Geschichte und Sprache
Ein zusammenhängendes friesisches
Sprachgebiet gibt es heute nicht mehr. Aufgrund der geschichtlichen
Entwicklung müssen wir heute drei friesische Volksgruppen unterscheiden. Die besondere Geschichte und heutige Situation der Westfriesen in den Niederlanden und der Nordfriesen in Schleswig wird von mir in nachstehenden Posts behandel:
3.053 die Nordfriesen
Die Früh-Geschichte Gesamt-Frieslands
wird unter 3.05 Friesen behandelt.
Die verschiedenen Bauernrepubliken in Ostfriesland (und zeitweise Westfriesland) wurden unter den Häuptlingen aus dem Hause Cirksena im 15. Jahrhundert geeint. Unter Ulrich I von Cirksena wird Ostfriesland 1464 Reichsgrafschaft. Westfriesland fällt in dieser Zeit an Burgund und scheidet endgültig 1648 im Verbund der Niederlande aus dem Reich aus.
Die verschiedenen Bauernrepubliken in Ostfriesland (und zeitweise Westfriesland) wurden unter den Häuptlingen aus dem Hause Cirksena im 15. Jahrhundert geeint. Unter Ulrich I von Cirksena wird Ostfriesland 1464 Reichsgrafschaft. Westfriesland fällt in dieser Zeit an Burgund und scheidet endgültig 1648 im Verbund der Niederlande aus dem Reich aus.
Im 15. – 18. Jahrhundert herrschen in
Ostfriesland wie zuvor im gesamtfriesischen Raum fortwährend innere
Streitigkeiten (Gegensatz der Landesherren mit den Ständen,
insbesondere mit der Stadt Emden, Gegensätze der verschiedenen
Konfessionen nach der Reformation, Einfluss der Niederlande). In der
Folge gerät es in den Einflussbereich der Welfen und der
Hohenzollern bis schließlich am 25. 4. 1744 Ostfriesland aufhört
ein selbstständiges Territorium zu sein und unter Friedrich dem
Großen in den preußischen Staat integriert wird.
Nach dem Wiener Kongress fällt es
zunächst an Hannover, um dann mit Hannover 1866 wieder preußisch zu
werden.1
Seit 1946 gehört Ostfriesland zum
Bundesland Niedersachsen und war bis 1978 Regierungsbezirk. Seitdem
ist es Teil des neugeschaffenen Bezirks Weser-Ems, wodurch diese
letzte territoriale Eigenständigkeit verloren ging. Um ostfriesische
Belange bemühen sich nun verschiedene Organisationen und Vereine,
vor allem die Ostfriesische Landschaft und die
Upstalsboom-Gesellschaft.2
Die friesische Sprache wurde in
Ostfriesland bereits im 15. Jahrhundert vom Niederdeutschen abgelöst.
Bis etwa 1800 wurde sie als Haussprache noch teilweise benutzt, aber
dann endgültig vom niederdeutschen verdrängt, wobei einige
friesische Elemente übernommen wurden. Neben dem Hochdeutschen ist
dieser auf friesischen Rudimenten beruhende niederdeutsche Dialekt
auch heute in Ostfriesland noch weit verbreitet und wird von seinen
Sprechern als friesisch bezeichnet. So konnte trotz fehlender
friesischer Sprache ein ostfriesisches Identitätsgefühl bis heute
bewahrt werden.3
Saterland, Saterfriesisch
Paradoxerweise konnte die ostfriesische
Sprache in einem kleinen Bereich außerhalb Ostfrieslands überleben,
im Bereich der heutigen Gemeinde Saterland. Diese liegt im Nordwesten
des Landkreises Cloppenburg und besteht aus den Ortsteilen Scharrel,
Ramsloh und Strücklingen.
Bild: Karte des früheren Regierungsbezirks Ostfriesland (beige), des Saterlands (violett) und des erweiterten historischen (Ost-)Friesland
Friesen haben sich hier wahrscheinlich zwischen dem 11. und
Bild: Karte des früheren Regierungsbezirks Ostfriesland (beige), des Saterlands (violett) und des erweiterten historischen (Ost-)Friesland
Friesen haben sich hier wahrscheinlich zwischen dem 11. und
14. Jahrhundert angesiedelt, nachdem
sie durch große Sturmfluten ihre Heimat an der Nordsee aufgeben
mussten. Die Gemeinde liegt in einem Moorgebiet und war bis zum 19.
Jahrhundert auf dem Landweg nur zu erreichen, wenn in strengen
Wintern die Moore zugefroren waren. Diese Isolation hat zweifellos
das Überleben des Saterfriesischen begünstigt.4
Unter dem Titel „Saterlandprojekt“
wurde in den Jahren 1994 bis 1996 durch die Zentralstelle für
sprachliche Landesforschung an der Universität Göttingen unter der
Leitung von Prof. Dr. Stellmacher eine Studie über die
Sprachsituation in der Gemeinde Saterland durchgeführt. Die
Auswertung der Fragebögen und Interviews ergab, dass von den ca.
12000 Einwohnern der Gemeinde ca. 2000 die saterfriesische Sprache
aktiv sprechen, etwa doppelt so viele Menschen können sie
verstehen.5
Somit sind die Saterfriesen eine der kleinsten Volksgruppen Europas.
Als 1994 eine Delegation des European Bureau for Lesser Used
Languages (EBLUL) das Saterland besuchte, war man beeindruckt von der
Lebendigkeit des Saterfriesischen.6
Kulturelle Aktivitäten, Kindergarten, Schule
Träger der kulturellen Aktivitäten
der Saterland-Friesen ist der Seelter Buund (Heimatverein Saterland).
Die Gemeindeverwaltung Saterland fördert nach Kräften alle
Aktivitäten hinsichtlich des Gebrauchs der friesischen Sprache.
Standesamtliche Trauungen und andere Amtshandlungen kann man auf
Wunsch in saterfriesisch durchführen lassen.
An allen 5 Kindergärten des
Saterlandes wird wöchentlich eine Stunde Saterfriesisch mit den
Kindern gesprochen. An drei von vier Grundschulen und am Schulzentrum
Saterland (Sekundarstufe I) wird zwischen ein und vier Stunden
Saterfriesisch unterrichtet, wodurch insgesamt 1113 Kinder der
Jahrgänge 1 – 6 die Saterfriesische Sprache erlernen. Der
Unterricht wird neben voll ausgebildeten Lehrkräften auch durch
ehrenamtliche Teilzeit-Lehrkräfte erteilt. In der Erwachsenenbildung
bietet das Katholische Bildungswerk Saterland jährlich einen Kurs
„Saterfriesisch sprechen und lesen“ über 10 Abende an.7
Veröffentlichungen, Medien und Öffentlichkeit
Eine saterfriesische Schriftsprache ist
nicht überliefert, bekannt ist eine Sprichwörtersammlung aus dem
Jahre 1901. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde begonnen, sich
intensiver mit dieser Kleinsprache zu beschäftigen und
Rechtschreibregeln festzulegen. Verdienstvoll ist hier die Tätigkeit
von Dr. Marron C. Fort zu nennen, dem Leiter der Arbeitsstelle
Niederdeutsch / Saterfriesisch an der Universität Oldenburg. 1980
erschien ein von ihm bearbeitetes saterfriesisches Wörterbuch,
dessen 2. Auflage in Vorbereitung ist.
Der Seelter Buund veröffentlicht
regelmäßig Schriften über „Saterfriesisches Volksleben“ und
hat 2001 drei Mal- und Lesebücher auf Saterfriesisch für junge
Saterfriesen im Kindergarten und Grundschulalter herausgegeben. Nur
sporadisch erfolgen Berichte in der örtlichen Presse (insbesondere
im Generalanzeiger, Rhauderfehn), im Rundfunk oder Fernsehen (NDR 3,
N3). Dies ist Folge der kleinen Zielgruppe, obwohl das Land
Niedersachsen für entsprechende Produktionen sogar Zuschüsse
gewährt.8
In allen Gemeinden des Saterlandes wird
der Besucher mit zweisprachigen Ortsschildern begrüßt. Darüber
hinaus vermisst man jedoch öffentliche „Bekenntnisse“ zur
saterfriesischen Identität (Straßenschilder, öffentliche
Anschläge, Bezeichnungen von Gaststätten, Geschäften usw.) Die Internetseite der Gemeinde Saterland informiert über die saterfriesische Sprache, Aktivitäten zu deren Erhalt und veröffentlicht den Liedtext der Saterfriesen und einige Sprichworte auf saterfriesisch.
Zukunft der Volksgruppe
Der bereits erwähnte Germanist Dr.
Marron C. Fort stellt in einer Denkschrift für das Saterfriesische
fest, dass die Einwohner Ostfrieslands Kulturfriesen, aber keine
Sprachfriesen sind. Die Saterfriesen sind Sprachfriesen, haben aber
erst nach dem 2. Weltkrieg ihre Identität neu entdeckt und die
Verbindung nach Ostfriesland (Ostfriesische Landschaft), sowie über
den Friesenrat nach West- und Nordfriesland aufgenommen. Insbesondere
Westfriesen fördern Aktivitäten im Saterland, so unterstützen sie
eine vom „Seelter Buund“ gegründete Jugendgruppe. Dr. Fort regte
weiterhin an, das Saterfriesische als die Ursprache Ostfrieslands
dort wieder einzuführen.9
Ein erster Erfolg konnte 2003 verzeichnet werden. In Filsum
(Samtgemeinde Jümme) waren Teilnehmer aus ganz Friesland vertreten,
als der erste Friesisch-Sprachkurs startete.10
In einer Bewertung des bereits
zitierten Saterlandprojektes kommt Prof. Stellmacher zu einem sehr
differenzierten Ergebnis. Er stellt fest, dass die saterländische
Sprache zweifellos „noch immer“ lebendig ist. Bedenklich stimmt
nach seiner Ansicht, dass (1996) die Zahl der Sprecher mit dem Alter
ansteigt und in der Gruppe der zwischen 1900 und 1939 geborenen mehr
als doppelt so hoch lag, als in der Gruppe der nach 1971 geborenen.
Ebenfalls negativ ist die Tatsache zu bewerten, dass nur etwa ein
Drittel der Aktivsprecher die Sprache auch „häufig“ benutzt und
dass wesentlich mehr Männer als Frauen die Sprache beherrschen.
Daraus folgt, dass als Haussprache (Muttersprache) mit den Kindern
nur selten saterländisch gesprochen wird. Positiv stimmt, dass eine
übergroße Mehrheit den Erhalt und die Förderung des
Saterfriesischen wünschen, weil man hierin einen besonderen Ausdruck
regionaler Identität sieht.11
Die Feststellung im Bericht der
Bundesregierung stimmt für die Zukunft hoffnungsvoll: Bei den
Saterfriesen ist in jüngster Zeit eine Verstärkung des Gebrauchs
der saterfriesischen Sprache festzustellen, nachdem bei den
Schulkindern die Bereitschaft zur Aneignung dieser Sprache wächst
und die Kommunikation der Kinder mit der Großelterngeneration in
der saterfriesischen Sprache wieder eingeleitet worden ist.12
1
Geschichte der deutschen Länder, Band 1, S. 404ff
2 www.ostfriesichelandschaft.de
und www.genealogienetz.de
3
www.fuen.org
4
pogrom Nr. 179/1994 „Nur hier hat Ostfriesisch überlebt“
5
Dieter Stellmacher: Das Saterland und das Saterländische, S. 24
bzw.26f
6
Nordwest-Zeitung v. 23.3.94
7
Erster Bericht der BR Deutschland gem. Art. 15 der Europäischen
Charta der Regional- und Minderheitensprachen, S. 132, 136f, 144
8
wie vor S. 152, 153, 154
9
pogrom Nr. 179 / 1994 und www.fuen.org
10
Friesisches Forum, 26632 Simonswolde
(http://home.t-online,de/home/Friesisches.Forum/index.htm)
11
wie Anm. 5, S. 26f und 35
12
Erster Bericht der BR Deutschland gem. Art. 15 der Europäischen
Charta der Regional- und Minderheitensprachen, S. 8
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