Vorwort -
Einleitung
„Wir haben die
Ruhrpolen verdaut, also werden wir auch die Gastarbeiter verdauen.“ So soll
sich Ende der 1970er-Jahre der ehemalige
Bundeskanzler Helmut Schmidt angesichts des wachsenden Zustroms von
Gastarbeitern zum Problem der Migration geäußert haben. Tatsächlich trifft man
in Deutschland heute mit Blick auf unsere türkischen Mitbewohner häufig auf die
Meinung, dass die zwischen 1870 und 1918 ins Ruhrgebiet eingewanderten
polnischen Zuwanderer doch ein
Musterbeispiel einer gelungenen Integration seien. Um das Ergebnis meiner Recherchen vorweg zu
nehmen muss ich leider feststellen, dass eine solche Meinung mit der geschichtlichen
Realität nichts gemein hat und man sich mit dem Thema „Ruhrpolen“ intensiver
und vor allem differenzierter befassen muss. Tatsächlich muss man beim Thema
„Polen in Deutschland“ drei völlig unterschiedliche geschichtliche Perioden
betrachten:
A - Die
Zeit zwischen 1870 und 1918 – die Zeit der Zuwanderung von
Bergbau-
und Industriearbeitern in das industriell stark wachsende
Ruhrgebiet (Kapitel
1 – 4)
B - Die Zeit zwischen den beiden
Weltkriegen 1918 - 1939 (Kapitel 5)
C - Die
Zeit nach 1945 bzw. 1950 bis heute (Kapitel 6)
Denn beim Vergleich
der Situation der „Ruhrpolen“, die vor dem 1. Weltkrieg ins Ruhrgebiet zogen,
mit den Zuwanderern aus Polen, die nach
dem 2. Weltkrieg und vor allem nach der Wendezeit des Jahres 1989 nach
Deutschland kamen, ergeben sich erhebliche Differenzen. Unterschiedlicher hinsichtlich
Integration und Assimilation kann das Verhalten einer Volksgruppe wohl kaum
sein, die – zwar zeitlich versetzt - aus dem gleichen Herkunftsland in ein
Nachbarland eingewanderte. Aber dazu später mehr.
Übersicht
Abschnitt A (Kapitel 1 - 4):
Arbeits-Migration von Polen und slawisch-stämmigen ins Ruhrgebiet 1870 - 1918
1.0 Die Entwicklungs- und Migrationsgeschichte des Ruhrgebiets
1.1 Geschichtliche Entwicklung des Ruhrgebiets
1.2 Arbeitskräftemangel im Ruhrgebiet - Anwerbung von
Arbeitern in den deutsche Ostprovinzen
1.3 Zuwanderer aus den deutschen Ostprovinzen und dem
polnischen Kulturkreis - Wer waren die Zuwanderer?
1.4 Kurzer
Abriss der polnischen Geschichte im 18.
und 19. Jahrhundert
1.5 Sprachen
und religiöse Bekenntnisse der ostdeutschen Zuwanderer
1.51 Ostpreußen
1.52 Westpreußen
1.53 Posen
1.54
Schlesien
1.6
Resümee Vielfalt der Zuwanderer bis zum 1. Weltkrieg
2.0 Politisches und
kirchliches Umfeld der polnischsprachigen
Migranten des 19. Jahrhunderts
2.1 Preußisch-deutsche
Germanisierungs-Politik
2.2 Kulturkampf Bismarcks
2.3 Katholische
Kirche im Ruhrgebiet
2.4 Kampf
der Ruhrgebiets-Polen um polnische Seelsorger und die
Sonntagsmesse in polnischer Sprache
2.5 Gründung und Tätigkeit katholisch-polnischer Vereine und Organisationen
2.6 Bottrop als Beispiel für den Kampf der Polen um polnisch-sprachige
Seelsorge
2.7 Der
Kampf der Polen um polnisch-sprachige Seelsorge im Ruhrgebiet –
eine Bilanz gegen Ende des 1. Weltkriegs
2.8 Die
Sondersituation der Masuren
3.0 Ausweitung
der polnischen Aktivitäten im Ruhrgebiet –
Gründung kirchlich
nicht gebundener Organisationen
3.1
Polnisch-sprachige Tageszeitung „Wiarus Polski“
3.2 Gründung
polnischer Sokol-Turnvereine
3.3 Polnische
Chorbewegung
3.4 Der Bund der Polen in Deutschland
3.5 Die polnischen Gewerkschaft ZZP
3.6 Der
polnische Querschlag in Bochum
3.7 Polnische Mittelschicht im Ruhrgebiet
3.8 Politische Aktivitäten 3.7 Polnische Mittelschicht im Ruhrgebiet
3.9 Polnische
Frauen- und Jugend-Organisationen
4.0 Fazit für die Zeit bis zum Ende des 1. Weltkriegs
4.1 Vorurteile und Konflikte
4.2 Polnisch an deutschen Schulen und in der Öffentlichkeit
4.3 Resümee
5.1 Der
1. Weltkrieg und seine Folgen – eine „Wende“ für die Ruhrpolen
5.2 Veränderte Situation für die Zurückgebliebenen
5.3 Rückgang
der Mitgliederzahlen und Aktivitäten bei Vereinen und
Gewerkschaften
5.31 Sokól-Turnvereine
5.32 Polnische Gewerkschaft ZZP
5.33 Bund der Polen in Deutschland
5.4 Namensänderungen - eine Folge der Veränderungen
5.5 Zwei
hartnäckige Legenden
5.51 Die
Ruhrgebietssprache
5.52 Schalke 04 – ein Polacken-Verein?
5.6 Fazit
für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
Abschnitt C (Kapitel 6): Polen
in Deutschland nach 1945
6.0
Einleitung – Überleitung
6.1 Die
Nachkriegsjahre bis 1950
6.11 Flüchtlinge und Vertriebene
6.12
Displaced Persons (DPs)
6.2 Die Zeit von 1950 bis zur Wende 1989/1990
6.21
Autochthone,
Spätaussiedler, Flüchtlinge, Emigranten
6.22 Wiederstand
gegen Stalinismus und Volksdemokratie
6.23 Entspannungspolitik
und neue Ausreisewelle
6.24 Eingliederungspraxis
bei Spätaussiedlern
6.3 Heutige Situation der Polen in Deutschland
6,31 Zahlen und Identitäten
6.32 Polnische Zuwanderer gut integriert
6.33 Bund der Polen in Deutschland
6.34 andere polnische Organisationen
6.4 Fazit zum Abschnitt C
Abschnitt 1 - 4:
Arbeits-Migration von Polen und slawisch-stämmigen ins Ruhrgebiet 1870 - 1918
1.1 Geschichtliche
Entwicklung des Ruhrgebiets
Der Sage nach fand
ein Junge in der Gegend von Witten, Sprockhövel oder Wetter beim Schweinehüten
glühende schwarze Steine in einer Feuerstelle. Hier wurde bereits im
Mittelalter Kohle in einfachen Grabelöchern (sog. Pingen) abgebaut. Die Schwerpunkte dieses frühen
Steinkohlenbergbaues lagen im Raum Witten-Sprockhövel, Haßlinghausen, wo
die Kohleflöze bis an die Tagesoberfläche reichten.
Mit der Inbetriebnahme der St. Antony-Hütte in Oberhausen 1756 war ein wichtiger erster Schritt in Richtung Industrie des Ruhrgebiets gemacht worden, es war aber noch nicht die flächendeckende industrielle Revolution. Erst als unter der Regie von Franz Haniel im Jahr 1834 das Durchteufen der Mergelschicht auf der Zeche Franz in Essen-Borbeck gelang, kann man von der „Geburtsstunde“ für die Industrialisierung im Revier sprechen. Die Mergeldecke ist eine ca. 100 m dicke Schicht in der Erde, unter der die ertragreiche, verkokbare Fettkohle lagert. Diese Fettkohle ist Voraussetzung für die Koksherstellung, die wiederum unverzichtbar für die Herstellung von Roheisen – und somit auch von Stahl – ist. Hinzu kam die Entwicklung der Dampfmaschinen, des Kokshochofens und die Erschließung des Ruhrgebiets durch die Eisenbahn, was ab ca. 1850 die flächendeckende Industriealisierung des Ruhrgebiets in Gang setzte.
Mit der Inbetriebnahme der St. Antony-Hütte in Oberhausen 1756 war ein wichtiger erster Schritt in Richtung Industrie des Ruhrgebiets gemacht worden, es war aber noch nicht die flächendeckende industrielle Revolution. Erst als unter der Regie von Franz Haniel im Jahr 1834 das Durchteufen der Mergelschicht auf der Zeche Franz in Essen-Borbeck gelang, kann man von der „Geburtsstunde“ für die Industrialisierung im Revier sprechen. Die Mergeldecke ist eine ca. 100 m dicke Schicht in der Erde, unter der die ertragreiche, verkokbare Fettkohle lagert. Diese Fettkohle ist Voraussetzung für die Koksherstellung, die wiederum unverzichtbar für die Herstellung von Roheisen – und somit auch von Stahl – ist. Hinzu kam die Entwicklung der Dampfmaschinen, des Kokshochofens und die Erschließung des Ruhrgebiets durch die Eisenbahn, was ab ca. 1850 die flächendeckende Industriealisierung des Ruhrgebiets in Gang setzte.
Bild 01: „Industrialisierung im Ruhrgebiet (Quelle:ARD-Fotogalerie)
Bis dahin war das Ruhrgebiet weitgehend ländlich geprägt. Zur Standortbestimmung muss man 4 Entwicklungszonen betrachten, die sich von Süd nach Nord ausdehnten:
Bild 02: Das Ruhrgebiet – Entwicklungszonen
Die Ruhrzone (I) - Die älteste Kohleabbauzone (Werden, Steele, Witten, Wetter) war von der industriellen Entwicklung zunächst kaum betroffen. Seit den 1890er Jahren wurden hier zunächst viele kleine und mittlere Firmen der Metallindustrie und der Stahlverarbeitung tätig und später entstanden auch Standorte der Stahlindustrie (Henrichshütte Hattingen, Klöckner Hagen).
die Hellwegzone (II) –
war zunächst der wesentliche Bereich, in dem sich sowohl der Bergbau und
gleichzeitig die Stahl- und Hüttenwerke ansiedelten. Dabei war der Bergbau notwendiger
Kohlelieferant der rasch sich entwickelnden Stahlindustrie. In der Folge
überwog in dieser Zone aber die Stahlindustrie – von Duisburg über Essen und
Bochum bis Dortmund, Thyssen in Duisburg und Mülheim, Krupp in Essen, Bochumer
Verein in Bochum, Hoesch in Dortmund. Aber die Deckung des Kohlebedarfs dieser
Stahlriesen aus den umliegenden Zechen reichte bald nicht mehr aus, so dass
sich der Bergbau weiter nach Norden hin ausbreitete und zwar in die
die Emscherzone
In der Grafik zusätzlich aufgeteilt in eine Emscherzone
(III) und eine Vestische Zone (IV). Hier entstand der klassische Bergbau des
Ruhrgebiets mit Tausenden von Bergleuten auf jeder Zeche. Es waren die späteren Städte Oberhausen,
Bottrop, Gelsenkirchen, Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel, Recklinghausen und
die nördlichen Eingemeindungen – spätere Stadtteile - von Duisburg (Hamborn)
und Essen (Altenessen, Karnap, Katernberg, Stoppenberg). Dieser Bereich war es
vor allem, in den der große Strom der Zuwanderer vor allem aus den ostdeutschen
Provinzen zog, um hier Arbeit im Bergbau zu finden.
Den letzten Schritt
machte dann der Bergbau in die
die Lippezone – (V)
- mit den Städten Dorsten, Marl, Datteln
bis nach Hamm - und – hier nicht
dargestellt auf die linke Rheinseite (Kamp-Lintfort)
Bis 1857 gab es im
Ruhrgebiet bereits 296 Zechen und die Kohle-Förderung stieg auf 3,6 Mio Tonnen.
Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 gab der Wirtschaftsentwicklung des
neugegründeten Reichs einen gewaltigen Aufschwung, wovon besonders die
Kohlebergwerke und die Stahlindustrie im Ruhrgebiet profitierten.
1870 betrug die
Kohleförderung im Ruhrbergbau 11,8 Millionen Tonnen, 1920 waren es 88,1
Millionen, das bedeutete eine Steigerung um das achtfache. Durch die rasche Expansion
des Steinkohlebergbaus herrschte bereits seit den 1870er Jahren in den Industriegebieten an
Rhein und Ruhr ein erhöhter
Arbeitskräftebedarf. Analog zur Kohleförderung stiegen die
Belegschaftszahlen im Ruhrbergbau von 12.741 im Jahre 1850 über 50.749 im Jahre
1870 auf 228.593 im Jahre 1900 und
schließlich auf 473.468 im Jahre 1920.[1]
Eine ähnliche
Entwicklung gab es auch in der Stahlindustrie, so dass die Bevölkerung des
Ruhrgebiets gewaltig anstieg. Hatte das Ruhrgebiet 1852 lediglich etwa 375.000
Einwohner so waren es 1870 schon etwa 536.000. Bis 1910 erfolgte ein besonders
deutlicher Anstieg der Bevölkerung des Ruhrgebiets auf etwa 3 Millionen und
schließlich auf 3,7 Millionen um 1920. Damit war in etwa 70 Jahren eine
Verzehnfachen der Gesamtbevölkerung des Ruhrgebiets (in den Grenzen des
heutigen Regionalverbands Ruhr) eingetreten. Dies verdeutlicht die
Einwohnerentwicklung einiger uns besonders gut bekannter Großstädte im Revier.[2]
Bild 03: Einwohnerzahlen einiger Ruhrgebietsstädte
Dabei handelte es
sich zunächst vor allem um Zuwanderer aus den ländlichen Räumen des heutigen
NRW, also aus Westfalen und dem Rheinland. Später kamen Zuwanderer aus dem
Bereich Hessen, Niedersachsen, Thüringen hinzu. Bei der Volkszählung im Jahre 1861 wurden im gesamten
Rheinland und Westfalen lediglich
16 polnischsprachige Personen erfasst.
1.2 Arbeitskräftemangel
im Ruhrgebiet - Anwerbung von Arbeitern in den deutsche Ostprovinzen
Parallel
zu der industriellen Entwicklung im Ruhrgebiet wuchs in der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts die Zahl der Bewohner in den Ostprovinzen des Deutschen Reichs
bzw. Preußens schneller an als im Westen. Deshalb war der preußische Staat auch daran
interessiert, dieser schnell wachsenden Bevölkerung im Osten Arbeitsmöglichkeiten
zu bieten, damit es nicht zu sozialen Spannungen kam. Ein weiterer Aspekt für
den preußischen Staat war damals in der Kaiserzeit die politische Forderung nach einer Germanisierung seiner nicht-deutschen, vor allem polnischen
Untertanen in den Ostprovinzen. Diese Situation kam den Unternehmern des
Ruhrgebiets entgegen, die bemüht waren, fleißige und zuverlässige Mitarbeiter
zu bekommen. Sie konnten mit wesentlich besseren Verdienstmöglichkeiten im
Ruhrgebiet werben. Auch in Oberschlesien gab es damals Kohle-Bergbau, aber
unter schlechteren Arbeits- und Lohnbedingung. So lag es nahe, zunächst aus
diesem Bereich die zusätzlich benötigten Arbeiter anzuwerben. So verdiente
damals ein Hauer in Oberschlesien 2-3 Mark pro Schicht und in Westfalen 5-6
Mark. Zur Deckung des schnell
wachsenden Arbeitskräftebedarfs wurden bald aber auch Hilfskräfte und
Tagelöhner aus der Landwirtschaft und dem Handwerk angeworben. Diese
Arbeitskräfte kamen in der Folge vor
allem aus den preußischen Provinzen Ostpreußen, Schlesien, Westpreußen und
Posen. Neben besseren Arbeitsbedingungen lockte man die Arbeiter mit dem
Angebot von Wohnungen in - gegenüber dem
Osten - vorbildlichen Wohnsiedlungen. Die
Zechen schickten professionelle Werber in die preußischen Ostprovinzen, hängten
dort Werbeplakate aus, sammelten Auswanderungswillige und schickten sie mit
Sonderzügen ins Revier. Die Zeche Hibernia warb in Briefen an die Gastwirte der
ostpreußischen Dörfer um Unterstützung, in denen es beispielsweise hieß:
Streng
vertraulich! Wir bitten die Herren Wirte, dafür zu sorgen, dass möglichst viele
Arbeiter unter 26 Jahren, möglichst unverheiratet, hierher ziehen. Für jeden
aus Ihrer Ortschaft zuziehenden Arbeiter zahlen wir Ihnen MK 3,-.[3]
Die
von den Industriellen nach Osten geschickten Anwerber arbeiteten oft mit süßen
Verlockungen. Auf einem Flugblatt von 1908, das insbesondere die Masuren aus
Ostpreußen ansprach, hieß es. In dieser Gegend, umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern, den Vorbedingungen guter Luft, liegt, ganz wie ein masurisches Dorf, abseits vom großen Getriebe des westfälischen Industriebezirkes, eine reizende, ganz neu erbaute Kolonie der Zeche ›Viktor‹ bei Rauxel.
Lage und Größe der Wohnungen werden ebenso eingehend beschrieben wie die Höhe der Verdienste in unterschiedlichen Lohngruppen und die Möglichkeiten zum Sparen.“
Zunächst kamen vor allem junge, alleinstehende Männer aus den preußischen Ostprovinzen ins Ruhrgebiet, die als „Kostgänger“ bei Einheimischen oder bereits im Ruhrgebiet lebenden Landsleuten unterkamen. In einem weiteren Schritt sind deren Familien nachgezogen, was die Bergwerke und Stahlfirmen veranlasste, den Arbeitern Wohnungen in Werkskolonien zur Verfügung zu stellen. Dies waren relativ preiswerte Unterkünfte in Nähe der Zechen und Firmen. Sie boten den Bewohnern die Möglichkeit Kleinvieh zu halten und einen Garten anzulegen. So entstanden zum Teil musterhafte Siedlungen, die auch heute noch als Wohnort im Ruhrgebiet beliebt sind, wie z. B. die Krupp-Siedlung Essen-Margarethenhöhe, die Siedlung Eisenheim in Oberhausen oder die Siedlung Teutoburgia in Herne.[4]
Bild 04a + 04b: Zechensiedlung
Bottrop und Krupp-SiedlungEssen-Margarethenhöhe
So entstand eine
sogenannte Kettenmigration aus den damaligen deutschen Ostprovinzen, die bis
zum ersten Weltkrieg anhielt.
1.3 Zuwanderer
aus den deutschen Ostprovinzen und dem polnischen Kulturkreis
Damit bin ich beim
besonderen Thema dieser Abhandlung, den Arbeitskräften aus dem Osten des
damaligen Deutschen Reichs, deren Muttersprache nicht deutsch war.
Wer
waren die Zuwanderer?
Die Einheimischen im
Ruhrgebiet unterschieden damals drei Bevölkerungsgruppen:
> die
Alteingesessenen
> die
Hiesigen und
> die Fremden
Als Hiesige wurden
dabei Zuwanderer aus dem Rheinland und Westfalen, aber z. T. auch aus anderen
Teilen Westdeutschlands betrachtet.
Als Fremde galten
Ostdeutsche – egal ob sie deutsch, polnisch oder eine andere Muttersprache
hatten, ebenso wie andere Ausländer, z. B. Italiener und Niederländer.
Italiener kamen vor allem als Arbeiter von Gesteinsbaufirmen, die in Italien
bereits große Erfahrungen und bessere Technologien auf diesem Gebiet gesammelt
hatten. Einige von ihnen blieben im Ruhrgebiet und wurden auf Grund ihrer
geringen Zahl gut integriert. Die allermeisten gingen mit ihren Firmen aber
wieder zurück nach Italien. Im Jahre 1893 wurden lediglich 610 italienische
Arbeiter im Bergbau registriert. Auch der Anteil der Holländer war mit 699 im
Jahre 1893 vergleichsweise gering, während 1893 bereits 20494 polnischsprachige
Arbeiter im Bergbau gezählt wurden. In dieser Zahl sind natürlich
Familienangehörige und in anderen Bereichen beschäftigte nicht enthalten.
Die Zuwanderung
Fremder ins Ruhrgebiet bedeutete zunächst jedoch nicht, dass die
Zuwanderer als unerwünscht angesehen
wurden. Denn es gab ja zum einen bereits seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts
eine Zuwanderung und zum anderen war das Ruhrgebiet seit der Reformation
konfessionell stark durchmischt. So gab es hier schon früh eine tolerante
Haltung gegenüber der anderen Konfession und anders als im übrigen Westfalen
galt im Kohlenpott nicht die Regel, dass man erst einen Sack Salz gemeinsam mit
den Zugezogenen gegessen haben müsse, um in die Nachbarschaft aufgenommen zu
werden.[5]
Wie schon angedeutet
handelte es sich bei den Zuwanderern aus den deutschen Ostprovinzen keinesfalls
um eine homogene ethnische oder religiöse Gruppe. Deshalb stellt sich zwingend die Frage: Wer waren die Zuwanderer aus den
deutschen Ostprovinzen und aus dem polnischen Kulturkreis? Um diese Frage
seriös beantworten zu können, muss man die polnische Geschichte kennen.
1.4 Kurzer Abriss der polnischen Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert
Im
19. Und beginnenden 20. Jahrhundert – also dem Zeitraum der Zuwanderung ins Ruhrgebiet - gab es keinen polnischen Staat.
In meinem Post 2.210
Polen – polnisches Volk werde ich im Kapitel „Niedergang
des polnischen Staates und die Teilungen Polens – ein Trauma das polnischen
Volkes“
ausführlich die polnische Geschichte des 18. Und 19. Jahrhunderts behandeln, so
dass ich mich hier auf die für die polnischen Migranten im Ruhrgebiet wichtigen
Fakten beschränke:
In den Jahren 1772, 1793 und 1795 hatten die Nachbarmächte Russland, Preußen und Österreich den
polnischen Staat schrittweise unter sich aufgeteilt – bekannt als die drei
polnischen Teilungen -, so dass auf der Landkarte Europas bis zum Ende des Ersten Weltkriegs
für über 120 Jahre kein eigenständiger polnischer Staat mehr existierte.
Bild 05: Polnische Teilungen
Nach einer
Zwischenphase – der Herrschaftszeit
Napoleons – wurde im Wiener Frieden 1815 die Dreiteilung Polens
endgültig beschlossen, wobei vor allem der russischen Anteil an Polen zu Lasten
Preußens und Österreichs vergrößert wurde.
Seit dieser Zeit und somit auch nach der Gründung des deutschen
Kaiserreichs 1871 sah die Landkarte im Osten Deutschlands wie folgt aus:
Bild 06:: Preussen_Ost-Provinzen
(Detail)
Die Zuwanderer aus dem Osten, die zwischen 1870
und 1920 ins Ruhrgebiet kamen, stammten
also vorwiegend aus den preußischen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Posen
und Schlesien.
Es handelte es sich
nahezu ausschließlich um deutsche Staatsbürger. Polen aus dem zu Russland oder
Österreich gehörenden ehemaligen polnischen Staat durften nicht dauerhaft ins
deutsche Reich einwandern. Sie unterlagen einer sehr rigide angewandten
Karenzzeit, d. h. sie durften nur als Saisonarbeiter z. B. in der
Landwirtschaft einreisen. Daher kamen sie für den Bergbau nicht in Betracht.
1885/86 wurden z. B. ca. 40 000 Polen und Juden – fast
ausnahmslos Staatsbürger des damaligen Russlands, die keine deutsche Staatsbürgerschaft hatten, aus dem
Reich ausgewiesen.. Der preußische Staat befürchtete nämlich bei einer
gleichzeitigen Einreise von Polen aus dem zu Russland und Österreich gehörenden
Teil Polens eine Verbrüderung und eine
Nationalisierung seiner eigenen polnischsprachigen Bevölkerung.[6]
1.5 Sprachen
und religiöse Bekenntnisse der ostdeutschen
Zuwanderer
Beim Anwerben von
Arbeitskräften bevorzugten die Ruhrindustriellen Mitarbeiter, die möglichst
ihrer eigenen Konfession angehörten. Als katholisch gesinnte Großunternehmer
warben August Thyssen und Peter Klöckner Arbeiter aus den katholischen Gebieten
Westpreußens und Posens für ihre Industriebetriebe in Wanne und Oberhausen an.
Die evangelischen Gelsenkirchener Fabrikanten Friedrich Grillo und Emil
Kirkdorf bevorzugten Arbeitskräfte aus dem evangelischen Ostpreußen,
insbesondere Masuren.[7]
Bottrop war ein Zentrum für Arbeiter aus Oberschlesien, Herne und Recklinghausen
für polnische Zuwanderer aus der Provinz Posen.[8]
Deshalb nochmals die Frage: Welcher Ethnie oder Religion waren die damals aus
den preußisch-deutschen Ostprovinzen ins Ruhrgebiet kommenden Migranten
zuzurechnen.
Denn in den deutschen
(preußischen) Ostgebieten lebte damals eine sehr unterschiedliche und gemischte Bevölkerung, bezogen sowohl auf
die Muttersprache wie auch auf das religiöse Bekenntnis. Hinzu kommt die
Tatsache, dass bereits 1888 in den Schulen der preußischen Ostprovinzen der
Lese und Schreibunterricht in deutscher Sprache eingeführt wurde, so dass viele
Einwanderer bereits vor ihrer Ankunft im Ruhrgebiet Kontakt mit der deutschen
Sprache hatten. Wie die nachstehenden detaillierten Ausführungen zu den
einzelnen Provinzen zeigen, war die unterschiedliche Herkunft von besonderer
Bedeutung im Verhalten zur eigenen und zur deutschen Sprache und Kultur.[9]
Betrachten wir also
die verschiedenen Herkunftsgebiete = preußische Provinzen etwas genauer, so
sehen wir an folgender Grafik,
dass die Bewohner
dieser ostdeutschen Provinzen sehr unterschiedlichen Volksgruppen angehörten.
Rot bedeutet überwiegend deutsche Muttersprache, grün bedeutet meistens
polnische Muttersprache, aber auch andere slawische Sprachen und Dialekte wie
masurisch, kaschubisch oder wasserpolnisch (slask). Deshalb sehen wir uns die
damalige Bevölkerung in den vier fraglichen Provinzen nun näher an:
1.51 Ostpreußen
Ostpreußen war durch
den Deutschen Orden im Mittelalter kolonisiert worden. Die dort lebenden
slawischen Prussen wurden christianisiert und aus dem Westen Deutschlands
wurden Bauern ins Land gerufen, die es kolonisierten. So entstand ein neuer
Menschenschlag, der einen deutschen Dialekt mit slawischem Akzent sprach,
vielen unter uns noch als ostpreußisch bekannt.
In der Reformationszeit wurde das Ordensland Ostpreußen 1525
protestantisch und in das weltliche Herzogtum Preußen umgewandelt. 1648 wurde dieses
Herzogtum Preußen mit dem Kurfürstentum Brandenburg verbunden, woraus dann
später das Königreich Preußen wurde. Nach der Reformation siedelten sich im
Süden des heutigen Ostpreußen Polen aus Masowien an, die einen eigenen
polnischen Dialekt, das Masurische sprachen, der durch das lange Zusammenleben
mit deutschen Siedlern auch viele deutsche Lehnwörter aufwies. Sie waren oder
wurden Protestanten lutherischen Bekenntnisses. Ihr Kontakt zur polnischen
Hochsprache riss ab. Die Masuren selbst bezeichneten sich als Altpreußen.
Ein kleiner Teil Ostpreußens,
das Bistum Ermland, war bis 1772 weitgehend selbständig, aber der polnischen
Krone unterstellt. Erst 1772 (bei der 1. Polnischen Teilung) kam das Ermland zu
Preußen. Die Bewohner des Ermlandes blieben in und nach der Reformationszeit
katholisch, sie waren jedoch fast ausschließlich deutsche Muttersprachler. Alle
übrigen Einwohner Ostpreußens also auch die Masuren waren
evangelisch-lutherisch. Die Preußische Verwaltung und die allgemeine Schulpflicht
bewirkten seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Eindeutschung der
Masuren: Um 1875 gebrauchten noch etwa 66 Prozent der damals etwa 400.000
Bewohner des südlichen Ostpreußens Masurisch oder Polnisch, während schon 34
Prozent Deutsch sprachen. Im Rahmen der Volkszählung von 1910 gaben etwa 29 Prozent
der Bewohner Masurisch, 13 Prozent Polnisch und 58 Prozent Deutsch als
Muttersprache an.
Evangelische Masuren
ließen sich – s. o. – vorzugsweise in Gelsenkirchen und Wattenscheid nieder,
wobei eine besondere Verbindung nach Allenstein und Ortelsburg festzustellen
war, so dass Gelsenkirchen zeitweise als Klein-Ortelsburg bezeichnet wurde. Der
Anteil der Masuren an der Gelsenkirchener Bevölkerung soll 1910 16,2%
ausgemacht haben. Evangelische Masuren galten als besonders preußisch und
königstreu gesinnt, sie selbst bezeichneten sich als „Altpreußen“. Aufgrund
dieser preußisch-deutschen Grundhaltung gaben sie früher als andere Migranten
ihren Rückkehrwunsch auf und waren integrationswilliger. Dabei wurden sie durch die deutsche Obrigkeit und
die evangelische Kirche intensiv unterstützt. Allerdings behielt zumindest die
erste Generation der masurischen Zuwanderer
ihre traditionellen Verhaltensweisen und ihre besondere sprachliche und
religiöse Prägung bei.[10]
Fassen wir zusammen: Aus Ostpreußen
kamen vorwiegend deutschsprachige und masurischsprachige Zuwanderer, die – bis
auf wenige Zuwanderer aus dem Ermland - fast ausschließlich evangelischen
Glaubens waren.
Für den gesamten Bereich der Regierungsbezirken
Arnsberg, Münster und Düsseldorf gibt es eine statistische Quelle[11].
Danach betrug die Zahl der
Masuren in den
Regierungsbezirken Arnsberg, Münster u. Düsseldorf:
- 1902 43.696
- 1904 54.265
-
1906 57.969
- 1908
113.047
- 1910
138.870
- 1912 159.743
1.52 Westpreußen
Ganz anders die
Situation in Westpreußen. Diese Provinz gehörte bis 1772 zu Polen und hatte –
wie wir an der Karte sehen - eine sehr gemischte Bevölkerung.
Bild 09: Sprachen_Westpreussen 1910
Teils war sie
überwiegend deutsch wie in Danzig und Elbing sowie ganz im Westen, in der Mitte
und im Südosten überwiegend polnisch, z. T. mit starker deutscher Minderheit.
Dazu lebten und leben im Norden noch die Kaschuben, ein slawischer Volksstamm
mit eigener Sprache, der sich teils der deutschen, teils der polnischen Kultur
zugewendet hatte. In einigen Kreisen in der westlichen Mitte ergab sich sogar
keine absolute Mehrheit einer Volksgruppe, weil Deutsche, Polen und Kaschuben
etwa gleich groß waren. Die deutsche Bevölkerung
besonders in den Städten war überwiegend evangelisch, die polnische dagegen
katholisch, die Kaschuben gehörten beiden Konfessionen an.
1.53 Provinz
Posen
Bis auf wenige Kreise
im Norden und Westen war die preußische Provinz Posen überwiegend
polnischsprachig. Im Unterschied zu Westpreußen war der Anschluss Posens an Polen – abgesehen von zwei
Kreisen im Westen –deshalb nach dem 1. Weltkrieg auch bei den meisten Deutschen nicht
umstritten. Von hier kamen also fast ausschließlich polnischsprachige
katholische Zuwanderer ins Ruhrgebiet. Zentren der Zuwanderung aus Posen waren
Bochum, Recklinghausen, Wanne und Oberhausen.
1.54 Schlesien
Eine große
Zuwanderer-Gruppe kam aus der Provinz Schlesien und insbesondere aus
Oberschlesien, da es hier wie im Ruhrgebiet ebenfalls Bergbau gab. Im Gegensatz
zu den anderen 3 östlichen Provinzen gehörte Schlesien seit 1163, spätestens
jedoch seit 1353 keinem polnischen Staat mehr an, sondern gehörte bis zu dessen
Auflösung zum Römisch-Deutschen Reich. Zunächst fiel es an Böhmen,
dann an Habsburg/Österreich und wurde schließlich nach dem siebenjährigen Krieg
und dem Frieden von Hubertusburg 1763 ein Bestandteil Preußens und später des Deutschen
Reichs. Nicht zuletzt wegen der
fehlenden Verbindung zum polnischen Staatsvolk und vielfältigem deutschen
Kultureinfluss, hat sich hier bis heute eine eigene Mentalität und ein
eigenständiger polnischer Dialekt entwickelt, das s. g. Schlesisch – polnisch
slaski – manchmal auch etwas abwertend wasserpolnisch genannt. Viele Schlesier
mit polnischer Mundart fühlten sich dem deutschen Kulturkreis verbunden und
legen auch heute noch Wert darauf, dass Schlesier eine eigene Volksgruppe im
polnischen Staat sind. Der katholische Glaube verband sie dennoch mit dem
polnischen Volk. Viele Menschen in
Schlesien waren Doppelsprachler, so dass gerade diese Schlesier oft zwischen
den Kulturen hin und hergerissen waren. Für sie hat man den Begriff des
schwebenden Volkstums geprägt. Bei der Volksabstimmung nach dem 1. Weltkrieg
hat sich aufgrund dieser besonderen Situation der überwiegende Teil der
polnischsprachigen Schlesier für Deutschland entschieden, so dass Oberschlesien
dann zwischen Polen und Deutschland aufgeteilt wurde. Außedem lebten im Süden des oberschlesischen Kreises Ratibor eine slawische Volksgruppe, die im 9. bis 11. Jahrhundert aus Mähren zugewandert war. Aufgrund der jahrhunderte langen Trennung vom mährischen Stammland sprachen sie einen eigenen Dialekt, der stark mit deutschen Lehnwörtern durchsetzt war. Ähnlich den Masuren in Ostpreußen waren diese Mähren preußisch-deutsch gesinnt und grenzten sich von den Polen stets ab. Laut Volkszählung vom 1. 12. 1900 gaben 64.382 Personen Mährisch als ihre Muttersprache an.
Oberschlesier wurden
besonders in Bottrop ansässig, wobei eine Mehrheit aus den Kreisen Ratibor und
Rybnik stammte. Bereits
im Januar 1871 reiste ein Vertreter der Grube Prosper I auf der Suche nach geeigneten
Bergarbeitern in den Osten. Er kam mit 25 Männern aus dem Landkreis Rybnik
zurück. Im gleichen Jahr fuhr der Steiger Karl Sliwka erneut für Prosper I in
den Osten und brachte 400 Männer mit. 1872 holte er nochmals 500 Männer von
dort. 1875 konnte Leopold Kowalik 20 polnische Familien nach Bottrop locken.
Anfang 1880 lebten bereits 2.000, 1914 ungefähr 24.000 Oberschlesier in
Bottrop, das zum Zentrum der schlesischen Einwanderer aus Ratibor und Rybnik
wurde. Eine weitere Besonderheit war, dass es sich oft um qualifizierte
Arbeiter (und auch Angestellte) handelte, da ein Drittel der männlichen und
weiblichen Arbeiter beider Landkreise in der Industrie und im Bergbau tätig
gewesen war. Genau deshalb warb die Arenberg-Bergbau GmbH sie auch an.[12]
1.6 Resümee - Vielfalt der Zuwanderer bis zum 1. Weltkrieg
Diese
historisch-kritische Betrachtung der Zuwanderer aus ostdeutsch- preußischen
Provinzen zeigt, dass die damals ins Ruhrgebiet eingewanderten Migranten
keineswegs eine Einheit bildeten. Deutsche Behörden taten sich schwer bei ihrer
zahlenmäßigen Erfassung. Die Bevölkerungs- und Nationalitäten-Statistik
des Deutschen Reiches hielt die Herkunft der Menschen nicht eindeutig
auseinander und sie ist daher teilweise irreführend. Die Zuwanderer wurden behördlich nach ihrer
Staatsangehörigkeit als deutsche, österreichisch/ungarische oder russische
Staatsangehörige eingeordnet. Die preußische Verwaltung fasste bis 1910 Polen,
Masuren und Kassuben als Polen zusammen. Als Trennungsmerkmal diente für
deutsche Behörden zwar auch die Angabe der Muttersprache. Vielfach lehnten
Polen, besonders aber Masuren und Oberschlesier, es jedoch ab, sich als Polen
„abstempeln“ zu lassen, und gaben als Muttersprache Deutsch an. Man tat vielen
Zuwanderern also unrecht, wenn man sie pauschal als Polacken bezeichnete. Man
hätte sehr wohl unterscheiden können zwischen Deutschen, Polen, Masuren,
Kaschuben, Oberschlesiern und Menschen mit schwebendem Volkstum bzw.
schwebender Kultur. Aber das erforderte ein differenziertes Denken. In gleicher
Weise können wir ja auch heute bei unseren türkischen Zuwanderern nicht von
einer einheitlichen Bevölkerungsgruppe ausgehen. Denken wir nur an die vielen
Kurden und Aleviten. Aber das ist ein anderes Thema. (siehe Post 1.240 Migration, Integration, Assimilation und dort den Abschnitt 5.3 bzw. besonders 5.34)
Leider wurde vor dem 1. Weltkrieg In
der öffentlichen Wahrnehmung nicht zwischen Polen, Schlesiern, Masuren und
Kaschuben unterschieden, ja sogar Ostpreußen mit deutscher Muttersprache oder
Nachkommen aus Mischehen wurden von Einheimischen oft als Polacken betrachtet.
Der polnische Nachname war keineswegs ein Nachweis, dass die Namensträger nicht
seit Generationen deutsch als Muttersprache verwendeten. Ein großes Problem
bildet daher die „Definition“: Wer war Pole und wer nicht? Daher gibt es auch
sehr unterschiedliche Angaben über die tatsächliche Zahl der Polen und Masuren
im Ruhrgebiet. Mit einer gewissen Sicherheit kann man aber davon ausgehen, dass
bis zum Ende des 1. Weltkriegs im Ruhrgebiet ca. 350.000 ethnische Polen und
ca. 150.000 Masuren lebten.
2.0 Politisches und kirchliches Umfeld der polnischsprachigen Migranten des 19. Jahrhunderts
2.1 Preußisch-deutsche Germanisierungs-Politik
Während der
preußische Staat Anfang des 19. Jahrhunderts einen sehr liberalen Kurs
hinsichtlich seiner fremdsprachigen Minderheiten verfolgte, begann die
preußische Regierung nach 1871 in den deutschen Ostprovinzen einen strikten
Kurs der Germanisierung. In einem Erlass
von 1873 wurde die Abschaffung der polnischen Muttersprache im Unterricht
(außer im Religionsunterricht) angeordnet. 1876 wurde deutsch Amtssprache aller
Behörden. Die Ansiedlung von Deutschen in den polnischsprachigen Gebieten wurde
massiv gefördert. Ein Fond von 100 Millionen Reichsmark wurde zur Stärkung des
deutschen Elements in den Provinzen Westpreußen und Posen geschaffen,
allerdings mit nur mäßigem Erfolg. All das trug auf der Gegenseite dazu bei,
dass vermehrt polnische Vereinigungen und später eine Polen-Partei gegründet
wurden, die eine Wiederherstellung des polnischen Staates forderten.
2.2 Kulturkampf Bismarcks
Als die ersten
polnischen und katholischen Arbeiter ins Ruhrgebiet kamen, herrschte im neuen
deutschen Reich gerade der sogenannte Kulturkampf. Wir erinnern uns: Papst
Pius IX. verfolgte einen streng konservativen Kurs. 1864
veröffentlichte er den Syllabus errorum (das „Verzeichnis der Irrtümer“), eine Auflistung von 80
angeblichen Irrtümern der Moderne in Politik, Kultur und Wissenschaft. Darin verurteilte
er Rede- und Religionsfreiheit sowie
die Trennung von Staat und Kirche. 1870 wurde der Vatikanstaat aufgelöst und in
das neue Italien eingegliedert. Den Verlust an weltlicher Macht versuchte Papst
Pius IX durch mehr Macht in der katholischen Kirche zu kompensieren. Auf dem
Konzil im gleichen Jahr wurde das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit in
Glaubensfragen erlassen. Gleichzeitig wurde im Vatikan die kirchliche
Machtzentrale verstärkt und das Einsetzen von Bischöfen in den weltweiten
Diözesen wurde päpstliches Recht. Außerdem war die katholische Kirche seit dem
Mittelalter Trägerin vieler Einrichtungen z. B. im Schulbereich und im
Sozialbereich und beanspruchte für sich das Recht der Eheschließung statt der
Zivilehe. Diese Auseinandersetzung war ein gesamteuropäisches Problem und es
gab in vielen europäischen Ländern, aber auch in Mexiko und Brasilien
Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat um die Zuständigkeitsbereiche.
In Deutschland kam
aber ein weiterer Aspekt hinzu. Nach der Gründung des deutschen Reiches 1871
fürchtete der deutsche Reichskanzler Fürst Bismarck, dass die neue deutsche
Einheit besonders in Gebieten mit katholischer Bevölkerung durch Fremdeinflüsse
aus dem Vatikan gefährdet würde. Deshalb versuchte man den Einfluss der Kirche
einzudämmen. Als Folge wurde 1872 ein neues Schulaufsichtsgesetz geschaffen,
das die Schulen staatlicher Aufsicht unterstellte und damit dem kirchlichen, d.
h. katholischen Einfluss entzog. Das hatte Auswirkungen vor allem auf die
katholisch-polnischen Schulen im Osten. 1873 wurde durch die Maigesetze die
Kontrolle kirchlichen Vermögens durch gewählte Gemeindevertreter eingeführt.
1874 wurde Gesetz, dass nur die Zivilehe gültig war und wer kirchlich heiraten
wollte konnte dies erst nach der standesamtlichen Trauung.
Bis zur Beendigung des Konflikts wurden 1800
katholische Pfarrer wegen Widerstands gegen die neuen Gesetze ins Gefängnis
gebracht. Die katholische Zentrumspartei erhielt durch die Auseinandersetzung
erheblichen Zulauf. Als Pius IX. 1878 starb, folgte ihm Leo XIII. im
Amt. In direkten Verhandlungen mit der Kurie wurden nun harte Gesetze abgemildert.
Im Sommer 1882 nahm Preußen wieder diplomatische Beziehungen zum Vatikan auf.
Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze führten schließlich zur
Beilegung des Konflikts. Leo XIII. erklärte am 23. Mai 1887 öffentlich den
„Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet.
2.3 Katholische Kirche im Ruhrgebiet
Vor diesem
Hintergrund kamen katholische polnische Arbeiter in den Westen.
Selbstverständlich gab es hier im Westen für die Kinder keinen Schulunterricht
in polnischer Sprache. Aber die frommen katholischen Polen wünschten sich auf
jeden Fall eine Sonntagsmesse mit polnischer Predigt, polnischen Liedern und
polnischen Geistlichen für Beichte und Seelsorge-Betreuung in der
Muttersprache.
Die katholische Kirche im Ruhrgebiet
steckte in einem Dilemma. Auf der einen Seite sprach eine wachsende Anzahl
ihrer aus dem Osten des Reiches stammenden Gläubigen nur oder hauptsächlich
Polnisch und man musste deren Bedürfnisse aus Glaubenssicht berücksichtigen.
Andererseits hatte man Mitte der 1880er-Jahre gerade die Auseinandersetzung mit
dem preußischen Staat um die Rechte der Kirche beigelegt, die Zeit des Kulturkampfes
war vorüber. Diese Ruhe wollte man nicht gefährden. Dazu waren große Teile der katholischen
Hierarchie – sowohl Bischöfe wie auch Priester – selbst von einer Politik der
Germanisierung überzeugt. Ungünstig hinsichtlich einer für das gesamte Ruhrgebiet
verbindlichen Lösung war, dass die die katholische Kirche des Ruhrgebiets damals
auf 3 Diözesen (Paderborn, Münster und Köln) aufgeteilt war, so dass 3 Bischöfe
in der Verantwortung waren, diese auf die Probleme der Ruhrpolen aber nicht
immer einheitlich reagierten.
All das führte zum
jahrzehntelangen
2.4 Kampf der Ruhrgebiets-Polen um polnische Seelsorger und die Sonntagsmesse in polnischer Sprache
Der für einen besonders großen Teil des westfälischen Ruhrgebiets (Bochum, Dortmund,
Herne, Wanne-Eickel, Gelsenkirchen) zuständige Bischof von Paderborn, Kaspar
Drobe (1882-1891), sorgte zunächst dafür, dass ein polnischer Priester für die
Seelsorge dieser Gläubigen zur Verfügung stand. Am 23. Dezember 1884 wurde der
Priester Józef Szotowski aus der Diözese Kulm (Chełm) in die Paderborner
Diözese versetzt. Bis dahin wurden die polnischsprachigen Gläubigen durch
polnische Wanderprediger sporadisch seelsorgerisch versorgt. Szotowski nahm die Stelle eines Kaplans der Pfarrei
St. Peter in Bochum ein, die ausschließlich für die Polenseelsorge bestimmt
war. Er wohnte in dem zu dieser Zeit verwaisten
Redemptoristen-Kloster am Kaiser Friedrich Platz in Bochum, dem heutigen
Imbuschplatz. Die deutschen Redemptoristen mussten dieses Kloster 1873 infolge
des Kulturkampfes verlassen und hatten sich in der Nähe der deutschen Grenze im
holländischen Glanerbrug niedergelassen. Das Bochumer Redemptoristen-Kloster
entwickelte sich in der folgenden Zeit zum Zentrum der Polenseelsorge für das
Ruhrgebiet.
Einmal im Monat hielt Szotowski eine Sonntagsmesse in polnischer Sprache
jeweils in Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen und am vierten Sonntag in einer
weiteren Stadt des Ruhrgebiets. Sporadisch versorgte er auch die Polen und
Polinnen in den Diözesen Köln und Münster, wo es keinen fest angestellten polnischen
Seelsorger gab.
Unter einer aktiven Seelsorge verstand Szotowski aber nicht nur das
Abhalten von Gottesdiensten, die Abnahme der Beichte, die Durchführung von kirchlichen
Bestattungen und ähnliche religiöse Handlungen. Seelsorge bedeutete auch, die
Menschen darüber hinaus zu betreuen. Er half, durchaus in Zusammenarbeit mit
den örtlichen deutschen Priestern, den in der neuen Umgebung sich nicht so
leicht zurechtfindenden polnischsprachigen Menschen bei der Gründung
polnisch-katholischer Vereine. Die Vereine sollten helfen, durch regelmäßige
Bildungsarbeit den Boden „für Brüderlichkeit und gute Sitten“ zu bereiten.
Durch seine rege Tätigkeit überlastet, wandte sich Szotowski mehrfach an
den Bischof in Paderborn und drang „auf Vermehrung der geistlichen Kräfte für
die Seelsorge der polnischen Katholiken in den westfälischen Diözesen. Im
Ergebnis wurde der ungebetene Bittsteller stattdessen zurück versetzt. Als
Nachfolger wurde am 1. April 1890 der
ebenfalls aus der Diözese Kulm stammende Priester Dr. Franciszek Liss berufen. Auch sein
Wohnort war im Redemptoristen-Kloster in Bochum, wodurch sich dieser Standort
als Zentrum der Polenseelsorge festigte. War Bochum in der Zeit Szotowskis mehr
oder weniger ideelles Zentrum kraft des Wohnsitzes des polnischen Priesters, so
wurde es während der Zeit von Liss mehr und mehr auch zum organisatorischen
Zentrum des Ruhrpolentums. Die bereits damals vorhandene große Bedeutung Bochums
für die ruhrpolnische Bewegung wird auch dadurch deutlich, dass in dieser Stadt
am 3. Juni 1894 der erste polnische Katholikentag stattfand. Liss knüpfte auch Kontakte zu den deutschen
Redemptoristen in Holland, die an einer Rückkehr nach Bochum interessiert
waren. Gleichzeitig stellte er eine Verbindung zu Redemptoristen aus Galizien her, die auch in Großpolen und
in der Diözese Kulm tätig waren. Er
organisierte Missionspredigten dieser Redemptoristen in Bochum, an denen etwa
1000 Ruhrpolen vor allem aus Bochum teilnahmen.
2.5 Gründung und Tätigkeit katholisch-polnischer Vereine und Organisationen
Als Priester war Liss ständig in den verschiedenen Orten des Ruhrgebiets
unterwegs, hielt dort die Beichte ab, organisierte religiöse Treffen und
Unterweisungen. Wie bereits sein Vorgänger unterstützte und initiierte auch er
die Gründung von polnisch-katholischen Vereinen, deren geistliche Patenschaft
er übernahm. So hielt er die heilige Messe anlässlich der Kongresse
polnisch-katholischer Vereinigungen, weihte Fahnen polnischer Vereine usw. In
der Anfangsphase seiner Arbeit erfüllte er so einen wichtigen Auftrag der
deutschen katholischen Kirche, der nicht zuletzt
darin bestand, durch die Organisation der Polen in katholischen Vereinen diese
vor den Einflüssen der Sozialdemokratie zu schützen. Allerdings trat in dieser
Zeit die nationale Komponente in der Arbeit der Vereine immer stärker in den
Vordergrund. Die ruhelose Tätigkeit des polnischen Priesters Dr. Liss in
Verbindung mit den von ihm organisierten Missionspredigten stärkten auch das
Bemühen von Liss um den Erhalt der polnischen Sprache und Kultur. Ein Merkmal
für diese Entwicklung bestand darin, dass neue Vereinsfahnen fast immer
Aufschriften in polnischer Sprache bekamen, die häufig die Mutter Gottes von
Tschenstochau anriefen.
Schließlich führten nicht zuletzt die Aktivitäten von Liss zur Entstehung vieler polnischer Vereine,
einer polnischen Zeitung „Wiarus Polski“ und des Bundes der Polen in Deutschland 1894. (dazu
später mehr)[13]
Bereits 1893 war die Zahl der polnisch-katholischen Vereine im gesamten
Ruhrgebiet auf mehr als 100 angewachsen. Für
die in einer fremden Umgebung lebenden Menschen hatten diese Vereine eine hohe
Bedeutung. Dort konnten sie andere, die sich in ähnlicher Situation befanden,
kennenlernen, Gemeinsamkeiten pflegen, die Heimaterinnerung aufrechterhalten
und Unterstützung bei alltäglichen Problemen erhalten.
Trotz ihrer Bindung an die ‚deutsche’ katholische Kirche und der deutlichen
antisozialdemokratischen Ausrichtung wurden diese Vereine vom preußischen Staat
wie auch von großen Teilen der katholischen Kirche mit Misstrauen und Ablehnung
beobachtet. Man vermutete, dass unter dem Deckmantel kirchlicher Vereine
nationalpolnische Ideen verfolgt würden. Dem Druck des Staates gaben daher die
westdeutschen Bischöfe nach und so musste der polnische Priester Liss am 30. 6.
1894 auf Weisung des Paderborner Bischofs Hubertus Simar (1891-1899) Westfalen verlassen
und wurde zurück in die Diözese Kulm versetzt, weil er nach Ansicht der
Behörden das Nationalbewusstsein der Polinnen und Polen zu sehr stärkte. Neue polnische Priester wurden nunmehr nicht mehr in
die Ruhrregion berufen. Stattdessen bildete man deutsche Priester speziell für
die Polenseelsorge aus, die die polnische Sprache zu lernen hatten. Dafür
wurden seit 1894 an den Priesterseminaren zuerst in Paderborn und später auch
in Münster Polnischkurse eingerichtet. Franciszek Liss war der letzte
hauptamtliche polnische Priester im Ruhrgebiet bis 1945.
Nach langwierigen Verhandlungen und unter Einschaltung des Papstes und der
Münchener Nuntiatur genehmigte die deutsche Reichsregierung 1899 die Rückkehr
der deutschen Redemptoristen in das Bochumer Kloster und zwar mit der Auflage,
dass sie die polnischen Seelsorge zu übernehmen hätten. Da die deutschen
Ordensmitglieder der polnischen Sprache jedoch nicht mächtig waren, wurden sie
zunächst in polnische Klöster der Redemptoristen geschickt, um die Sprache zu
erlernen.
All diese Bemühungen, ausschließlich mit polnisch sprechenden deutschen
Priestern die Lage zu entspannen, führten
bei vielen maßgeblichen Ruhrpolen zu einer Verhärtung der Fronten. Die Forderung
der polnischen Gläubigen nach regelmäßigen polnischsprachigen Gottesdiensten
durch polnische Priester, die ihre Mentalität verstanden, wurde immer
selbstbewusster geäußert. Man lehnte die deutschen polnischsprachigen
Seelsorger häufig ab, weil man meinte, dass nur wenige dieser Priester die
Vorstellungen der polnischen Gläubigen erfüllten, stattdessen unterstellte man
ihnen, die Germanisierung der Polen im
Ruhrgebiet umzusetzen.
Eine erste große Demonstration des aufkommenden Selbstbewusstseins
polnisch-katholischer Vereine fand am 12. Juli 1891 statt. An diesem Tage hatte
der Bochumer St. Barbara-Verein eine Versammlung von Delegierten aus 38
polnisch-katholischen Vereinen in Bochum organisiert. Ziel war es, einen
Überblick über die polnischen Organisationen im Ruhrgebiet zu erhalten. Außer
den Delegierten waren so viele Gäste gekommen, dass die zum Teil keinen Platz im
Veranstaltungs-Saal des Stadttheaters und bei der Messe in der Redemptoristen-Kirche
fanden. Nach den Veranstaltungen zog ein farbenprächtiger Trachten-Umzug unter
reger Aufmerksamkeit der Bochumer Bevölkerung durch die Stadt. Drei Jahre
später, am 3. Juni 1894, wurde auf dem in Bochum stattfindenden ersten
polnischen Katholikentag eine
Acht-Punkte-Resolution verabschiedet, in der man zwar grundsätzlich für die
geistliche Betreuung durch die deutsche katholische Kirche dankte, aber darauf
drang, polnische katholische Geistliche für die Betreuung zu bekommen. „Wir
sind von polnischen Eltern geboren und können nicht soviel deutsch, um deutsch
beichten und deutsche Predigten zu verstehen. Daher brauchen wir polnische
Seelsorger.“
Ziemlich bald verschärften sich die Auseinandersetzungen, vor allem nachdem
Anfang 1895 der Bund der Polen in Deutschland (Związek Polaków w Niemczech,
ZPwN) gegründet wurde. Dieser
unterstützte am 10. Februar 1895 in Bochum auf einer seiner ersten großen
öffentlichen Kundgebungen vor 1.500 Polen die Forderung nach polnischen
Priestern. Da die katholische Amtskirche wie auch
die Zentrums-Partei den Forderungen der Polen nicht entgegenkamen, kam es in
dieser Zeit fast zu einem unversöhnlichen Gegenüber. Noch schärfere Töne wurden
am 4. August 1901 auf einer Versammlung polnischer Arbeiter in der Tonhalle in
Bochum angeschlagen. In der verabschiedeten Resolution hieß es:
„Damit wir umso erfolgreicher unseren Kindern den Glauben an die Kirche
erhalten können, werden wir immer nach Geistlichen verlangen, nicht nur nach
solchen, die die polnische Sprache gut verstehen, sondern die auch unsere
nationalen Bedürfnisse erkennen und wirklich zu erfüllen vermögen.“
Die mangelnde Unterstützung der Wünsche nach polnischen Priestern war ein
wesentlicher Punkt, dass sich ab der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre eine wachsenden
Distanz zwischen den polnisch-katholischen Vereinen mit den deutschen Gemeinden
entwickelte. Aus vielen Vereinen wurden die deutschen Priester nach und nach
zuerst aus den Vorständen und dann aus den Vereinen selbst gedrängt, wenn sie
sich nicht selber zurückzogen. Umgekehrt weigerten sich viele deutsche
Priester, die Fahnen der polnischen Vereine zu weihen und polnische
Vereinsfahnen auf Prozessionen zuzulassen. Letztlich führte diese
Auseinandersetzung dazu, dass sich viele polnisch-katholische Vereine nach und
nach politisierten und einen immer stärkeren national-polnischen Charakter
bekamen. Wenn sie auch die Bindungen zur deutschen katholischen Kirche nicht
vollständig abreißen ließen, so löste sich doch durch diese
Auseinandersetzungen bei vielen polnischen Arbeitern die politische Bindung zur
Zentrum-Partei, denn auch die unterstützte grundsätzlich die
Germanisierungspolitik des preußischen Reiches.
Die Gründungswelle polnischer Vereine mit bewusst katholischer Ausrichtung
wurde dadurch aber nicht gebremst. Existierten 1896 im Ruhrgebiet 77 Vereine
dieser Art, so waren 1904 bereits fast 200 registriert und 368 im Jahre 1911,
gemäß der offiziellen Statistik des Polizeipräsidenten Bochum vom 1. April
1911.
Da aber die meisten der aus dem preußischen Osten stammenden Arbeiter wenn
überhaupt nur eine elementare Schulausbildung besaßen,
hatten sie große Schwierigkeiten bei Vereinsgründungen, Anmeldungen von
Veranstaltungen oder Kundgebungen und ähnlichen Vorhaben gegenüber den
Behörden. Deshalb gründete sich 1904 auf Initiative des Wiarus Polski der „Bund
polnisch-katholischer Vereine für gegenseitige Hilfe in Westfalen, im Rheinland
und in den benachbarten Provinzen mit Sitz in Bochum“ („Związek Wzajemnej
Pomocy Poslkich Towarzystw Katolickich dla Westfalii, Nadrenii i Prowincji
Sąsiedzkich z Siedzibą w Bochum”). Erster
Vorsitzender wurde der in Bochum wohnende Redakteur des Wiarus Polski Stanisław
Kuńca. Direkt bei Gründung schlossen sich ihm 27
Vereine an, 1912 waren 139 Mitglied und 1914 war
mit 174 polnisch-katholischen Vereinen, die ca. 18.500 Mitglieder hatten, die
Mehrheit der Ruhrgebietsvereine in diesem Verband organisiert.
Aufgabe des Bundes polnisch-katholischer Vereine war:
Gegenseitige Unterstützung bei der
Gründung von Vereinen und der Erstellung seiner Statuten entsprechend den staatlichen Vorgaben, Organisation
von Vorträgen und Diskussionstreffen durch die Bereitstellung von Referenten, Vervielfältigung von Informationen, Vorträgen und deren Verbreitung, Unterstützung bei der
Organisation von Kundgebungen und Versammlungen, allgemeine Beratung von Vereinen und ihren Mitgliedern sowie die
Schlichtung von Streitereien zwischen Vereinen und einzelnen Mitgliedern.[14]
Neben den rein katholischen Vereinen gab es laut polizeilicher Feststellung
im Jahre 1912 insgesamt 875 polnische Vereine – ohne die Gewerkschaft- mit über
80.000 Mitgliedern (dabei allerdings viele Doppelzählungen). Die Palette
reichte von Gesangvereinen, Lotteriegemeinschaften, Rosenkranzbruderschaften
bis hin zur sozialistischen Partei (PPS). Letztere brachte es allerdings in
allen Ortsgruppen des Ruhrgebiets nur auf insgesamt 408 Mitglieder.[15]
2.6 Bottrop als Beispiel für den Kampf der Polen um polnisch-sprachige Seelsorge
Die Situation der polnisch-sprachigen Zuwanderer verdeutlicht auch das
Beispiel der Polen in Bottrop. Wie schon erwähnt stammten diese vor allem aus
Oberschlesien, und besonders aus den Kreisen Rybnik und Ratibor. Nach dem Stand
vom 1. 12. 1900 waren 82,5% der Bewohner von Rybnik und 43,7% der von Ratibor
polnisch-sprachig. Außerdem sprachen 33,9% der Bevölkerung des Kreises Ratibor
(im Südteil, dem Hultschiner Ländchen, wo es auch Bergbau gab) einen slawischen
(mährischen) Dialekt.[16]
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Polen in Bottrop
einschließlich der Mährischsprecher auf ca. 7.000 angewachsen. Das Fehlen
regelmäßiger Gottesdienste in polnischer Sprache hatte – wie vorstehen schon
ausgeführt – auch in Bottrop viele Polen verärgert und einige Mitglieder der
polnischen Gemeinschaft beschlossen zu handeln. Am 20. 3. 1898 fand die erste
Versammlung polnischer Bergarbeiter in einem Wirtshaus statt, bei der die
dauerhafte Einsetzung eines polnischen Priesters gefordert wurde. Unter Leitung
der Brüder Swoboda fand nach einer Unterschriftenaktion eine weitere
Versammlung statt, die per Akklamation feststellte, dass man die auf deutsch
gehaltenen Predigten nicht verstünde und beschloss daraufhin eine Bittschrift
an den Bischof von Münster zu überbringen. Gefordert wurde darin die Entsendung
eines polnisch sprechenden Priesters nach Bottrop und dass die Kirchengemeinde
dessen Kosten tragen sollte.
Das Vorgehen der Bottroper Polen
führte zu überzogenen Reaktionen auf deutscher Seite, wobei sich die
„Bottroper Volkszeitung“ zu deren Sprachrohr machte. Die Zeitung fragte in einem polemischen
Artikel „…ob denn die Polen wirklich so wenig bildungsfähig seien, dass sie
nach einem achtjährigen Schulbesuch die deutsche Sprache nicht erlernen
könnten. Man hätte die Polen für klüger gehalten und vermutete, dass die Aktion
ein Werk junger Radikalpolen sei, die eine gänzlich polnische Pfarrei in
Bottrop errichten wollten.“ Zum Schluss gab man in dem Artikel den Brüdern
Swoboda den unmissverständlichen Rat, sie könnten ja wegziehen, wenn es ihnen
in Bottrop nicht gefiele.
Die Polen waren auch deshalb verärgert, weil es bis 1895 in Bottrop trotz
der gewachsenen Bevölkerung nur eine Kirche – St. Cyriakus in der Stadtmitte –
gab und eine zweite Kirche – St. Johannes - kurz darauf in der weit außerhalb
liegenden Bauernschaft Boy errichtet wurde. Der Sturm schien sich aber zu
legen, als die kirchlichen Instanzen in Bottrop im Juli 1898 den Bischof von
Münster baten, den Bau einer dritten Kirche zu genehmigen. Ein Grundstück am
Rande der Stadtmitte war dafür von einer Deutschen, der Witwe Breuker geb.
Hüsken, gestiftet worden.
Der Bischof gab erst 1899 seine Zustimmung, weil er den Standort nicht für günstig im Sinne der polnischen Gläubigen hielt, die sich hauptsächlich im Stadtteil Lehmkuhle angesiedelt hatten. Schließlich wurde die Kirche auf dem gestifteten Grundstück errichtet, nachdem 85 Bottroper Bürger 50.000 RM für den Bau gestiftet hatten und die Arenberg-Bergbau GmbH. weitere 20.000 RM dazu gab, weil sie Interesse an der Zufriedenheit ihrer polnischen Arbeiter hatte. Im Oktober 1902 wurde die Kirche Herz Jesu fertiggestellt und es wurden nun regelmäßig Messen mit polnischen Predigten und Liedern abgehalten. Ein Jahr später entsandte der Bischof von Münster den deutschen Kaplan Vennekamp an die Herz-Jesu-Kirche nach Bottrop, der die polnische Sprache gut beherrschte, andererseits dem Bischofs keinen Anlass zur Sorge wegen nationalistischer polnischer Tendenzen gab.
Der Bischof gab erst 1899 seine Zustimmung, weil er den Standort nicht für günstig im Sinne der polnischen Gläubigen hielt, die sich hauptsächlich im Stadtteil Lehmkuhle angesiedelt hatten. Schließlich wurde die Kirche auf dem gestifteten Grundstück errichtet, nachdem 85 Bottroper Bürger 50.000 RM für den Bau gestiftet hatten und die Arenberg-Bergbau GmbH. weitere 20.000 RM dazu gab, weil sie Interesse an der Zufriedenheit ihrer polnischen Arbeiter hatte. Im Oktober 1902 wurde die Kirche Herz Jesu fertiggestellt und es wurden nun regelmäßig Messen mit polnischen Predigten und Liedern abgehalten. Ein Jahr später entsandte der Bischof von Münster den deutschen Kaplan Vennekamp an die Herz-Jesu-Kirche nach Bottrop, der die polnische Sprache gut beherrschte, andererseits dem Bischofs keinen Anlass zur Sorge wegen nationalistischer polnischer Tendenzen gab.
So schien sich die Lage für beide Seiten zunächst zu beruhigen. Aber bald
kam es zu neuen Auseinandersetzungen. Obwohl die Kirche Herz Jesu von Anfang an
ein polnisches Gesicht hatte und überwiegend von Polen besucht wurde, waren
Gemeindevertretung und Kirchenvorstand nach wie vor für alle drei Kirchen in
Bottrop zuständig. Aber in der Gemeindevertretung gab es bei 30 Mitgliedern nur
3 Polen und im Kirchenvorstand war nur 1 Pole von 10 Mitgliedern. Dieser
Zustand wurde von der polnischen Zeitung „Wiarus Polski“ heftig kritisiert und es
wurde beim Bischof von Münster Beschwerde eingelegt. Danach wurden die
Bottroper Kirchengemeinden in 3 selbständige Gemeinden aufgeteilt. Bei den
Wahlen im Jahre 1905 gewannen nun die Polen 9 von 10 Sitzen im Kirchenvorstand
und 22 von 30 Sitzen in der Gemeindevertretung von Herz Jesu. Nun reagierte die
deutsche Seite mit Staunen und Empörung. In der „Bottroper Volkszeitung“ wurden
die Wahlumstände als „hetzerisches Treiben“ von radikalen Polen bezeichnet. Man
beschimpfte die Polen als undankbar, nachdem große Summen von Deutschen für den
Kirchenbau gespendet worden seien. Es sei höchste Zeit, dass die Regierung
Schritte unternehme, um den radikalen Elementen unter den Polen schärfer auf
die Finger zu sehen. Die gewählten polnischen Vertreter in den kirchlichen
Gremien Bottrops enthielten sich in der Folge aber jeglicher radikaler
Tendenzen, nachdem sie der zuständige
Pfarrer deutlich vor deutschfeindlichem Verhalten gewarnt und auf seine
Befugnisse verwiesen hatte.
Bottrop hatte im Gegensatz zu anderen Ruhrgebiets-Gemeinden
kaum masurische Zuwanderer. Aber im
Bottroper Gemeindegebiet lebten zahlreiche Familien und Arbeiter aus dem
südlichen Teil des Kreises Ratibor, dem nach 1920 so genannten "Hultschiner
Ländchen", und deren Haussprache war ein besonderer slawischer Dialekt, den
die Bewohner selbst als Mährisch bezeichneten, der aber nach langer
Zugehörigkeit zu Preußen mit vielen deutschen Ausdrücken angereichert war. Im
Gegensatz zu den anderen Oberschlesiern aus dem Bistum Breslau gehörten die Herkunftsgemeinden
im Hultschiner Ländchen zum Erzbistum Olmütz. Während die polnischen
Bergarbeiter bereits 1886 den St. Barbara Knappen-Verein gegründet hatten,
wurde für die mährischen Gemeindemitglieder 1905 der "Mährische
katholische Arbeiterverein St. Cyrill und Method" gegründet, der bald 150
Mitglieder zählte. Der Erzbischof von Olmütz sandte zur Betreuung dieser
mährischen Arbeiter und ihrer Familien regelmäßig Priester zum Beichte hören
und zur jährlichen Mission. Im Gegensatz zu vielen polnisch-sprachigen Oberschlesiern
waren die Mähren ähnlich den Masuren preußisch-deutsch gesinnt und
protestierten nach dem 1. Weltkrieg heftig gegen die Einverleibung ihres
Gebiets ohne Volksabstimmung in die neu geschaffene Tschechoslowakei.
Bei weiterem Zuzug von polnischen Arbeitern und ihren Familien wurde in den
Folgejahren das Angebot an polnischen Messen und Andachten in Bottrop weiter
ausgebaut. Um 1913 gab es in Herz Jesu
jeden Sonntag polnische Gottesdienste. Die Gemeinden St. Johannes in der Boy
und die neue Liebfrauenkirche im Ortsteil Eigen hatten zwar keinen fest
angestellten polnischsprachigen Priester, aber ein Franziskaner-Pater aus
Düsseldorf besuchte regelmäßig diese Gemeinden und hielt Messen mit polnischer
Predigt. Das Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen blieb aber weiter bestehen
und im „Wiarus Polski“ erschienen regelmäßig
Berichte aus Bottrop über Differenzen zwischen den Volksgruppen.
Umgekehrt beschuldigten deutsche Kritiker, dass manche Polen polnischen
Nationalismus unter dem Deckmantel kirchlicher Forderungen verbreiteten, obwohl
diese polnischen Anführer selbst nicht zur Kirche gingen.[17]
2.7 Der Kampf der Polen um polnisch-sprachige Seelsorge im
Ruhrgebiet – eine Bilanz gegen Ende des 1. Weltkrieg
Auch an anderen Orten des Ruhrgebiets gestaltete sich die Polenseelsorge schwierig, weil staatliche Stellen stets nationalpolnische Aktivitäten vermutete. In den "Borbecker Beiträgen", dem Mitgliederbrief des Kultur-Historischen Vereins Borbeck e.V. schildert Andreas Körner unter dem Titel "Zwischen nationalen Mühlsteinen" sehr anschaulich die Probleme der Polenseelsorge in Borbeck und Dellwig (heute Stadtteile von Essen). Die Tätigkeit auch der deutschen Seelsorger, die der polnischen Sprache mächtig waren, wurde überwacht und bei zu großem Engagement wurden Priester versetzt. So sollte der Priester Matthias Lambertz nach der Priesterweihe in Köln zunächst in Gnesen die polnische Sprache erlernen und wurde dann in Oberhausen und Borbeck als Priester eingesetzt. Nach anfänglicher Zurückhaltung der polnischen Bevölkerung errang er aber bald deren Vertrauen und seine Gotttesdienste mit Predigt und Gesang in polnischer Sprache wurden so gut besucht, dass die Kirchen überfüllt waren. Der Oberpräsident der Rheinprovinz beschwerte sich 1911 beim Erzbischof in Köln, dass Lambertz in Oberhausen, Borbeck und Dellwig zu viele polnischsprachige Messen abhalte und das an Vormittagen, obwohl diese höchstens alle 14 Tage Nachmittags stattfinden sollten. An diese Geheimabsprache der preußischen Behörden mit den Bischöfen hatte sich Lambertz nicht gehalten und blieb seiner Linie treu, entwickelte aber keine über die Seelsorge hinausgehenden Aktivitäten. Anders der Dortmunder Franziskanerpater Basilius Mazurowski. Er gründete eine Rosenkranzbruderschaft, die auch Weiterbildungsveranstaltungen durchführte, er richtete eine Bibliothek mit Werken polnischer Schriftsteller ein und gründete ein Orchester und einen Gesangverein. Obwohl der Pater stets im Sinne einer versöhnlichen Haltung zwischen Deutschen und Polen handelte, wurde er aufgrund falscher Anschuldigungen nach Mönchengladbach versetzt. Trotz einer Rechtfertigungsschrift an den Bischof wurde die Versetzung nicht zurück genommen.
Im gesamten Ruhrgebiet setzten sich die Polen weiterhin entschieden für die
Einrichtung polnisch-sprachiger Gottesdienste ein und konnten sich bei
entsprechendem Bevölkerungsanteil in den kirchlichen Vertretungsgremien
auch anteilmäßig durchsetzen. 1912 betrug der Anteil der Polen an der gesamten
Ruhrgebiets-Bevölkerung 6,1% und in den Kirchenvorständen waren Polen auch mit
6,1% vertreten, in den Gemeindevertretungen mit 6%.
Im Jahre 1911 waren über 50 polnisch-sprechende Priester im Ruhrgebiet
tätig. Die katholische Kirche bemühte sich ernsthaft, entsprechend den staatlichen
Auflagen deutsche Geistliche mit guten Polnisch-Kenntnissen auszubilden. Das
Priesterseminar in Paderborn machte 1916 Polnisch zum Pflichtfach. Schließlich
gab es um 1918 in den katholischen Kirchen des Ruhrgebiets 75
polnisch-sprechende Priester, die etwa 100 Kirchengemeinden betreuten.
Damit war die seelsorgerische Betreuung zumindest gewährleistet und wurde
von staatlicher Seite auch nicht in Frage gestellt. Allerdings hatte der
preußische Staat inzwischen recht rigide Vorschriften erlassen. So durfte
lediglich der vorbereitende Unterricht zur 1. Beichte und Kommunion auf
polnisch erteilt werden, aber der allgemeine Religionsunterricht an Schulen
musste auf deutsch erfolgen. Auch war es nicht erlaubt, Taufen, Eheschließungen
und Beerdigungs-Gottesdienste auf
polnisch abzuhalten. Alle Bitten um Zugeständnisse waren bis 1918 erfolglos. [18]
2.8 Die Sondersituation der Masuren
Die protestantischen Masuren grenzten sich stets von den katholischen Polen
ab. Bereits 1880 kam ein Drittel der Bevölkerung Gelsenkirchens aus den
Ostprovinzen, die überwiegende Mehrheit davon waren Masuren, die vor allem aus
dem Kreis Ortelsburg kamen, was dem Ortsteil Schalke den Namen Klein-Ortelsburg
einbrachte.
Aufgrund der mangelnden deutschen Sprachkenntnisse wünschten auch die
Ruhrmasuren, ähnlich wie die katholischen Polen, muttersprachliche Seelsorge.
Im Ruhrgebiet wurde jedoch in allen evangelischen Kirchen ausschließlich
deutsch gepredigt. Die evangelischen Konsistorien waren zunächst auf diese
Masseneinwanderung aus den Ostprovinzen nicht vorbereitet und die
protestantischen Landeskirchen erkannten lange Zeit nicht die Notwendigkeit
einer speziellen masurischen Seelsorge. Im Unterschied zur katholischen Kirche
kümmerte sich die staatliche Obrigkeit jedoch intensiv um die Integration der
Masuren und förderte deren Treue zu Kaiser und Reich. Sie erhielten Ende des
19. Jahrhunderts in den evangelischen Gemeinden masurisch-sprachige Geistliche,
die sich um diese Migranten-Gruppe kümmerten. Teilweise konnte die masurisch-protestantische
Arbeiterschaft auch als Mitglieder seit 1882 in Gelsenkirchen existierenden
evangelischen Arbeitervereine geworben werden. Neben der Förderung einer
christlichen Gesinnung, geselliger Unterhaltung und Belehrung wollten diese
Vereine auch den Patriotismus ihrer Mitglieder fördern und "ein
friedliches Verhältnis unter Arbeitgebern und Arbeitnehmern […]
pflegen". [19]
Neben der unterschiedlichen Mentalität der zwei polnischsprachigen Gruppen
gab es eine große Gemeinsamkeit zwischen den katholisch-polnischen Arbeitsmigranten
und den protestantischen Masuren: beide Gruppen waren tief religiös und
stellten die Belange ihres Glaubens über alles.
Wichtig für das Verständnis der Religiosität der Masuren ist die Tatsache,
dass sie vom Pietismus geprägt waren, d. h. einem spezifischen Frömmigkeitskult
der protestantischen Kirche, wir würden heute sagen einem fundamentalistischen
biblischen Offenbarungsverständnis. Damit verbunden war eine Betonung der
individuell bewusst gewordenen Sündenschuld und ein Bemühen um ein neues Leben
der Heilung nach dem Tode. Für das religiöse Leben der Masuren resultierte
daraus eine klare Abgrenzung zu den Lastern der säkularen Welt.
Viele dieser Masuren schlossen sich einer in Ostpreußen gegründeten
Gemeinschaftsbewegung an – der
Gromadkibewegung. Sie verfolgte einen Kurs des „Dazwischen“, d. h. sie wollten weiter ihre Muttersprache
pflegen und vor allem bei der Ausübung des Glaubens beibehalten, zugleich aber
die Treue zum preußisch-deutschen Kaiser bekunden und sich gegen die national
denkenden Polen abgrenzen. Gromadki, auf deutsch „Häuflein“, waren lose kleine
Gruppen, Gebets- und Andachtskreise. deren Mitgliedern die Lehre der Amtskirche
nicht genügte. Sie hatten oft ein engeres und rigoroseres
Frömmigkeitsverständnis und eigene Traditionen entwickelt. Die
Gromadki-Mitglieder wurden von kirchlichen Laien geführt. Die Rolle und der
Einfluss ihrer Führer, August Chilla oder Christoph Kukat, nahmen im Ruhrgebiet
mit der Zeit zu. Dadurch kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der
evangelischen Amtskirche. Die religiösen Laienbewegungen vermochten allein
aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke, selbstbewusst und emanzipiert gegen die
Amtskirche aufzubegehren. Damit forderten sie die Kirche zu einer verstärkten
Masurenseelsorge heraus. Sie begann ihrerseits Maßnahmen zu ergreifen, um die
Abwanderung zu den Gromadki zu verhindern. Mit Hilfe eigener masurischer
Gemeindehelfer (polnisch-masurisch: koscielnik) sollten auch von landeskirchlicher
Seite außergottesdienstliche Andachten in polnischer Sprache veranstaltet
werden. Ihre Aufgabe war es, die zerstreut lebenden Masuren zu betreuen, um die
zweisprachigen Gemeindepfarrer zu entlasten. Der Gelsenkirchener Pfarrer Oskar
Mückeley brachte gegenüber der polnischen Sprache und den Gromadki viel
Verständnis auf. Vehement verteidigte er den kirchlichen Auftrag zur
muttersprachlichen Seelsorge, solange dieser erforderlich sei. Er sagte:"
Mit vollen Segeln geht auf der ganzen Linie die Überleitung zum Deutschtum von
statten. Wir dürfen aber auch nicht in nervöser Ungeduld vor der Zeit mit der
kirchlichen Fürsorge abbrechen. " Vor allem Mückeley ist es zu verdanken,
daß sich die masurische Seelsorge im Ruhrgebiet seit der Jahrhundertwende
spürbar verbesserte. Das westfälische Konsistorium erklärte sich bereit, mehr
finanzielle Mittel für die polnischsprachige Seelsorge bereitzustellen. 1913
befanden sich zweisprachige Gemeindepfarrer in den Gemeinden Gelsenkirchen,
Gelsenkirchen-Schalke, Gelsenkirchen-Blumke, Gelsenkirchen-Bismarck, Wanne,
Bochum, Erle-Middelich und in der rheinischen Kirche in Rotthausen. Neben 14
Gemeinden, die zweisprachige Pfarrer und Kirchendiener für die masurische
Seelsorge unterhielten, wurden in 16 weiteren Gemeinden polnische Gottesdienste
gehalten.[20]
Da die Masuren jedoch – wie schon dargestellt – gute preußische Bürger
waren und sich klar von den katholischen und vor allem nationaldenkenden Polen
abgrenzten, entwickelte sich daraus bald ein Generationen-Problem. Die Eltern
legten Wert darauf, dass ihre Kinder in der Schule deutsch lernten und die
Kinder sprachen deshalb in der Regel auch nur noch deutsch untereinander. Sie
hatten keine Probleme mit der deutschen Predigt. Anders zunächst bei den
erwachsenen Migranten, die oft nur den masurischen Dialekt perfekt beherrschten.
Daraus folgte, dass Masuren der 2. Generation insgesamt
integrationswilliger und aufstiegsorientierter waren, als die katholischen Polen. Auch gaben masurische Familien wesentlich früher ihren Rückkehrwunsch nach
Ostpreußen auf.
3.0 Ausweitung der polnischen Aktivitäten im Ruhrgebiet – Gründung kirchlich nicht gebundener Organisationen
Die beschriebenen
Differenzen und Entwicklungen führten dazu, dass die polnischen Migranten sich
nicht mehr damit zufrieden gaben, sich nur in katholisch-kirchlichen Vereinen
zu organisieren. Darüber hinaus entwickelten sie eine Vielzahl weiterer
Aktivitäten, um ihre Nationalität in fremder Umgebung zu erhalten. Auf die
wichtigsten möchte ich nun eingehen:
3.1 Polnisch-sprachige Tageszeitung „Wiarus Polski“
Die täglich in polnischer Sprache
erscheinende Zeitung Wiarus Polski (zu deutsch: polnischer Knappe, auch alter polnischer Schutzpatron),
wurde 1890 von dem schon erwähnten polnischen
Seelsorger Dr. Franciszek Liss
gegründet. Seit 1904 lautete der
Untertitel im Kopf der Zeitung: „Für die Polen in der Fremde zu deren Bildung
sowie für nationale, politische und die Lohnarbeit betreffende Angelegenheiten“
Sie stand zunächst der
Zentrumspartei nahe und war ein Kampfinstrument gegen sozialdemokratische Ideen
(So schrieb Pfarrer Liss über seine Motive:
“Es ist mir gänzlich gelungen, 25.000 – 30.000 Polen vor der Pest des
Sozialismus zu bewahren“)
Der Wiarus Polski wurde aber zunehmend auch ein Instrument, um den Zusammenhalt und die
Herausbildung eines nationalpolnischen Bewusstseins unter den im Ruhrgebiet
lebenden Polinnen und Polen zu fördern
Sie war zwar keine religiöse
Zeitung, aber deutlich katholisch ausgerichtet, einmal wöchentlich erschien die
achtseitige Beilage „Nauka Katolicka“ (Katholische Lehre). Außerdem war sie
wichtig als Nachrichten- und Ankündigungsblatt für polnische Vereine und
Veranstaltungen
Als
ab 1893 der „Wiarus Polski“ zum wichtigsten
Organ der polnisch - katholischen Vereine avancierte, wurde die Zeitung von
staatlicher Seite misstrauisch beobachtet. Der Druck seitens der preußischen
Behörden auf Franciszek Liss wuchs zunehmend. bis er - wie geschildert - 1894 vom Paderborner Bischof von seinen Aufgaben als
“Polenseelsorger“ abberufen, in die Diözese Kulm zurück versetzt und angewiesen
wurde nicht mehr für den “Wiarus Polski” tätig zu sein. Der Bischof konnte
nicht ahnen, dass Franz
Liss ausgerechnet durch seine Abberufung weit über die Grenzen des
Ruhrgebietes hinaus zu einem polnischen
Helden wurde.
Bereits am 1. April 1893 kam Jan Brejski an die Spitze des Blattes, der die
polnisch-nationale Linie fortsetzte. Jan Brejski holte auch seinen Bruder Anton
nach Bochum. Ihm übertrug Jan Brejski die Redaktion, er selbst übte aber
weiterhin einen politischen Einfluss auf die Zeitung aus. Mit der Übernahme der
Zeitung durch die beiden Brüder wurde aus der vorwiegend religiösen Zeitung ein
radikales national-polnisches Organ. Stärker als je zuvor und mit erhobenem
Zeigefinger mahnte die Zeitung das polnische Bewusstsein an: So schrieben die
Herausgeber am 20. Juni 1893
“Polnische Eltern!
Lehrt eure Kinder polnisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben! Es darf
keinen Polen geben, der es seinem Nachwuchs erlaubt, deutsch zu werden!“
Der „Wiarus Polski“
verfügte über ein Netz lokaler Autoren, die aus dem Leben der vielen
katholisch-polnischen Vereine berichteten. Diese Vereine waren in ihren
entsprechenden Kirchengemeinden tätig und informell durch den “Wiarus Polski”
verbunden. So konnte man in der Zeitung über Sitzungstermine, anstehende
Jubiläen oder organisatorische Belange der Vereine lesen. Der “Wiarus Polski“
informierte über aktuelle Ereignisse in den Städten und Gemeinden des
Ruhrgebietes und aus den 3 polnischen Teilungsgebieten.
Der nationalpolnische
Kurs verstärkte sich je größer die politischen Spannungen im Vorfeld des 1.
Weltkriegs wurden. Am 12. Juni 1913 veröffentlichte der Wiarus Polski diese 10
Gebote für Polen im Ruhrgebiet
Deutlicher kann eine
Abgrenzung von Zuwanderern zur neuen Heimat kaum ausfallen.
Eine weitere wichtige
Maßnahme zur Erhaltung polnischer Mentalität und Sprache war die
3.2 Gründung polnischer Sokol-Turnvereine.
Mit der Gründung
eigener Turnvereine sollte verhindert werden, dass polnische Kinder und
Jugendliche in deutsche Vereine gingen und dort germanisiert werden. Die
Sokol-Bewegung kam ursprünglich aus dem heutigen Tschechien und verbreitete
sich bald in anderen slawischen Gebieten. 1899 wurde in Oberhausen der erste
„Sokol-Turnverein“ im Ruhrgebiet gegründet. Sehr
schnell kamen weitere Vereine im Ruhrgebiet hinzu. Die Sokolvereine schlossen
sich im „Gau“ Ruhrgebiet zusammen. Die Gauleitung hatte ihren Sitz zunächst in
Oberhausen, seit 1902 in Herne. 1914 gab es im Ruhrgebiet 139 sogenannte
Sokol-Nester mit ca. 5.500 Mitgliedern, das waren 50% aller Sokol-Mitglieder
auf dem damaligen deutschen Staatsgebiet.[21]
Wegen der national-polnischen
Ausrichtung wurden die Sokol-Vereine
besonders intensiv von der preußischen Polizei beobachtet, da dort nicht
nur Sport getrieben wurde. Übungsmärsche und Scheibenschießen der Mitglieder wurden
als „paramilitärische Ausbildungen“ betrachtet.. Auf den Versammlungen wurden auch
Vorträge zur polnischen Geschichte, Sprache und Literatur gehalten.
Öffentlich Aufmärsche wurden bald polizeilich verboten.
Neben den Turnvereinen war die
3.3 Polnische Chorbewegung
ein wichtiger Bestandteil polnischen Vereinslebens. Die ersten Chöre entstanden innerhalb der polnisch-katholischen Vereine,
begannen dann aber, sich in eigenständigen Vereinen zu organisieren. Die Chöre
hatten für die Entwicklung eines nationalen Bewusstseins der Ruhrpolinnen und
Ruhrpolen eine enorme Bedeutung. Sie sangen auf den Vereins-, Stiftungs-,
Weihnachts-, Oster- und Erntedankfesten kirchliche Lieder wie auch Heimatlieder
und Volkslieder in polnischer Sprache. Oftmals waren auch kleine
Laienspielgruppen angeschlossen.
Bild 17: Polnischen Gesangvereins
„Mickiewicz“ gegründet 1898 in Oberhausen.
(Quelle: Porta Polonica /Ruhrmuseum Essen)
Diese Chöre übten eine große Anziehungskraft aus und viele Polinnen und
Polen wurden dort Mitglied. Im Ruhrgebiet gab es
vor dem 1. Weltkrieg über 200 Chöre einschließlich polnischer Kirchenchöre. Viele der Chöre schlossen sich 1906 im
Verband der Gesangsvereine in Westfalen und Rheinland (Związek Kół śpiewawczych
Westfalii i Nadrenii) zusammen, der seinen Sitz in Gelsenkirchen hatte.
3.4 Der Bund der Polen in Deutschland
Die Brüder Jan und Anton Brejski vom
Wiarus Polski gründeten zusammen mit anderen aktiven Polen im August
1894 in Bochum den Bund der Polen in Deutschland (Związek Polaków w Niemczech),
kurz Polenbund genannt. Er sollte als
Dachorganisation für alle in deutschen Provinzen lebenden Polinnen und Polen
fungieren, blieb allerdings weitgehend auf das Ruhrgebiet beschränkt.
Bild 18: Rodlo-Zeichen
Später wurde er unter diesem Rodlo-Zeichen
bekannt. Da das Zeigen von Fahnen mit dem polnischen Adler verboten war,
wählte man dieses Zeichen aus. Es symbolisiert den Lauf der Weichsel, den Fluss
der alle drei Teilungsgebiete der Polen durchfließt mit einem besonderen Platz
für Krakau als Wiege polnischer Kultur.
Der Bund spielte in den ersten Jahren seiner Existenz eine bedeutende
Rolle, weil er den Forderungen und Bedürfnissen vieler Polinnen und Polen
öffentlich Ausdruck verlieh. So stellte er Redner auf Versammlungen polnischer
Vereine, auf denen die Belange der Ruhrpolen diskutiert und formuliert wurden,
organisierte öffentliche Protestversammlungen und verbreitete Stellungnahmen zu
wichtigen, die Polen betreffenden Probleme. Diese
Aktivitäten wie auch die Berichterstattung darüber führten nicht selten zu
strafrechtlichen Verfolgungen durch die Behörden. So wurde beispielsweise Anton
Brejski am 1903 wegen seiner Berichterstattung über eine Versammlung des Polenbundes durch die
preußische Polizei zu „200 M ersatzweise 20 Tagen Haft“ verurteilt. Der Polen-Bund forderte die Berücksichtigung der
polnischen Sprache in allen Bereichen, wo Polen in großer Anzahl arbeiteten und
lebten, so z. B. dass alle staatlichen Verordnungen in die polnische Sprache zu
übersetzen sind, die polnische Sprache in den Zechen zuzulassen und in der Bergbauschule
in Bochum eine polnische Abteilung einzurichten sei. Die grundsätzliche
Ausrichtung des Polenbundes war nationalpolnisch, man forderte die Polen auf,
deutsche Vereine wie auch Organisationen zu meiden und sich nur in eigenen
Vereinen zu organisieren. 1910 schloss sich dann der Polenbund mit der 1905 in
Posen gegründeten, ähnlich ausgerichteten Organisation „Straż“ (Die Wacht)
faktisch zusammen und ging 1912 auch offiziell darin auf.[22] Erst 1922 unter
anderen Voraussetzungen wurde der Bund der Polen in Deutschland neu gegründet.
(siehe Kapitel 5)
3.5 Die polnischen Gewerkschaft ZZP (Zjednoczenie Zawodowe Polskie = Polnische gewerkschaftliche Vereinigung)
Innerhalb der deutschen Gewerkschaften – des sozialdemokratischen „Alten
Verbandes“ ebenso wie des christlichen „Gewerkvereins“ – fühlten sich die
polnischen Mitglieder zu wenig berücksichtigt.
Auf der deutschen Seite war den Gewerkschaftlern des
Ruhrgebiets die Konkurrenz der Ruhrpolen stets ein Dorn im Auge – sie
fürchteten Lohndumping und somit für ihre deutschen Mitglieder sinkende Löhne.
Deshalb verlangten sie einerseits den Schutz der „ausländischen Lohnsklaven“
vor zu geringen Löhnen. Andererseits wurde „Pollacke“ zu einem weitverbreiteten
Schimpfwort, polnischsprachige Arbeiter wurden als „Lohndrücker“, „Kriecher“ und
„Streikbrecher“ bezeichnet. Der Satz „Meesterchen, kann ich machen
Iiberstunden“ wurde immer wieder zitiert.
So schrieb das sozialdemokratische Bochumer Volksblatt im April 1907
– was wiederum von polnischer Seite genüsslich zitiert wurde – von
"Leuten, die man aus der Pollackei hergeschleppt" habe und die trotz
mangelnder Sprachkenntnisse nach wenigen Monaten als Vollhauer beschäftigt
worden seien. "Erst als es sich allzu oft wiederholte, dass Leute, die
erst vor kurzem die Mistgabel, ihr bisheriges Handwerkszeug, fortgelegt hatten,
zu Vollhauern gemacht wurden", habe die Bergbehörde die Beherrschung der
deutschen Sprache für verantwortungsvolle Stellen zur Pflicht gemacht.[23]
Denn im Jahre 1899 wurde durch das Gesetz vom 25. Januar 1899 die
Einstellung und Beförderung von Bergleuten von der Beherrschung der deutschen
Sprache abhängig gemacht. Der preußische Staat wurde dabei durch die
Zechenbesitzer und die christliche Gewerkschaft unterstützt.
Im Laufe dieses Jahres 1899
verschärfte sich die Situation im Bergbau. Am 23. Juni 1899 traten junge polnische ungelernte Schlepper, Bremser und Pferdejungen auf
der Zeche „Von der Heydt“ in Herne in den Ausstand. Auslöser der Aktion war
eine Erhöhung ihrer Knappschaftsbeiträge um mehr als 100 %. Dieser Streit
weitete sich schnell auf andere Schachtanlagen im Herner Revier aus. Man sprach
von der „Polenrevolte“. Das preußische Militär wurde gerufen und griff hart
durch. Bei blutigen Auseinandersetzungen zählte man vier Tote und 20
Schwerverletzte, 190 Arbeiter wurden entlassen. Erst
als aus Münster weiteres Militär eintraf und massive Präsens zeigte, wurden die
Unruhen in der Region eindämmt.
Bild 19: Militärpatrouille vor der Castroper Zeche Erin anlässlich der "Herner Polenkrawalle“ 1889. - Stadtarchiv Herne.
Bild 19: Militärpatrouille vor der Castroper Zeche Erin anlässlich der "Herner Polenkrawalle“ 1889. - Stadtarchiv Herne.
In der „Deutsche Berg- und Hüttenarbeiter-Zeitung“
vom 8.7.1899 erschien eine reißerische Schilderung des Aufeinandertreffens von
Streikenden und Polizei am 27. Juni 1899 in Herne.
[...]
Wehgeschrei der Niedergesäbelten und Verletzten erfüllt die Luft, obwohl
flüchtend ereilt die Männer, Frauen und Kinder doch der berittene Gendarm und
sausend blitzt die Klinge in der Luft, wo sie hinfällt spritzt warmes
Menschenblut. Auf schmutziger Karre werden dann nach dem Schluss des Dramas die
unglücklichen Opfer vom Schlachtfeld gefahren. [...] [24]
Nicht zuletzt wegen solcher Vorkommnisse und der mangelnden Unterstützung
durch die deutschen Gewerkschaften wuchs unter vielen polnischen Bergleuten und
Hüttenarbeitern das Gefühl, ohne ausreichende Vertretung seitens der deutschen
Arbeiterorganisationen zu sein. Polnische Arbeiterfunktionäre kamen daher zu
dem Entschluss, dass durch die berufliche Organisierung in deutschen
Gewerkschaften die Polen nicht nur den Verlust ihrer Tugenden und Gebräuche
riskierten, die sie in zahlreichen polnischen Vereinen pflegten, sondern dass
die gewerkschaftliche Organisierung den Polen auch nicht den geringsten Nutzen
bringt. Vielmehr kam man zur Überzeugung, die deutschen Gewerkschaften würden
die Polen nur als Reserve und Beitragszahler nutzen.
Da andererseits der Bund der Polen keine Breitenwirkung bei den polnischen
Arbeitern erreichte, erfolgte 1902 die Gründung der polnischen Gewerkschaft ZZP. Der Gewerkschaft ZZP gelang es im
Gegensatz zum Polenbund, sich eine deutlich breitere Basis unter den polnischen
Arbeitern zu verschaffen. Mit wachsender Stärke führte sie auch wichtige,
bisher vom Polenbund wahrgenommene Aufgaben durch: öffentliche Kundgebungen zu
Problemen der polnischen Bevölkerung und Formulierung von Forderungen an die
deutsche Öffentlichkeit. In ihrem Statut hatte die ZZP aber auch ausdrücklich
festgelegt, dass es ihre Aufgabe ist, den Bildungshorizont ihrer Mitglieder zu
erweitern und Bildungsarbeit für ihre Mitglieder zu leisten. Um dieses Ziel zu
erreichen, wurden Mitglieder sowohl sprachlich, aber vor allem hinsichtlich der
Gesetze und Verordnungen in der Arbeitswelt geschult.
Auch beim Aufbau der polnischen Gewerkschaft war der Wiarus Polski
maßgeblich bei der Organisation beteiligt. In de Folge gab die ZZP eine eigene
Zeitung unter dem Namen „Zjednoczenie“ (Vereinigung) heraus, die bereits 1906
eine Auflage von 36.000 Stück erreichte. Die ZZP „war eine Organisation, die
nicht nur den Schutz der Arbeiter als ihre Aufgabe ansah, sondern auch die
Heranbildung entsprechender gesellschaftlicher Aktivisten unter den Emigranten.
Sichtbarer Erfolg dieser Bemühungen zeigte sich z. B. darin, dass es 1913 aus
den Reihen der ZZP 32 Knappschaftsälteste und 29 Beisitzer der Berufsgerichte
gab. Die rasante Mitgliederentwicklung der ZZP zeigte, dass ihre Gründung den
Bedürfnissen vieler polnischer Arbeiter entsprach. Sie wurde schnell zur
stärksten Organisation der ruhrpolnischen Bewegung. Gab es 1903 bereits 9.600
Mitglieder, so waren es 1905/06 schon 25.000, 1910 über 38.000 und 1913 fast 80.000. Im
Jahr 1912 war die polnische Organisation mit 5,9 % aller Bergleute im
Ruhrgebiet die drittstärkste Gewerkschaft nach dem freigewerkschaftlichen Alten Verband (12,7 %) und dem Christlichen
Bergarbeiterverband mit 9 %. In diesem Jahr – wie
zuvor schon 1905 - nahm die polnische Organisation, anders als der christliche
Bergarbeiterverband, am Streik im Ruhrbergbau
teil. Die Stärke der ZZP nahmen sehr schnell auch die
deutschen Gewerkschaften zur Kenntnis. Während des großen Bergarbeiterstreiks
von 1912 wurde ein zentrales Streikkomitee gebildet, die sogenannte Siebener-Kommission,
der zwei Mitglieder der polnischen Gewerkschaft ZZP angehörten.[25]
3.6 Der polnische Querschlag in Bochum
Insgesamt gab es 1912 nach polizeilichen Angaben 875 polnische Vereine –
ohne Mitgliedschaft in der Gewerkschaft - mit über 80.000 Mitgliedern
(allerdings bei vielen Doppelzählungen). An der Spitze lagen die kirchlichen
Arbeitervereine mit circa 30.000 und die vor allem von Frauen besuchten
Rosenkranzbruderschaften mit 16.000 Mitgliedern, das Schlusslicht bildeten die
Ortsgruppen der polnischen
Sozialdemokraten (PPS) mit nur 408 Mitgliedern.
Fast alle wichtigen polnischen Organisationen hatten ihren Hauptsitz in
Bochum.
Für die vielen polnischen Organisationen entstand mit der Zeit ein großer
Raumbedarf. Deshalb wurde 1905 ein Komitee für das polnische Haus in Bochum
gegründet, das in den folgenden Jahren
in der Lage war, den Kauf von sieben Häusern in der Bochumer Klosterstraße, heute Am Kortländer, zu
organisieren. Sie standen direkt nebeneinander und hatten die Hausnummern 2-14.
Diese Häuser wurden zum Sitz fast aller in Bochum ansässiger polnischer
regionaler bzw. überregionaler Organisationen. Sie bildeten damit auch das organisatorische
Zentrum des organisierten Ruhrpolentums. Deshalb bekam die Klosterstraße im
Volksmund den Zweitnamen „Polnischer Querschlag“ oder auch „Klein Warschau“
die Arbeiterbank – Bank Robotników
|
die Polnische Gewerkschaftsvereinigung – Zjednoczenie Zawodowe Polskie
ZZP
|
eine Filiale der Handelsbank – Kasa deposytowa Bank Handlowy eGmbH
|
das Ausführendes Komitee – Komitet Wykonawczy
|
der Bund der Polen in Deutschland – Związek Polaków w Niemczech
|
die Nationale Arbeiterpartei – Narodowa Partia Robotnicza
|
die Zentrale der Volksbüchereien – Centrala bibliotek ludowych
|
das Sekretariat der Schulvereine – Sekretariat Towarzystw Szkolnych
|
die Redaktion und die Druckerei des Wiarus Polski das Soziale
Büro der polnischen Reichstagsfraktion
|
die Abteilung Bergbau der polnischen Gewerkschaft ZZP
|
die gewerkschaftlichen Rechtsberatungs- und Sozialbüros
|
Im Laufe der Zeit bildete sich unter
den Polen des Ruhrgebiets eine sichtbare
3.7 polnische Mittelschicht im Ruhrgebiet
heraus, die von den polnischen Vereinigungen durch Schulungen gefördert
wurde. Auch polnische Geschäftsleute und Handwerker aus den preußischen
Ostprovinzen zogen ins Ruhrgebiet, um hier eine Existenz zu gründen. Die
polnischen Organisationen gaben daraufhin durch Aufrufe die Parole aus: „Kauft bei euren Landsleuten“.
So bildete sich mit der Zeit ein fester Stamm an Geschäften und Handwerksbetrieben
heraus, darunter 600 Kolonialwarenhändler (Tante Emma-Läden), 100 Schuster, 70
Schlachter (wie oben angeführt hielten viele polnische Bergarbeiter im
Hinterhof des Hauses ihre Bergmannskuh, Schweine und Kaninchen usw.) 70
Buchhandlungen, 60 Bäcker, 50 Friseure, 35 Läden für Herrenbekleidung, 20
Hersteller alkoholischer Getränke, 20 Möbelhändler und 16 Tischler. 1912 hatten
im polnischen Querschlag in Bochum auch drei polnische Ärzte ihre Praxen und
ein polnischer Rechtsanwalt seine Anwaltskanzlei
Der ruhrpolnische Mittelstand versuchte selbstbewusst, seine Stärke auch in
der Öffentlichkeit zu demonstrieren. Deshalb organisierte er in Bochum für die
Woche vom 19. bis 27. Juli 1913 eine Industrieausstellung. Dafür mietete man die in Bochum zu der Zeit größte
Lokalität, den Schützenhof an der Castroper Straße an. 130 polnische Firmen
hauptsächlich aus dem Ruhrgebiet stammend, beteiligten sich an der Ausstellung,
25.000 Besucherinnen und Besucher sahen sie.
1904 organisierte sich der polnische Mittelstand im „Verein polnischer
Kaufleute und Gewerbetreibender“, ebenfalls mit Hauptsitz in Bochum und
Ortsgruppen in anderen Ruhrgebietsstädten.
Unter den von Polen
gegründeten Ruhrgebiets-Banken war die oben angeführte und auf Initiative der
Gewerkschaft ZZP gegründete Bank Robotnikow (Arbeiterbank) die erfolgreichste,
während andere Bankengründungen in Konkurs gingen oder ihre Zweigstellen im
Ruhrgebiet wieder schlossen.[27]
3.8 Politische Aktivitäten
Aufgrund enger
verwandtschaftlicher Kontakte hatten diese Entwicklungen selbstverständlich
auch Einfluss auf die Polen des Ruhrgebiets. Zunächst waren die katholischen
Polen – auch aufgrund gemeinsamer negativer Erfahrungen durch den Bismarckschen
Kulturkampf – fast ausschließlich Wähler der Zentrums-Partei. Auch der Wiarus
Polski rief 1893 zur Wahl von Kandidaten dieser Partei auf. Da das Zentrum die
polnischen Ziele nach Ende des Kulturkampfes jedoch kaum oder gar nicht
unterstützte, wurde am 12. 12. 1898 ein Wahlkomitee für Westfalen gegründet,
das den Polen im Ruhrgebiet über den Wiarus Polski Wahlempfehlungen gab. So
wurde bei der Reichstagswahl 1903 ein eigener Kandidat - der
Schriftsteller Józef Chociszewski aus Gnesen - für den ersten Wahldurchgang aufgestellt.
Da im Deutschen Reich bis 1918 ein reines Mehrheitswahlrecht galt, empfahl das
polnische Wahlkomitee für die notwendige Stichwahl im zweiten Wahlgang
Stimmenthaltung, sodass der Zentrums-Partei drei sicher geglaubte Wahlkreise
verloren gingen. Bei der Reichstagswahl 1907 erreicht die Polenpartei in der Provinz Westfalen
2,9 %, bei den Wahlen von 1912 sogar 3,4 %.
1907 stellte sich das
Ruhr-Wahlkomitee sogar gegen Absprachen zwischen Zentrum und Polenpartei in
Schlesien und gegen die Empfehlung des polnischen Zentralwahlkomitees in Posen,
das für Stichwahlen in Bochum, Dortmund
und Duisburg zur Wahl des Vertreters der SPD aufgerufen hatte.
Die polnischen Wahlkomitees bekamen
in der Folge eine besondere Bedeutung. Die ständige Überwachung aller
polnischen Vereine und deren Veranstaltungen überforderte mit der Zeit die
deutsche Polizei, die ja jede Rede protokollieren sollte. Deshalb wurde 1908
von der preußischen Regierung ein Vereinsgesetz erlassen und 1909 eine
„Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegung im rheinisch-westfälischen
Industriegebiet“ in Bochum eingerichtet. Das neue Vereinsgesetz verbot
grundsätzlich den Gebrauch der polnischen Sprache bei öffentlichen
Veranstaltungen. Als Antwort und passiven Widerstand erfanden Polen daraufhin
die „stummen Versammlungen“. Dabei wurden Tafeln hochgehalten auf denen z. B.
stand: „Wir singen jetzt das polnische Lied….“ Ausgenommen vom Sprachverbot waren jedoch
Wahlveranstaltungen. So wurden zwischen
den Wahlterminen oft Wahlversammlungen durchgeführt, die mit Wahlen nur wenig
zu tun hatten, aber der Mobilisierung der polnischen Nationalbewegung dienten.[28]
3.9 Polnische Frauen- und Jugend-Organisationen
Außer den polnischen Chören waren die verschiedenen polnischen
Organisationen im Ruhrgebiet von Männern dominiert. Dies lag zum einen daran,
dass zunächst ausschließlich Männer angeworben wurden und Frauen erst später
nachzogen. Zum anderen war es Frauen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bis
1908 verboten, Mitglied einer politischen Organisation zu werden und viele der
polnischen Vereine, auch der kirchlichen polnisch-katholischen Vereine von der
preußischen Polizei zu politischen Vereinen erklärt wurden. Schließlich gab es
im deutschen Kaiserreich auch kein Frauen-Wahlrecht.
Erste Frauenvereine wurden ab 1907 gegründet.
Die Frauenvereine sollten den
polnischen Müttern bewusst machen, dass sie in erster Linie für das Erlernen
der polnischen Sprache und Kultur und damit der Entwicklung einer polnischen
Identität der Kinder verantwortlich waren. Aufgabe der Vereine war z. B. gemäß
den Statuten des 1914 gegründeten Polinnenverein „Königin der Krone Polens“ in Bochum-Langendreer: Die gemeinsame Belehrung auf katholischer
und nationaler Grundlage, die Pflege der Muttersprache und der heimischen
Sitten, die gegenseitige Hilfe bei Krankheits- und Todesfällen und die gegenseitige
Hilfe bei der Erziehung der Kinder.
1914 gab es schon 110 Frauenvereine mit ca. 8.000 Mitgliedern. Im Mai 1914 wurde dann ein „Verband polnischer
Frauenvereine im Westen Deutschlands“ gegründet, aber seine Entwicklung wurde
durch den Beginn des 1. Weltkrieges stark behindert. Der Sitz dieses
Frauenverbandes war Wanne.
Aber auch die Arbeit der Frauenvereine wurde durch den preußischen Staat
streng überwacht. Als beispielsweise 1914 eine polnische Lehrerin aus Krakau in
Bottrop vor mehr als 300 Frauen einen Vortrag hielt, um die Bemühungen der
Eltern zu unterstützen, polnische
Sprache und Kultur an ihre Kinder weiter zu geben, wurde sie und 2
Organisatorinnen angeklagt. Sie hatten versäumt, die Veranstaltung laut Gesetz
in der Zeitung anzukündigen. Die drei Frauen wurden zu Geldstrafen und
Gefängnis von 3 bis 10 Tagen verurteilt.[29]
Auch die Gründung von Jugendorganisationen wurde vom preußischen Staat
erheblich behindert. Dennoch wurde am 20. Juni 1909 in Bochum der Verband
Polnischer Jugendorganisationen (Związek Polskich Organizacji Młodzieży) gegründet.
Drei Jahre später waren dem Verband 19
Jugendorganisationen mit insgesamt 1.345 Mitgliedern beigetreten. Bereits 1903
wurde der „Verein für Ferienkolonien“ in Bochum gegründet, der durch Ferienverschickung
in rein polnische Gebiete versuchte, die
Bindung polnischer Jugendlicher an die polnische Heimat sowohl sprachlich wie
auch gefühlsmäßig zu entwickeln.
Während die Organisation von Frauen noch relativ gut gelang, waren die
Bestrebungen bei Jugendlichen nur vereinzelt erfolgreich.
Die weitere Entwicklung der Arbeit unter Jugendlichen wurde durch den
Ausbruch des 1. Weltkrieges und der damit verbundenen Einziehung der polnischen
jungen Männer in die preußische Armee jäh unterbrochen.[30]
4.0 Fazit für die Zeit bis zum Ende des 1. Weltkriegs
4.1 Vorurteile und Konflikte
Damals wie heute – im
Verhältnis zu Türken und Muslimen - war
das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugezogenen, zwischen Deutschen
und Polen (bzw. auch zu Masuren und Oberschlesiern) oft von Misstrauen und
Vorurteilen bestimmt.
Im Gegensatz zu heute war der Staat Vorreiter bei der Bekämpfung aller
nationalpolnischen Aktivitäten.1896
schrieb der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Heinrich Konrad von Studt in
einer Denkschrift:
„Die Anhäufung großer Arbeitermassen slawischer
Abkunft im rheinisch-westfälischen Industriegebiet berge bedeutende Gefahren.
Denn es handele sich um Elemente, welche dem Deutschthume feindlich
gegenüberstehen, sich auf einer niedrigen Stufe der Bildung und Gesittung
befinden und zu Ausschreitungen geneigt sind“.[31]
Der wilhelminische Überwachungsstaat, der überall seine Informanten hatte,
behielt die polnischen Aktivitäten im Ruhrgebiets fest im Visier. So gibt es z.
B. einen Bericht des Landrates des Kreises Essen aus dem Jahre 1883 über
polnische Arbeiter. Dort heißt es u. a. hinsichtlich
der nördlichen Gemeinden des Kreises Essen (der heutigen Essener Stadtteile
Karnap, Altenessen, Katernberg):
„Üppigkeit mit Rohheit gepaart nahmen überhand, die
Unreife der …Bildung führte die Arbeiter zur Überschätzung ihrer Fähigkeiten,
zum Nichtbeachten der alten bewährten Arbeitsregeln und zur Geringschätzung
ihrer Vorgesetzten. Der Überschuss (an Entgelt), der vor allem den
Unverheirateten nach Bestreitung des Lebensunterhaltes blieb, führte zu
unglaublicher Völlerei und Verwilderung der Sitten, so dass vielfach eine
Vermehrung der Polizei notwendig wurde. Streitigkeiten mit blitzenden Waffen
zwischen den Arbeitern selbst, Angriffe auf harmlose Personen bildeten stehende
Vergnügungen einzelner Rotten.“[32]
Durch die 1909 beim
Polizeipräsidenten in Bochum eingerichtete "Zentralstelle für die Überwachung
der Polenbewegung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet" verstärkte
sich der Druck auf die polnischen Vereine, jede Versammlung wurde überwacht,
jede Rede, jedes Lied, jede gezeigte Fahne und Tracht protokolliert.
4.2 Polnisch an deutschen Schulen und in der Öffentlichkeit
Das bereits 1872 vom preußischen Staat erlassene Schulaufsichtsgesetz, mit dem darin ausgesprochenen
Verbot, in der Schule oder privat Polnisch-Unterricht zu erteilen, blieb bis in
die Weimarer Republik hinein ein Stein des Anstoßes zwischen Deutschen und
Polen. Die preußischen Behörden waren bei der Überwachung des Verbots äußerst
rigide und heizten damit latente und offene Konflikte immer wieder an. Nach der
offiziellen Statistik gab es 1910 beispielsweise im Kreis Recklinghausen-Land
etwa 17 Prozent polnische Schulkinder, in Recklinghausen-Stadt sogar 27
Prozent. Auf eine solche Konstellation musste die Schulpolitik reagieren. Sie
sorgte dafür, dass gezielt "Polenklassen" eingerichtet wurden – in
denen sich dann aber national besonders gefestigte deutsche Lehrer weniger um
die behutsame Integration ihrer Schüler als um deren schnelle
"Germanisierung" kümmern sollten.
Noch 1920 warnte die
rheinisch-westfälische Landesgruppe der "Vereinigten Verbände heimattreuer
Oberschlesier" davor, dass
"Westfalen, dieses kerndeutsche Land, das
stolz ist auf die Taten eines Arminius und Wittekind", nicht zu einem
gemischtsprachigen Gebiet werden dürfe. "Westfalen ist deutsch und soll es
unverfälscht bleiben [...]. Polnische Schulen im Industriegebiet sind eine
nationale Gefahr, wir werden sie mit deutscher Zähigkeit bekämpfen und ihre
Einrichtung nicht dulden."[33]
Auch in der Presse sorgten die Zuwanderung aus den Ostprovinzen und die
Ghettobildung in geschlossenen Siedlungen damals für heftige Debatten, denn in diesen Kolonien lebten die „Ruhrpolen“ weitgehend isoliert von der
deutschen Bevölkerung. Diese Isolation erschwerte das Erlernen der deutschen
Sprache und eine Integration der Minderheit. Die liberale Frankfurter Zeitung, die
generell mit der preußischen Polenpolitik streng ins Gericht ging, schrieb
1902: "Von den polnischen Einwanderern sind mindestens 60 Prozent in den
Wohnkolonien dem ständigen Verkehr mit den Eingesessenen entzogen. [...] Nicht
nur die Erwachsenen, auch die Kinder auf der Straße sprechen polnisch. Diese
ausgedehnten Werkskolonien sind polnische Enklaven auf deutschem Boden."
Dabei wollte auch der Kommentator der Frankfurter kein
Sprachenverbot aufstellen, wie es damals die Nationalisten für die Ostprovinzen
forderten. Er schrieb: "Jeder vernünftige Mensch wird den Polen den Gebrauch
ihrer Nationalsprache unbeschränkt zuerkennen. Was ist denn dabei, wenn etliche
Hunderttausende neben der offiziellen Landessprache noch ihre besondere
Nationalsprache kultivieren? Daran geht niemand zu Grunde."[34]
Bei den Polen im
Ruhrgebiet wurde durch die Diskriminierung von staatlicher und privater
deutscher Seite (Polacken) einerseits und durch die Zusammenkunft in polnischen
Vereinen andererseits das nationalpolnische Bewusstsein bei vielen erst
gebildet, bei allen jedoch vertieft und die nationale Identität gefestigt.
Diejenigen Ruhrpolen, die keine Vereinsmitglieder waren, wurden von ihren
Landsleuten heftig kritisiert und teilweise beschimpft, da sie, statt in die
Kirche zur Messe oder Beichte zu gehen, in Kneipen und Gastwirtschaften sich dem Tanz,
Schlägereien, dem Vergnügen und Saufen hingeben würden. Diese Ruhrpolen würden
sogar sonntags fast den ganzen Tag und die ganze Nacht arbeiten und danach das
schwer verdiente Geld vertrinken. Diese Ruhrpolen wurden von ihren Landsleuten
als Sozialisten, Säufer und Kartenspieler bezeichnet. Es hieß, dass sie das
körperliche Glück zwar gefunden, aber ihre Seelen verloren hätten. Einige
solcher „Sozialisten“ seien aber auch Mitglieder in polnisch-katholischen
Vereinen und würden betrunken zu den Sitzungen kommen und Gotteslästerung
betreiben. Der Kontakt mit solchen „Sozialisten“ sollte von allen guten
Vereinsmitgliedern gemieden werden.[35]
4.3 Resümee
Wie aus den vorstehenden
Schilderungen zu sehen, gab es auf
deutscher und polnischer Seite Vorurteile und Verallgemeinerungen. Die privaten
und öffentlichen Integrationsdebatten verliefen in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg
kaum weniger heftig als heute. Allerdings spielte der Staat mit seinem
erheblichen Demokratie-Defizit eine entscheidend andere Rolle. Mit seiner Germanisierungspolitik
und den damit verbundenen Verboten und Überwachungen schürte er die Gegensätze
zwischen den Volksgruppen. Bei den polnischen Migranten im Ruhrgebiet führte
dies zwangsläufig bei vielen zu einer nationalpolnischen Haltung, die oft vor
dem Eintreffen im Ruhrgebiet gar nicht vorhanden war.
Andererseits soll aber nicht
übersehen werden, dass tatsächlich der Alltag der Ruhrpolen im Grunde genauso
wie der Alltag der Aufnahmegesellschaft war. Er war durch harte Arbeit und
Alltagssorgen geprägt. Im Arbeitsleben – besonders im Bergbau - zählten
Kameradschaft. Im Zusammenleben vor Ort zählte gute Nachbarschaft auch zwischen
Deutschen und Polen. Negativ wirkten sich sicher Parallelgesellschaften in
abgegrenzten Wohnkolonien aus. Die häufige Ansiedlung der Ruhrpolen in
ghettoähnlichen Wohnsiedlungen verhinderte tatsächlich ein Hineinwachsen in die
deutsche Gesellschaft. Vor allem beim Freizeitverhalten – besonders der
Beteiligung am Vereinsleben und beim Kirchenbesuch – waren die Kontakte zwischen
Deutschen und Polen gering. Eine differenziertere Situation lag bei den
zugewanderten protestantischen Masuren aus Ostpreußen vor, die
integrationswilliger als die meisten katholischen Zuwanderer mit polnischen
Wurzeln waren.
Generell
muss daher das Fazit gezogen werden, dass bis zum Ende des 1. Weltkriegs die
Integration der Ruhrpolen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft gescheitert war.
Vielmehr stellt sich die laut Helmut Schmidt gelungene Integration der
Ruhrpolen als Modellfall für misslungene
Integration heraus. Es kann nicht integrationsfördernd sein, wenn
Migranten-Medien ihrem Publikum empfehlen, sich in kulturelle Gettos
zurückzuziehen, und die Aufnahmegesellschaft zu ignorieren. Assimilationsdruck
der Aufnahmegesellschaft auf der einen und ethnozentrische Subkultur von
Einwanderern auf der anderen Seite schaukeln sich so wechselseitig auf. Auch
heute noch müssen viele Deutsche lernen, dass der aus der deutschen Tradition
der Kulturnation stammende Integrationsbegriff falsch ist, weil er Integration
an kulturelle Gleichheit bindet, also eigentlich Assimilation meint. In einer
modernen global ausgerichteten Gesellschaft brauchen wir eine „interkulturelle
Integration“, also eine Gesellschaft, in der alle die Werte der Verfassung
teilen, sich jenseits davon aber in ihrer Verschiedenheit respektieren. Dieser
Respekt beruht auf dem Bewusstsein, aufeinander angewiesen zu sein und
Andersartigkeit nicht nur zu respektieren, sondern auch als Bereicherung zu
empfinden.Von einer solchen Haltung war man vor dem 1. Weltkrieg auf beiden Seiten meilenweit entfernt und deshalb konnte interkulturelle Integration im Falle der Ruhrpolen bis zum Ende des 1. Weltkriegs nicht gelingen. Am Beispiel der Ruhrpolen kann man vielmehr lernen, wie eine Aufnahmegesellschaft und die Zuwanderergruppe sich nicht verhalten sollten, damit der Zusammenhalt einer modernen Migrationsgesellschaft gelingen kann.[36]
Wenn heute eine andere Sicht vermittelt wird, zeugt dies von einer Unkenntnis der tatsächlichen geschichtlichen Situation.
Abschnitt B (Kapitel 5):
Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen 1918 .1939
5.1 Der 1. Weltkrieg und seine Folgen – eine „Wende“ für die Ruhrpolen
Der Ausbruch des 1. Weltkrieg im Jahre 1914 brachte viele
der geschilderten polnischen Aktivitäten im Ruhrgebiet zum Erliegen. Noch 1913 wurde bei einem Treffen im niederländischen Winterswijk das
„Ausführende Komitee“ (Komitet Wykonawczy) gegründet, eine Organisation, die
alle polnischen Vereine und Institutionen im Ruhrgebiet unter einem Dachverband
vereinigen sollte. Die Arbeit des Ausführenden
Komitees begann auch sehr erfolgreich, wurde aber dann durch den Ausbruch des
1. Weltkrieges stark behindert.
Da die Polen ja deutsche Staatsbürger waren, wurden alle
wehrfähigen Männer auch zum Militärdienst eingezogen und mussten für
Deutschland an den verschiedenen Fronten kämpfen.
Das Ende des Krieges, die Niederlage Deutschlands und der
Versailler Friedensvertrag veränderten mit einem Schlag die nationale Lage der
Polen und ebenso der polnischen Landsleute im Ruhrgebiet. Durch den
Friedensvertrag von Versailles wurde den Polen ein eigener Staat zugesichert,
der weite Teile der vorher preußischen Provinzen Westpreußen und Posen und
einen Teil Oberschlesiens umfasste. Über den Versailler Vertrag und seine
Folgen für das deutsch-polnische Verhältnis berichte ich an anderer Stelle (z.Zt.
noch in Arbeit)
Für die Polen des Ruhrgebiets ergab sich dadurch die
Option, in den neu gegründeten polnischen Staat bzw. ihre polnischsprachige
Heimat zurückzukehren. Insbesondere national denkende Polen machten von dieser
Möglichkeit Gebrauch.
Der
verlorene Krieg und die damit verbundenen Gebietsabtretungen im Osten -
insbesondere aber die Abstimmung in Oberschlesien über die Zugehörigkeit dieses
Gebiets zu Deutschland oder zu Polen am 20. März 1921
– verschlechterten auch das Verhältnis zwischen deutscher und polnischer
Bevölkerung im Ruhrgebiet. Anfang des Jahres 1920 startete der "Verband der
heimattreuen Oberschlesier" in Wanne
einen Werbefeldzug für ein deutsches Oberschlesien. Anlässlich einer am 22. August 1920
in Herne veranstalteten Massenkundgebung "gegen das radikale
Polentum" formulierten die ca. 2.000 Teilnehmer ihre gegen die polnische
Minderheit gerichteten Forderungen in einer "Entschließung". Da das
Abstimmungsergebnis positiv für Deutschland, für Polen aber unbefriedigend war,
beschloss der Völkerbund 1921 die
Teilung Oberschlesiens, was bei den
deutschen Oberschlesiern auch im Ruhrgebiet große Bitterkeit hervorrief.[1]
Diese Situation beschleunigte sicherlich die Abwanderung
vieler Polen. Schlimmer als die Grenzänderungen im Osten war für alle Bewohner
im Nachkriegs-Deutschland – und somit auch die Ruhrpolen – aber die große Not -
ja sogar Hungersnot – und die bis 1923 sich rasant steigernde Inflation. Die
Ursachen der Inflation während der ersten Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs und
den Gründerjahren der Weimarer Republik waren im Ersten Weltkriegs begründet:
Zum Zwecke der Kriegsfinanzierung war durch die Ausgabe von Schuldtiteln
einerseits die Geldmenge stark aufgebläht worden, andererseits entstand durch
die Produktion von Kriegs- statt Zivilgütern eine Warenknappheit. Angesichts
der Preissteigerung bei Gütern des täglichen Bedarfs, die über der Steigerung
der Nominallöhne lag, sanken bis 1917 die Reallöhne. Als 1918 diese aber wieder
anstiegen, konnte infolge der physischen Warenknappheit der zivile Bedarf nur
noch teilweise gedeckt werden.[2] Das Deutsche Reich
stand also wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Es musste das
kriegsgeschüttelte Land wieder aufrichten, Kriegsanleihen an die eigene
Bevölkerung zurückzahlen und wegen des Versailler Vertrags und der darin
festgeschriebenen Kriegsschuld Geld für Reparationszahlungen an die
Siegermächte – vor allem Frankreich - aufbringen.
Als
die Franzosen im Jahr 1923 wegen verspäteter Reparationszahlungen das
Ruhrgebiet besetzten, verschärfte sich die Lage. Um seinen
Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, brachte die Regierung mehr und mehr Geld
in Umlauf, auch wenn es für die immer höhere Anzahl Banknoten keine materiellen
Gegenwerte im Land gab.In dieser Wirtschafts- und Finanzkrise verließen viele polnische Arbeiter mit ihren Familien das gebeutelten Land an der Ruhr und zogen in die französischen und belgischen Kohlegebiete. Sie folgen den verlockenden Angeboten französischer Werber. Zudem hatte die polnische Gewerkschaft ZZP eine Delegation nach Paris entsandt, um die Arbeit polnischer Bergleute in französischen Bergwerken anzubieten. Daraufhin kam es zu einer Massenabwanderung nach Nordfrankreich.
Genaue
Zahlen über die Abwanderung der Ruhrpolen in den polnischen Staat und nach
Nordfrankreich und Belgien liegen nicht vor. Schätzungen gehen davon aus, dass
jeweils ein Drittel – also ca. 150.000 – nach Polen und Frankreich abwanderten.[3]
Andere Quellen gehen davon aus, dass nur etwa
40.000 Abwanderer in den wieder errichteten polnischen Staat zurückgekehrten, aber über 300.000 in die
nordfranzösischen Industrieregionen weitergezogen
sind. Wie stark die Abwanderung der Ruhrpolen nach
Frankreich war, zeigt sich u. a. daran, dass die beiden in Bochum und Herne
erscheinenden polnischsprachigen Zeitungen „Viarus Polski“ und „Narodowiec“
ihren Lesern nach Lille und Lens hinterher zogen, wo sie noch bis in die 1970er
Jahre existierten.[4]
Pikanterweise mussten sich manche
dieser ehemals preußischen Polen, die im Ruhrgebiet als Polacken beschimpft
wurden, nun in Frankreich als boches (negative französische Bezeichnung
für Deutsche) beschimpfen lassen.[5]
5.2 Veränderte Situation für die Zurückgebliebenen
Im Ruhrgebiet verblieben
ca. ein Drittel, also ca. 150.000 der ursprünglich ca. 450.000 Migranten mit
polnischen / masurischen Wurzeln. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil
davon der masurischen Volksgruppe angehörte, die ohnehin nicht in den
polnischen Staat ziehen wollte und sich in der 2. Generation oft schon in die
deutsche Gesellschaft integriert hatte. Bei einer Volkszählung 1925 gaben im
Ruhrgebiet lediglich 15.000 Personen Polnisch als Muttersprache an.[6]
Durch den massiven
Fortzug wurde die Situation der
verbleibenden Polen im Ruhrgebiet natürlich völlig verändert. Die Zurückgebliebenen lebten nunmehr verstreut über viele Orte des
Ruhrgebiets und hatten nun zwangsläufig mehr Kontakte zu deutschen Nachbarn.
Die starke organisatorische Bindung an die geschwächten polnischen
Organisationen und Vereine ging verloren, die Zahl der polnischsprachigen Gottesdienste
ging zurück. Hinzu kam ein Generationswechsel zu Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, die mit der deutschen Schule und deutschen Freunden groß geworden
waren. Gab es bis 1918 nur wenige deutsch-polnische Mischehen, so stieg deren
Zahl in den 1920er Jahren rapide an. In der zweiten und dritten Generation der
polnischen Migranten war die Bindung zur polnischen Nationalität häufig
verloren gegangen. Murphy schreibt dazu: „…wem die polnische Nationalität am
Herzen lag, stand der Weg nunmehr offen, dieses Ziel zu erreichen. Es bedurfte
lediglich einer Eisenbahnfahrkarte.“ Viele waren nun aber nicht einmal mehr
bereit, die großzügigen Vergünstigungen der Weimarer Republik für die polnische
Minderheit in Anspruch zu nehmen. Eltern nahmen die angebotenen Fördermöglichkeiten
zur Erlernung polnischer Sprache und Kultur für ihre Kinder nicht in Anspruch.
Was auch immer der Grund war – Gleichgültigkeit der Eltern oder Abneigung der
Kinder –, ein Jahrzehnt nach dem 1. Weltkrieg blieb in Bottrop – und ähnlich in
anderen Ruhrgebietsstädten – nur etwas mehr als eine Handvoll Polen übrig, die
der Erhaltung ihrer Sprache und Kultur mit Hilfe öffentlicher
Bildungseinrichtungen aktiv nachging.[7] Nach dem Versailler
Friedensvertrag hatten Polen in Deutschland bis 1922 die Möglichkeit, gemäß
einem im Vertrag festgelegten Optionsverfahren für die polnische
Staatsangehörigkeit zu optieren. Nach neuesten Erkenntnissen optierten nur
5.000 Personen aus dem Ruhrgebiet für Polen, ein weiterer Hinweis auf die
Stimmung unter den verbliebenen Polen im Ruhrgebiet.[8]
5.3 Rückgang der Mitgliederzahlen und Aktivitäten bei Vereinen und Gewerkschaften
Der Niedergang zeigte
sich besonders auffällig bei den beiden vorher bedeutenden Organisationen, den
Sokól-Turnvereinen und der polnischen Gewerkschaft ZZP.
5.31 Sokól-Turnvereine
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten
wuchs zudem der staatliche Druck, so dass sich im September 1939 Sokól selbst
auflöste.[9]
5.32 Polnische Gewerkschaft ZZP
Ähnlich erging es der Gewerkschaft ZZP im Ruhrrevier. Der
Erste Weltkrieg führte zu einer Unterbrechung der Verbandsarbeit in ganz Deutschland.
Im Jahr 1917 begann die erneute
Tätigkeit in Deutschland und somit auch im Ruhrgebiet.
1919
lag die Zahl der Gewerkschafts-Mitglieder bei 51.722 mit 288 Zahlstellen. Durch
die Rückwanderung in den neuen polnischen Staat verlor die ZZP ca. 10.000
Mitglieder. Weitere ca. 20.000 Mitglieder schieden 1922/1923 durch die
Massenabwanderung nach Nordfrankreich aus. Im Jahr 1924 zählte die Organisation
noch 21.000 Mitglieder. Nach Christoph Kleßmann war ihre Bedeutung
bereits wesentlich geringer. Danach waren in der vorherigen Hochburg Ruhrgebiet
nur noch etwa 5000 Bergleute organisiert. Im Bereich der Eisen- und
Metallindustrie waren es weitere 3000 Arbeiter. Im Jahr 1929 zählten beide
Gruppen zusammen nur noch 2923 Mitglieder. Bei den Betriebsrätewahlen
von 1930 erreichte der Verband gerade mal drei Mandate. Im Jahr 1931 kam er auf
161 Stimmen und erhielt kein Mandat mehr. Im Jahr 1934 löste sich die
Organisation selbst auf.[10]5.33 Bund der Polen in Deutschland
Wie im Abschnitt …. berichtet, hatte die Bedeutung des Polenbundes vor dem ersten Weltkrieg bereits abgenommen. Die katholischen Vereine und vor allem die Gewerkschaft ZZP hatten einen wesentlich größeren Einfluss. Der Bund wurde im Jahre 1922 als „Bund der Polen in Deutschland e. V.“ (polnisch Związek Polaków w Niemczech, kurz ZPwN) mit Sitz in Berlin neu gegründet. Sein Einfluss im Ruhrgebiet war jedoch gering, er vertrat vor allem die Polen in den östlichen Grenzgebieten, die bei Deutschland verblieben, das waren nach der Volkszählung von 1925 ca. 200.000 polnische Muttersprachler, davon waren ca. 60.000 Mitglied des Bundes der Polen. Im Jahre 1924 gehörte der Bund zu den Mitbegründern des Verbandes der nationalen Minderheiten in Deutschland, dem außerdem Dänen, Friesen, Litauer und Sorben angehörten.[11]Nach 1933 gab es seitens des deutschen Staates zwar gewisse Schikanen, aber nach Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes 1934 ließen die Nationalsozialisten die polnische Minderheit relativ ungestört. Hitler verehrte offensichtlich den polnischen Diktator Pilsudski und hatte wohl die Hoffnung, mit diesem eine Übereinkunft zu Lasten Russlands schließen zu können. 1938 durfte in Berlin sogar ein großer Kongress der Polen in Deutschland stattfinden, an dem ca. 5.000 in Deutschland lebende Polen teilnahmen. Wie viele davon aus dem Ruhrgebiet kamen ist nicht belegt. Auf dem Kongress wurde am 6. März 1938 der folgende
"Dekalog“ der Polen in Deutschland beschlossen:
Wir,
die Söhne der polnischen Nation, treue Söhne unter dem Rodło-Zeichen
versammelt, geben feierlich die fünf
Wahrheiten der Polen bekannt:
1. Wahrheit: Wir sind Polen!
2. Wahrheit: Der Glaube unserer Väter
ist der Glaube unserer Kinder.
3. Wahrheit: Ein Pole ist dem anderen
Polen ein Bruder!
4. Wahrheit: Der Pole dient jeden Tag
seinem Volk!
5. Wahrheit: Polen ist unsere Mutter –
über die Mutter darf man nichts Schlechtes sagen!"
Im
Jahre 1939 verschärften sich dann die Spannungen zwischen Deutschland und
Polen, so das Hitler in einer Reichstagsrede am 28. 4. 1939 das
deutsch-polnische Abkommen aufkündigte.[12] Nach Kriegsbegin 1939
wurden alle verbliebenen polnischen Organisationen verboten und über
zweihundert führende Köpfe verhaftet und für einige Monate in
Konzentrationslager deportiert. 5.4 Namensänderungen - eine Folge der Veränderungen
Bereits 1901 weist der Innenminister des Deutschen
Reiches den Regierungspräsidenten in Münster an, bei der Eindeutschung polnischer Namen großzügig zu
verfahren, weil Namensänderungen "die Verschmelzung des polnischen
Elements mit dem deutschen zu fördern geeignet sind". In der Zeit nach dem
1. Weltkrieg, als viele Polen das Ruhrgebiet Richtung neuem polnischen Staat
und nordfranzösische Kohlegebiete verließen, und die verbliebenen Polen nun in
einer extremen Minderheitssituation waren, wurde von diesem Recht auf
Namensänderung vermehrt Gebrauch gemacht und die Zahl der Namensänderungen
stieg rapide an. Viele Zuwanderer aus den
Ostgebieten ließen nun ihre Namen ändern, weil die Deutschen die polnischen
Namen nicht aussprechen konnten, aber auch um sich als gute Deutsche
auszuweisen, um sich Diskriminierungen zu ersparen und um ihren Kindern keine
Aufstiegschancen zu verbauen. Vor allem viele der preußisch geprägten
Einwanderer aus Masuren nutzten die von den Behörden angebotene Möglichkeit. Aber auch Nachkommen polnischer Einwanderer besonders
aus Schlesien und Deutsche mit polnischen Namen aus Ost-, Westpreußen und
Schlesien machten hiervon Gebrauch. Dabei reichte die Spannweite von der
Angleichung der Namen - zum Beispiel aus Majchrzak wurde Maischak - bis in der
Regel zur kompletten Änderung der Namen: zum Beispiel aus Majczak wurde Mayer, aus Luczak = Lutz, aus Marczynski = Markus, aus Grzeskowiak wurde Grote, aus Wojciechowski wurde
Winter, aus Cerwiński = Celtow. Kaczmarek ließ sich in Kammann
umbenennen.
Auch beim FC. Schalke sind einige Fälle von Fußballspielern belegt:
Zurawski wurde zu Zurner, Regelski zu Reckmann, Zembrzycki zu Zeidler. Der
Linksaußen der Meistermannschaft von 1934, Emil Czerwinski, änderte seinen
Familiennamen in Rothardt, was eine sinngemäße Übersetzung darstellt –
„czerwony“ heißt auf deutsch „rot“.[13]
Durch die Veränderung des Namens wurden diese Ruhrpolen
nicht mehr sichtbar. Sie waren nun gute Deutsche und ihre Herkunft geriet in
Vergessenheit. Viele Nachkommen der damaligen
Ruhrpolen wissen heute gar nicht mehr, dass sie polnische Vorfahren haben.
5.5 Zwei hartnäckige Legenden
Neben der beschriebenen Legende von der guten Integration
der Ruhrpolen in die deutsche Gesellschaft (siehe Helmut Schmidt), sind zwei
weitere Legenden nicht auszumerzen. Es handelt sich um die Meinung, die Ruhrgebietssprache
wäre im wesentlichen durch polnische Einflüsse entstanden und bei FC. Schalke
04 hätte es sich bis in die 1930er-Jahre hinein um einen polnischen Verein (Polacken-Verein)
gehandelt.
5.51 Die Ruhrgebietssprache
Das Ruhrgebiet ist
zweifellos durch seine polnischen und masurischen Zuwanderer entscheidend
mitgeprägt worden. Man muss nur in die Telefonbücher der Ruhrgebietsstädte
schauen und wird dort – trotz vieler Namensänderungen (s.o.) noch viele
polnisch bzw. slawisch klingende Familiennamen finden. Allerdings muss man
dabei schon berücksichtigen, dass auch viele deutsche Zuwanderer aus den
Ostprovinzen ins Ruhrgebiet kamen, deren Vorfahren vielleicht Polen waren bzw.
einen polnischen Namen trugen.
Die Meinung vom
polnischen Einfluss auf die Ruhrgebietssprache ist auch heute noch weit
verbreitet, wenn man sich jedoch näher mit diesem Thema beschäftigt, wird man
feststellen, das ein Einfluss des Polnischen auf das sogenannte
Ruhrgebietsdeutsch gar nicht oder allenfalls in wenigen Wörtern gegeben ist.
Das Vorurteil beruht
vor allem auf einer Überschätzung der Zahl von Zuwanderern mit polnischer
Muttersprache. Obwohl die polnischsprachigen Migranten in einigen Stadtteilen
des Ruhrgebiets einen Anteil von 20% und mehr hatten, überschritt er im gesamten
Ruhrgebieten nie die 5%-Marke.
Tatsächlich beruht
die Ruhrgebietssprache auf den niederdeutschen Dialekten, welche vor der
Industriealisierung im späteren Industriegebiet zwischen Duisburg und Dortmund
gesprochen wurden, d. h. im flächenmäßig größeren westfälischen Teil des
heutigen NRW sowie der Stadt Essen wurde westfälisches Platt gesprochen und im
westlichen Ruhrgebiet niederfränkisches Platt. Durch den erheblichen Zuzug aus
anderen Teilen Deutschlands (siehe
Abschnitt A, Kapitel 1 - 4) eigneten sich diese Dialekte nicht für die Kommunikation der neu
strukturierten Bevölkerung. Hierfür eignete sich ausschließlich das
Hochdeutsche, dass ohnehin von nahezu allen Zuwanderern in der Schule gelernt
wurde. (Abgesehen von einigen Zuwanderern aus den Provinzen Westpreußen und
Posen). Aus der Kombination von Hoch- und Niederdeutsch entstand im Ruhrgebiet
eine regionale Ausgleichs- und Mischsprache, die spätere Umgangssprache
Ruhrdeutsch, die einen Ausgleich zwischen Einheimischen und Zuwanderern,
zwischen privater – noch stark vom Dialekt geprägter Alltagssprache und der in
der Schule erlernten Schriftsprache schaffte. Hinzu kommt die Tatsache, dass
etwa ab 1900 die niederdeutschen Dialekte an Prestige einbüßten – als
minderwertige Sprache galten – und die deutsche Standardsprache an Bedeutung
gewann.
Typische Merkmale der
Umgangssprache Ruhrdeutsch sind: eine Vereinfachung der Grammatik, eine
Verkürzung und breitere Aussprache von Vokalen und eine Vereinfachung und
Zusammenziehung von einzelnen Konsonanten. Aus dem Niederdeutschen wurden viele
Formen der Fälle übernommen und darüberhinaus fand eine Ökonomie der Sprache
statt (z. B. aus „so einen Kreis machen“ wurde „sonnen Kreis“ oder gar „son
Kreis machen“ oder aus „bei der Arbeit“ wurde „bei’e Aabeit“, d. h. es fand
auch ein Verschlucken von Konsonanten zugunsten einer Dehnung des Vokals statt).
Der Einfluss des Polnischen
oder Slawischen beschränkt sich tatsächlich auf einige wenige Worte (Mottek für
einen Hammer, Matka – aber nicht für Mutter sondern eher eine ungepflegte alte
Frau, Pinunsen für Geld, rabotti für arbeiten, dobsche für gut und einige
wenige mehr). Selbst diese wenigen Worte stammen aber möglicherweise auch aus
dem Jiddischen und gehören heute kaum noch zum aktiven Sprachgebrauch im
Ruhrgebiet.[14]
Ruhrgebietsdeutsch wurde
in den 60er- , 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts bundesweit durch
Hörfunk und später Fernsehsendungen u. a. durch Jürgen von Manger als Adolf
Tegtmeier sowie Elke Heidenreich als Else Stratmann erfolgreich verbreitet.
Parallel erschienen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung Glossen des
„Kumpel Anton“ und der „Dr. Antonia Cervinski-Querenburg“. Außerdem erschienen
viele „Lexika“ der Ruhrgebietssprache, so z. B. „1000 Worte Bottropisch“ als
Lexikon der Alltagssprache des Ruhrgebiets. Mein Eindruck ist jedoch, dass diese
Sendungen oder Veröffentlichungen über die Umgangssprache des Ruhrgebiets oft
überzogen waren, der Realität nur bedingt entsprachen und noch weniger der
heutigen Wirklichkeit entsprechen. Denn inzwischen hat es weitere
Migrationsbewegungen gegeben, die zu einem weiteren „Abschleifen“ des
Ruhrgebietsdeutschen geführt haben. Die frühere Annahme, dass sich diese
Umgangssprache zu einem neuen deutschen Dialekt entwickelt, ist nicht
eingetroffen. Wie auch in anderen Regionen Deutschlands ist das gesprochene
Ruhrgebietsdeutsch heute weitgehend eine regional gefärbte Variante des
Hochdeutschen, ohne die Übertreibungen eines Adolf Tegtmeier. Aber sie wird nun
von den „Ruhris“ selbstbewusst als „ihre
Sprache“ gebraucht.
5.52 Schalke 04 – ein Polacken-Verein?
Im Jahre 1904 wurde
von einigen Fußball-begeisterten Jugendlichen - mit Unterstützung ihrer Väter -
der Verein Westfalia Schalke gegründet. Die Gründungsmitglieder waren allesamt
Deutsche bzw. hatten einen deutschen Namen. Der Verein wurde zunächst nicht in
den Westdeutschen Spielverband aufgenommen und hatte als sogenannter „wilder
Verein“ am Ende des Gründungsjahres ganze 16 Mitglieder. Nach der Vereinigung
mit dem „Turnverein 1877 Schalke“ im Jahre 1912 konnte die Fußballabteilung am
offiziellen Spielbetrieb des Westdeutschen Spielbetriebs teilnehmen. Aber im Jahre 1924 trennten sich Fußball- und
Turnabteilung wieder und die Fußballer hießen erst ab diesem Zeitpunkt FC.
Schalke 04. Da im Umfeld des Stadtteils Gelsenkirchen-Schalke viele Masuren
wohnten, schlossen sich Söhne dieser Zuwanderer vermehrt dem Verein an.
(s.o., Abschnitt 2.8 und 5.2). Dennoch wurde der Verein von Außenstehenden aus Unwissen oder auch
böswillig von Anfang an als Polacken-Verein verunglimpft.
Ende der 1920er- und
Anfang der 1930er-Jahre wurde der Verein immer stärker und wurde zu einem der bedeutendsten
Fußballvereine im Deutschen Reich.
(Quelle:
http://www.nupomak.de/schalke_04_postkarten.htm)
Als nun der FC.
Schalke 04 im Jahre 1934 erstmals deutscher Fußballmeister wurde, erschien die
Warschauer Sportzeitung "Przeglad Sportowy" mit
der Schlagzeile: „Die deutsche Meisterschaft in den Händen von Polen. Triumpf
der Spieler von Schalke 04, der Mannschft unserer Landsleute“. In dem Bericht
hieß es dann weiter, dass die Spieler Czerwinski, Kalwitzki, Kuzorra, Mellage,
Szepan, Tibulski, Urban und Zajons Polen seien, Söhne von nach Westfalen
ausgewanerten polnischen Bergleuten. Andere polnische Zeitungen berichteten
daraufhin in gleicher Weise und das deutsche Fußballblatt „Kicker“ zitierte aus
diesen Veröffentlichungen. Die Schalker Vereinsführung reagiert mit einem
offenen Brief, der in der „Buerschen Zeitung“ unter der Überschrift „Alles
deutsche Jungen“ erschien. Im Brief wurde darauf hingewiesen, dass alle 13
Spieler im Ruhrgebiet geboren seien, acht ihrer Eltern würden aus Masuren stammen,
zwei Elternpaare seien Einheimische und je eines stamme aus Ostfriesland, aus
Oberschlesien und nur der Vater von Valentin Przybylski aus der Provinz Posen.
Valentin ließ seinen schwer aussprechbaren Namen umschreiben und hieß nun auch
mit Nachnamen Valentin. Tatsächlich waren fast alle Spieler der
Meistermannschaft evangelisch und hatten schon deshalb wenig mit den katholischen
Polen gemein. Als verlässliche Preußen trugen viele von ihnen den Vornamen
Fritz, in Bewunderung des von den Polen ungeliebten Preußenkönigs Friedrich II
(der „alte Fritz“). Wie Valentin ließen weitere Schalker Spieler ihren Namen
ändern (s.o….), so dass die polnische Presse nicht nur eine Falschmeldung
verbreitete, sondern auch zu einer weiteren Assimilation polnischer und
masurischer Migranten im Ruhrgebiet einen Anstoß gab.[15]
5.6 Fazit für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen
Die im Ruhrgebiet verbliebenen ca. 150.000 Personen mit einem polnischen
oder masurischen Migrationshintergrund befanden sich in der Zeit nach dem 1.
Weltkrieg in einer ausgesprochenen Minderheitssituation. Die vorher aufgebauten
Organisationen verloren zunehmend an Einfluss und damit auch an Mitgliedern.
Weiterhin muss man feststellen, dass sich die Zusammensetzung dieser
verbliebenen Migranten durch den Fortzug einerseits aber auch durch eine
Veränderung der Altersstruktur erheblich verändert hatte. Obwohl keine exakten
Zahlen vorliegen, kann man davon
ausgehen, dass praktisch keine Masuren in den neuen polnischen Staat
auswanderten und dass auch bei den Abgewanderten in die französischen
Kohleregionen der polnische Anteil bei weitem überwog. Zudem war in den
1920er-Jahren eine Folgegeneration herangewachsen, die schon im Ruhrgebiet
geboren war und weit weniger Lust verspürte ihre Heimat zu verlassen als ihre
Elterngeneration. Für Bottrop weist dies Murphy mit eindeutigen Zahlen nach.
Während zwei Drittel der ersten Generation Bottrop nach dem 1. Weltkrieg
verließen, waren es nur 10% aus der zweiten Generation.[16] Auf die Zunahme von
Mischehen und ihre beschleunigende integrative Wirkung habe ich schon
hingewiesen, ebenso auf die nun gemeinsamen Aktivitäten in deutschen Vereinen,
vor allem in Fußballvereinen.
All diese Veränderungen, persönliche und institutionelle Bindungen und der Verlauf der Geschichte haben bewirkt, dass die
im Ruhrgebiet verbliebenen Polen und Masuren ihre eigenständigen Aktivitäten
aufgaben. Die zwangsläufig nicht nur zu einer Integration, sondern zu einer
Assimilation von Polen und Masuren in die deutsche Ruhrgebietsgesellschaft. So
endete die Geschichte der Ruhrpolen mit dem 2. Weltkrieg und es blieb nur eine
geringe Zahl nach 1945 im Ruhrgebiet.
Am Ende
ihrer Geschichte muss man feststellen, dass in der zweiten Generation eine fast
vollständige Assimilation der verbliebenen Ruhrpolen mit der deutschen
Gesellschaft stattgefunden hat, die heute im Rückblick von mancher Seite als
Erfolgsgeschichte dargestellt wird. Tatsächlich haben vor allem die Ergebnisse
und Folgen des 1. Weltkriegs zu dieser Entwicklung geführt und weniger eine
bewusste Entscheidung der Betroffenen oder gar eine gute Integrationspolitik. Leider
haben viele Deutsche – bis hin zu höchsten Repräsentanten - aus dieser
Entwicklung den Schluss gezogen, die Ruhrpolen seien gut integriert worden und
damit ein Musterbeispiel einer guten Integration. Es wird auch der Fehler begangen, Integration mit
Assimilation zu verwechseln bzw. gleichzusetzen. Beim Vergleich der Ruhrpolen
mit den seit den 1960er Jahren nach Deutschland gekommenen Türken stellen wir
bei näherer Betrachtung erstaunliche Parallelen fest und es ist wenig
hilfreich, den heutigen Türken die Ruhrpolen als gelungenes Beispiel einer Integration
zu präsentieren.Abschnitt C (Kapitel 6):
Polen in Deutschland nach 1945
6.0 Einleitung - Überleitung
Die beiden vorhergehenden Abschnitte A und B haben sich
ausschließlich mit der Situation der polnischen Migranten im Ruhrgebiet
beschäftigt und die übrige Einwanderung von Polen bzw. zweisprachigen
Deutsch-Polen aus den damaligen deutschen (preußischen) Ostprovinzen außer Acht
gelassen. Diese hat es durchaus auch gegeben, insbesondere ist der Zuzug nach
Berlin zu erwähnen. Da die Ära der Ruhrpolen mit dem Ende des 2. Weltkriegs
praktisch zu Ende ging, werde ich bei der Betrachtung der Zuwanderer aus dem
Polen der Nachkriegszeit deren Situation im gesamten Deutschland beleuchten,
die sich auch grundsätzlich von der Minderheiten-Situation der Ruhrpolen
unterscheidet. Zwar gibt es auch nach wie vor polnische Zuwanderer mit
Schwerpunkt Ruhrgebiet, aber deren Situation unterscheidet sich nicht
wesentlich von den Polen, die sich in anderen Teilen Deutschlands
niedergelassen haben und dort mehr oder weniger große Anteile an der Gesamtbevölkerung
haben.
6.1 Die Nachkriegsjahre bis 1950
6.11 Flüchtlinge und Vertriebene
Am Ende des Krieges kamen
durch Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ca. 7
Millionen Deutsche in die spätere Bundesrepublik oder die DDR. Man kann davon
ausgehen, dass darunter auch eine größere Zahl von Masuren, Oberschlesiern und
Personen mit teils polnischer teils deutscher Identität waren. Sie hatten sich
in der Zeit des Nationalsozialismus zum deutschen Volk bekannt und fürchteten
nun bei einem Verbleib in der Heimat die Rache der neuen polnischen Machthaber
und Mitbewohner. Da es sich ohnehin ausschließlich um deutsche Staatsangehörige
handelte liegen mir keine Erkenntnisse über ihre Zahl vor.
Natürlich gab es zu Beginn durchaus
erhebliche Probleme, für die große Anzahl dieser Menschen im verbliebenen
Deutschland eine Unterkunft zu schaffen und ihre Versorgung sicher zu stellen.
Schließlich kamen sie in ein Deutschland mit zerbombten Städten, einer
zerschlagenen Infrastruktur und zu Menschen, die ebenfalls um das nackte
Überleben kämpfen mussten. Reibereien zwischen Einheimischen und Flüchtlingen
waren da nicht auszuschließen. Aber nach der Währungsreform 1948 ging es im
Westen Deutschlands ja wirtschaftlich steil bergauf, so dass die gut
ausgebildeten Flüchtlinge beim Wiederaufbau hervorragend in den deutschen
Wirtschaftsprozess eingegliedert wurden. Das gilt ebenso für die polnisch- bzw.
masurisch-stämmigen Flüchtlinge. Ihre Leistung beim Wiederaufbau kann nicht
hoch genug eingeschätzt und gewürdigt werden. Anfangs bestand unter den
Vertriebenen und Flüchtlingen noch die Hoffnung auf Rückkehr in ihre
Heimatgebiete und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland (zunächst auch
die Machthaber der späteren DDR) hielten ihren Anspruch auf die „nur polnisch
besetzten“ Ostgebiete stets offen. Unterstützt wurden sie dabei von den
Landsmannschaften der vertriebenen Ost- und Westpreußen und Schlesier.
6.12 Displaced Persons (DPs)
Außerdem befanden sich am Ende des 2. Weltkriegs
eine große Zahl (ca. 6 – 7 Mio.) sogenannter Displaced Persons (DPs) innerhalb der 4 Besatzungszonen
Deutschlands, darunter mehr als 900.000 Polen.[1]
Bild 24: Lager für polnische DPs in Flossenbürg (Foto Danuta Mykyiuk – Quelle: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de)Es handelte sich um sehr unterschiedliche Zivilpersonen, die sich alle durch den Krieg und politische Entscheidungen in den nunmehr 4 Besatzungszonen Deutschlands aufhielten. Dazu zählten vor allem ehemalige Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und auch andere Arbeitskräfte, die mehr oder weniger freiwillig während der Kriegsjahre nach Deutschland gekommen waren. Ziel der Alliierten war es, ihnen so bald wie möglich eine Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen. Sie lebten in dazu von den Alliierten geschaffenen Auffanglagern und es war für die Alliierten eine erhebliche Belastung, diesen Personenkreis mit Verpflegung und Kleidung zu versorgen. Ein sowjetisch-amerikanisches Rückführungsabkommen vom 11. Februar 1945 hatte festgelegt, dass alle DPs, die in den zu besetzenden Gebieten vorgefunden wurden, in ihre Heimat zurückgeführt werden sollten. Auch mit Frankreich wurde ein solches Übereinkommen getroffen. Bis Herbst 1945 waren ca. 4,6 Mio. Displaced Persons aus den westlichen Besatzungszonen in ihre Heimatländer zurückgeführt worden, davonüber 2 Mio. in die Sowjet-Union. Anfangs duldeten die Westalliierten die zwangsweise Rückführung der sowjetischen DPs mit allen Konsequenzen für die Betroffenen, erkannten aber bald die Brisanz der Vereinbarungen und nahmen davon Abstand. Unter den aus den Westzonen repatriierten und unter den verbliebenen ca. 1,2 Mio. DPs befanden sich viele Personen, die mit der deutschen Besatzungsmacht einvernehmlich zusammengearbeitet hatten und die nun bei einer Rückkehr in die Sowjet-Union mit erheblichen Schwierigkeiten – bis hin zu Todesurteilen oder einer Verbannung nach Sibirien – rechnen mussten. Auch für einige Polen galten bei einer Rückkehr in das nun kommunistische Polen gleiche Probleme. Die sowjetische Seite hingegen bestand jedoch auf dem Abkommen. Schließlich legte eine UN-Resolution vom Februar 1946 die Freiwilligkeit der Repatriierung fest.
Die überwiegende Mehrheit der DPs betrachtete Deutschland nur als Zwischenstation, ließ sich entweder bereitwillig in die Heimat zurückführen oder wanderte - als sich entsprechende Emigrationsmöglichkeiten ergaben – z. B. in die USA, nach Kanada oder Australien aus. Geblieben sind jene, die sich bereits in Gemeinden außerhalb der Lager niedergelassen, etwa kleine Läden eröffnet hatten oder z. B. im Bergbau einen gut bezahlten Arbeitsplatz fanden.[2]
Da die Rückführung oder Auswanderung nicht so einfach war, wie zunächst gedacht, verblieben auch nach 1950, als die verbliebenen Lager von deutschen Behörden übernommen wurden, noch eine beträchtliche Zahl DPs in Deutschland, die man nun als „heimatlose Ausländer“ bezeichnete. Wie viele polnische oder polnisch-stämmige Personen darunter waren ist nie genau ermittelt worden. Es ist aber davon auszugehen, dass auch sie in den folgenden Jahrzehnten in der deutschen Gesellschaft assimiliert wurden.
6.2 Die Zeit von 1950 bis zur Wende 1989/1990
6.21 Aussiedler, Spätaussiedler, Flüchtlinge, Emigranten
Um eine Entvölkerung
der von Polen übernommenen deutschen Ostgebiete zu vermeiden, aber auch aus
wirtschaftlichen Gründen (Beispiel Fachleute im oberschlesischen Bergbau) und
aus nationalpolitischen Gründen wurde sogenannte Autochthone aus ihrer Heimat
nicht vertrieben oder ausgewiesen. Dazu zählten all diejenigen, die der
polnische Staat als zum Polentum gehörige Mitglieder reklamierte, auch um den
Anspruch auf die „neu gewonnenen Westgebiete“ zu untermauern. Dazu setzte der
neue polnische Staat sogenannte Verifizierungskommissionen an, die eine
mögliche polnische Abstammung prüften, wobei ihnen oft schon eine polnisch
klingender Nachname und eine Treueerklärung für Polen ausreichte. In Anbetracht
der wirtschaftlichen Not und der Diskriminierung alles Deutschen wählten viele
Oberschlesier, Masuren, Kaschuben und auch manche Deutsche mit geringen
Polnisch-Kenntnissen den Weg der
Verifizierung, um in der Heimat bleiben zu können. Nach polnischen Angaben
wurden so bis zum 1. April 1948 ca. 1
Million Menschen als polnische Bürger verifiziert. Etwa 170.000 verbliebene
Deutsche, die sich nicht verifizieren ließen wurde 1951 die polnische
Staatsangehörigkeit verliehen. Insgesamt wohnten nach 1950 entsprechend
polnischen Angaben ca. 1,4 Millionen
Autochthone in den neuen polnischen Westgebieten und ca. 250.00 Angehörige der
nun anerkannten deutschen Minderheit.
Ab 1955 wurde durch
Vermittlung des Roten Kreuzes eine Familienzusammenführung ermöglicht, in deren
Rahmen kamen bis 1959 ca. 250.000 Deutsche bzw. Polen die sich zur deutschen
Kultur bekannten in die Bundesrepublik bzw. nach Westberlin und ca. 40.000 in
die DDR.[3]
Mit Hinweis auf diese
Auswanderung und den Wegzug weiterer polnisch/deutscher Emigranten stellte der polnische Staat ab 1960 jegliche
Kulturförderung für die deutsche Sprache ein. Alle Kinder und Jugendlichen
besuchten nur noch polnische Schulen und deutsch durfte in der Öffentlichkeit
nicht gesprochen werden. Die Hoffnung des polnischen Staates auf rasche
Eingliederung der sogenannten Autochthonen in das polnische Volk erfüllten sich
jedoch nicht. Die Zeit der Eroberung durch die Rote Armee, die folgenden
Plünderungen und das Verhalten der polnischen Zuwanderer blieben als negative
Ereignisse im kollektiven Gedächtnis, zumal sich viele Oberschlesier nicht als
befreite Polen, sondern als Deutsche fühlten. Zur Abgrenzung von „den Polen“
wurde der schlesische Dialekt gesprochen, um sich bei Verbot der deutschen
Sprache als Einheimische abzugrenzen.[4]
In der folgenden
Generation konnten wegen fehlender Möglichkeiten viele Kinder dieser
Autochthonen kein, oder nur mangelhaftes Deutsch sprechen und viele von ihnen
fühlten sich nun als Polen.
6.22 Wiederstand gegen Stalinismus und Volksdemokratie
Nach Stalins Tod 1953
und dem Ende stalinistischen Terrors macht sich in der polnischen Bevölkerung
immer wieder Unmut über die politische und wirtschaftliche Entwicklung
bemerkbar, so in einem gewaltsam niedergeschlagenen Streik und Massendemonstrationen
im Juni 1956. Auch eine gemäßigtere Politik unter Parteichef Gomulka konnte die Unzufriedenheit der polnischen
Bevölkerung über die schwieriger werdenden Lebensverhältnisse nicht mindern.
Nach dem Prager Frühling 1968 wurde eine Studentendemonstration von den
Sicherheitsorganen gewaltsam niedergeschlagen. Im Westen wurden die
Arbeiter-Aufstände in den Jahren 1976 und 1978 und die Gründung eines
überbetrieblichen Streikkomitees 1980 besonders bekannt. Hieraus ging die
unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc hervor, ein maßgeblicher Vorreiter für den Umbruch im
Ostblock. Vorher war aber noch gewaltigen Widerstand der kommunistischen
Machthaber zu überwinden.[5]
Die geschilderten
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, das 1981verhängte Kriegsrecht,
politische Verfolgung und gleichzeitig wirtschaftliche Not sowie die
Unterdrückung aller Widerstände gegen die kommunistische Herrschaft führten in
den Jahren bis zur Wende 1989 zu einer beträchtlichen Flucht von unzufriedenen und
verfolgten Polen. Viele sogenannte Autochthone erinnerten sich nun an ihre deutschen Vorfahren. Überall
in Polen und besonders in den ehemaligen deutschen Ostgebieten steckten
„Beweise“ für die Abstammung von Deutschen hinter Bilderrahmen und in
Schubladen – wie eine Versicherung für schlechte Zeiten.[6]
Solche Beweisstücke für eine deutsche Abstammung waren Eintragungen in die
sogenannte Volksliste Gruppe 3 und auch
4. Diese deutsche Volksliste (DVL) regelte die Staatsbürgerschaft
(Eindeutschung) in den nach dem
Polenfeldzug 1939 annektierten polnischen Gebieten. Wer in Polen vor dem 1. 9.
1939 sich im „Volkstumskampf aktiv für das Deutschtum“ eingesetzt hatte gehörte
zur Gruppe 1, wer ohne besondere Aktivitäten „sein Deutschtum nachweislich
bewahrt hatte“, gehörte zur Gruppe 2. Wer diesen beiden Gruppen zugerechnet
wurde, erhielt automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Zur Gruppe 3
gehörten nach Ansicht der nationalsozialistischen Machthaber „deutschstämmige Personen“, die im Laufe der
zurückliegenden Jahre Bindungen zum Polentum eingegangen waren und
Bevölkerungsgruppen, die zwar eine slawische Haussprache hatten, zur deutschen
Kultur aber eine eindeutige Präferenz zeigten. Gemeint waren damit eindeutig
Kaschuben, Masuren, Oberschlesier und viele Polen aus dem Bereich Danzig-Westpreußen.
Zur Gruppe 4 gehörten schließlich eindeutschungsfähige Personen, die nach
Meinung der Nazis ursprünglich deutschstämmig waren, aber im Polentum
aufgegangen waren. Im Januar 1944 waren insgesamt 2,75 Millionen Menschen in
der DVL erfasst worden, davon allein 1.678.000 in der Gruppe 3. Angehörige
(Nachkommen) der Gruppen 1 und 2 ohnehin, aber auch der Gruppen 3 und 4
erhielten als Spätaussiedler bei einer Übersiedlung in die Bundesrepublik
Deutschland relativ schnell und unkompliziert die Deutsche Staatsbürgerschaft
verliehen, da sie entsprechend dem Staatsbürgerschaftsrecht der Bundesrepublik
als deutsche Staatsbürger galten. Wie viele Personen sich auf die DVL bei der
Einwanderung beriefen ist statistisch nicht erfasst worden, wird aber oft
bestätigt.[7]
Emilia Smechowski schreibt dazu in
ihrem Buch „Wir Strebermigranten“: „Wir hatten dieses besondere Ticket. Wir
waren komplett polnisch, hatten überhaupt keine deutsche Sozialisation, aber
der Opa meiner Mutter ist auf der deutschen Volksliste gelandet und hat auf
deutscher Seite im Krieg gekämpft. Und dadurch hatten wir sozusagen einen
Vertriebenenstatus, einen Aussiedlerstatus bekommen.“ Aufgrund dieser
geschichtlichen Gegebenheit bekam ihre
Familie innerhalb des ersten Jahres den
deutschen Pass, der nach ihrer heutigen Sicht den Druck auf ihre Eltern
erhöhte, sich besonders anzupassen und sich zu den „Deutschesten im ganzen
Land“ zu entwickeln.[8]
6.23 Entspannungspolitik und neue Ausreisewelle
Ende der 1960er-Jahre
änderten die Westmächte und auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
ihre Politik gegenüber dem kommunistischen, von der Sowjet-Union geführten,
Ostblock. Aufgrund dieser flexibleren Politik wurde am 7. 12. 1970 der
deutsch-polnische Vertrag geschlossen, der eine Normalisierung der Beziehungen
einleiten sollte. Nach und nach änderte sich die öffentliche Meinung in der
Bundesrepublik hin zu einer realistischen Betrachtung der Lage in Polen, wo
inzwischen eine Generation neuer polnischer Bewohner in den ehemals deutschen
Ostgebieten herangewachsen war. Zwar nicht endgültig aber faktisch wurden mit dem
deutsch-polnischen Vertrag die Grenzen an der Oder und Neiße auch von
bundesdeutscher Seite anerkannt, was die DDR auf sowjetischen Druck hin bereits
1950 vollzogen hatte. Für die Vertriebenen und Flüchtlinge schwand damit
natürlich die Hoffnung auf eine evtl. Rückkehr in die Heimat.
Für die verbliebene
deutsche Minderheit verbesserte der Warschauer Vertrag von 1970 aber die
Möglichkeiten der legalen Ausreise in die Bundesrepublik. Der Vertrag erlaubte
Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit und auch deren polnischen
Eheleuten und Familienmitgliedern die Ausreise. Die polnische Regierung
erkannte damit indirekt an, dass nach wie vor viele Deutsche auf ihrem
Staatsgebiet lebten, was der offiziell vertretenen Meinung widersprach. Sie
ging allerdings fälschlicherweise zunächst davon aus, dass es sich nur um
einige Zehntausende handelte, die ausreisewillig waren. Neutrale Beobachter
gingen jedoch von bis zu 1,5 Millionen Menschen aus, die Ende 1970 für eine
Ausreise in Betracht kamen.[9]
Besondere Schwerpunkte der Ausreisewilligen waren die
Bereiche Oberschlesien und Masuren. Die Masuren galten
als so genanntes "unsicheres Element" unter den Bürgern der
Volksrepublik Polen und sie wurden von der kommunistischen Regierung mit
Misstrauen behandelt. Sie galten als Deutsche und waren als solche staatlichen
Schikanen ausgesetzt. Infolgedessen emigrierten in den siebziger Jahren des 20.
Jahrhunderts ca. 160.000 Masuren in die Bundesrepublik. Viele von ihnen wurden
vom polnischen Staat ausgewiesen.[10] Dafür spricht auch, dass die masurische Sprache
im heutigen Polen praktisch ausgestorben ist.[11]
Ähnlich erging es vielen
zweisprachigen Oberschlesiern. Bei der Betrachtung
der Zuwanderer aus Polen, vor allem aus Schlesien, muss man auch das Problem
des sog. schwebenden Volkstums bedenken bzw. die frühere kulturelle
Verbundenheit masurischer, kaschubischer und schlesischer Bewohner der
Ostgebiete mit den Deutschen. Bei den sogenannten Spätaussiedlern (nach 1970)
gab es deshalb auch zunehmend Sprachprobleme, weil die Jüngeren (unter 40)
keine deutsche Schule besuchen konnten, Deutsch in der Öffentlichkeit verboten
war und sie sich in ihrem Umfeld des Polnischen als Verkehrssprache bedienen
mussten. Bei den Älteren waren zwar noch Deutschkenntnisse vorhanden, aber es
fehlten oft Kenntnisse des Deutschen beim Schreiben und Lesen. Deshalb
gestaltete sich ihre Integration schwieriger als bei den Flüchtlingen der
ersten Nachkriegsjahre. Mancher der jüngeren Aussiedler hatte daher auch
Identifikationsprobleme. In Polen fühlte man
sich als Deutsche(r), in Deutschland angekommen wurde man als Pole/Polin
wahrgenommen und fühlte sich dann auch so. Aber auch diese Schwierigkeiten
wurden relativ schnell überwunden, wie nachstehend noch zu berichten ist.
Zweifellos waren es
oft wirtschaftliche und nicht kulturelle Gründe, die die Spätaussiedler veranlassten,
nach Deutschland über zu siedelten. Mit ihnen kamen aber auch ethnische Polen
als Ehegatten und deren gemeinsame Kinder. Hinzu kamen noch ethnische Polen als
politische Flüchtlinge und Emigranten, vor allem in der Zeit der polnischen
Aufstände und der Solidarnosc-Demonstrationen. Nach Angabe der polnischen
Botschaft in Deutschland sind von 1956 bis 1980 etwa 800.000 Polen in die USA
und nach Westeuropa ausgewandert, in den 1980er-Jahren weitere 270.000, davon
viele sogenannte Solidarność-Emigraten. Wie viele
davon nach Deutschland kamen wird nicht angegeben.[12]
6.24 Eingliederungspraxis bei Spätaussiedlern
In der Regel bekamen
Spätaussiedler sofort die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt. Von Bedeutung für diese Aussiedler / Migranten
aus Polen war und ist das aus dem Grundgesetz
ableitbare deutsche Verfassungsrecht. Nach
Art. 116 GG gilt jede Person, „deutscher Volkszugehörigkeit oder dessen
Ehegatte oder Abkömmling, der in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem
Stande vom 31. Dezember 1937 gelebt oder Aufnahme gefunden hat“, heute noch als
Deutscher. Daraus ergibt sich, dass die in den Oder-Neiße-Gebieten
lebenden früheren deutschen Staatsbürger und ihre Nachkommen weiterhin die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Da nur die Staatsbürgerschaft und nicht
ethnische Kriterien zugrunde gelegt wurden, sind also auch die mehr als eine
Million Masuren, Kaschuben, Schlesier aber auch Polen, die im Deutschen Reich in den Grenzen von
1937 als anerkannte Minderheit lebten, und ihre Nachkommen Deutsche im Sinne
des Grundgesetzes.[13]
Da es sich aber bei
der früheren polnischer Minderheit nach polnischem Recht um polnische
Staatsangehörige handelt und diese Staatsangehörigkeit auch nach der Ausreise
nicht verloren ging, sind die meisten ethnischen Polen heute Doppelstaatler.
6.3 Heutige Situation der Polen in Deutschland
6.31 Zahlen
und Identitäten
Nach einer Statistik
des Bundesverwaltungsamtes Köln kamen in der Zeit von 1951 bis 2000 fast 1,5
Millionen Aussiedler aus den ehemaligen
deutschen Ostgebiete in die Bundesrepublik und die DDR. Zu den Aussiedlern
kamen weitere Migranten und Flüchtlinge aus Polen, insbesondere aufgrund der
dortigen schlechten Wirtschaftslage und der Verfolgung von Regimegegnern.
Dabei ist jedoch zu
bedenken, dass es sich bei der großen Zahl dieser Zuwanderern (meist
Spätaussiedler) keineswegs um eine
einheitliche ethnische Gruppe handelte.
Bild 26:
Übersichtstabelle Migranten aus Polen nach 1950
Bei der Definition,
wer ist Pole, wer ist Deutscher, gab und gibt es bis heute sehr
unterschiedliche Definitionen. Die verschiedenen Kriterien, wie z. B.:
> polnische
Staatsbürgerschaft,
> deutsche
Staatsbürgerschaft
> polnische
Muttersprache,
> deutsche
Muttersprache
> masurische,
kaschubische, schlesische Muttersprache
> Bekenntnis zur polnischen
oder deutschen Sprache und Kultur
> Nachkommen von
deutschen Staatsbürgern aus den Ostgebieten in den
Grenzen von 1937 und deren Eheleuten
Nach den Angaben des
Statistischen Bundesamtes Stand 2016 über Personen mit Migrationshintergrund
(siehe nachstehende Grafik) haben knapp
1,9 Millionen Menschen in Deutschland einen polnischem Migrationshintergrund. Die Zahl der Personen mit ausschließlich polnischer
Staatsbürgerschaft lag zum 31.12. 2017
bei 870.000 und war damit im Vergleich zum Vorjahr nochmals um 10,7% gestiegen.
Demgegenüber nam die Zahl der Einwohner mit ausschließlich türkischer
Staatsbürgerschaft sogar um 0,6% ab( auf
1.480.000)[14]
Bild 27:
Bevölkerung_Migrationshintergrund 2016
Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 700.000 Menschen polnischer Abstammung bzw. mit
polnischem Migrationshintergrund heute im Ruhrgebiet
leben, also mehr als vor dem 1. Weltkrieg. Davon haben laut Regionalstatistik
Ruhr ca. 60.600 nur die polnische Staatsbürgerschaft. Im gesamten Ruhrgebiet
liegt die Ausländerquote von rund 13 Prozent nur unwesentlich über dem
NRW-Schnitt von 12,8 Prozent. Anders ausgedrückt: Im Revier leben zwar viele
ausländische Mitbürger (rund 665 000), aber im Vergleich zu anderen Ballungsräumen
ist die Region mit der in Deutschland ausgeprägtesten Zuwanderungsgeschichte
keineswegs eine aus dem Rahmen fallende multikulturelle Hochburg. Anders als
vor dem 1. Weltkrieg sind Polen – wie in Gesamtdeutschland – auch hier die
zweitstärkste Migrantengruppe (nach den Türken), anders als zur Zeit vor dem 1.
Weltkrieg gibt es aber keine polnischen Siedlungszentren mehr, sondern es liegt
eine weit gestreute Ansiedlung vor, was eine Integration naturgemäß besonders
fördert.[15]
Hinzu kommt in ganz Deutschland eine
nicht genau zu bestimmend Zahl von polnischen Saisonarbeitern in der Bau- und
Landwirtschaft und von Frauen in Pflegeberufen. Ohne diese Arbeitskräfte besonders in der Landwirtschaft und in der häuslichen Pflege alter und kranker Menschen hätten wir in Deutschland große Probleme. Wer sich über polnische Pflegekräfte in Deutschland weiter informieren möchte, dem empfehle ich diese Internetseite:
6.32 Polnische Zuwanderer gut integriert
Dabei fällt auf, dass diese große Gruppe mit polnischem Migrationshintergrund – die größte nach den Türken - in der deutschen Öffentlichkeit kaum in Erscheinung tritt. Polen gelten heute in der deutschen Gesellschaft als eher "unsichtbar und unauffällig". Gemeint ist damit, dass Polen allgemein als so gut integriert gelten, dass sie nicht im Sinne von Integrationsproblemen auffallen. Darauf weisen eine große Zahl von Veröffentlichungen hin, von denen ich hier einige zusammengestellt habe. Die Welt vom 27. 4. 2001 titelte einen entsprechenden Artikel: „Man spricht Deutsch – und fällt nicht auf“.Bild 28: Polen nach 1945 unauffällig
Der
Grund liegt hauptsächlich darin, dass sich viele Spätaussiedler als Deutsche
fühlten oder übergesiedelte Polen zumindest vorgaben, Deutsche zu sein, um nach
1950 ausreisen zu können. Es gibt viele Berichte besonders von Nachkommen
dieser Zuwanderer, wie sehr die Eltern darauf achteten, dass die Kinder schnell
deutsch lernten und in der Schule sich besonders anstrengen sollten. Darüber
schrieb Emilia Smechowski das Buch „Wir Streber-Migranten“. (siehe
Abschnitt…Anmerkung 60) Das Ergebnis sehen wir auch bei einem Vergleich der
Schulabschlüsse von Migrantenkinder. Dabei schneiden Jugendliche mit polnischem
Migrationshintergrund bei weitem am besten ab. Fast zwei Drittel der in
Deutschland lebenden Polen verfügen über eine mittlere oder hohe Schulbildung,
dagegen schneiden besonders Türken, aber auch Italiener und Migranten aus dem
ehemaligen Jugoslawien wesentlich schlechter ab. Dieses Bildungsgefälle hat
natürlich auch Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Folge bei der
schnelleren Integration.[16]
29 Schulabschlüsse-Migranten 2010
Ein
weiterer Vorteil, der die Integration von Migranten aus Polen fördert, ist
sicherlich der christliche, meist katholische Glaube. Da er heute ungehindert
gelebt werden kann, ergeben sich auch daraus keine Konfliktstoffe. Dazu hat die
katholische Kirche der Nachkriegszeit einen wichtigen Beitrag geleistet. In
vielen Städten des Ruhrgebiets und weit darüberhinaus werden regelmäßige Gottesdienste
in polnischer Sprache angeboten, wovon auch reger Gebrauch gemacht wird. So
gibt es in Essen eine eigene polnische Pfarrgemeinde, die Kirche
Clemens-Maria-Hofbauer in Essen-West.
Sonntags
ist die Kirche in drei Hl. Messen bis in die letzten Reihen besetzt, das
bedeutet ca. 1400 Kirchenbesucher! Auch die täglichen Messen an Werktagen
werden gut besucht – von mindestens 100 Gläubigen. Allerdings plant das Bistum
Essen den Abriss dieser Kirche und die polnischsprachigen Gläubigen wissen
heute noch nicht, wo es dann für sie Ersatz gibt. Auch in Bottrop finden in der
Herz-Jesu-Kirche regelmäßig polnische Gottesdienste statt, die von der
Polnischen Katholischen Mission in Bochum betreut werden.
Insbesondere der Bund der Polen in Deutschland fordert von Zeit zu Zeit die Anerkennung der Polen in Deutschland als nationale Minderheit. Sie verweisen dabei auf den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag und fordern zudem mehr Polnisch-Unterricht an deutschen Schulen. Nach Ansicht der Bundesregierung kann den in Deutschland lebenden Polen im Gegensatz zur alteingesessenen autochthonen deutschen Minderheit in Polen – nach deutschem Recht und dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates vom 1. Februar 1995 nicht der Status einer nationalen Minderheit zuerkannt werden. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die in Deutschland lebenden Polen auch im Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag nicht als nationale Minderheit bezeichnet werden. Das Hauptproblem besteht darin, dass fast alle Polen oder deren Vorfahren durch Migration in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingewandert und somit keine alteingesessenen Bewohner sind. Außerdem leben sie nicht in einem zusammenhängenden Siedlungsgebiet wie die Polen in den Ostgebieten nach 1918. Unabhängig von der Anerkennung als Minderheit stünden den deutschen Staatsbürgern polnischer Abstammung aber alle bürgerlichen und politischen Rechte zu und damit auch die Möglichkeit der Pflege der eigenen Kultur und Muttersprache[19]
6.33 Bund der Polen in Deutschland
Über den Besuch katholischer Gottesdienste in polnischer Sprache hinaus besteht bei der Mehrzahl der polnisch-stämmigen Migranten ganz offensichtlich kein großes Interesse an einem Engagement in den durchaus vorhandenen polnischen Verbänden oder Organisationen. Davon gibt es in Deutschland ca. 100, nach Angaben der polnischen Botschaft sogar 170. Darin organisiert ist jedoch nur eine kleine Minderheit. Im neu gegründeten Bund der Polen in Deutschland gibt es nach eigenen Angaben nur rund 1.000 Mitglieder und weitere 2 – 3.000 Angehörige und Sympathisanten.[17] Neben dem Bund der Polen in Deutschland mit Sitz an der historischen Stätte in Bochum gibt es noch einen Kongress der Polen in Deutschland, ein Katholisches Zentrum zur Förderung der Polnischen Sprache und Kultur, den Bundesverband Polnischer Rat in Deutschland als Dachverband von 11 Landesverbänden und verschiedenen Berufsverbänden sowie einen weiteren Bund der Polen in Deutschland „Zgoda e.V.“ mit Sitz in Recklinghausen. Diese polnischen Organisationen sind oft untereinander zerstritten und daher auch nicht besonders durchsetzungsfähig. Die vorgenannten 5 Dachorganisationen haben 1998 einen Konvent der Polnischen Organisationen in Deutschland gegründet, um gemeinsame Interessen gegenüber deutschen und polnischen Behörden zu vertreten.[18]Insbesondere der Bund der Polen in Deutschland fordert von Zeit zu Zeit die Anerkennung der Polen in Deutschland als nationale Minderheit. Sie verweisen dabei auf den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag und fordern zudem mehr Polnisch-Unterricht an deutschen Schulen. Nach Ansicht der Bundesregierung kann den in Deutschland lebenden Polen im Gegensatz zur alteingesessenen autochthonen deutschen Minderheit in Polen – nach deutschem Recht und dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates vom 1. Februar 1995 nicht der Status einer nationalen Minderheit zuerkannt werden. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die in Deutschland lebenden Polen auch im Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag nicht als nationale Minderheit bezeichnet werden. Das Hauptproblem besteht darin, dass fast alle Polen oder deren Vorfahren durch Migration in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingewandert und somit keine alteingesessenen Bewohner sind. Außerdem leben sie nicht in einem zusammenhängenden Siedlungsgebiet wie die Polen in den Ostgebieten nach 1918. Unabhängig von der Anerkennung als Minderheit stünden den deutschen Staatsbürgern polnischer Abstammung aber alle bürgerlichen und politischen Rechte zu und damit auch die Möglichkeit der Pflege der eigenen Kultur und Muttersprache[19]
6.34 Andere polnische Aktivitäten
An weiteren polnischen Vereinsaktivitäten ist zu vermerken, dass es in verschiedenen deutschen Städten polnische Sportvereine – meist Fußballvereine gibt. So z. B. in Bottrop den FC Polonia Bottrop, der nach eigenen Angaben zwar durch polnisch-stämmige Spieler geprägt wurde, in dem heute aber Polen und Deutsche gemeinsam spielen und die Umgangssprache deutsch ist und das Vereinslied selbstverständlich in deutscher Sprache gesungen wird.[20] Weitere Vereine mit dem Namen FC. Polonia gibt es in Berlin, Wuppertal, Hagen, Ulm, Hannover u.a.Als Beispiel für viele weitere polnische Aktivitäten möchte ich den Polnischen Kreis „Piast“ in Essen anführen. Er ist einer von den über 100 polnischen Vereinigungen in Deutschland, die sich regional darum bemühen, den polnisch-stämmigen Menschen in Deutschland einen guten Übergang von der einen in die andere Welt zu ermöglichen. Im Verein trifft man sich mit Landsleuten, spielt und singt miteinander polnische Volkslieder und Schlager. Der Verein Piast hat es sich zum Ziel gesetzt, die Selbsthilfeaktivitäten der Mitglieder zu bündeln, um die Integration zu fördern und die Sprachbarriere zu überwinden. Ausdrückliches Vereinsziel ist die Förderung der Verständigung zwischen Polen und Deutschen. Insbesondere die Generation, die vor 1990 nach Deutschland kam, stellt bei den Treffen fest, dass man selbst oft nicht weiß, ob man mehr Pole oder Deutscher ist und bemerkt, das die eigenen Kinder diese Probleme nicht mehr haben, weil sie sich schon ausschließlich als Deutsche fühlen. Daneben gibt es aber auch Polen, die sich selbstbewusst zu ihren Wurzeln bekennen. So z. B. das „Danziger“ oder besser „Gdanska“, ein Kultur-Restaurant in Oberhausen, 2000 von Maria und Czeslaw Golebiewski gegründet, das seinen Gästen Vorträge, Bühnenauftritt und Ausstellungen polnische Künstler anbietet, wo aber auch deutsche Künstler auftreten.[21]
Auf einen besonders skurrilen Verein möchte ich abschließend noch hinweisen: den Club der polnischen Versager mit Sitz in Berlin, gegründet 1994 und seit 2000 im Vereinsregister eingetragen. Er gibt eine eigene Zeitschrift „Kolano“ heraus und hat sich der Kunst, dem Theater und – wie der Name aussagt – der Satire verschrieben. Seit 1998 gibt es im Radio (Radio multikulti / RBB und aktuell im Funkhaus Europa / wdr/rbb) die Satiresendung “Gaulojzes Golana”, in der die polnischen Versager satirisch das deutsch-polnische Leben bearbeiten.[22]
6.4 Fazit zum Abschnitt C
Zusammenfassend kann
ich also feststellen: die heute in Deutschland lebenden Mitbürger mit
polnischem Migrationshintergrund sind durchweg gut integriert, ganz im Gegensatz
zu der Mehrheit der Ruhrpolen, die bis zum Ende des 1. Weltkriegs im Ruhrgebiet
lebten. Die heute hier lebenden Polen - auch die vielen Saisonarbeiter(innen)
und Pflegekräfte - sind völlig unauffällig in der Gesellschaft, werden
anerkannt und bereiten praktisch keine Probleme. Sie erbringen einen wichtigen
Beitrag zur deutschen Wirtschaftsleistung und zum gegenseitigen Verständnis der
deutschen und polnischen Kultur. Sie sind aus dem deutschen Alltagsleben nicht
mehr wegzudenken.
Um diese Meinung zu
unterstreichen, möchte ich abschließend aus
dem Blog einer polnischen Migrantin zitieren, was sie zum heutigen
deutschen-polnischen Verhältnis meint:
„Erstens, ist für
mich das, was die Deutschen im 2. Weltkrieg gemacht hatten, längst Geschichte - man sollte
irgendwann, meiner Meinung nach, darunter einen Schlussstrich ziehen und
aufhören, sich für die schlimmen Sachen, für die man selbst nicht
verantwortlich ist, zu entschuldigen. Ich bin außerdem kein Ansprechpartner
dafür, weil kein Opfer. Zweitens will ich,
dass wir zusammen in die Zukunft schauen - die Geschichte können wir nicht ändern, die Gegenwart und die Zukunft
können wir dagegen beeinflussen.
Zugegeben, es gibt in
Polen immer noch Politiker und "normale" Menschen, die eine Gefahr in
Deutschland sehen, die bei jeder Gelegenheit zu diesen Themen zurückkehren. Mit
ihnen möchte ich auf gar keinen Fall identifiziert werden.“[23]
Dem kann ich mich nur
anschließen und als Deutscher sagen, dass ich die Vorurteile mancher Deutscher
gegenüber Polen nicht nachvollziehen kann, dass ich die Vertreibung von
Millionen Deutschen aus ihrer angestammten Heimat und alles damit verbundene
Unrecht als nicht zurück drehbare Geschichte betrachte und ich mich freue, dass
wir heute im Gegensatz zur Zeit meiner Großeltern so gut mit den
polnisch-stämmigen Zuwanderern wie auch den Saisonarbeitern zusammen leben.
Anmerkungen zu Abschnitt A (Kapitel 1 - 4)
[5] Richard C. Murphy “Gastarbeiter im
Deutschen Reich – Polen in Bottrop 1891-1933“
[6] http://www.zeit.de/2010/50/Polen-Ruhrgebiet/komplettansicht und Oliver
Trevisiol „Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871 – 1945“
(Dissertation 2004)
[7] Christian Hagemann: Ruhrgebietsdeutsch
(Linguistik-Server Essen)
[9]
Wie Anmerkung 7
[11]
Quelle: Bericht über den Stand der
Polenbewegung im rheinisch-westfälischen Industriebezirk vom 6. Mai 1910; HStAD
Regierungsbezirk Düsseldorf, Politische Akten, Politische Wahlvereine und
politische Vereine, Polensachen, Sign. 16019, S. 188191; HStAD Regierungsbezirk
Düsseldorf, Politische Akten, Politische Wahlvereine und politische Vereine,
Polensachen
[12]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“ - Fremdsprachige Minderheiten im Deutschen Reich, www.verwaltungsgeschichte.de -
https://de.wikipedia.org/wiki/Hultschiner_Ländchen
https://de.wikipedia.org/wiki/Hultschiner_Ländchen
[13]
http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html und Marian Brudzisz „Die Polenseelsorge der
polnischen Redemptoristen in Deutschland“ 2007, S. 109-161 auch als pdf
[14] http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html
[16]
www.verwaltungsgeschichte.de
– Promotion Michael Rademacher, Dissertation Universität Osnabrück – Homepage
Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 – 1990, 2006 – Quelle Statistik des
Deutschen Reichs. Band 150: Die Volkszählung am 1. 12. 1900 im Deutschen Reich.
Berlin 1903
[17]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“ und http://www.kab-nikolaus-gross.de/index.php/wer-sind-wir/herz-jesu
und http://www.pragerzeitung.cz/index.php/home/reisen/19273-zu-uns-gehoert-ihr-eurem-geiste-nach
und
htttp://www.route-industriekultur.ruhr/themenrouten/26-sakralbauten/herz-jesu-kirche-bottrop.html
[18]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“ - "Borbecker Beiträge" 21. Jahrgang Nr. 1/2005
[20]
ANDREAS KOSSERT „Echte Söhne Preußens“ -
Die polnischsprachigen Masuren in Westfalen und ihre Frömmigkeit - pdf
wz-9036
[21]
http://www.porta-polonica.de/de/node/174
[22]
http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html
[23]
Zitiert nach Christoph Kleßmann „Die polnische Parallelgesellschaft“ in „Die
Zeit“ Nr. 50/2010
[25] http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Polnische_Berufsvereinigung
[26] http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html - und Jenseits
des Guten und Schönen – Unbequeme Denkmale – zum Tag des offenen Denkmals 8. 9.
2013 www.bochum.de
ISBN: 978-3-8093-0292-6
[27] http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html
[28] http://www.kortumgesellschaft.de/index.php/zeitpunkte-heft-172004-kuznia-bochumska-die-bochumer-kader-schmiede.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Polnische_Fraktion
sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Polnische_Nationaldemokratische_Partei
und https://www.deutscheundpolen.de/info/projekt_jsp.html
[29]
Wie vor und Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in
Bottrop 1891-1933“ S. 96
[31]
Zitiert nach Christoph Kleßmann „Die polnische Parallelgesellschaft“ in „Die
Zeit“ Nr. 50/2010
[32]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“
[34]
Wie vor, Anmerkung 29
[35]
Sylvia Haida „Die
Ruhrpolen Nationale und konfessionelle
Identität im Bewusstsein und im Alltag
1871-1918“ Dissertation Bonn, 2012, S. 316/317
Anmerkungen zu Abschnitt B (Kapitel 5)
[1]
Historischer Verein Herne / Wanne-Eickel
[5]
Tagungsbericht „Polen im Ruhrgebiet 1870 - 1945“ - Deutsch-polnische Tagung.
06.11.2003–09.11.2003, Bochum, in: H-SozKult 14.12.2003
[6]
Thomas Urban „Der Verlust“ – Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20.
Jahrhundert“ S.39
[7]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“, S.98
[8]
Tagungsbericht „Polen im Ruhrgebiet 1870 - 1945“ - Deutsch-polnische Tagung. 06.11.2003–09.11.2003,
Bochum, in: H-SozKult 14.12.2003
[10]
https://de.wikipedia.org/wiki/Polnische_Berufsvereinigung
[13]
Christoph Kleßmann: „Die polnische Parallelgesellschaft“ in der Zeit Nr.
50/2010 - http://hu-bildungswerk.de/medien/online-archiv/
Susanne Sitzler: Die Kowalskis sind die Müllers des Ruhrpotts. Deutsche und
polnische Jugendliche auf Spurensuche
(2006) - Hellmuth Vensky: „Polen prägten das Ruhrgebiet: Schimanskis
Väter“ in Die Zeit v, 2,3,2010
[14]
www.ruhrgebietssprache.de – Linguistik-Server Essen, Christian
Hagemann: „Ruhrgebietsdeutsch“ - http://www.ruhrgebietssprache.de/polnisch_im_ruhrgebiet.html darin Heinz H. Menge „Über den polnischen Einfluss auf die
Umgangssprache des Ruhrgebiets“
[16]
Richard C. Murphy “Gastarbeiter im Deutschen Reich – Polen in Bottrop
1891-1933“, S.180ff
Anmerkungen zu Abschnitt C (Kapitel 6)
[1]
Jacobmeyer, Wolfgang: Vom
Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer, die Displaced Persons in
Westdeutschland 1945 - 1951, Göttingen, 1985
[2]
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de und Archiv für Sozialgeschichte 42, 2000 - Angelika Eder: "Displaced Persons / Heimatlose Ausländer als Arbeitskräfte in Westdeutschland
[3]
Informationen zur politischen Bildung Nr. 267, 2. Quartal 2000
[4]
wie vor
[5]
Informationen zur politischen Bildung Nr. 273, 4. Quartal 2001
[6]
WAZ vom 29.12.2017 „Die Heimat tragen sie im Herzen: Wie Polen im Ruhrgebiet
leben“
[7]
https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/deutsche-volksliste/
[9]
Informationen zur politischen Bildung Nr. 222, 1. Quartal 1989
[11]
http://mussenstellen.com/
und „Der letzte Masure“ erschienen in „Der Freitag“ v. 5. 7. 2002
[14]
Ausländerzentralregister 31.12.2017
[15]
http://www.metropoleruhr.de/regionalverband-ruhr/regionalstatistik/bevoelkerung/nationalitaeten.html und https://www.derwesten.de/politik/melting-pott-wo-die-auslaender-im-ruhrgebiet-herkommen-id11706497.html [16]
Quelle https://www.welt.de/politik/deutschland/article7222075/Tuerken-sind-die-Sorgenkinder-der-Integration.html Die Welt „Türken sind
die Sorgenkinder der Integration“ C. LauerD.
Siems
[21]
https://piastessen.com/statutsatzung-3/ und Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 29. 12.2017
[22]
https://www.porta-polonica.de/de/node/183#body-place
[23]
http://polschland.blogspot.de/2013/10/klischees-uber-polen-in-deutschland.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen