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3.052 Ostfriesland und die Saterland-Friesen



Geschichte und Sprache

Ein zusammenhängendes friesisches Sprachgebiet gibt es heute nicht mehr. Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung müssen wir heute drei friesische Volksgruppen unterscheiden. Die besondere Geschichte und heutige Situation der Westfriesen in den Niederlanden und der Nordfriesen in Schleswig wird von mir in nachstehenden Posts behandel: 
3.053 die Nordfriesen
Die Früh-Geschichte Gesamt-Frieslands wird unter 3.05 Friesen behandelt. 

Die verschiedenen Bauernrepubliken in Ostfriesland (und zeitweise Westfriesland) wurden unter den Häuptlingen aus dem Hause Cirksena im 15. Jahrhundert geeint. Unter Ulrich I von Cirksena wird Ostfriesland 1464 Reichsgrafschaft. Westfriesland fällt in dieser Zeit an Burgund und scheidet endgültig 1648 im Verbund der Niederlande aus dem Reich aus.
Im 15. – 18. Jahrhundert herrschen in Ostfriesland wie zuvor im gesamtfriesischen Raum fortwährend innere Streitigkeiten (Gegensatz der Landesherren mit den Ständen, insbesondere mit der Stadt Emden, Gegensätze der verschiedenen Konfessionen nach der Reformation, Einfluss der Niederlande). In der Folge gerät es in den Einflussbereich der Welfen und der Hohenzollern bis schließlich am 25. 4. 1744 Ostfriesland aufhört ein selbstständiges Territorium zu sein und unter Friedrich dem Großen in den preußischen Staat integriert wird.
Nach dem Wiener Kongress fällt es zunächst an Hannover, um dann mit Hannover 1866 wieder preußisch zu werden.1

Seit 1946 gehört Ostfriesland zum Bundesland Niedersachsen und war bis 1978 Regierungsbezirk. Seitdem ist es Teil des neugeschaffenen Bezirks Weser-Ems, wodurch diese letzte territoriale Eigenständigkeit verloren ging. Um ostfriesische Belange bemühen sich nun verschiedene Organisationen und Vereine, vor allem die Ostfriesische Landschaft und die Upstalsboom-Gesellschaft.2

Die friesische Sprache wurde in Ostfriesland bereits im 15. Jahrhundert vom Niederdeutschen abgelöst. Bis etwa 1800 wurde sie als Haussprache noch teilweise benutzt, aber dann endgültig vom niederdeutschen verdrängt, wobei einige friesische Elemente übernommen wurden. Neben dem Hochdeutschen ist dieser auf friesischen Rudimenten beruhende niederdeutsche Dialekt auch heute in Ostfriesland noch weit verbreitet und wird von seinen Sprechern als friesisch bezeichnet. So konnte trotz fehlender friesischer Sprache ein ostfriesisches Identitätsgefühl bis heute bewahrt werden.3

Saterland, Saterfriesisch


Paradoxerweise konnte die ostfriesische Sprache in einem kleinen Bereich außerhalb Ostfrieslands überleben, im Bereich der heutigen Gemeinde Saterland. Diese liegt im Nordwesten des Landkreises Cloppenburg und besteht aus den Ortsteilen Scharrel, Ramsloh und Strücklingen. 



 Bild: Karte des früheren Regierungsbezirks Ostfriesland (beige), des Saterlands (violett) und des erweiterten historischen (Ost-)Friesland


Friesen haben sich hier wahrscheinlich zwischen dem 11. und
14. Jahrhundert angesiedelt, nachdem sie durch große Sturmfluten ihre Heimat an der Nordsee aufgeben mussten. Die Gemeinde liegt in einem Moorgebiet und war bis zum 19. Jahrhundert auf dem Landweg nur zu erreichen, wenn in strengen Wintern die Moore zugefroren waren. Diese Isolation hat zweifellos das Überleben des Saterfriesischen begünstigt.4

Unter dem Titel „Saterlandprojekt“ wurde in den Jahren 1994 bis 1996 durch die Zentralstelle für sprachliche Landesforschung an der Universität Göttingen unter der Leitung von Prof. Dr. Stellmacher eine Studie über die Sprachsituation in der Gemeinde Saterland durchgeführt. Die Auswertung der Fragebögen und Interviews ergab, dass von den ca. 12000 Einwohnern der Gemeinde ca. 2000 die saterfriesische Sprache aktiv sprechen, etwa doppelt so viele Menschen können sie verstehen.5 Somit sind die Saterfriesen eine der kleinsten Volksgruppen Europas. Als 1994 eine Delegation des European Bureau for Lesser Used Languages (EBLUL) das Saterland besuchte, war man beeindruckt von der Lebendigkeit des Saterfriesischen.6

Kulturelle Aktivitäten, Kindergarten, Schule


Träger der kulturellen Aktivitäten der Saterland-Friesen ist der Seelter Buund (Heimatverein Saterland). Die Gemeindeverwaltung Saterland fördert nach Kräften alle Aktivitäten hinsichtlich des Gebrauchs der friesischen Sprache. Standesamtliche Trauungen und andere Amtshandlungen kann man auf Wunsch in saterfriesisch durchführen lassen.
An allen 5 Kindergärten des Saterlandes wird wöchentlich eine Stunde Saterfriesisch mit den Kindern gesprochen. An drei von vier Grundschulen und am Schulzentrum Saterland (Sekundarstufe I) wird zwischen ein und vier Stunden Saterfriesisch unterrichtet, wodurch insgesamt 1113 Kinder der Jahrgänge 1 – 6 die Saterfriesische Sprache erlernen. Der Unterricht wird neben voll ausgebildeten Lehrkräften auch durch ehrenamtliche Teilzeit-Lehrkräfte erteilt. In der Erwachsenenbildung bietet das Katholische Bildungswerk Saterland jährlich einen Kurs „Saterfriesisch sprechen und lesen“ über 10 Abende an.7

Veröffentlichungen, Medien und Öffentlichkeit


Eine saterfriesische Schriftsprache ist nicht überliefert, bekannt ist eine Sprichwörtersammlung aus dem Jahre 1901. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde begonnen, sich intensiver mit dieser Kleinsprache zu beschäftigen und Rechtschreibregeln festzulegen. Verdienstvoll ist hier die Tätigkeit von Dr. Marron C. Fort zu nennen, dem Leiter der Arbeitsstelle Niederdeutsch / Saterfriesisch an der Universität Oldenburg. 1980 erschien ein von ihm bearbeitetes saterfriesisches Wörterbuch, dessen 2. Auflage in Vorbereitung ist.

Der Seelter Buund veröffentlicht regelmäßig Schriften über „Saterfriesisches Volksleben“ und hat 2001 drei Mal- und Lesebücher auf Saterfriesisch für junge Saterfriesen im Kindergarten und Grundschulalter herausgegeben. Nur sporadisch erfolgen Berichte in der örtlichen Presse (insbesondere im Generalanzeiger, Rhauderfehn), im Rundfunk oder Fernsehen (NDR 3, N3). Dies ist Folge der kleinen Zielgruppe, obwohl das Land Niedersachsen für entsprechende Produktionen sogar Zuschüsse gewährt.8

In allen Gemeinden des Saterlandes wird der Besucher mit zweisprachigen Ortsschildern begrüßt. Darüber hinaus vermisst man jedoch öffentliche „Bekenntnisse“ zur saterfriesischen Identität (Straßenschilder, öffentliche Anschläge, Bezeichnungen von Gaststätten, Geschäften usw.) Die Internetseite der Gemeinde Saterland informiert über die saterfriesische Sprache, Aktivitäten zu deren Erhalt und veröffentlicht den Liedtext der Saterfriesen und einige Sprichworte auf saterfriesisch.

Zukunft der Volksgruppe


Der bereits erwähnte Germanist Dr. Marron C. Fort stellt in einer Denkschrift für das Saterfriesische fest, dass die Einwohner Ostfrieslands Kulturfriesen, aber keine Sprachfriesen sind. Die Saterfriesen sind Sprachfriesen, haben aber erst nach dem 2. Weltkrieg ihre Identität neu entdeckt und die Verbindung nach Ostfriesland (Ostfriesische Landschaft), sowie über den Friesenrat nach West- und Nordfriesland aufgenommen. Insbesondere Westfriesen fördern Aktivitäten im Saterland, so unterstützen sie eine vom „Seelter Buund“ gegründete Jugendgruppe. Dr. Fort regte weiterhin an, das Saterfriesische als die Ursprache Ostfrieslands dort wieder einzuführen.9 Ein erster Erfolg konnte 2003 verzeichnet werden. In Filsum (Samtgemeinde Jümme) waren Teilnehmer aus ganz Friesland vertreten, als der erste Friesisch-Sprachkurs startete.10
In einer Bewertung des bereits zitierten Saterlandprojektes kommt Prof. Stellmacher zu einem sehr differenzierten Ergebnis. Er stellt fest, dass die saterländische Sprache zweifellos „noch immer“ lebendig ist. Bedenklich stimmt nach seiner Ansicht, dass (1996) die Zahl der Sprecher mit dem Alter ansteigt und in der Gruppe der zwischen 1900 und 1939 geborenen mehr als doppelt so hoch lag, als in der Gruppe der nach 1971 geborenen. Ebenfalls negativ ist die Tatsache zu bewerten, dass nur etwa ein Drittel der Aktivsprecher die Sprache auch „häufig“ benutzt und dass wesentlich mehr Männer als Frauen die Sprache beherrschen. Daraus folgt, dass als Haussprache (Muttersprache) mit den Kindern nur selten saterländisch gesprochen wird. Positiv stimmt, dass eine übergroße Mehrheit den Erhalt und die Förderung des Saterfriesischen wünschen, weil man hierin einen besonderen Ausdruck regionaler Identität sieht.11
Die Feststellung im Bericht der Bundesregierung stimmt für die Zukunft hoffnungsvoll: Bei den Saterfriesen ist in jüngster Zeit eine Verstärkung des Gebrauchs der saterfriesischen Sprache festzustellen, nachdem bei den Schulkindern die Bereitschaft zur Aneignung dieser Sprache wächst und die Kommunikation der Kinder mit der Großelterngeneration in der saterfriesischen Sprache wieder eingeleitet worden ist.12




1 Geschichte der deutschen Länder, Band 1, S. 404ff
2 www.ostfriesichelandschaft.de und www.genealogienetz.de
3 www.fuen.org
4 pogrom Nr. 179/1994 „Nur hier hat Ostfriesisch überlebt“
5 Dieter Stellmacher: Das Saterland und das Saterländische, S. 24 bzw.26f
6 Nordwest-Zeitung v. 23.3.94
7 Erster Bericht der BR Deutschland gem. Art. 15 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, S. 132, 136f, 144
8 wie vor S. 152, 153, 154
9 pogrom Nr. 179 / 1994 und www.fuen.org
10 Friesisches Forum, 26632 Simonswolde (http://home.t-online,de/home/Friesisches.Forum/index.htm)
11 wie Anm. 5, S. 26f und 35
12 Erster Bericht der BR Deutschland gem. Art. 15 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, S. 8

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