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3.051 Westfriesen in den Niederlanden


neue überarbeitete Fassung Oktober 2018

Die größte Volksgruppe des friesischen Volkes lebt in der niederländischen Provinz Friesland (friesisch: Fryslân). Wie alle Völker ohne eigenen Staat ist sie besonderen Herausforderungen ausgesetzt, um die eigene Sprache und Kultur zu bewahren.


1. Lage und Zahlen

Friesland (fries. Fryslân) ist eine von 11 niederländischen Provinzen. Von den ca. 700.000 Einwohnern  sprechen etwa 50 % friesisch als Muttersprache, ca. 94 % verstehen die Sprache mehr oder weniger. In früherer Zeit wurde auch in den angrenzenden Provinzen Nord-Holland und Groningen friesisch gesprochen, daher hat die Bezeichnung West-Friesen (West-Friesland) in den Niederlanden eine andere Bedeutung als im deutschen Sprachraum – sie bezieht sich auf den nördlichen Teil der Provinz Nord-Holland, der ursprünglich friesisches Siedlungsgebiet war. 

Zur Abgrenzung von dem früher ebenfalls friesischen Groningen  bezeichnet man die heutigen Friesen in den Niederlanden daher als Westerlauwerske Friesen, weil sie westlich des Flusses Lauwers siedeln, der die Grenze zu Groningen bildet. Zur Provinz Friesland gehören auch die vier Wattinseln Vlieland, Terschelling, Ameland und Schiermonnikoog, von denen Schiermonnikoog und Terschelling (teilweise mit Westers und Aasters) auch zum friesischen Sprachgebiet gehören[1]




                                                 Sprachsituation im nördlichen Holland


2. Geschichte

Im Mittelalter bestand ein durchgängig friesisches Gebiet von Nord-Holland bis Ostfriesland. Bis ca. 1500 konnten die Friesen ihre Selbständigkeit behaupten. Allerdings haben sie nie einen starken Einheitsstaat bilden können, sondern waren in mehrere durch natürliche Wassergrenzen gebildete Bauernrepubliken geteilt. Ihr politisches Leben war durch viele Zwistigkeiten gekennzeichnet, die Schattenseite der den Friesen nachgesagten großen Freiheitsliebe. 

Ein zusammenhängendes friesisches Sprachgebiet gibt es heute nicht mehr. Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung müssen wir heute drei friesische Volksgruppen unterscheiden. Die größte Gruppe ist die der Westfriesen in den Niederlanden. Über die beiden friesischen Volksgruppen in Deutschland berichte ich mit meinen folgenden Posts: 
3.053 die Nordfriesen
Im Bereich der Westfriesen  übernahm 1498 das habsburgischen Burgund die führende Rolle im heute niederländischen Friesland und 1579 wurde Friesland Teil der Republik der Vereinigten Niederlande. Bis 1795 konnten gewisse Sonderrechte gewahrt werden, die dann nach der französischen Revolution endgültig verloren gingen.
Die Jahreszahlen 1498 bzw. 1579 waren daher auch endscheidende Wendepunkte im Hinblick auf den Stellenwert der friesischen Sprache. Während noch bis ca. 1500 das friesische Sprache der Verwaltung und Kirche waren (Gesetze wurde auf friesisch niedergelegt), so sank sie darnach immer mehr zu einer minderwertigen „Bauernsprache“ ab. Die höheren und gebildeten Stände sprachen zunächst französisch und deutsch, später niederländisch. Dieser Trend wurde durch Zuzug von Kaufleuten, Beamten und Militärs vor allem in die Städte verstärkt. Nach 1575 wurde das standardisierte Niederländisch Schrift-, Verwaltungs-, Schul- und Kirchensprache. Hieraus entwickelt sich in den Städten – vor allem in Leeuwarden und Sneek -  eine vom Lande abweichende Variante des Friesischen, das Stadtfriesische oder „Stedsk“. Lange wurde unter Sprachforschern gestritten, ob es sich hier um ein „verhollandst“ friesisch oder um ein Holländisch mit friesischen Einflüssen, also einen niederländischen Dialekt handelt – inzwischen ist die Sprachwissenschaft der Meinung, dass Stadtfriesisch kein Friesisch, sondern eine Mundart der niederländischen Sprache ist, allerdings mit starken friesischen Einflüssen, insbesondere in der Grammatik. Bis ins 19. Jahrhundert wurde das reine Friesisch in die Dörfer zurückgedrängt, die städtische Oberschicht sprach niederländisch, die Mittelschicht stadtfriesisch. In den heute angrenzenden Provinzen (Nord-Holland und Groningen)  ging friesisches Sprachgebiet schon früh verloren. Innerhalb der heutigen Provinz Friesland gibt es inzwischen ebenfalls nichtfriesische Bereiche, so wird  im Süden heute „Stellingweiwen“, ein niedersächsischer Dialekt gesprochen und im Norden wurden bei der Trockenlegung der Middelsee holländische Bauern angesiedelt,  so dass dort  ebenfalls ein holländischer Dialekt mit friesischen Einflüssen, das „Bildts“, entstand.[2] In einigen Gemeinden im Westen der Provinz Groningen gibt es noch etwa 4.000  bis 6.000 Sprecher der friesischen Sprache. Darüberhinaus wird auch noch bei Auswanderern in anderen  Provinzen der Niederlande und in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland friesisch gesprochen, allerdings in der Regel nur zeitlich begrenzt.[3]

Abgesehen von einem friesisch geschriebenen  Buch des Dichters Gysbert Japiks im 17. Jahrhundert entwickelte sich das Friesische bis ins 19. Jahrhundert nur als gesprochene Sprache weiter. Im Zuge der Romantik  bildeten sich auch im holländischen Friesland verschiedene Vereine und Bewegungen, die sich für den Erhalt der Sprache und ihre Pflege auch als Schrift- und Kultursprache einsetzten. Umgekehrt gab es aber gerade in dieser Zeit auch eine niederländisch-nationale Gegenbewegung, die die Lehrer anhielt, die friesische Bauernsprache in den Schulen nicht zu gestatten.
Erst das 20. Jahrhundert brachte nach und nach Verbesserungen für das Friesische.
Im  Fries Museum im Herzen von Leeuwarden erhält man einen guten Einblick in die Geschichte der Friesen, in friesische Kunst und Kultur.




Fries Museum Leeuwarden – nachgebaute Wohnung reicher Seeleute in Hindeloopen


3. Sprache, Schulen

1924 wurde die Allgemeine Friesische Bildungskommission (Algemiene Fryske Ûnderrjocht Kommisje, Abkürzung: Afûk) gegründet, ein Institut "zur Förderung der friesischen Sprache. Sie hat ihren Sitz in der Hauptstadt der Provinz Friesland in Leeuwarden. Afuk hat die Aufgabe, Kindergärten und Schulen der Primär- und Sekundärstufe mit Unterrichtsmaterialien auszustatten, Friesischkurse anzubieten und gibt als Verlag Bücher in friesischer Sprache heraus (Romane, Reiseführer, Kinder- und Sachbücher).

Seit 1937 wird friesisch an Grundschulen unterrichtet, allerdings zunächst nur in den zwei höchsten Klassen und nur zwei Stunden in der Woche. 1955 folgte die offizielle Anerkennung des Friesischen im Unterrichtswesen und 1956 im Gerichtsbereich. In der Provinz Friesland (Fryslân) ist Friesisch neben Niederländisch zweite Amtssprache.
1980 wurde Friesisch in Fryslân zum Pflichtfach an Grundschulen erklärt, zu denen ab diesem Zeitpunkt auch der frühere Kindergarten (für 4-6-Jährige, niederländisch "kleuteronderwijs", friesisch "beukerûnderwiis") gezählt wurde. Die Schulen können in eigener Verantwortung entscheiden, wie viel Zeit sie für Friesisch als Fach und wie viel sie als Unterrichtssprache verwenden wollen. In der Regel wird Friesisch als Fach eine Stunde pro Woche unterrichtet und 20 % der Unterrichtszeit wird in friesischer Sprache abgehalten, meist in kreativen und weltanschaulichen Fächern. Ab 1. August 1993 ist Friesisch auch für den Sekundarbereich (12 bis 15-jährige Schüler) Pflichtfach, in diesem Bereich ist die Entwicklung noch im Aufbaustadium.[4] Ein generelles Problem ist allerdings, welche Sprache unterrichtet werden soll (Volkssprache, Literatursprache, Stadtfriesisch). Da zudem die Schulen in eigener Verantwortung entscheiden können, in welchem Umfang und welchen Fächern friesisch unterrichtet wird, wird nicht selten niederländisch bevorzugt. Allerdings wird inzwischen an ca. 10% der Grundschulen jeweils zu 50 Prozent auf Niederländisch und zu 50 Prozent auf Friesisch unterrichtet. Eltern können entscheiden, ob sie ihre Kinder an diesen Schulen anmelden.

Trotz aller Bemühungen und parallel zu den beschriebenen Errungenschaften der Friesen, ist nicht zu übersehen, dass das standardisierte Niederländisch in immer mehr traditionelle Domänen des Friesischen eindringt (in Dörfern, Familien und besonders als Folge von Mischehen, beruflichen Notwendigkeiten u. a.). Die Sprachsituation wandelte sich so in Friesland von einer Diglossie (friesisch auf dem Land und bei den unteren Schichten der Städte) zu einer Mehrsprachigkeit der Friesen mit deutlichem Schwergewicht bei der Staatssprache Niederländisch.[5]

5. Kultur

Bereits im 19. Jahrhundert sind viele Theater, Gesangvereine, Frauenorganisationen und Museen entstanden, in denen friesische Sprache und Kultur gepflegt werden. Kaum benutzt wird die traditionelle friesische Tracht, lediglich bei seltenen Gelegenheiten (Volksfesten) wird sie speziell von Volkstanzgruppen getragen.
Der friesische Renaissance-Dichter Gysbert Japicx schuf im 17. Jahrhundert eine friesische Literatursprache (mit einer neuen Rechtschreibung) und zeigte, dass das Friesische sehr wohl geschrieben werden konnte und man in dieser Sprache auch dichten konnte. Neue Impulse bekam die friesische Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit den Ideen der Romantik. Neben einer Wiederaufnahme der literarischen Tradition Gysbert Japicx' kam es auch zur Entstehung von neuen Literaturformen. Die Brüder Halbertsma waren die ersten, die die neuen romantischen Genres mit Volkserzählungen kombinierten. Joast Halbertsma, der auch ein bedeutender Sprachwissenschaftler war, gab der Volkssprache den Vorzug gegenüber der normierten "Hochsprache". Es gibt eine umfangreiche, auch anspruchsvolle, Literatur in friesischer Sprache die sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich ein Trend der Modernisierung in der friesischen Literatur durch - weniger heimatgebunden und ländlich, dafür experimenteller.[6]
Zur Förderung der friesischen Kultur wurde 1938 in der Provinzhauptstadt Leeuwaarden die „Fryske Akademy“ gegründet. An drei niederländischen Universitäten gibt es Lehrstühle für friesisch, wichtigste Universität für die friesische Sprache ist Groningen, daneben gibt es Lehrstühle in Amsterdam und Leiden. Der Andrang von Studenten hält sich allerdings in Grenzen.

Nach dem 2. Weltkrieg  wurden vom niederländischen Staat nach und nach auch Subventionen für friesisch-sprachige Medien, Kultur, Literatur und Wissenschaft genehmigt. Die friesische Sprachpolitik fällt seit 1986 in das Ressort des Staatssekretärs für Innere Angelegenheiten.

Der größte Zusammenschluss von friesischen Sprach- und Kulturvereinigungen in den Niederlanden ist der „Ried fan de Fryske Beweging“ Er setzt sich für den Erhalt der friesischen Sprache und Kultur im niederländischen Friesland ein und besteht zurzeit aus zwölf unabhängigen friesischen Organisationen. Dazu gehören die Sektion West des Friesenrats (Fryske Rie) und der Unterstürzerverein des friesischen Rundfunks Freonen fan Omrop Fryslân, aber auch Vereine der anderen Regionalsprachen Frieslands (Bildts, Stellingwerfs).

Von 1990 bis 1997 gab der Ried fan de Fryske Beweging die Zeitschrift „Mear oer fryske taal en kultuer“ heraus. Seit 2000 erscheint die Zeitschrift „Swingel“. Neben den zwölf Vereinigungen, die insgesamt etwa 12.000 Menschen vertreten, sind auch ungefähr 500 unterstützende Einzelmitglieder dem Ried angeschlossen
. Der Ried fan de Fryske Beweging ist Mitglied der Föderalistischen Union europäischer Volksgruppen (FUEV) und ist eine wichtige Säule des Interfriesischen Rats (http://www.interfriesischerrat.de).[7]

6. Medien

Im Vergleich zu den deutschen Friesen ist die Situation bei Radio und Fernsehen recht komfortabel. Der regionale Fernseh- und Radiosender „Omrop Fryslân“ sendet viele Stunden auf friesisch. Friesisches Radio kann man täglich etwa zehn Stunden hören, und an jedem Wochentag gibt es ein paar Stunden Fernsehprogramm in friesischer Sprache (eine Stunde Programm, das mehrmals wiederholt wird). Außer im Sommer gibt es jeden Sonntag eine halbstündige Fernsehsendung in friesischer Sprache, die auch außerhalb Frieslands zu sehen ist. Außerdem gibt es jede Woche eine halbe Stunde Schulfernsehen.
Weniger günstig sieht es bei der Presse aus, die fast ausschließlich in niederländischer Sprache erscheint. Nach einer kurzen Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben friesische Zeitschriften mit Existenzproblemen zu kämpfen. Die zwei großen regionalen Tageszeitungen Frieslands enthalten auch Artikel und Zitate in friesischer Sprache. Nur hin und wieder erscheinen kleinere Beiträge auf friesisch (siehe weiter unten: das Problem der Analphabeten).[8]

Politische Situation, Zukunft des Friesischen


Die Niederlande sind ein sehr demokratisches Land und seit 1945 unterstützen auch alle wesentlichen Parteien die friesischen Forderungen. Am weitesten geht die „Frysk Nasjonale Party - FNP“, die aber in der zurückliegenden Zeit nur von einem kleinen Teil der Volksgruppe gewählt wurde.

Seit 1945 gehören  zweisprachige Orts- und Straßenschilder zum Bild  der Provinz.


 Zweisprachiges Ortsschild Leeuwarden – Ljouwert

In sieben kleineren Gemeinden (z. B. Littenseradiel, Boarnsterhim, Ferwerteradiel) wurde sogar der friesische Name zum offiziellen Gemeindenamen erklärt und die Ortstafeln sind einsprachig friesisch.[9]

1956 wurde die Verwendung von Friesisch in Rechtsangelegenheiten festgelegt und die Anwendung vor Gerichten toleriert (seit 1997 auch gesetzlich verankert). Seit den 70er-Jahren gilt Friesland offiziell als zweisprachige Provinz. 1995 wurde per Gesetz gestattet, die friesische Sprache bei Orts- und Provinz-Versammlungen zu verwenden.1996 ratifizieren die Niederlande die Europarat-Charta der Regional- und Minderheitssprachen und 2000 das Rahmenabkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten.[10]
Offiziell sind heute also alle Voraussetzungen nicht nur für ein Überleben, sondern auch eine Festigung und Weiterentwicklung der Stellung der Friesen gegeben.  Die Probleme liegen – wie so oft, wenn der unmittelbare Druck fehlt – bei der Volksgruppe selbst. Viele Sprecher des Friesischen können ihre Sprache nicht lesen, noch weniger können friesisch schreiben (friesische Analphabeten). Die Sprecher verwenden oft eine verstümmelte und überfremdete Sprache, so dass die Zahl der aktiven Sprecher eines reinen Friesisch trotz dieser erfreulichen Ausgangsbasis zurückgeht.[11] Insbesondere das Stadtfriesische („Stedsk“ bzw. „Leeuwarders“ in der Provinzhauptstadt) verlor  an Bedeutung und das friesische steht unter ständigem Druck des Niederländischen[12]
Eine Verbesserung dieser Situation strebt die „Frysk Nasjonale Party - FNP“ an, die aber in der zurückliegenden Zeit nur von einem kleinen Teil der Volksgruppe gewählt wurde.[13]


















[1] Handbuch der europäischen Volksgruppen, S. 298f und Institut für Niederlandistik der Uni Wien (www.ned.univie.ac.at/publicaties/taalgeschiedenis/dt/friestab.htm)
[2] Institut für Niederlandistik der Uni Wien, (www.ned.univie.ac.at)
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Westfriesische_Sprache
[4] Alex M. J. Riemersma, Dozent für Friesisch und Didaktik an der Noordelijke Hogeschool Leeuwarden in prorom Nr. 5/2003

[6] Anthonia Feitsma: Ljouwert - Celovec und zurück; Minderheitensprachen Friesisch (Friesland, Niederlande) und Slowenisch (Kärnten, Österreich) im Vergleich

[7] https://www.fuen.org/european-minorities/members/map/m/single/show/member/council-of-the-frisian-movement/
[8] www.fuen.org und siehe Anmerkung 6
[9] http://wiki.woudagemaal.nl/w/index.php/Fryslan
[10] www.minority2000.net
[11] www.fuen.org und „Handbuch der europäischen  Volksgruppen“, darin J. J. Kalma : „Die niederländischen Friesen“,  S. 306
[12] Institut für Niederlandistik der Uni Wien, www.ned.univie.ac.at
[13] www.fuen.org

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