Mit Ergänzungen März 2020
1.
Das gemeinsame Band der (Hoch-) Sprache
Wie im Kapitel 2.01 Das deutsche Volk in Europa schon festgestellt,
zählen zur deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft alle, die sich zum
deutschen Volk zählen, ganz gleich ob sie in einem deutschen Staat, in einem
Autonomiegebiet oder als Minderheit in einem Fremdstaat leben. Auch Migranten, die sich in deutschen Staaten integriert oder assimiliert haben zählen dazu, wobei man allerdings viele Zwischenstadien feststellen muss. Gemeinsames Band
ist die deutsche Hoch- bzw. Kultur- und Schriftsprache, auch wenn manche aktiv
nur einen deutschen Dialekt benutzen. Durch die Sprache haben alle Mitglieder
des Volkes Zugang zur deutschen Literatur, zum gemeinsamen Sagen- und
Märchenschatz, zum deutschen Liedgut und zu deutschsprachigen Medien in ihrer
vielfältigen Art (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet u. a.) Die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturgemeinschaft (oder deutschen Kulturnation) setzt allerdings bei Migranten und Grenzlanddeutschen ein freies Bekenntnis voraus. Was aber ist
konkret die deutsche Sprache?
2. Abgrenzung: Was ist Deutsch?
In sehr
klarer Darstellung hat der in Genk (Belgien) geborene, inzwischen emeritierte
Linguistik-Professor der Universität Münster, Jan Goossens, in einer von der
Kulturabteilung der niederländischen Botschaft herausgegeben Schrift[1]
eine Definition der deutschen Sprache vorgelegt. Er stellt fest, dass der
Begriff Deutsch mehr umfasst, als die deutsche Hoch- bzw. Schriftsprache.
Vielmehr gehören zu diesem „System“ eine Reihe regional gefärbter
Umgangssprachen und alle deutschen Dialekte bis hin zu mehreren tausend
Ortsmundarten. Dazu gehört aber auch die deutsche Sprache früherer
Jahrhunderte. Das Deutsch Goethes und Schillers unterscheidet sich schon
erheblich vom Deutsch Heinrich Bölls und Günter Grass, noch mehr vom Deutsch,
das Martin Luthers oder Walther von der Vogelweide sprach und schrieb. Alle
diese Varianten sind aber Teil der Sprache Deutsch, die von der heutigen
deutschen Hochsprache überdacht wird. Das wesentliche Merkmal einer Hoch- bzw.
Kultursprache ist, dass sie eine Norm hat.
In
einem ursprünglich gemeinsamen sogenannten kontinental-westgermanischen
Sprachgebiet hat sich bei unseren Nachbarn in den Niederlanden und in Flandern
die Hochsprache Niederländisch entwickelt. (Nederlands – siehe 2.19 Niederländer, Flamen, Niederländische Sprache). Obwohl im Raum von Ostende bis zur
heutigen polnischen Westgrenze (früher bis zur
Memel in Ostpreußen) ein
Dialekt-Kontinuum besteht und Dialektsprecher beiderseits der deutsch-niederländischen
Grenze ohne Probleme miteinander kommunizieren können, muss man als einzig
sinnvolle Zuordnung der Dialekte die jeweils überdachende Hochsprache wählen.
Das früher als Sprache der Hanse durchaus überregional als Verbindungssprache
gebrauchte Mittel-Niederdeutsch ist nach dem Untergang der Hanse und nach der
Reformation in den norddeutschen Landen zur Regionalsprache bzw. zum Dialekt
geworden, überdacht von den Hochsprachen Hochdeutsch in Deutschland und Niederländisch in den Niederlanden und Belgien. Inzwischen wurden die jeweiligen Dialekte beiderseits der Staatsgrenzen
aber auch durch ihre jeweiligen Hochsprachen beeinflusst und haben viele neue Begriffe aus den Hochsprachen übernommen, so dass es
heute auch eine Bruchstelle zwischen den verwandten Dialekten beiderseits der
Staatsgrenzen gibt.[2]
In der
Hochsprache Deutsch lernen Kinder im gesamten deutschen Sprachraum lesen und
schreiben, in dieser deutschen Hochsprache erscheinen Bücher, Zeitungen,
Zeitschriften, werden Filme erstellt oder synchronisiert und Nachrichten über
Radio, Fernsehen und Internet vermittelt. In dieser Sprache wird (überwiegend)
in der Kirche gepredigt und kann man am kulturellen Leben im gesamten deutschen
Sprachraum teilhaben. So besteht ein unsichtbares Band, dass alle Mitglieder
der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft miteinander verbindet. Natürlich können
auch Menschen anderer Muttersprache an dieser Gemeinschaft teilhaben,
insbesondere Migranten und Grenzbewohner, aber auch jeder, der die deutsche
Sprache als Fremdsprache erworben hat. Aber hier kommen wir zu einer
entscheidenden Frage:
3.
Was ist das Besondere der deutschen Sprache?
Im Kapitel 1.231 Sprachen als Identitätsmerkmal habe ich bereits
viele Hinweise über den großen Einfluss der Sprache auf das Denken und die
Identität eines Menschen gegeben. So beeinflusst auch die deutsche Sprache
unser Denken und Handeln auch im Verhältnis zu unseren Nachbarvölkern.
Was unterscheidet aber die
deutsche Sprache von anderen Sprachen? Beispielhaft vergleicht Mario Wandruszka
die deutsche und französische Sprache und stellt fest, „ …als ob ich mich in
der französischen auf den wohlgepflegten Wegen eines schönen Parkes erginge, in
der deutschen mich aber in einem herrlichen Wald herumtriebe. Aus den
Dialekten, mit denen sie Fühlung behalten hat, fließt der deutschen
Schriftsprache ständig neues Leben zu. Die französische…ist etwas Fertiges
geworden. Die Vollkommenheit des Französischen besteht darin, einen Gedanken
auf die klarste und kürzeste Weise auszudrücken, die des Deutschen darin, ihn
in seiner Vielgestaltigkeit hinzustellen.“[3]
Diese Vielgestaltigkeit der
deutschen Sprache ist eines ihrer besonderen Kennzeichen und ihrer Stärken,
womit Dichter und Schriftsteller kunstvoll arbeiten können. Sie hat Ihre
Ursache u. a. in der erwähnten Bereicherung durch die deutschen Dialekte. Der
Deutsche kennt den Kaminkehrer, Essenfeger, Schlotfeger und Schornsteinfeger
(Engländer und Franzosen begnügen sich mit einem Wort – chimney-sweeper,
ramoneur). Zwar werden die obigen Bezeichnungen in verschiedenen Bereichen des
deutschen Sprachgebiets bevorzugt gebraucht – teilweise überschneiden sie sich
auch - , aber jeder Deutsche versteht sie, sie gehören wenn nicht zu seinem
aktiven, dann zu seinem passiven Wortschatz. Das gleiche gilt z. B. für
Metzger/Schlachter/Fleischer oder Bettuch/Leintuch/Laken.
Wir Deutschen kennen im
Unterschied zur englischen Sprache die See und das Meer für eine gleiche
Aussage aber mit unterschiedlichem Gefühlsgehalt und machen daraus
Zusammensetzungen wie Seefisch, Seefahrt, Meeresbucht und Meeresrauschen.
Außerdem kennen wir noch den (Binnen-) See und zur Verzweiflung eines Anderssprachigen
ist der Bodenseefisch kein Seefisch. Auch haben wir in unserer Sprache die
Begriffe Blume und Blüte mit unterschiedlichen, aber auch überlappenden
Bedeutungen und wundern uns, dass die romanischen Sprachen hierfür nur einen
Namen haben. Ähnliches gilt für Früchte und Obst[4]
Wir kennen in der deutschen Sprache den präzisen Ausdruck Schimmel, mit dem wir ein bestimmtes Pferd beschreiben können, ohne das Wort "weiss" zu benutzen, während der Franzose nur "cheval blanc" und der Engländer "white horse" sagen kann.
Wir kennen in der deutschen Sprache den präzisen Ausdruck Schimmel, mit dem wir ein bestimmtes Pferd beschreiben können, ohne das Wort "weiss" zu benutzen, während der Franzose nur "cheval blanc" und der Engländer "white horse" sagen kann.
Eine große Bereicherung hat die deutsche Sprache aus dem Latein und später aus dem Französischen bezogen. Viele gelungene Eindeutschungen kann heute nur noch ein Linguist auf ihren Ursprung zurückführen, anderen merkt man noch ihren Ursprung an. Z. B. bei Gendarm, Genie, Garage, Gage, Loge, Engagement und gleichzeitig hat sich ein französischer Laut im Deutschen eingebürgert, den es im phonologischen System des Deutschen gar nicht gibt, das stimmhafte „ž“.[5]
Besonders bemerkenswert für
die Ausdruckskraft der deutschen Sprache sind bestimmte Schlüsselwörter, die
sich gar nicht oder nur mit geändertem Inhalt übersetzen lassen.[6]
Dazu gehört die Möglichkeit der deutschen Sprache mit Vorsilben erstaunlich
viele neue Begriffe zu formen: Aus Leben wird erleben, überleben, ableben,
dahinleben, einleben, auseinanderleben und schließlich das unübersetzbare
Erlebnis, als Ausdruck einer unmittelbaren, eigenen Erfahrung. Andere nicht
übersetzbare Worte sind z.B.: Schadenfreude und Weltschmerz, Stimmung und Gemüt, wobei Stimmung für sehr
unterschiedliche Gefühlsbereiche benutzt wird und Gemüt als eine besondere
deutsche Lebensart angesehen wird. Andere deutsche Worte haben einen besonderen
Gefühlsgehalt, den die unmittelbaren Übersetzungen nicht wiedergeben. Dies gilt
z. B., für unser Wort Wald (der "deutsche" Wald) und erst recht weiss
jeder, der in Frankreich Noël oder in England Christmas gefeiert hat, dass dies
mit deutscher Weihnacht nicht identisch ist. Für den Begriff Zuhause (das
Substantiv) gibt es wiederum überhaupt keine Übersetzung. Das Wort Gemüt hören
und lesen wir heute vor allem im Zusammenhang mit poetischen und religiösen
Aussagen, es wird inzwischen aber auch anders gebraucht (z. B.: „sie war von
sehr einfältigem Gemüt“ oder „er ist ein Gemütsmensch“). Einen noch anderen
Klang bekommt es, wenn wir von gemütlich sprechen, auch das in seiner
umfangreichen Bedeutung nur schwer übersetzbar, weil es eine besondere Mischung
verschiedener Eigenschaften in einem Wort aussagt (gemütlich = angenehm +
ungezwungen + gemütvoll + evtl. sentimental). Auch für das deutsche Wort Kraut
gibt es in den Nachbarsprachen keine Entsprechung, auch nicht für das Unkraut
(das hier einfach „schlechtes Gras“ heißt = franz. mauvais herbe). Deshalb stellt Marie von Ebner -Eschenbach zurecht fest: "Der Geist einer Sprache
offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten." Schließlich
bietet im Deutschen die Zusammensetzung von Hauptwörtern ungeahnte
Möglichkeiten der Ausdrucksweise, wenn wir nur nochmals Kraut als Beispiel
aufgreifen, dass wir zu Würzkraut, Krautsalat, Krautwickel, Kräutersaft,
Kräutergarten oder Kräuterkäse u.v.a. machen können.
So kann ich Antje Vollmer nur ganz besonders zustimmen, wenn sie in einem Spiegel-Interview im September 2004 fesstellte: "In seiner Muttersprache ist man doch am präzisesten, kann am besten Gefühle und Zwischentöne ausdrücken. Wenn ich das fördern will, ist das keine nationalistische Deutschtümelei !"
So kann ich Antje Vollmer nur ganz besonders zustimmen, wenn sie in einem Spiegel-Interview im September 2004 fesstellte: "In seiner Muttersprache ist man doch am präzisesten, kann am besten Gefühle und Zwischentöne ausdrücken. Wenn ich das fördern will, ist das keine nationalistische Deutschtümelei !"
4. Einfluss des Staates / Wohnortes auf die deutsche Sprache
4.1 Deutsch in der Bundesrepublik Deutschland
Natürlich leben die meisten deutschen Muttersprachler wie auch die meisten Deutschsprechenden im größten deutschsprachigen Staat, der Bundesrepublik Deutschland. Zweifellos hat dieser Staat auch eine prägende Kraft auf die deutsche (Hoch- oder Schrift-)Sprache, in allererster Linie über die Schule und andere staatliche Einrichtungen (Behörden, Bundeswehr, Volkshochschulen u. a.) Ein zunehmend prägender Einfluss erfolgt aber heutzutage durch die Massenmedien, allen voran durch das Fernsehen.
Die Verwendung des Hochdeutschen als Umgangssprache anstelle der früheren Regional- und Ortsmundarten hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland deutlich zugenommen. Grund dafür sind die Kriegsereignisse des vorigen Jahrhunderts, die großen Vertreibungs- und Fluchtbewegungen aufgrund des Verlustes der Ostgebiete und deutscher Siedlungsgebiete in Osteuropa, die Flüchtlinge aus der DDR und die Spätaussiedler aus Polen und der früheren Sowjet-Union. Hinzu kam eine immer größer werdende berufliche Mobilität, der große Einfluss des Fernsehens und die Zuwanderung von Migranten. Diesen prägenden Einflüssen waren die vielen deutschen Regional- und Orts-Dialekte in besonderer Weise ausgesetzt und sie befinden sich aufgrund der „Durchmischung“ der Bevölkerung leider zunehmend auf dem Rückzug. Es gibt zwar noch – besonders ländliche – Gegenden in Deutschland, in denen der Dialekt weiterhin erste Muttersprache der dort geborenen Kinder ist – besonders im hohen Norden und im Süden Deutschlands („Wir können alles, außer Hochdeutsch“) – aber der Rückgang an „echten Dialektsprechern“ ist in der Bundesrepublik Deutschland wohl nicht aufzuhalten. Bemühungen von Orts- und Heimatvereinen z. B. mit Theateraufführungen im Dialekt dem Rückgang etwas entgegenzusetzen, sind sehr anzuerkennen, aber wohl kaum erfolgreich. (Vielen Laienschauspielern hört der Kenner an, dass der Dialekt als „Fremdsprache“ eingeübt wurde.)
Die plattdeutsche (niederdeutsche) Sprache wird leider immer weniger verwendet, wodurch ein wertvolles Kulturgut und viel Ursprünglichkeit und Verbundenheit mit der Heimat verlorengeht.
Zwischen dem Norden bzw. Nord-Westen Deutschlands und dem Süden bzw. Südwesten besteht aber auch ein grundsätzlicher Unterschied im Verhältnis Mundart zu Hochsprache, der sprachgeschichtlich bedingt ist. Bekanntlich hat der Norden (Benrather Linie) die zweite germanische/hochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht. Unsere deutsche Hoch- und Kultursprache wurde von Luther jedoch aus dem Mitteldeutschen, vor allem der sogenannten sächsischen Kanzleisprache, entwickelt, d. h. alle mittel- und süddeutschen Dialekte haben die Lautverschiebung mehr oder weniger mitgemacht und stammen somit aus der selben Wurzel wie das Hochdeutsche. Deshalb stehen sich diese Dialekte und die Hochsprache sprachtypologisch sehr nahe, was dazu führt, dass es im Süden unseres deutschen Sprachgebiets leichtere, fließendere Übergänge vom ausgeprägten Dialekt über stark mundartlich geprägte Umgangssprache, einer mit geringem Akzent gefärbten Umgangssprache hin zur Hochsprache gibt. Demgegenüber wurde das Hochdeutsche im Norden praktisch als „Fremdsprache“ installiert und Fremdsprachen spricht man immer sorgfältiger, möglichst dialektfrei. Darauf kann es beruhen, dass im Bereich Hannover-Braunschweig, der „Eindringpforte“ der Hochsprache aus Obersachsen, heute angeblich das „beste Hochdeutsch“ gesprochen wird. Auf jeden Fall ist der Abstand zwischen niederdeutscher Mundart (Platt) und Hochdeutsch typologisch wesentlicher, was für den Bestand der Mundart zu einem gefährlichen „entweder – oder“ geführt hat, während der Süden mit einem „sowohl – als auch“ müheloser zwischen Mundart und Hochsprache wechseln kann.[7]
Gegenüber dem - auch im Süden Deutschlands - festzustellenden Rückzug der ausgeprägten Dialekte wird jedoch in ganz Deutschland ein gemäßigter „Regiolekt“ immer beliebter, das heißt: Umgangssprache in Deutschland ist immer mehr ein mit regionalem Akzent gesprochenes Hochdeutsch, bei dem der regionale Akzent je nach sozialem Stand des Sprechers und je nach Ort des Gesprächs und Art der Zuhörer stärker oder weniger stark und ausgeprägt gebraucht wird. In gleicher Weise wird der Wortschatz mit mehr oder weniger vielen regionalen Mundartwörtern angereichert. Im Ruhrgebiet wurden z. B. durch die Zuwanderung aus den deutschen Ostprovinzen viele Bezeichnungen aus dem Polnischen / Schlesischen / Kaschubischen in die Umgangssprache (Dialekt?) des Ruhrdeutsch aufgenommen. Zu der Vielzahl der Parallel-Bezeichnungen siehe auch oben unter 3. die Hinweise über die Vielgestaltigkeit der deutschen Sprache, ihren selektiven Gebrauch – z. B. Metzger, Schlachter, Fleischer – und das überregionale Verständnis). Insofern gilt auch heute für Deutschland, dass unsere Kinder nach der regional, sozial und kulturell begrenzten Sprache ihrer Kindheit in der Schule dann die transregionale, transsoziale Kultursprache als erste „Fremdsprache“ lernen, ohne diese als Fremdsprache zu empfinden. Vielmehr wachsen sie in die Mehrsprachigkeit der Muttersprache hinein.[8]
Während der deutschen Teilung hatte sich in beiden Teilen Deutschlands auch im Sprachbereich eine trennende Entwicklung abgezeichnet. Diese zeigte sich vor im allem im Bereich der Politik und Verwaltung, aber auch in bestimmten auf das Gebiet der BRD oder DDR begrenzte Wortbildungen. Im Westen war schon früh der Einfluss der anglo-amerikanischen Sprache spürbar, im Osten war man gegen diesen "Bazillus" immun, ja die deutsche Sprache wurde sogar reiner bewahrt. Heute nach 30 Jahren Wiedervereinigung kann man aber feststellen, dass diese Tendenz der Trennung überwunden ist und die deutsche Hochsprache in der ganzen Bundesrepublik wieder zu einer gemeinsamen Entwicklung zurückgekehrt ist.
Aber auch der Einfluss der vielen Migranten und Spätaussiedler auf die deutsche Sprache ist nicht zu übersehen. Die Folgen erkennen wir nicht nur in neuen Wortbildungen, sondern auch in einer (bedauernswerten) Vereinfachung des sprachlichen Regelwerks. Die Entwicklung bleibt abzuwarten, ist aber für die Freunde der schönen, vielgestaltigen deutschen Sprache eher negativ zu beurteilen.[9]
Siehe dazu meinen Post Migration - Integration - Assimilation
4.2 Deutsch in Österreich
Eine ähnliche Entwicklung wie in der Bundesrepublik ist auch in Österreich – wenn auch in etwas abgeschwächter Form - zu beobachten. Ganz generell kann man feststellen, dass das in Österreich gesprochene Deutsch in den letzten Jahrzehnten immer „deutscher“ geworden ist. Allein durch das Fernsehen wird der Österreicher täglich mit bundesdeutschen Wörtern und Aussprachegewohnheiten vertraut gemacht. Hinzu kommt die enge wirtschaftliche Verflechtung und der Fremdenverkehr. Für deutsche Gäste gibt es dann gelegentlich auch Aprikosen statt Marillen und Sahne statt Obers, d. h. auch für die früher typisch österreichischen Sonderbezeichnungen gibt es inzwischen im deutschen Sprachraum ein passives Verständnis.[10] Ohnehin sind die meisten Austriazismen ja nicht an die Staatsgrenzen gebunden, sondern in der Regel „gesamt-bayrisches“ Sprach- bzw. Dialektgut. Deshalb kann man in Österreich – ähnlich den süddeutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg – von einer Polyglossie mit vier Sprachschichten ausgehen, wobei man bei jedem Sprecher von der mehr oder minder gekonnten Beherrschung dieser Sprachschichten (Mundart, ausgeprägter Regiolekt, Hochsprache mit starkem regionalen Akzent, Hochsprache mit schwachem regionalen Akzent) ausgehen muss. Besonders auf dem Land weist die ältere bodenständige Bevölkerung noch eine stärkere Bindung an die Ortsmundart auf, während die Jüngeren – bedingt durch Medien, berufliche Mobilität, Wirtschaft und Fremdenverkehr – immer mehr ein regional eingefärbtes Hochdeutsch benutzen.
Häufig unterliegen die beruflich oder privat nach Österreich übergesiedelten Deutschen dem Trugschluss, dass sie den Wiener Dialekt für typisch österreichisch halten, dabei ist die Dialektspanne in Österreich vom Alemannisch in Vorarlberg bis zum Heinzen-Dialekt des Burgenlandes ebenso breit gefächert, wie in Deutschland z. B. zwischen Köln und Passau. Die oben geschilderte Entwicklung schließt natürlich nicht aus, dass in verschiedenen Regionen Österreichs der örtliche und regionale Dialekt mehr gepflegt und gesprochen wird als in weiten Teilen der Bundesrepublik.
4.3 Deutsch in der Schweiz
Eine geradezu gegenläufige Entwicklung zur Bundesrepublik und zu Österreich hat die Schweiz im zurückliegenden Jahrhundert mitgemacht. Vor allem die Bedrohung durch Nazi-Deutschland hat den Effekt verstärkt, das in der Schweiz die Stellung des Dialekts gegenüber der Hochsprache ständig zugenommen hat und sogar in jüngster Zeit noch zunimmt. Nur so kann man eine Entwicklung deuten, die z. B. aufgrund von Volksabstimmungen in einigen Kantonen der Schweiz die ausschließliche Verwendung des Dialekts im Kindergarten vorschreibt.[11]
Zwar gilt Hochdeutsch mit einigen Schweizer Besonderheiten (z. B. kein „ß“) als eine der Schweizer Amtssprachen und als festgelegte Schrift- und Kultursprache, wodurch viele Schweizer Schriftsteller im ganzen deutschen Sprachraum hoch angesehen und geschätzt sind, aber im privaten Bereich –neuerdings auch in den sozialen Netzwerken sowie in Rundfunk und Fernsehen, nimmt der Dialekt ständig zu. Dabei gibt es keinen allgemeinen Schweizer Dialekt, vielmehr gibt es hunderte von Ortsdialekten, die man in drei große Gruppen einteilen kann: Niederalemannisch (der Großraum Basel, einTeil des südlichen Badens und der größte Teil des Elsässischen), Mittel- und Hochalemannisch (der Großteil der Dialekte in der mittleren Schweiz) und Höchstalemannisch (im Schweizer Süden, vor allem im Wallis und den Walsersiedlungen in Graubünden, im Tessin und Norditalien)[12]). Dabei gilt das in temperierter Form gesprochene Zürichdeutsch für viele als „Normalschweizerdeutsch“ und gilt als Favorit für eine schweizerdeutsche Einheitssprache.[13]
Zusammenfassend muss man feststellen, dass in der Schweiz zwei Formen der deutschen Sprache benutzt werden, die nach dem Muster der Diglossie verwendet werden: Die Hoch- oder Schriftsprache, die zum schreiben und lesen benutzt wird und deren mündlicher Gebrauch auf verhältnismäßig wenige Bereiche in der Schule, Hochschule, den Medien (Print- und Digitalmedien) und die öffentliche Rede beschränkt ist und die Umgangssprache (Schwyzertütsch), die von allen sozialen Schichten als selbstverständliche Umgangssprache benutzt wird.[14]
Die Nachteile dieser Entwicklung, die im Moment von der Mehrzahl der Deutsch-Schweizer ignoriert werden, liegen auf der Hand. Vor allem Schweizer französischer und italienischer Muttersprache beklagen, dass sie sich mit Deutschschweizern oft nur noch auf englisch verständigen können und der sogenannte Röstigraben sich vertieft hat.[15] Die Schweizer verschiedener Muttersprache verstehen sich so gut, weil sie einander nicht verstehen, lautet eine Weisheit der Waadtländer und eine andere sagt: Die Schweiz ist mehrsprachig, die Schweizer sind es nicht.[16] Sie sind es nur im Hinblick auf die Diglossie Hochdeutsch-Mundart. Viele Deutsche aus anderen Bereichen des deutschen Sprachraums fühlen sich durch die ausschließliche Benutzung des Dialekts als Umgangssprache zunehmend ausgegrenzt. Kritik am Schweizer Sprachverhalten kommt vor allem aus der Schweiz selbst. Schon die berühmten Schweizer Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt haben die „Schweizer Enge“ oft öffentlich angeprangert. Als Nicht-Schweizer kann man Kritik daher am besten mit Zitaten von bekannten Schweizern transformieren. Das möchte ich hiermit auch tun, indem ich auf einen sehr guten Artikel von Peter von Matt verweise, einem emeritierten Germanistik-Professor der Universität Zürich und preisgekröntem Buchautor. Der Artikel ist überschrieben mit „Der Dialekt als Sprache des Herzens? Pardon, das ist Kitsch!“ und erschien im Tages-Anzeiger vom 16. 10. 2010[17] und er äußert sich darin besorgt über die gefährliche Abwertung des Hochdeutschen. Prof. Dr. Volker Reinhardt, Historiker an der Universität Freiburg, beschreibt den „Helvetischen Hochsprachkomplex“ als ein angeborenes Beredsamkeitsdefizit und Unterlegenheitsgefühl. Dabei würden Schweizer Studierende Standarddeutsch nicht unbeholfener oder holpriger sprechen und schreiben als Bundesdeutsche, und ihr Wortschatz sei keineswegs ärmer, die Satzkonstruktion nicht ungelenker. Aber alle schriftlichen Arbeiten weisen viel mehr konservative und traditionelle Wendungen auf, bis hin zu regelrechten Archaismen, obwohl die Studierenden durch Fernsehen und Internet durchaus ebenso auf dem Laufenden sind wie Gleichaltrige in Deutschland.[18] Und der bekannte und verdiente Westschweizer Journalist José Ribeaud kritisiert in seinem Buch „Vier Sprachen, ein Zerfall“, dass die Deutschschweizer inzwischen nicht mehr merken, dass sie mit Schweizerdeutsch übertreiben und er befürchtet, „wenn wir miteinander englisch reden, werden wir nicht mehr wissen, warum wir miteindander leben und werden in große Schwierigkeiten geraten – so wie zum Beispiel die Belgier.[19]
4.4 Deutsch in Liechtenstein
Das Fürstentum Liechtenstein ist neben Luxemburg der letzte selbständige deutsche Staat des von Bismarck 1866 zerstörten Deutschen Bundes. Das Alpenland, zwischen dem österreichischen Vorarlberg und den Schweizer Kantonen St. Gallen und Graubünden am oberen Rhein gelegen, ist mit einer Fläche von 160 km2 der sechstkleinste Staat der Welt.
Laut Verfassung Artikel 6 ist Deutsch die Amtssprache des Landes, womit Liechtenstein der einzige deutschsprachige Staat ist, in dem es keine andere Minderheitensprache gibt. Schrift-, Kultur- und Mediensprache ist Hochdeutsch in der Schweizer Version (also auch ss statt ß).
Tatsächlich hat Liechtenstein hinsichtlich des Verhältnisses von Hochsprache zu Mundart eine ähnliche Entwicklung wie die Schweiz zu verzeichnen. In Liechtenstein besitzt die Mundart – wie in der Schweiz – im täglichen Leben eine privilegierte Stellung. Prinzipiell wird Hochdeutsch geschrieben und gelesen und Mundart gesprochen. Abweichend davon gibt es - ausgeprägter als in der Schweiz - Domänen für Hochdeutsch z. B. in der Schule, der Politik (im Landtag), der Verwaltung, vor Gericht, in der Wirtschaft und in der Kirche. Allerdings gibt es auch in diesen Domänen immer wieder Anlässe, in denen die Mundart gebraucht wird, z. B. im Geschäftsleben, wenn alle Gesprächspartner die Mundart verstehen. Diese Situation bezeichnet man wie in der Schweiz mit „Mediale Diglossie“. Im Gegensatz zur Schweiz ist aber festzustellen, dass fast alle Mundartsprecher bereit sind, Hochdeutsch zu sprechen, wenn angenommen wird, dass ein Kommunikationspartner den Dialekt nicht versteht. Von den ca. 37.000 Liechtensteiner Bürgern beherrschen über 90% aktiv oder passiv die Mundart. Nimmt man die ansässigen Bürger mit fremder Staatsangehörigkeit hinzu, kann man von über 20.000 Sprechern der Liechtensteiner Mundart(en) ausgehen. Hinzu kommen ca. 4.500 (16%) andere deutsche Mundartsprecher und etwa 1.000 (4%) Hochdeutschsprecher sowie 2.900 Fremdsprachige (9,9%).[20] Außerdem kommen noch täglich ca. 19.000 Pendler nach Liechtenstein, davon 9.700 aus der Schweiz, 8.300 aus Österreich und 600 aus der Bundesrepublik Deutschland.[21]
Obwohl Liechtenstein ein kleines Land ist, muss man dennoch feststellen, dass in den elf Gemeinden unterschiedliche alemannische Dialekte gesprochen werden. Überwiegend gehören diese zur mittel-hochalemannischen Übergangsmundart, wie sie auch im angrenzenden Vorarlberg und St. Gallen gesprochen werden und von Ort zu Ort teilweise stark voneinander abweichen. Eine wesentliche Abweichung liegt jedoch in der südlichen Gemeinde Triesenberg vor, die um 1280 durch eingewanderte Walser besiedelt wurde und in der noch heute eine höchstalemannische Walsermundart gesprochen wird. Zwar war auch diese Mundart in den letzten Jahrzehnten den Einflüssen der Moderne ausgesetzt und hat diesen Einflüssen Tribut gezahlt, aber dennoch ist festzustellen, dass in Triesenberg auch heute noch ein Walserdialekt gesprochen wird, der sich deutlich von den übrigen Liechtensteiner Mundarten abhebt.[22]
4.5 Deutsch in Luxemburg
Siehe meine ausführliche Schilderung
im Post 2.0105 Luxemburg –ein Sonderfall, Punkt 2
Sprache(n)
4.6 Deutsch in Belgien
Auch hier verweise ich auf meine ausführlichen Post 2.0106 Deutsche Volksgruppe in Belgien. Grundsätzlich besteht nur ein geringer Unterschied im Sprachverhalten der Deutschen Belgiens zu den angrenzenden bundesdeutschen Gemeinden. Dennoch stellen wir bei den deutschsprachigen Belgiern spezifische Besonderheiten im Gebrauch der deutschen Sprache fest. Der Umfang der Abweichungen ist dabei naturgemäß abhängig vom Bildungsniveau des Sprechers und seiner Bereitschaft, fremde Sprachgewohnheiten zu übernehmen. So finden wir in Ostbelgien die Einflüsse des Französischen, z. B. im morphosyntaktischen Bereich „telefonieren an die Firma“ (von: frz. téléphoner à...), aus dem semantisch-stilistischen Bereich „Stiftung für Berufsbildung im Bauwesen“ (von: frz. Fond de la Formation professionelle de la Construction) oder die gegenüber dem Standard-Deutschen wesentlich höhere Frequenz von Fremdlexemen (Crémerie, Dactylo) sowie viele weitere Abweichungen.[23]
4.7 Deutsch in Südtirol
Zur geschichtlichen Entwicklung in Südtirol verweise ich auf meinen
Post 2.0109 Südtirol, Deutsche Südtiroler. Hinsichtlich der
Sprache ist eine ähnliche Entwicklung wie in Österreich festzustellen, wobei in
Südtirol der Einfluss durch das bundesdeutsche Fernsehen und die große Zahl von
Urlaubern aus dem deutschen Sprachraum stark zu spüren ist.
Davon
abgesehen sind die deutschen Südtiroler den Einflüssen der italienischen
Sprache in besonderem Maße ausgesetzt, zumal sich besonders bei älteren
Südtirolern noch die rigide Schulpolitik der Vergangenheit bemerkbar macht. So
hört man z. B. in Südtirol:
Man geht nach der „naja“ (dem
Militärdienst) in „congedo“ (die Beurlaubung
vom Militärdienst). Zu Mittag isst man einen „pollo“ (ein Brathuhn) und an der
Windschutzscheibe des Autos klebt ein „bollo“ (eine Steuerplakette). Wenn man
das „Patent“ (den Führerschein) erwerben will, braucht man zuerst den „foglio
rosa“ (die provisorische Fahrgenehmigung). Man versäumt die „corriera“ (den
Linienbus), isst im Sommer den „gelati“ (das Eis) und braucht eine „carta
bollata“ (Stempelpapier), wenn man ein Gesuch einreichen will.[24]
5. Bedeutung der deutschen Sprache – Einfluss des
Englischen / Amerikanischen
Mit dem Ende des 2.
Weltkriegs gingen große Teile des deutschen Sprachgebiets verloren, nicht nur
die deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neisse-Linie, auch weite Bereiche in
Polen, den baltischen Staaten und weiteren Gebieten Osteuropas. Die Flüchtlinge
und Vertriebenen aus diesen Gebieten wurden in sehr kurzer Zeit in Deutschland
und Österreich integriert, aber ihre Dialekte (das Ostpreußische, Schlesische,
die Sprache der Banater Schwaben, der Egerländer u.a.) sind nicht zu retten,
bereits die zweite Generation spricht den Dialekt oder die Umgangssprache der
neuen Heimat. Niemand kann den Schaden berechnen, aber dass es ein Verlust an
Vielfalt und Sprachreichtum ist, wird keiner bezweifeln. Damit einher ging aber
auch ein Verlust der Bedeutung der Deutschen Sprache in Europa und der Welt.
Besonders in Osteuropa war Deutsch eine Kommunikationssprache zwischen den in
bunter Vielfalt hier auf engem Raum zusammenlebenden Völkern. Insbesondere auch
die Ausrottung der Juden als Bindeglied zwischen Deutschen und anderen
Osteuropäern machte sich negativ bemerkbar.
Parallel dazu stellen wir
ein stetiges Vordringen des amerikanischen/englischen und dessen Eindringen in
unseren Wortschatz fest, allerdings nicht nur in im deutschen Sprachgebiet,
sondern in ganz Europa und in Übersee. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es
sich um Bezeichnungen für völlig neue Begriffe handelt, z. B. im Bereich der
Telekommunikation und des Internets. Die oft sinn- und geistlose Verwendung
englischer Ausdrücke besonders in der Werbung ist allerdings beschämend. Die Werbung weckt in uns neue Bedürfnisse, aber sie nimmt uns Stück für Stück die eigene Sprache!
Auch die Bedrohung der Sprache durch eine imperialistische anglo-amerikanische Unterhaltungsindustrie – vor allem der Musikbranche – ist nicht zu unterschätzen, ebenso wenig wie Video- und Computerspiele mit einer fragwürdigen primitiv-denglischen Bildersprache. Manche rufen nun nach staatlichen Eingriffen und andere Staaten (wie Frankreich und Russland) haben sogar entsprechende Gesetze gegen das Eindringen von Anglizismen geschaffen. Ob das nutzt ist eher fraglich. Sprachen sind lebendig und waren von jeher Einflüssen aus anderen Sprachen ausgesetzt. Ich habe schon vom Einfluss des Französischen gesprochen. Diese Epoche hat die deutsche Sprache rückblickend gut überstanden. Viele Worte wurden aufgenommen, die wir heute als deutsche Wörter ansehen, vieles aber auch wieder ausgemerzt oder verschwindet von selbst. Wer spricht und versteht als junger Mensch heute noch: Billett, Perron, Trottoir? Man sollte also nicht in falsche Ängstlichkeit verfallen, sondern selbstbewusst mit dem Einfluss des Englischen umgehen. So verdankt die deutsche Sprache der „Anglomanie“ das schöne deutsche Wort Handy, das man im Englischen überhaupt nicht kennt. Und wenn ein besonders anglophiler deutscher Bäcker sein Geschäft „Backshop“ nennt, so würde ein Engländer die Negativwerbung wohl eher belächeln (= A…laden). Andererseits sollten wir uns aber auch dagegen wehren, wenn uns Werbeleute immer weitere Anglizismen und englische Werbesprüche zumuten, wenn uns Politiker, Journalisten oder andere Vertreter öffentlicher Einrichtungen mit neudeutschen Wörtern in "denglischer" Sprache beeindrucken wollen, um damit wahrscheinlich eigene Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen. Es gibt aber auch hoffnungsvolle Zeichen. So erschien in der "Zeit" vom 2. Juli 2015 unter der Überschrift "Was genau singen die da eigentlich?" ein Artikel über unglaublich frische deutsche Musikplatten und die ebenso unglaubliche Tatsache, dass im Juni 2015 erstmals in den deutschen Album-Top-Ten nur deutsche Titel aufgeführt waren. (Warum eigentlich "Top-Ten"?) Auch finde ich es gut, dass der Verein Deutsche Sprache e.V. (http://www.vds-ev.de/) für besondere Fehlleistungen im Umgang mit der deutschen Sprache und die unnötige Verwendung von Anglizismen jährlich den Negativpreis „Sprachpanscher des Jahres“ verleiht und sich darüberhinaus gegen eine Überfremdung der deutschen Sprache einsetzt.
Auch die Bedrohung der Sprache durch eine imperialistische anglo-amerikanische Unterhaltungsindustrie – vor allem der Musikbranche – ist nicht zu unterschätzen, ebenso wenig wie Video- und Computerspiele mit einer fragwürdigen primitiv-denglischen Bildersprache. Manche rufen nun nach staatlichen Eingriffen und andere Staaten (wie Frankreich und Russland) haben sogar entsprechende Gesetze gegen das Eindringen von Anglizismen geschaffen. Ob das nutzt ist eher fraglich. Sprachen sind lebendig und waren von jeher Einflüssen aus anderen Sprachen ausgesetzt. Ich habe schon vom Einfluss des Französischen gesprochen. Diese Epoche hat die deutsche Sprache rückblickend gut überstanden. Viele Worte wurden aufgenommen, die wir heute als deutsche Wörter ansehen, vieles aber auch wieder ausgemerzt oder verschwindet von selbst. Wer spricht und versteht als junger Mensch heute noch: Billett, Perron, Trottoir? Man sollte also nicht in falsche Ängstlichkeit verfallen, sondern selbstbewusst mit dem Einfluss des Englischen umgehen. So verdankt die deutsche Sprache der „Anglomanie“ das schöne deutsche Wort Handy, das man im Englischen überhaupt nicht kennt. Und wenn ein besonders anglophiler deutscher Bäcker sein Geschäft „Backshop“ nennt, so würde ein Engländer die Negativwerbung wohl eher belächeln (= A…laden). Andererseits sollten wir uns aber auch dagegen wehren, wenn uns Werbeleute immer weitere Anglizismen und englische Werbesprüche zumuten, wenn uns Politiker, Journalisten oder andere Vertreter öffentlicher Einrichtungen mit neudeutschen Wörtern in "denglischer" Sprache beeindrucken wollen, um damit wahrscheinlich eigene Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen. Es gibt aber auch hoffnungsvolle Zeichen. So erschien in der "Zeit" vom 2. Juli 2015 unter der Überschrift "Was genau singen die da eigentlich?" ein Artikel über unglaublich frische deutsche Musikplatten und die ebenso unglaubliche Tatsache, dass im Juni 2015 erstmals in den deutschen Album-Top-Ten nur deutsche Titel aufgeführt waren. (Warum eigentlich "Top-Ten"?) Auch finde ich es gut, dass der Verein Deutsche Sprache e.V. (http://www.vds-ev.de/) für besondere Fehlleistungen im Umgang mit der deutschen Sprache und die unnötige Verwendung von Anglizismen jährlich den Negativpreis „Sprachpanscher des Jahres“ verleiht und sich darüberhinaus gegen eine Überfremdung der deutschen Sprache einsetzt.
Unsere Politiker sollten wir
unter Druck setzen, dass sie sich in Europa für unsere Sprache vermehrt
einsetzen. Es ist nicht einzusehen, dass Deutsch mit den meisten
Muttersprachlern in der EU keine wichtigere Stellung in der europäischen
Gemeinschaft einnimmt und sich von Briten und Franzosen ausmanövrieren lässt.
Hier ist ein entschiedeneres Verhalten, ein Bestehen auf Deutsch als
Arbeitssprache erforderlich. Auch vermisse ich gemeinsame Aktionen von allen
deutschsprachigen Politikern des EU-Parlaments und von Regierungsvertretern aus
der Bundesrepublik und aus Österreich.
Abschließen möchte ich daher
mit einem Appell an unsere Politiker und Wirtschaftsleute, den ich gerne
zitiere: „Deutsch hat also das erste Mal in der Geschichte die Chance,
gleichsam unbefleckt, nicht als Herrscher- oder Sieger-Sprache…in der ganzen
östlichen Hälfte Mitteleuropas, zwischen Ostsee und Balkan wahre lingua franca
als freie Sprache zu werden und damit zwar nicht Weltsprache, aber bedeutende
Regionalsprache….Es liegt vor allem auch an den deutschsprachigen Staaten, die
in sie gesetzten Hoffnungen großzügig und ohne Arroganz zu erfüllen“,[25]
Und ich füge hinzu, dass man sich dabei auch selbstbewusst gegen eine angeblich
übermächtige „Weltsprache amerikanisches Englisch“ durchsetzen sollte, nicht
zuletzt im Interesse unserer vielfältigen europäischen Identität.
[1] Jan
Goossens „Was ist Deutsch .- und wie verhält es sich zum Niederländischen“ Bonn
5. Auflage 1985
[2] Jan Goossens „Deutsche Dialektologie“, u. a. S. 42ff, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1977
[4] Mario
Wandruszka: „Sprachen – vergleichbar und unvergleichlich“ Piper-Verlag,
München, S. 27ff
[6] Mario Wandruszka: „Sprachen – vergleichbar und
unvergleichlich“ S. 99ff
[7] Wulf Lammers „Die Plattdeutsche Sprache“, Wachholtz-Verlag, Neumünster 1998
[8] Mario Wandruszka: „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“, S. 14
[9] http://sprachkreis-deutsch.ch/2014/01/03/wie-migration-die-deutsche-sprache-rasant-veraendert/ und Bastian Sick „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ Kiepenheuer & Witsch 2006 sowie Feridun Zaimoglu „Kanak Sprak“, Rotbuch-Verlag 1998
[15] José Ribeaud – Vier Sprachen, ein Zerfall, (Nagel & Kimche, 2013) - http://buecherrezension.com/2013/12/06/rezension-jose-ribeaud-vier-sprachen-ein-zerfall-nagel-kimche-2013/
[22] siehe Anmerkung 20
[7] Wulf Lammers „Die Plattdeutsche Sprache“, Wachholtz-Verlag, Neumünster 1998
[8] Mario Wandruszka: „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“, S. 14
[9] http://sprachkreis-deutsch.ch/2014/01/03/wie-migration-die-deutsche-sprache-rasant-veraendert/ und Bastian Sick „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ Kiepenheuer & Witsch 2006 sowie Feridun Zaimoglu „Kanak Sprak“, Rotbuch-Verlag 1998
[10] Mario
Wandruszka: „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“, S. 22
[11] http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Kanton-Aargau-verbietet-Hochdeutsch-im-Kindergarten/story/15803415
und http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Stimmbuerger-wollen-kein-Hochdeutsch-im-Kindergarten/story/18159044
[12]
http://de.wikipedia.org/wiki/Walliserdeutsch
[13]
Mario
Wandruszka: „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“, S.23f
[14] Siebenhaar, Beat und
Wyler, Alfred: Dialekt und Hochsprache in der deutschsprachigen Schweiz. Zürich
1997 (Edition „Pro Helvetia“) [15] José Ribeaud – Vier Sprachen, ein Zerfall, (Nagel & Kimche, 2013) - http://buecherrezension.com/2013/12/06/rezension-jose-ribeaud-vier-sprachen-ein-zerfall-nagel-kimche-2013/
[16] http://www.zeit.de/1996/11/Sprachenschlacht_am_Roestigraben
[17] http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/Der-Dialekt-als-Sprache-des-Herzens-Pardon-das-ist-Kitsch-/story/1255222
[18]
Volker Reinhardt: „Durch gemeinsame Sprache getrennt?“ Sprachspiegel, Heft 2,
2013
[19] http://www.derbund.ch/schweiz/Wer-die-Nationalsprachen-nicht-pflegt-ist-kein-guter-Schweizer-/story/26267633
[20]
Roman Banzer: „Die Mundart des Fürstentums Liechtenstein“ (Dissertation zur
Erlangung der Doktorwürde an der Universität Freiburg/Schweiz 1994
[22] siehe Anmerkung 20
[23] Hinderling/Eichinger: Handbuch der
mitteleuropäischen Sprachminderheiten, darin Hinderdael/Nelde „Deutschbelgien“
S. 487
[25] Scheuringer, Hermann: „Deutsch – alte und neue Lingua franca
in Ost-Mitteleuropa?“ zitiert aus Andreas Pribersky: „Zu den Rahmenbedingungen
der österreichischen Sprachenpolitik“ in Sprachenpolitik in Mittel- und
Osteuropa, Passagen-Verlag Wien 1995
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen