eine militärische Lösung wäre für alle Seiten verhängnisvoll. Eine Neutralisierung der Ukraine, die von Russland und der NATO garantiert wird, hätte m. E. die jetzige Kriegssituation verhindert und bleibt eine Option für eine Lösung des Konfliktes.
In einem weiteren Schritt sollte dann die Regierung der Ukraine davon überzeugt werden, dass es für einen dauerhaften Frieden besser wäre, den Staat föderalistisch zu organisieren, z. B. nach deutschem, belgischem oder Schweizer Muster.

Bereits 2014 habe ich hierzu einen Leserbrief an die Wochenzeitung "Die Zeit" geschrieben, mit dem ich auf die Notwendigkeit der Föderalisierung der Ukraine hingewiesen habe. Nachstehend mein Leserbrief in der Zeit mit einer von der Redaktion gewählten Überschrift:



  
 
Abschließend kann ich nur hoffen, dass auf allen Seiten die Vernunft und Realpolitik siegen, der Krieg beendet und eine Friedensordnung geschaffen wird, die sowohl von Russland wie auch der Ukraine akzeptiert und vom Westen garantiert wird. Warum sollte eine solche pragmatische Lösung nicht auch in der Ukraine möglich sein.  Dazu muss seitens des Westens nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine zur Mäßigung und zu einer Realpolitik aufgefordert werden. Wann gibt es wieder Politiker vom Schlage eines Gorbatschow, eines Egon Bahr und auch eines Helmut Kohl? Ich hoffe, dass sich bald eine positive Entwicklung ergibt.
 

[1] Zur einseitigen Berichterstattung siehe z. b.
Süddeutsche.de  vom  19. März 2014 „Berichterstattung über die Krim-Krise - Blick aus der Blase“ und zu den unterschiedlichen Kulturen
Samuel P. Huntington “Der Kampf der Kulturen – The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert” – München, Wien 1996 und Interview mit der TAZ v. 18.5.1994

[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine


[4] http://www.slavistik.uni-muenchen.de/studium_lehre/sprachpraxis/ukrainisch/index.html und „Sprachensteckbrief Ukrainisch“ herausgegeben vom österreichischen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur sowie http://germany.mfa.gov.ua/de/ukraine-de/ukrainians-in-de 

[5] Claude Hagège: „Welche Sprache für Europa?“ Campus-Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 188ff   

[6] Heinz Kloss: „Grundfragen der Ethnopolitik im 20. Jahrhundert (Ethnos 7), S. 440

[7] Susan Stewart (Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa an der Universität Mannheim): „Sprachenpolitik als Sicherheitsproblem in der Ukraine“ – April 2000


[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-janukowitsch-macht-russisch-zur-offiziellen-sprache-1.1436600

[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krim-krise-ukraine-verzichtet-auf-umstrittenes-sprachengesetz-12826788.html

[11] Hans-Henning Schröder: Vom Kiewer Reich bis zum Zerfall der UdSSR, in: Russland (Informationen zur politischen Bildung, Heft 281), Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn

[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Litauens

[13] Paul Sethe: Kleine Geschichte Russlands, S. 64

[14] Informationen zur politischen Bildung Nr. 249, 1995 – Der Spiegel Heft 7 1992 spricht von 5 Millionen Toten, die z. B. in Kiew von der Müllabfuhr auf Lastwagen eingesammelt und in Massengräbern verscharrt wurden.

[15] Der Spiegel Heft 7 1992

[16a] http://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine

[16b) Publik-Forum Nr. 01/2019 und Nr. 11/2022 und https://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainisch-Orthodoxe_Kirche_(2022)

[17] http://derstandard.at/1338558631402/Fussball-EM-Alte-und-neue-Feindbilder-in-der-Ukraine 

[18] http://www.agdm.fuen.org/ - über die Deutschen in der Ukraine, auf der Krim und in anderen Staaten der ehemaligenSowjet-Union (GUS-Staaten) siehe meinen  Post unter 2.0120 (Russland-Deutsche)

[19] http://www.spiegel.de/ - Spiegel online - Dienstag, 25.03.2014 -  ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Jazenjuk in einem Interview mit der Zeit.
(19a) Berner Zeitung vom 27. 9.2017 und Deutschlandfunk, Sendung "Europa heute" vom 19.9. 2017
(20) Reinhard Lauterbach: "Bürgerkrieg in der Ukraine" - Geschichte, Hintergründe, Beteiligte - Edition Berolina, Berlin 2014
[21]  "Die Zeit" vom 28. 5. 2014 und vom 9. 7. 2015 unter dem Titel "Zerschossene Illusion - Minsk 2 sollte den Krieg in der Ukraine beenden. Das Friedensabkommen ist gescheitert - doch das will niemand zugeben."

1 Kommentar:

  1. Da waren Sie ja regelrecht ein Prophet. Kompliment! Danke auch für die vielen guten Infos auf dieser Seite.
    Jedoch ist Herr Merz wohl definitiv der falsche Ansprechpartner für das Umsetzen von föderalen Projekten, da ich ihn eher auf der der Seite des Grosskapitals verorte. Dem grossen Geld (Black Rock) ist Föderalismus ein Greuel.

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